Jedes Jahr versuchen Zehntausende Männer und Frauen zu Fuß, per Schiff oder Flugzeug ohne Einreisebewilligung nach Europa zu kommen. Dies bedeutet laut Schengener Politik heute ein Verbrechen, das im besten Fall mit Ausweisung und im schlimmsten mit Gefängnis für die „Wiederholungstäter“ bestraft wird.
Das Ende der Reise - ein legaler Status - ist für jene noch in weiter Ferne, die dem Tod, der Polizei, dem Gefängnis und den Klauen der Mafia entkommen sind. Sie müssen lernen, im Untergrund zu leben.
Am 18. und 19. Mai 2002 versammelten sich auf Einladung der nationalen Koordination der „Sans-papiers“ und des Europäischen BürgerInnenforums etwa 100 Personen aus ganz Europa in Bern, um die Ausländerpolitik der EU zu analysieren sowie Gegenaktionen und die Solidaritätsbewegungen zu organisieren.
Seit der ersten Kirchenbesetzung durch Sans-papiers in Frankreich 1996 bekommen alle europäischen Regierungen die Folgen der vor 20 Jahren begonnenen Grenzschließungen zu spüren. Anhand einer Reihe von Gesetzen, die eine Rechtsungleichheit zwischen Europäern und Nicht-EU-Bürgern schafft, wurde unter dem Vorwand der Wirtschaftskrise allmählich ein „Ausnahmezustand“ für Ausländer konstruiert.
In Griechenland erhielten im Zuge eines kollektiven Verfahrens 200.000 Antragsteller von 375.000 gültige Papiere. Im darauffolgenden Jahr verloren sie jedoch ihren Status aufgrund von neuen, restriktiveren Gesetzen. Eines der Merkmale der Ausländerpolitik besteht darin, die Immigranten in einer quasi permanenten prekären Situation zu belassen. So wird jede kollektive Form von Organisation zur Verteidigung ihrer Rechte extrem erschwert. Wenn man, wie Marijke Byl aus Holland, versucht hat, den Gewinn auszurechnen, den die Anstellung von illegalen Arbeitskräften der „legalen“ Wirtschaft einbringt kann man die Motivationen der Behörden verstehen, diese Diskriminierungsstrategie fortzusetzen. Im Bereich des Obst- und Gemüseanbaus, der viele Arbeitskräfte braucht, sollen die Unternehmer auf diese Weise bis zu 500 Millionen Euro pro Jahr einsparen.
Auch wenn die Behörden versuchen, die Lebensbedingungen dieser Sklaven der modernen Zeit zu verbergen, so zwingen die verschiedenen Aktionen wie Besetzungen und Streiks die Regierungen, ihre Strategie zu revidieren. Überall werden jetzt nach dem Beispiel Frankreichs, Spaniens und Italiens neue Formen von Arbeitsverträgen speziell für Ausländer ausgearbeitet, welche die Dauer ihres Aufenthalts an die ihrer Anstellung binden und ihnen nicht dieselben Sozialleistungen zugestehen wie den einheimischen Arbeitern.
Entgegen allen internationalen Konventionen zum Schutz der Menschenrechte und gegen den Missbrauch von wirtschaftlicher und sozialer Macht sind wir dabei, im Schengen-Raum ein Apartheidregime aufzubauen. Die Ausländer stellen knappe fünf Prozent der Gesamtbevölkerung dar, werden aber zunehmend Opfer eines allgemeinen Klimas des Verdachts, das sich auch auf jene ausweitet, die sie unterstützen und auf alle, die gleiche Rechte für alle fordern, unabhängig davon, ob man nun innerhalb der Europäischen Union geboren ist oder nicht.
Dies bestätigte Nicholas Busch, der uns darüber informierte, dass von den 1,3 Millionen im Schengener Informationssystem (SIS) erfassten Personen eine Mehrheit Ausländer sind, deren einziges Verbrechen darin besteht, ohne Bewilligung in die EU eingereist zu sein. Unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung werden außerdem neue Maßnahmen zur Registrierung von Personen und zur Polizeikooperation ergriffen, welche die politischen Freiheiten aller bedrohen.
Am Ende des Treffens zeichneten sich einige Ansätze für eine künftige Zusammenarbeit der Teilnehmer ab:
Erstens, die Lügen der Behörden zu widerlegen, die zu einer großen Konfusion in der Öffentlichkeit führen. So wurde zum Beispiel seit der sogenannten Öffnung der Grenzen innerhalb des Schengen-Raums das Kontrollpersonal an der Grenze zwischen Frankreich, Deutschland und der Schweiz von 250 auf 1000 erhöht. Zweitens muss klargestellt werden, dass die meisten Menschen, die ohne Aufenthaltsbewilligung in der EU leben, einmal Papiere hatten, die sie im Lauf der Jahre aufgrund immer restriktiverer Gesetzen verloren haben. Es wäre auch nützlich, den Gewinn zu berechnen, den die Unternehmen durch die Anstellung „Illegaler“ einstreichen. Diese für NGO, die fast nur aus freiwilligen Mitarbeitern bestehen, lange und kostspielige Arbeit könnte in Zusammenarbeit mit Gewerkschaften durchgeführt werden. Es ist auch wichtig, gegen die Strategie der Unternehmer anzukämpfen, die einen Keil zwischen arme Arbeiter und „Illegale“ treiben wollen. Ein für alle gleiches Arbeitsrecht ist die Grundlage für einen solidarischen Kampf.
Die Sans-papiers führen weiterhin Aktionen wie Besetzungen von öffentlichen Gebäuden durch. Dabei gehen sie große Risiken ein, die von der Öffentlichkeit nicht als solche erkannt werden und die in ihnen eher Ruhestörer sieht. Ein Teilnehmer aus Spanien schlug vor, solche Aktionen in ganz Europa gleichzeitig durchzuführen.
Es steht jedenfalls fest, dass wir unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger davon überzeugen müssen, dass die Ausländer zu achten einfach heißt, dem anderen die Würde zugestehen, die man selbst anstrebt.