Im Januar 2019 fand in Kärnten die Wochenendveranstaltung «Braune Ökos? Doch nicht bei uns – Erkennen. Analysieren. Dagegenhalten» statt1. Als aktuelles Beipiel rechtextremer Umtriebe im ländlich-bäuerlichen Umfeld wurde die Ansiedlung brauner Ökos seit Beginn der 1990er Jahre in den östlichen Bundesländern vorgestellt.
In Mecklenburg-Vorpommern leben zwischen Teterow und Güstrow mehrere Neu-Siedler-Familien in den Dörfern Koppolow, Lalendorf und Klaber. Junge Leute aus den Siedlungen und verschiedenen Jugendbünden wie z.B. dem Deutsch-Wandervogel, den Fahrenden Gesellen, dem Freibund und der Niedersächsischen Volkstumsjugend wandten sich 1992 an den völlig überalterten «Freundeskreis der Artamanen» und stellten auf einem Bundestreffen ein «Konzept Koppolow» vor.
Braune Vorfahren
Der Bund Artam e.V. wurde 1926 in München gegründet – hervorgegangen aus dem völkischen Flügel der deutschen Jugendbewegung. Er vertrat eine völkische, agrarromantische Blut- und Bodenideologie und rief zu freiwilligem Arbeitsdienst auf den grossen Gütern im Osten auf. Schon 1926 arbeiteten 650 Artamanen auf 65 Gütern und Höfen, 1929 rund 2‘000 auf 300 Gütern. Da die Grossgrundbesitzer im Osten sie schlecht bezahlten, wurde eine gemeinsame Kasse geschaffen. Daraus wurden heruntergekommene Güter gekauft und in einer Übergangszeit ertragsfähig gemacht. Danach wurden sie in einzelne Höfe zu durchschnittlich 15 ha aufgeteilt. In Koppolow wurden so 38 Familien angesiedelt.
Um aus finanzkräftigen Kreisen Unterstützung zu bekommen, wurde 1927 die «Gesellschaft der Freunde der Artamanenbewegung» gegründet. Prominente Mitglieder der Gesellschaft waren u.a. der spätere Reichsbauernführer Richard Walter Darré, der Au-schwitz-Kommandant Rudolf Höss und der Reichsführer SS Heinrich Himmler.
Nach Auflösung und Verbot aller übrigen bündischen Jugendorganisationen im Zuge der Gleichschaltung wurde der Bund Artam als einzige Ausnahme im Oktober 1934 korporativ in die Hitlerjugend (HJ) übernommen und bildete später den Kern des Landdienstes der HJ. Die Gesamtzahl junger Leute, die von 1933 bis 1945 in der Artamanenbewegung tätig gewesen sind, liegt zwischen 25‘000 und 30‘000. Die meisten Siedler-Familien verliessen nach 1945 den Osten Deutschlands in Richtung Westen. Von dort wurde nach einer Verschnaufpause 1966 ein «Artam-Rundbrief» von und für alte Artamanen verschickt, aus dem später die «Artam-Blätter» eines «Freundeskreises der Artamanen» hervorging. Dieser Freundeskreis hielt regelmässige Bundestreffen in Oberwesel/Rheinland-Pfalz ab. 2001 wurde er aufgelöst und in den «Überbündischen Kreis» überführt.
Rechtsextreme Siedler·innen heute
Die heutigen Siedler·innen kommen aus heterogen Gruppen wie den Freien Kameradschaften, der NPD, den Identitären oder religiös-esoterischen Organisationen. Diesen Neu-Siedler·innen geht es um die gezielte Ansiedlung in bestimmten Gebieten, um die lokale Etablierung einer rechten Alltagskultur. Inzwischen gehen For-scher·innen und Beobachter·innen der Szene von rund 1‘000 Siedler·innen in der BRD aus. In neun von 16 Bundesländern wurden vor fünf Jahren folgende Ansiedlungen ausgemacht: Mecklenburg-Vorpommern in zehn Dörfern, Brandenburg in vier, Sachsen-Anhalt in drei, Thüringen und Sachsen je eine. Aber auch in Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hessen und Bayern gibt es völkische Siedler·innen. Die Siedlungen im Osten sind neueren Datums, in westdeutschen Dörfern gibt es «völkische Sippen», die über mehrere Generationen gewachsen sind. Seit der Zeit des Nationalsozialismus leben sie die Ideale der «Blut- und Boden-Ideologie», der nationalen Volksgemeinschaft vor: «Reinrassige» Familien mit vielen Kindern, Handwerk und oft mit vormodernen Arbeitsweisen betriebene Landwirtschaft zur weitgehenden Selbstversorgung. Hinzu kommen die Pflege des Brauchtums, das auf vorchristlichen, nordisch-germanischen Glaubensvorstellungen basiert, sowie die Durchsetzung der traditionellen Geschlechterrollen von Frau und Mann in der Familie. Kinder sprechen ihre Eltern mit Frau Mutter und Herr Vater an und siezen sie. Sie werden in Zeltlagern der extrem rechten Jugendorganisationen zu körperlichem und geistigem Drill geschickt.
Jugendliche werden zum «Frühlingstanz» gebracht, wie im Mai 2017 nach Kirchmöser, einem Ortsteil der Stadt Brandenburg. In der Tagungsstätte «Hof Märkische Heide» trafen sich 150 Personen aus Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz, Hamburg und Berlin zu einer Art «Verkupplungsshow» für den völkischen Nachwuchs. Die Tagungsstätte gehört dem «Bund für Gotterkenntnis», der 1937 gegründet wurde. Gründer waren Mathilde Ludendorff und General Erich Ludendorff, der sich 1920 am Kapp-Putsch und 1923 am Hitler-Putsch beteiligte. Mitglieder und Sympathisant·in-n·en des Bundes nennen sich auch die «Ludendorffer». Auch der Schweizer Holocaust-Leugner Bernhard Schaub, der sich in Nossendorf/Mecklenburg-Vorpommern niedergelassen hat, begleitete seine Kinder zu diesem Tanz. Er ist eine wichtige Figur bei der europäischen Vernetzung der Rechtsextremen.
Die Siedlerhöfe finden in der Region Resonanz, z.B. Frauen als nette Öko-Tanten von nebenan. Sie beteiligen sich im Elternbeirat, an der Vorbereitung von Schulfesten, organisieren Fahrgemeinschaften, bieten Kinderbetreuung an. Männer führen vorbildliche Landwirtschafts- und/oder Handwerksbetriebe und bieten Nachbarschaftshilfe an. Einige öffnen ihre Betriebe zu Pfingsten bei «Kunst offen» und zeigen Kunsthandwerk. Andere beteiligen sich an der «Solidarischen Landwirtschaft», wie in Rostock geschehen. Als die dortigen Betriebe erkannten, dass der Inhaber eines Betriebes völkische Ansichten verbreitet, wurde auch mit den Konsument·inn·en über den Umgang damit diskutiert. Die Bäuerinnen und Bauern trennten sich von dem Betrieb, aber ein Teil der Konsument·inn·en hielt zu ihm.
Denkfabrik der Neuen Rechten
In Sachsen-Anhalt hat sich in dem kleinen Ort Bornitz Jens Bauer angesiedelt. Der ehemalige NPD-Chef von Magdeburg steht seit 2015 der «Artgemeinschaft – Germanische Glaubensgemeinschaft wesensgemässer Lebensgestaltung» vor. Auf seinem Hof fand der als NSU-Helfer verurteilte Ralf Wohlleben mit seiner Familie Unterschlupf. In einem anderen kleinen Ort in Sachsen-Anhalt, Schnellroda, Ortsteil der Gemeinde Steigra, leben Ellen Kositza und Götz Kubitschek auf dem «Rittergut» mit Kindern, Pferden und Ziegen. Hier ist das «Institut für Staatspolitik» und der Antaios Verlag beheimatet. Diese «Denkfabrik» der Neuen Rechten führt Sommer- und Winterakademien vor Ort und seit drei Jahren eine Herbstakademie in Semriach bei Graz durch. Kubitschek ist einer der Köpfe der Neuen Rechten, ist in allen Organisationen bis hin zur AfD als Redner und Ratgeber gefragt.
Während deren Sommerakademie 2018 übernachtete ich zufällig in einer kleinen Pension in Steigra. Mitgäste waren Ehepaare mit kleinen Kindern, die teure und auffällige Kleidung trugen, ihre Frisuren erinnerten an die 1930er Jahre. Im Gasthof der Pension gegenüber trafen sie sich mit ähnlich aufgemachten Leuten. Sie waren erkennbar als Teilnehmer·innen der Akademie. Als ich die Pensionsbesitzer fragte, ob sie wissen, wer da bei ihnen übernachtet, sagten sie: «Ja, nette, kluge, junge Leute, die sich im Nachbarort beim Herrn Kubitschek weiterbilden».
Eine andere Bewegung, die noch nicht in Mecklenburg-Vorpommern, aber in Grabow/Brandenburg ausgemacht wurde, ist die «Anastasie-Bewegung», benannt nach den neun Büchern des russischen Schrifstellers Wladimir Merge. An der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde schrieb die Studentin Laura Kirsch 2012 eine Bachelor-Arbeit mit dem Titel «Familienlandsitz. Siedlungen als Nachhaltigkeitskonzept – eine Betrachtung der Bereiche Landwirtschaft und Stoffkreisläufe», die dazu angelegt war, die Anastasia-Grundsätze auf eine wissenschaftliche Basis zu heben.
Zum 4. Anastasie-Festival auf dem Gelände der Windberg-Gemeinschaft in Thüringen kamen im September 2018 rund 500 Menschen, alle auf der Suche nach einem Leben «im Einklang mit der Natur» nach dem Vorbild Anastasias im fernen Sibirien…
Herma Ebinger, EBF
- organisiert von der ÖBV (Österreichische Klein- und Bergbäuer·innen Vereinigung), siehe Artikel «Braune Ökos? Doch nicht bei uns!», Archipel Nr. 281