SCHWEIZ / LANDWIRTSCHAFT : Sozial-ökologische Wende

von Raymond Gétaz, EBF, 10.03.2020, Veröffentlicht in Archipel 290

Am 7./8. Februar fand in Bern die «Versammlung für eine solidarische Landwirtschaft - Widerstand am Tellerrand» statt. Anlass war die Erinnerung an die pogromartigen Ausschreitungen gegen marokkanische Landarbeiter·innen in El Ejido (Südspanien) genau 20 Jahre zuvor - mit Blick auf die landwirtschaftliche Situation heute. Mehr als 200 Personen beteiligten sich, unter ihnen: Vertreter·in-nen von Landarbeiter·inne·n aus Andalusien, Süditalien, Frankreich und Österreich, Kleinbauern und Kleinbäuerinnen, Aktivist·in-n·en aus der Frauen- und der Klimabewegung, kritische Konsu-ment·inn·en sowie zahlreiche junge Menschen, die in Solawi-Projekten (Produzent·inn·en-Konsument·inn·en-Kooperationen) aktiv sind. In fünf Arbeitsgruppen setzten die Teilnehmenden sich mit verschiedenen Aspekten der Nahrungsmittelproduktion auseinander und tauschten sich darüber aus, wie wir zu mehr Gerechtigkeit im gesamten Ernährungssystem kommen können. Prekarität – auch in der Schweiz Die Teilnehmenden stellten fest, dass die sozialen Bedingungen in der Landwirtschaft für die Landarbeiter·innen wie auch für viele Bauern und Bäuerinnen von grosser Prekarität geprägt sind – auch in der Schweiz. Zahlreiche Interventionen zeigten die Notwendigkeit einer sozial-ökologischen Wende in der Agrarpolitik auf. Dabei geht es einerseits darum, die Arbeits- und Lebensbedingungen der häufig migrantischen Landarbeiter·innen massiv zu verbessern. Die grossen Unterschiede zwischen den Normalarbeitsverträgen der verschiedenen Kantone sind nicht weiter tragbar. Weiter sollten den Bäuerinnen, die oft einer Mehrfachbelastung ausgesetzt sind, ab sofort die gleichen sozialen und wirtschaftlichen Rechte wie den Bauern zugestanden werden. Als «Frauen von Betriebsleitern» leisten 30’000 von ihnen unbezahlte Haushalts- & Pflegearbeit ohne Sozialversicherungen. Die soziale Absicherung von Bäuerinnen sollte als Voraussetzung für Direktzahlungen gelten. Druck soll insbesondere auf die Grossverteiler ausgeübt werden. Sie tragen eine grosse Verantwortung für die soziale Misere in der Landwirtschaft im In- und Ausland. Supermärkte wie Coop und Migros drücken auf die Agrarpreise und erhöhen gleichzeitig ihre eigenen Margen. Coop und Migros haben die höchsten Margen im Vergleich mit anderen europäischen Grossverteilern. Unter dem Preisdruck verschwinden weiterhin täglich drei Bauernhöfe in der Schweiz, viele kleine Betriebe sind in ihrer Existenz bedroht. Solidarische Landwirtschaftsprojekte (Solawi) sind eine dynamische Alternative zur industrialisierten Landwirtschaft, die Kon-sument·inn·en und Produzent·in-n·en mit einbeziehen. Sie sind ein wichtiges Labor für anderes Wirtschaften und Zusammenleben. Die Verschiedenheit der Projekte und Visionen sind eine Chance, um möglichst unterschiedliche Menschen einschliessen zu können. Wichtig sind dabei in Zukunft eine bessere Vernetzung der Projekte sowie ein intensiverer Austausch mit konventionellen Betrieben. Durch grenzübergreifende Solidarität mit alternativen Produktions- und Distributionsformen können wir zudem dazu beitragen, menschenwürdige Arbeitsplätze zu schaffen.

www.widerstand-am-tellerrand.ch