Ich gehörte von allem Anfang an zu denjenigen in der Asylbewegung, die sich entschieden für die Ergreifung des Referendums einsetzten. Auch das Resultat vom 9. Juni ändert nichts an meiner Überzeugung. Nun müssen wir versuchen zu verstehen, wie es kam, dass wir über 10 Prozent der Stimmen gegenüber vorangegangenen Referenden verloren, und daraus Schlüsse für unsere zukünftigen Tätigkeiten ziehen.
Den Stimmenschwund führe ich nicht auf die Qualität unserer Kampagne zurück und auch nicht auf die bescheidenen Ressourcen. Denn die Gegenseite hat in ausgegebenen Franken nicht viel mehr verwendet als wir. Der so oft zitierte Steilpass an die SVP ist ausgeblieben, dieser Gegner stand gar nicht auf dem Spielfeld. Unsere Argumente und Abstimmungsmaterialien waren gut, unsere Medienpräsenz ebenfalls und der Tonfall frech und ansprechend. Unsere Schwäche war die Stärke unserer Gegnerschaft: eine doppelte. Zum Einen die seit Jahren grassierende Fremdenangst und die geschürte Fremdenfeindlichkeit, die, wie in ganz Europa, in immer breiteren Kreisen salonfähig wird. Sicherlich ist es nicht übertrieben von Hysterie zu sprechen, wenn ich das Verhalten der CVP und FDP-Spitzen benenne. Sie verhielten sich wie ehemalige Sowjet-Politbüros, die keine Widerrede zuliessen, als sich zaghafte Gegenstimmen in ihren Reihen meldeten. An dieser Stelle möchte ich deshalb explizit den dünn gesäten DissidentInnen in den bürgerlichen Reihen für ihre Unterstützung danken.
Die andere Gegnerschaft, die vermutlich in Stimmen noch schwerer wog, war diejenige, die durch Bundesrätin Sommaruga verkörpert wurde. Ihr gebetsartig wiederholtes Argument der Beschleunigung der Verfahren hat in vielen fortschrittlichen Kreisen für Verunsicherung gesorgt und manches JA in der Urne generiert. Viele SP-Wähler_innen wollten nicht gegen ihre Bundesrätin stimmen und viele Menschen, die 2006 gegen Blocher gestimmt hatten, konnten sich nicht aufraffen, 2013 für die Flüchtlinge zu stimmen. Auf keinen Fall dürfen wir alle JA-Stimmen mit fremdenfeindlichen Grundgesinnungen gleichsetzen. Deshalb müssen wir unsere Bemühungen für eine kompromisslose Verteidigung der Grundrechte gerade in diesen Kreisen fortsetzen, sonst riskiert der Wertezerfall weiterzugehen.
Ich plädiere deswegen dafür gemeinsame, schweizweite Aktionen zu entwickeln, denn die lokalen Kräfteverhältnisse sind vielfach so verheerend, dass viele unserer Mitstreiter_innen im Laufe der Jahre den Mut verlieren. Und dies mit guten Gründen: Sowohl die Boshaftigkeit der Mitterechts- und Rechtsaussen-Populisten als auch die Ängstlichkeit und das Anpassertum der mittelinks und «linken» Politiker_innen sind so flagrant, dass wir uns oft in einer extrem minoritären Situation befinden. «Mieux vaut être seul que mal accompagné» (französisches Sprichwort : «Besser alleine als in schlechter Begleitung»). Doch ganz «seul» sind wir nun auch nicht. Die Referendumskampagne hat in spürbarer Weise in der ganzen Schweiz zu einer Verjüngung und Erneuerung der Asylbewegung geführt. Nun ist es an uns, mit diesen neuen Aktivist_innen und den betroffenen Migrant_innen zusammen, neue Kampagnen und Aktionsformen zu suchen. Und vergessen wir nicht: Da wo am meisten Flüchtlinge leben, gab es am meisten NEIN-Stimmen. Fremdenangst ist keine Fatalität.