In Russland finden weiterhin Demonstrationen gegen den Krieg in der Ukraine statt, obwohl die Sicherheitskräfte der Machthaber seit Beginn des Krieges Tausende von Verhaftungen vorgenommen haben. Der im Folgenden vorgestellte Text ist ein Manifest russischer Feministinnen, die sich gegen den Krieg und die Besatzung in der Ukraine zusammengeschlossen haben.
Im heutigen Russland ist der Feminismus eine der wenigen oppositionellen Bewegungen, die noch nicht durch die Verfolgungswellen unter der Regierung von Wladimir Putin zerstört wurden. Bis heute sind mehrere Dutzend militante feministische Gruppen in mindestens 30 Städten in Russland aktiv. In diesem Text rufen Feministinnen dazu auf, die an Antikriegsdemonstrationen im ganzen Land teilnehmen, sich in weltweiten Protesten gegen die von der Regierung W. Putins ausgelöste militärische Aggression zu vereinen:
Am 24. Februar kündigte der russische Präsident Wladimir Putin gegen 5.30 Uhr Moskauer Zeit eine „Sonderoperation“ auf dem Gebiet der Ukraine an, um diesen souveränen Staat zu „entnazifizieren“ und zu „entmilitarisieren“. Diese Operation war von langer Hand vorbereitet. Seit mehreren Monaten rückten russische Truppen immer näher an die Grenze zur Ukraine heran. Gleichzeitig bestritt die Führung unseres Landes die Möglichkeit eines militärischen Angriffs. Heute wissen wir, dass es sich dabei um eine Lüge handelte.
Russland hat seinem Nachbarn den Krieg erklärt. Es hat der Ukraine weder das Recht auf Selbstbestimmung noch die Hoffnung auf ein Leben in Frieden gelassen. Wir erklären – nicht zum ersten Mal –, dass der Krieg seit acht Jahren auf Initiative der russischen Regierung geführt wird. Der Krieg im Donbass ist eine Folge der illegalen Annexion der Krim. Wir sind der Meinung, dass Russland und sein Präsident sich nicht um das Schicksal der Menschen in Luhansk und Donezk kümmern und nie gekümmert haben und dass die Anerkennung der Republiken acht Jahre nach ihrer Ausrufung nur ein Vorwand war, um unter dem Deckmantel der Befreiung in die Ukraine einzumarschieren.
Als russische Bürgerinnen und Feministinnen verurteilen wir diesen Krieg. Der Feminismus als politische Kraft kann nicht auf der Seite eines Angriffskrieges und einer militärischen Besetzung stehen. Die feministische Bewegung in Russland kämpft für gefährdete Gruppen und für die Entwicklung einer gerechten Gesellschaft, die gleiche Chancen und Perspektiven bietet und in der es keinen Platz für Gewalt und militärische Konflikte geben darf. Krieg ist gleichbedeutend mit Gewalt, Armut, Vertreibung, zerstörtem Leben, Unsicherheit und fehlender Zukunft. Er ist unvereinbar mit den zentralen Werten und Zielen der Frauenbewegung. Krieg verschärft die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern und wirft die Errungenschaften im Bereich der Menschenrechte um viele Jahre zurück. Der Krieg bringt nicht nur die Gewalt von Bomben und Kugeln mit sich, sondern auch sexuelle Gewalt: Wie die Geschichte zeigt, ist das Risiko, vergewaltigt zu werden, für alle Frauen während eines Krieges um ein Vielfaches höher. Aus diesen und vielen anderen Gründen müssen russische Feministinnen und solche, die feministische Werte teilen, eine starke Position gegen diesen Krieg einnehmen, der von der Führung unseres Landes angezettelt wurde.
Der aktuelle Krieg wird, wie aus den Reden W. Putins hervorgeht, auch unter dem Banner der von den Ideologen der Regierung verkündeten „traditionellen Werte“ geführt – Werte, die Russland angeblich wie ein Missionar in der ganzen Welt verbreiten will und dabei Gewalt gegen diejenigen anwendet, die sich weigern, sie zu akzeptieren, oder andere Meinungen vertreten. Jeder kritisch denkende Mensch versteht, dass diese „traditionellen Werte“ wie Männlichkeitskult und Geschlechterungleichheit sowohl die Ausbeutung von Frauen als auch staatliche Repressionen gegen diejenigen beinhalten, deren Lebensweise, Identität und Handlungen nicht mit den engstirnigen patriarchalen Normen übereinstimmen. Die Besetzung eines Nachbarstaates wird mit dem Wunsch gerechtfertigt, diese verzerrten Normen zu fördern und eine demagogische „Befreiung“ zu verfolgen; dies ist ein weiterer Grund, warum Feministinnen in ganz Russland sich mit aller Kraft gegen diesen Krieg wehren müssen.
Kräfte bündeln
Wir Feministinnen sind heute eine der wenigen aktiven politischen Kräfte in Russland. Lange Zeit wurden wir von den russischen Behörden nicht als gefährliche politische Bewegung wahrgenommen, weshalb wir zeitweise weniger von staatlicher Repression betroffen waren als andere politische Gruppen. Derzeit sind über 45 verschiedene feministische Organisationen im ganzen Land tätig, von Kaliningrad bis Wladiwostok, von Rostow am Don bis Ulan-Ude und Murmansk. Wir rufen Feministinnen und feministische Gruppen in Russland dazu auf, sich dem feministischen Antikriegswiderstand anzuschliessen und ihre Kräfte zu bündeln, um sich aktiv gegen den Krieg und die Regierung, die ihn begonnen hat, zu stellen. Wir rufen auch Feministinnen auf der ganzen Welt dazu auf, sich unserem Widerstand anzuschliessen. Wir sind viele und gemeinsam können wir viel erreichen: In den letzten zehn Jahren hat die feministische Bewegung eine enorme mediale und kulturelle Macht erlangt. Es ist an der Zeit, diese in politische Macht umzuwandeln. Wir sind die Opposition gegen den Krieg, das Patriarchat, den Autoritarismus und den Militarismus. Wir sind die Zukunft, die sich durchsetzen wird.
Wir rufen Feministinnen auf der ganzen Welt auf:
• Sich friedlichen Demonstrationen anzuschliessen und Feld- und Online-Kampagnen gegen den Krieg in der Ukraine und die Diktatur von W. Putin zu starten, indem Sie Ihre eigenen Aktionen organisieren. Zögern Sie nicht, das Symbol der feministischen Antikriegs-Widerstandsbewegung in Ihren Dokumenten und Veröffentlichungen zu verwenden, sowie die Hashtags #FeministAntiWarResistance und #FeministsAgainstWar. • Informationen über den Krieg in der Ukraine und W. Putins Aggression zu verbreiten. Wir brauchen die ganze Welt, um die Ukraine in dieser Zeit zu unterstützen und sich zu weigern, Putins Regime in irgendeiner Weise zu helfen. • Bitte teilen Sie dieses Manifest in Ihrem Umfeld. Wir müssen zeigen, dass Feministinnen gegen diesen Krieg und jede Art von Krieg sind. Und auch, dass es noch russische Aktivistinnen gibt, die bereit sind, sich zusammenzuschliessen, um sich dem Regime von W. Putin zu widersetzen. Wir alle laufen Gefahr, Opfer staatlicher Repression zu werden*, und wir brauchen Ihre Unterstützung.
Quelle: der russische Telegrammkanal: https://t.me/femagainstwar
*Nach der Veröffentlichung dieses Textes, am Vortag des 6. März, dem Tag des von den verschiedenen feministischen Gruppen organisierten russischen Antikriegsmarschs, stürmten Polizei und Bereitschaftspolizei die Häuser vieler feministischer Aktivistinnen, offensichtlich um die Frauenkolonne zu verhindern – was ihnen mit diesem Präventivschlag auch gelang. Doch der feministische Anti-Kriegs-Widerstand lässt sich weder in die Knie zwingen noch zum Schweigen bringen. In diesem Sinn hat die Gruppe „Achte Initiative“ einen Aufruf formuliert, den Ihr über https://www.instagram.com/femspb/ (hoffentlich noch) lesen könnt.