Vor kurzem ging das «Internationale Jahr der familiär betriebenen Landwirtschaft» (2014) zu Ende und 2015, das «Internationale Jahr der Böden», begann. Für die Zukunft unseres Ernährungssystems und für ein nachhaltiges Management unserer natürlichen Ressourcen sind sie gleich wichtig. Doch wie sieht die Realität aus?
Mit seinen Millionen von kleinen und unterschiedlichen Höfen steht die bäuerliche Landwirtschaft Rumäniens in diesen beiden Jahren im Scheinwerferlicht. In der Vergangenheit waren die Bauern nicht nur Eigentümer des fruchtbaren Landes, sondern – und das ist besonders wichtig – die guten Hüter dieser Flächen. Nach ihrer Grösse (durchschnittlich 2,5 ha), der engen kulturellen Bindung an Grund und Boden und ihrer agro-ökologischen Einstellung waren die Bauern die Grundlage der rumänischen Nahrungsmittelkette und stellten dabei sicher, dass das natürliche Erbe für künftige Generationen kleiner Bauernfamilien bewahrt wird. Es gab da mindestens einen eindeutigen sozialen Faktor in der bäuerlichen Landschaft Rumäniens: ein Nachbar zu sein bedeutete mehr als das anliegende Land zu besitzen, es bedeutete fast so etwas wie Familie. Dazu gehörten gegenseitige Unterstützung bei arbeitsintensiven landwirtschaftlichen Aufgaben, die wechselseitige Hilfe beim Hüten des Viehs und in der Not, ein Helfer zu sein. Die bäuerlichen Gemeinden basierten auf wechselseitiger Verlässlichkeit. Ein «guter Nachbar» zu sein, war ein Grundbestandteil des Bauernstandes. Allgemein galt für den Landbesitz eine stabile Balance in dem Sinn, dass ein besitzloses Mitglied der Gemeinschaft abhängiger von den Nachbarn war, ob im Dorf oder im Staat. Politisch formuliert: Es ging mehr um das Menschenrecht auf Land als um marktwirtschaftliche Orientierung. Und es funktionierte.
Nach der kommunistischen Ära (die infolge der Kollektivierung der Landwirtschaft die bäuerlichen Gemeinschaften verheerend traf) führte die Übertragung der Idee des freien Marktes auf Grund und Boden (verbunden mit einem untauglichen Reprivatisierungsprozess) zu einem tiefgreifenden Wandel der landwirtschaftlichen Struktur. Neue Nachbarn traten auf den Plan. Multinationale Banken, Investmentfonds, Versicherungsgesellschaften, internationale private Investoren und das Auftreten inländischer neureicher Oligarchen stürzten sich in den Wettlauf um den Besitz von Land. Viele von ihnen wurden zu institutionellen Nachbarn bäuerlicher Gemeinschaften.
Die mysteriösen neuen Nachbarn Als Landrechts-Aktivist bei Eco Ruralis bin ich oft in ländlichen Gebieten und diskutiere mit Bauern und Bäuerinnen über Eigentum an Grund und Boden und Verwaltungsangelegenheiten. Deren Antworten sind die beste Informationsquelle für die Zweigeteiltheit der rumänischen Landwirtschaft. In den meisten Fällen (besonders im südlichen Flachland Rumäniens) kennen sie ihre Nachbarn nicht mehr. Sie sagen, das Land gehöre «irgendwelchen Italienern» oder «einer ausländischen Gesellschaft». Im günstigsten Fall verweisen sie auf den Gutsverwalter oder den Bürgermeister. Wer sind also die mysteriösen neuen Nachbarn? Und das Wichtigste: Wie integrieren sie sich in die rumänische Landwirtschaft?
Institutionen des Finanz-sektors Multinationale Banken, Investment-, Pensions- oder andere Kapitalfonds: Internationale Banken oder Investmentfonds kaufen überwiegend sehr grosse Flächen (zwischen 3.000 und 40.000 ha) zwecks Spekulation und gründen dafür Niederlassungen in Rumänien, unter deren Namen sie Land erwerben und kleine Einheiten als «ökonomisch für sich nicht lebensfähig» zusammenlegen. Sie spekulieren auf Erhöhung der Grundpreise und rechnen damit, die arrondierten Flächen in zehn Jahren zu verkaufen. Üblicherweise werden die Flächen von ihnen in dieser Zeit nicht selbst landwirtschaftlich genutzt, sondern an andere Firmen (aus- oder inländische Agrarfirmen) verleast. Die gesamte Vorgehensweise ist höchst intransparent und begünstigt die lokale Korruption. Bei den Leasingpartnern handelt es sich oft um lokale Funktionäre (Bürgermeister, lokale Abgeordnete). Da sie über Informationen aus erster Hand über die lokalen Eigentumsverhältnisse verfügen, werden sie in folgenden Rollen tätig: Erstens ermöglichen sie die Abmachungen zwischen den Dorfbewohnern und der Gesellschaft, nur um dann selbst das Land im Leasing zu übernehmen, sobald die Firma (also die Bank) das volle Eigentumsrecht erworben hat. Es handelt sich um einen der verwerflichsten Kreisläufe des Landgrabbing, mit dem Ziel, sehr gros-se Flächen in den Händen von wenigen multinationalen Firmen zu konzentrieren.
Das Beispiel für einen «Nachbarn» dieser Art ist Rabobank, die holländische Bank, die derzeit über ihre rumänische Niederlassung zigtausend landwirtschaftliche Grundstücke im Südosten Rumäniens besitzt. Die meisten Ländereien werden an inländische Agrargesellschaften (meist vom Bürgermeister betrieben) weiterverleast. Durch diesen Prozess der Konzentration von Land wurden die Dörfer und ihre drastisch zurückgehende Bevölkerung zu Inseln, umgeben von Monokulturen einer exportorientierten Branche.
Sie sind nicht die Einzigen: Das rumänische Ackerland wurde zum Spielplatz für Fonds, gemanagt von mehreren Firmen wie: Spearhead International (UK), Agriinvest oder Jantzen Development (Dänemark), oder Germanagrar (Deutschland).
Multinationale Unternehmen mit Fremdkapital Zu dieser Kategorie gehören multinationale Unternehmen be-sonders (aber nicht nur) aus Westeuropa, die von den Chancen, in Rumänien in Grund und Boden zu investieren, angezogen werden. Üblicherweise ist Rumänien nicht das einzige Ziel dieser Firmen, viele von ihnen investieren auch in afrikanischen und südamerikanischen Ländern. Sie können auf verschiedene Weise vorgehen: Entweder investieren sie ihr dafür bestimmtes Kapital in Landkäufe, (um dann an Drittfirmen zu verleasen oder zu verkaufen), oder sie verleasen die Ländereien in einem Paket und setzen ihr Kapital in agroindustriellen Entwicklungs- und Verwertungsprojekten ein (Mechanisierung, agrochemische Inputs). Letztere Kategorie ist meist exportorientiert. Der Landbesitz dieser Investoren variiert von einigen tausend Hektaren bis annähernd 40.000 ha.
Dazu gehören z.B.: Gruppo Martifer (Portugal), Fri-El International Holding (Italien), Bardeau Holding (Österreich), Maria Group (Libanon), Ingleby (Dänemark).
Private ausländische Investoren Üblicherweise handelt es sich bei dieser Kategorie um natürliche Personen aus anderen EU- oder Nicht-EU-Ländern, die ihr Kapital in Rumänien investieren, indem sie dort eine Firma registrieren lassen, über die sie Land kaufen oder leasen. Viele dieser Firmen entwickeln sich auch vertikal, machen Geschäfte auch in anderen Bereichen der Nahrungsmittelbranche als der Produktion und sind sehr exportorientiert. Die Form des Investments ist eher die gleiche wie in der oben beschriebenen Kategorie, aber meist verfügen diese Akteure über weniger Grundbesitz (200 - 4.000 ha).
Einheimische private Investoren und Firmen Als diese Akteure den postkommunistischen Wirrwarr hinsichtlich des Eigentums an Grund und Boden und die Visionslosigkeit der Regierung ab den frühen 1990er Jahren ausnützten, waren sie die ersten, die Zugang zu den Grundbüchern hatten. Sie setzten sich in den Besitz grosser exkommunistischer Firmen und von Gemeindegrund. Nutzniesser waren mehrere bekannte rumänische Oligarchen. Mehrere Fälle der grössten Konzentrationen von Grund und Boden gehören hierher. Beispiele: InterAgro Holding (Ioan Niculae – 55.000 ha), Racova Group (Adrian Porumboiu – über 40.000 ha), TCE 3Brazi (Culita Tarata – mehr als 70.000 ha, der grösste Landwirtschaftsbetrieb in der EU).
Internationale Händler Multinationale Unternehmen, die mit landwirtschaftlichen Produkten handeln: Hoch exportorientierte Unternehmen, die üblicherweise mittels Vertragsbewirtschaftung und Zusammenarbeit mit allen bisher erwähnten Akteuren über Land verfügen. Als grösste Besitzer von Lagerkapazitäten haben sie auch einen entscheidenden Einfluss auf die Warenpreise in Rumänien. Beispiele: Cargill (20 industrielle Silos), Bunge (Joint Venture mit Gruppo Martifer für Biodiesel-Pflanzen), Brise Group (Landwirtschafts- und Lagerungsholding in rumänischem Eigentum, möchte auch in Bulgarien und Serbien aktiv werden).
Menschenrecht auf Grund und Boden In Rumänien gibt es etwa 14,7 Millionen Hektar an landwirtschaftlich genutzter Fläche: Ackerland, Weiden und Wiesen. 9 Millionen Hektar davon sind Ackerland. Man schätzt, dass annähernd 1 Million Hektar davon von ausländischem Kapital besessen oder geleast ist. Dazu können wir noch mehrere hunderttausend Hektar zählen, die einheimischen Firmen gehören. Diese Schätzungen beruhen auf der Veröffentlichung der jeweiligen Höhe der Subventionszahlungen, Angaben von Immobilienfirmen, Recherchen der Medien und zivilgesellschaftlicher Initiativen. Es gibt keine offizielle Erfassung der ganzen Tragweite des Landgrabbing in Rumänien. Sehen wir uns das nun aus der Perspektive eines Bauern an. Da die oben genannten «Nachbarn» das Land lediglich als eine Produktionszwischenstufe hauptsächlich für den Exportmarkt nützen, leiden Gebiete, wo Landgrabbing passiert, chronisch an fehlender alternativer sozioökonomischer Ent-wicklung, sie werden mono-industrialisiert, Opfer eines Raubbaus und arm. Grosse Sorgen macht auch das Fehlen von Transparenz: Da die meisten Abmachungen unter dem Schutz der Machtpositionen der Unternehmen und des Staates getroffen werden, werden die lokalen Gemeinden im Dunklen gehalten, was die wirtschaftlichen und umweltwirksamen Transformationen betrifft, die sie werden erdulden müssen.
Sicher gibt es einen Bedarf für mehr Transparenz. Wie es Bauern aus einem südöstlichen Dorf formulierten: «Wir wollen mehr da-rüber wissen, welche Firmen das Land um uns kontrollieren, aber am allerwichtigsten: Wir wollen Einfluss darauf haben, wer den Zutritt zu Land auf unserem Gebiet kontrolliert.» Mit Eco Ruralis wollen wir ihre Stimmen weiter tragen. Wir sehen in ihrem Menschenrecht auf Grund und Boden den einzigen Weg, um ein Gleichgewicht in der rumänischen bäuerlichen Nachbarschaft zu schaffen.