Nicht nur Afrika: Auch in Rumänien kaufen westeuropäische und andere Investoren in großem Stil Ackerland auf. Rund 800 000 Hektar Boden sind so verkauft worden. Kleinbauern verlieren ihre Existenzgrundlage.
Es herrscht Goldgräberstimmung in Osteuropa. Rumänien ist dabei neben der Ukraine mit ihren begehrten Schwarzerdeböden bevorzugtes Ziel von Shoppingtouren deutscher, italienischer, britischer und vieler anderer Investmentfirmen. Ende vergangener Woche war das «Landgrabbing» in dem südosteuropäischen Staat und seine sozialen wie ökologischen Folgen Thema einer Podiumsdiskussion in Berlin-Kreuzberg, veranstaltet von der «Agricultural and Rural Convention» (ARC2020), einem internationalen Netzwerk, dessen Akteure sich für einen Systemwechsel in der Agrarpolitik hin zur Förderung und damit Erhaltung lokaler bäuerlicher Strukturen engagieren. Hier kamen mit Willi Schuster und Attila Szocs zwei rumänische Kleinbauernaktivisten von der Nichtregierungsorganisation EcoRuralis1 ebenso zu Wort wie Simon Wolk, Geschäftsführer der Investmentfirma Germanagrar, der Grünen-Europaabgeordnete Hannes Lorenzen und Stig Tanzmann, Agrarexperte von «Brot für die Welt».
Landwirtschaftliche Nutzflächen
Die konträren Darstellungen von Wolk und den Vertretern von EcoRuralis offenbarten, dass die Lage in Rumänien komplex ist: Einerseits konzentrieren sich riesige Agrarflächen in wenigen Händen, denn bereits vor dem Umbruch 1989 gab es große Staatsbetriebe. Nach Angaben von Simon Wolk gehören 85 Prozent des Ackerlandes zu Großbetrieben mit Flächen im fünfstelligen Hektarbereich. Die Betreiber sind bislang überwiegend Einheimische. Auf der anderen Seite ist Rumänien noch immer ein Land, das so stark kleinbäuerlich geprägt ist wie kaum ein anderes in Osteuropa. Nach Angaben von Willi Schuster gibt es 4,7 Millionen Kleinbauernfamilien, die durchschnittlich zwei Hektar bewirtschaften. Schuster selbst verfügt über 20 Hektar, davon sind 14 in seinem Eigentum. Ausländische Geschäftemacher und korrupte Behördenvertreter überredeten kleine Landwirte mit üblen Tricks zum Verkauf ihres Landes und stürzten sie so ins Elend, sagte Schuster. Insgesamt hat Rumänien mit 15 Millionen Hektar die größte landwirtschaftliche Nutzfläche in Europa. Schätzungen zufolge arbeiten rund 40 Prozent der Beschäftigten in der Landwirtschaft - in der Bundesrepublik sind es nur noch zwei Prozent.
Landverkauf
Das Unternehmen von Simon Wolk wirbt mit dem Slogan «Die Zukunft der Landwirtschaft liegt in Osteuropa» für seine Offerten. Es hat Niederlassungen in der Ukraine, in Lettland und Rumänien. Einheimische «Scouts» suchen Leute, die Boden verkaufen wollen. Anleger werden mit der Aussage gelockt, hier böten sich «einmalige Chancen», der Kuchen sei aber schon bald verteilt. Wolks Firma bietet fachfremden Investoren dabei gleich ein Komplettpaket an: Sie kauft bzw. pachtet Flächen an und lässt sie gleichzeitig in Lohnarbeit bewirtschaften, tritt also nicht nur als Makler auf, sondern auch als Betreiber von Agrarbetrieben. Sie preist die Fruchtbarkeit der rumänischen Scholle - und die geringen Lohnkosten vor Ort.
Germanagrar ist dabei nur einer von vielen Investoren und Agrokonzernen, die sich in Rumänien tummeln. Attila Szocs listete klangvolle Namen auf: Rabobank, Prio Foods, First Farms, Agrarius AG - der zweite Rumänien-Spezialist unter den deutschen Agrarinvestmentfirmen, Pharos Financial Group, Smithfield, Ingleby Company - und so fort. Die enorme Nachfrage nach Land hat die Preise drastisch ansteigen lassen. Willi Schuster spricht von einer Verdreifachung allein in den letzten fünf Jahren. Trotzdem bezahlt ein Anleger für einen Hektar in Rumänien derzeit im Schnitt nur rund 2 000 Euro pro Hektar. Zum Vergleich: In Westdeutschland müsste man mehr als das Zehnfache dafür aufbringen, auf ehemaligem DDR-Gebiet 8 000 bis 10 000 Euro.
Firmen profitieren von der Wirtschaftsmisere
Firmen wie Germanagrar profitieren auch von der offenbar desolaten ökonomischen Situation in den rumänischen Großbetrieben, die überwiegend das Land Tausender kleiner Eigentümer bewirtschaften. Sie zahlen den Verpächtern immer seltener den vereinbarten Zins - oder gleich gar nichts mehr. In dieser Lage sind Angebote wie die von Germanagrar fast unwiderstehlich: Nach Aussage von Wolk offeriert er 140 Euro Pacht oder 600 Kilogramm Weizen pro Hektar und Jahr - und viele machen Gebrauch davon. Außerdem, so Wolk, seien 95 Prozent derer, die ihr kleines Stück Acker an seine Firma verkaufen, nicht in der Landwirtschaft beschäftigt.
Nach Schätzung von EcoRuralis sind in den letzten Jahren bereits rund 800 000 Hektar rumänischen Bodens an ausländische Großagrarier und Investoren verkauft worden. Der Agrarpolitiker Hannes Lorenzen spricht mit Blick auf Osteuropa von einem «Landegebiet für flüchtiges Kapital». Es profitiere dabei vielfach von fehlender Regulierung und unvollständigen Katastern auf nationaler Ebene. Dringend nötig sei sowohl in den betroffenen Staaten als auch auf EU-Ebene die Schaffung von Rahmenbedingungen, in denen die Menschen auf dem Land über ihre Geschicke selbst bestimmen können. Dafür brauche es eine europaweite Landreform, mit der zunächst erfasst werden müsse, was wem gehöre, um auch Kleineigentümern ihre Rechte zu sichern. Die Offerten der Investoren sind für Lorenzen eine «Einmischung in die inneren Angelegenheiten» von Ländern wie Rumänien.
Geschäftsmann Wolk warf seinen Mitdiskutanten eine romantische Verklärung bitterster Armut vor, wie es sie in Westeuropa «zur Zeit der Bauernkriege» gegeben habe. Lorenzen entgegnete ihm, die Landnahme durch westliche Konzerne und Investoren verbessere die Lage der lokalen Bevölkerung keineswegs. Stig Tanzmann betonte, diejenigen, die eine Erhaltung kleinbäuerlicher Strukturen forderten, seien für eine Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen, für die Vermittlung von mehr Fachwissen, auf dessen Basis die Landwirte höhere Erträge erzielen, so in ihren Dörfern besser leben könnten und nicht zur Flucht in die Städte gezwungen seien.
Dieser Artikel ist erschienen in «Junge Welt», www.jungewelt.de/2013/01-21
1.Ergänzung der Archipel-Redaktion: Der rumänische Kleinbauernverband EcoRuralis ist inzwischen die Stimme für den Erhalt ihrer von der Agrarindustrie bedrohten BäuerInnen des Landes geworden. Besondere Ausstrahlung gewinnt der Verband aber vor allem, weil er den Kampf der auf dem Land Arbeitenden mit Hilfe eines starken Netzwerks junger StädterInnen führt. Dieses Beispiel von Solidarität zwischen Stadt und Land ist ein ermutigendes Novum in Rumänien.