RUMÄNIEN: Die letzten Urwälder

von Janinka Lutze, EuroNatur Stiftung, 10.12.2019, Veröffentlicht in Archipel 287

Baum für Baum schwinden in Rumänien die letzten Urwälder Europas. Rumänien beherbergt noch grosse Gebiete an natürlichen Wäldern, insgesamt etwa zwei Drittel der Ur- und Naturwälder der EU (ausserhalb Skandinaviens). Doch diese sind massiv von Abholzungen bedroht. Zusätzlich nehmen Verbrechen und gewalttätige Attacken auf Menschen zu, die diese wertvollen Wälder schützen wollen. Vor kurzem erst wurden innerhalb nur eines Monats zwei Mordfälle bekannt. Unabhängig voneinander wurden zwei Förster, nachdem sie illegale Abholzungen entdeckt hatten und diese melden wollten, brutal getötet. Und dies sind keine Einzelfälle. Laut der nationalen Forstgewerkschaft wurden in den letzten fünf Jahren in Rumänien 650 Attacken auf Förster und Ranger registriert und sogar 6 Morde verzeichnet.

Dies zeigt ein schockierendes Bild der Kriminalität im rumänischen Forstsektor: Illegaler Holzeinschlag, mafiaartige Verwicklungen entlang der gesamten Holz-Produktionskette, Korruption bis in die obersten Politikerreihen, Drohungen gegen Behörden und Nichtregierungsorganisationen, bis hin zu Morden. Die in Deutschland ansässige EuroNatur Stiftung und ihre rumänische Partnerorganisation Agent Green arbeiten schon seit einigen Jahren zum Schutz der Ur- und Naturwälder Rumäniens. Immer wieder konnten sie aussagekräftiges Beweismaterial für illegale Abholzungen, selbst in Schutzgebieten, sammeln. 2018 kamen sie an unveröffentlichte Daten der zweiten Nationalen Waldinventur Rumäniens. Die Zahlen sind schockierend: Laut dieser Inventur basiert mehr als die Hälfte der 38 Millionen Kubikmeter jährlichen Holzernte in Rumänien nicht auf genehmigten Managementplänen. Somit werden jährlich über 20 Millionen Kubikmeter Holz illegal in Rumänien geschlagen. Diese grosse Zahl nicht genehmigter Holzeinschläge impliziert, dass illegale Praktiken in Verbindung mit Korruption im ganzen Land und auf allen Ebenen des Forstsektors allgegenwärtig sind, von Waldarbeitern über die Polizei bis hin zu hochrangigen Beamten in Bukarest. Leider ist dieses Naturschutzdrama von europäischem Ausmass – man kann die Urwälder Rumäniens auf europäischer Ebene durchaus mit den Amazonaswäldern auf globaler Ebene vergleichen – bisher nur wenig bekannt.

Doch vor allem die Meldungen der Morde haben die Missstände in Europas grossem Naturerbe etwas mehr ins Bewusstsein vieler Menschen gerückt. Auch der Präsident von Agent Green, Gabriel Paun, wurde bei Ermittlungen in Rumäniens Wälder bereits mehrfach angegriffen und bedroht. Trotz der Beweisvideos von einem der brutalsten Angriffe auf ihn, der beinahe tödlich endete, ist der Fall erst seit einigen Wochen vor Gericht. Bis dahin waren die Täter, die in dem Video klar erkennbar sind, auf freiem Fuss; Gabriel Paun fürchtete stets um sein Leben.

Natur oder Profit

Im September 2019 veröffentlichte die EuroNatur Stiftung die Primofaro Studie (PRIMary and Old-growth Forest Areas of ROmania), durch die das Ausmass der Abholzungen in Rumänien erneut verdeutlicht wird. Im Rahmen der Studie wurden die Ur- und Naturwälder Rumäniens identifiziert sowie diese Gebiete mit bereits vorhandenen Studien verglichen. Die Auswertung ergab, dass etwa 45 Prozent der Wälder, die in der 2005 veröffentlichten Pin Matra Studie (Royal Dutch Society for Nature Conservation – KNNV - und Romanian Forest Research and Management Institute – ICAS) als Urwälder identifiziert worden waren, bis 2019 abgeholzt wurden. In nicht einmal 15 Jahren ging also fast die Hälfte der bekannten und kartierten Urwälder verloren. Und dies, obwohl Rumänien seit 2008 angeblich alle Urwälder in den Nationalen Katalog für Ur- und Quasi-Urwälder aufnehmen wollte, um diese umfassend zu schützen. Die Pin Matra Studie identifizierte damals etwas mehr als 200‘000 Hektar Urwälder. Im Nationalen Katalog sind bisher nur etwas mehr als 30‘000 Hektar. Dies verdeutlicht die geringen Ambitionen der rumänischen Regierung, die Wälder ernsthaft unter Schutz zu stellen. Ein Kriterium für die Aufnahme in den Katalog beispielsweise ist, dass die Wälder komplett unberührt sein müssen. Um die Wälder aus dem Katalog auszuschliessen, sodass sie ungeschützt bleiben und somit legal abgeholzt werden dürfen, wurden etlichen Urwaldgebieten einzelne Bäume entnommen. Durch dieses perfide Vorgehen erfüllen die Wälder nicht mehr das Kriterium der Unberührtheit und müssen nicht in den Katalog aufgenommen werden. Vor allem das nationale Forstmanagement, Romsilva, ist oft in die Abholzungen verwickelt. Romsilvas Aufgabe sollte es eigentlich sein, die Wälder zu schützen, doch es wird immer wieder deutlich, dass das Forstmanagement die Naturschätze in den Karpaten eher wie Wirtschaftswälder behandelt.

Ein weiteres Problem ist die mangelhafte Nachvollziehbarkeit bei Holztransporten. So werden Transportbescheinigungen oft statt für die eine erlaubte Ladung für mehrere Ladungen genutzt. So kann das Vielfache des eigentlich genehmigten Holzes abgeholzt und transportiert werden, denn bei einer Kontrolle hat der Transporter ja eine auf dem Papier gültige Erlaubnis. Auch wenn die Herkunft des Holzes registriert werden muss, so wird es oft in Holzlagern gemischt, um so zu verschleiern, woher es eigentlich stammt. So landen viele Bäume, zum Beispiel über 500 Jahre alte Buchen, auch aus Nationalparks und anderen Schutzgebieten in den Sägewerken.

Noch gibt es Wald

Die von EuroNatur veröffentlichte Primofaro-Studie zeigt anderseits aber auch, wie gross der Waldschatz trotz der brutalen Abholzungen im letzten Jahrzehnt in Rumänien noch ist: Noch gibt es mindestens 525‘000 Hektar Ur- und Naturwälder in dem südosteuropäischen Land. Diese Wälder sind Hotspots der Biodiversität, beherbergen zahlreiche gefährdete und endemische Arten und sind Heimat der grössten Populationen an Braunbären, Wölfen und Luchsen in Europa. Etwa 60 Prozent dieser Wälder liegen in Schutzgebieten (Nationalparks, Natura 2000-Gebieten, Naturreservaten). Doch dieser Schutz bedeutet in Rumänien wenig. Immer wieder mussten EuroNatur und Agent Green feststellen, dass auch in Nationalparks sowie in UNESCO-Weltnaturerbe-Pufferzonen und in Natura 2000-Gebieten abgeholzt wird. Neben dem Vorgehen gegen Waldbesitzer vor nationalen Gerichten, haben sich EuroNatur und Agent Green, gemeinsam mit der auf Umweltrecht spezialisierten Organisation ClientEarth, an die EU gewandt. Bereits im Spätsommer 2019 reichten sie eine erste Beschwerde bei der Europäischen Kommission ein. Inhalt dieser Beschwerde waren die fehlenden Umweltverträglichkeitsprüfungen in Rumänien. Denn dort werden oft Abholzungserlaubnisse erteilt, bevor eine solche Prüfung durchgeführt wurde – dies wiederspricht jedoch geltendem europäischen Recht. Nun arbeiten die drei Organisationen an einer zweiten Beschwerde, die den Fokus auf die Natura 2000-Gebiete legt. Ähnlich wie im Fall Bialowieza in Polen, bei dem 2018 der Europäische Gerichtshof durch sein Urteil dafür sorgte, dass die Abholzungen im Urwald von Bialowieza gestoppt wurden, wollen sie auch hier die Abholzungen in Rumäniens Natura 2000-Gebieten stoppen. Neben der Lobbyarbeit – sowohl in Rumänien als auch auf europäischer Ebene – und der Öffentlichkeitsarbeit sind diese juristischen Hebel ein wichtiger Teil der Arbeit.

Zum Schutz dieser Paradieswälder inmitten Europas haben die zwei Organisationen die Kampagne Save Paradise Forests gestartet.1 Im Rahmen der Kampagne berichten sie auch über die aktuelle Situation in Rumänien, kürzlich zum Beispiel über Waldbrände und aktuelle Abholzungen in Rumäniens grösstem Nationalpark, Domogled-Valea Cernei. Ein letzter, sehr persönlicher Satz: Für mich ist jeder Besuch in den Wäldern Rumäniens etwas ganz Besonderes – ihre Schönheit berührt mich sehr. Umso mehr bin ich empört über die Abholzungen und schockiert über die Gewalttaten, die ihnen folgen. Ich halte es für extrem wichtig, solche Paradieswälder und die Menschen, die diese erhalten wollen, zu schützen.

Janinka Lutze, Autorin diese Artikels, ist Kampaignerin bei der EuroNatur Stiftung, wo sie neben der Kampagne «Save Paradise Forests» noch eine zweite Kampagne betreut.

  1. Weitere Informationen unter: www.saveparadiseforests.eu und euronatur.org/urwald.