In der Kritik am bestehenden Ernährungssystem sowie in Diskussionen zu alternativen Projekten, die auf eine sozial-ökologische Wende in der Landwirtschaft hinwirken, fehlen feministische Perspektiven meist. Nicht so in der «Versammlung für eine solidarische Landwirtschaft – Widerstand am Tellerrand» vom 7. bis 8. Februar 2020 in Bern.
Migrantische Landarbeiterinnen
In der Eröffnungsversammlung am Freitagabend wurde explizit thematisiert, dass vor allem migrantische Arbeitskräfte von ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen und entwürdigenden Lebensbedingungen in der Landwirtschaft betroffen sind. Dabei gingen die Personen auf dem Panel auch auf die spezifische Situation von Landarbeiterinnen ein. Wie eine intersektionale feministische Perspektive hervorhebt, führt gerade das Zusammenspiel von verschiedenen sozio-ökonomischen Differenzen und Ungleichheiten wie Herkunft, Geschlecht, Einkommen und Alter zu prekären und ausbeuterischen Lebens- und Arbeitsverhältnissen wie jenen in der Landwirtschaft. Zum Beispiel werden im Rahmen bilateraler Abkommen zwischen Spanien und anderen Staaten vor allem Frauen aus dem Ausland für die Feldarbeit rekrutiert, insbesonders junge verheiratete Frauen mit Kindern unter 14 Jahren aus Marokko, um eine möglichst hohe Rückkehrrate ins Herkunftsland am Ende der Saison zu erreichen (European Coordination Via Campesina 2019: S. 11–17). Wie Laura Góngora Pérez von der Gewerkschaft SOC-SAT Almería in der Eröffnungsversammlung berichtete, sind die Arbeitsbedingungen in der dortigen Landwirtschaft hart, insbesondere für Frauen. Lohngleichheit für Landarbeiterinnen mussten in Almería gewerkschaftlich erkämpft und vor Gericht eingeklagt werden, bis dahin waren die Löhne von Frauen für die gleiche Arbeit tiefer als jene von Männern. Zudem sind Frauen speziell betroffen von Aspekten wie mangelnden sanitären Einrichtungen, zum Beispiel fehlenden Toiletten in kurzer Gehdistanz zum Feld, welche vor allem während der Menstruation wichtig wären, um nicht zusätzlich die Gesundheit der Landarbeiterinnen zu gefährden. Darüber hinaus sind Landarbeiterinnen sexueller Belästigung und Übergriffen ausgesetzt. Papa Latyr Faye von «Casa Sankara» in Süditalien berichtete zudem, wie im dortigen Caporalato-System der informellen Leiharbeitsvermittlung vor allem Männer auf dem Feld arbeiten, während Frauen in den von den Caporali organisierten Slums Sexarbeit für Landarbeiter leisten. Eine feministische Perspektive wurde vor allem am Samstag im Workshop «Feministische Ansätze zur Überwindung der Prekarität von Frauen in der Schweizer Landwirtschaft» vertieft diskutiert. Dieser Austausch verdeutlichte, dass Geschlechtergerechtigkeit und die Abschaffung jeglicher Diskriminierungen Voraussetzung für eine sozio-ökologische Transformation der Landwirtschaft sind. Unsere vielschichtige Diskussion kann in einzelne Bereiche aufgeteilt werden, in denen es Veränderung braucht und wo teilweise auch bereits ganz konkret nächste Schritte identifiziert werden können. Natürlich sind diese eng ineinander verwoben, wirken in ihrer Gesamtheit und sollten parallel gedacht und angegangen werden.
Bezahlt oder unbezahlt?
Der erste und ein in feministischen Debatten zentraler Punkt ist Arbeit, sowohl bezahlte wie auch unter- und unbezahlte Arbeit. Auf Landwirtschaftsbetrieben werden landwirtschaftliche Güter hergestellt mit dem Ziel, diese als Ware via Marktausch zu verkaufen und dadurch einen Gewinn zu erwirtschaften. Darüber hinaus und aus feministischer Sicht zentral ist, dass auf Landwirtschaftsbetrieben und Bauernhöfen sehr viel unbezahlte Care-Arbeit von den Frauen geleistet wird: Haus- und Familienarbeit, Pflege und Betreuung von und für Personen, die auf dem Hof leben und/oder arbeiten.
Offiziell erfasst und unterteilt werden in der Schweiz die Arbeitsbereiche von Frauen in der Landwirtschaft wie folgt: Auf dem Betrieb mitarbeitendes Familienmitglied (mit oder ohne Lohn), selbstständige Betriebs- oder Betriebszweigleitung (mit Lohn) und ausserbetrieblich erwerbstätig (mit Lohn)1. Die aktuellsten Daten dazu2 zeigen, dass «gut 95 Prozent der Partnerinnen von Betriebsleitern auf dem Betrieb mitarbeiten, dabei werden 56 Prozent nicht entlöhnt, 15 Prozent erhalten einen Lohn und 16 Prozent sind auf dem Betrieb selbständig erwerbend, bei 8 Prozent der Partnerinnen ist die Art der Entlohnung nicht bekannt.»3
Diese nichtbezahlte Mitarbeit auf dem Betrieb tangierte 2013 rund 30‘000 Frauen und ist hoch problematisch. Denn unbezahlte Arbeit (und tiefprozentige, bezahlte Arbeit) führt dazu, dass diese Frauen nicht sozialversichert sind, sprich dass ihnen Krankheits- und Unfallversicherung, Taggeldversicherung, Mutterschaftsversicherung, Arbeitslosenversicherung sowie Altersvorsorge fehlen. Frauen leisten also sehr viel unbezahlte Arbeit in der Produktion von Landwirtschaftsbetrieben und Bauernhöfen, was sie in eine prekäre Lage versetzt – vor allem hinsichtlich sozialer Vorsorge. Ausserdem bedeutet dies, dass Frauen durch ihre unbezahlte Arbeit eigentlich die Landwirtschaft subventionieren, da ihre Arbeitskraft im Tauschwert der produzierten Ware nicht miteingerechnet da nicht bezahlt wird. Der Schweizerische Bäuerinnen- und Landfrauenverband mobilisiert entsprechend seit einiger Zeit und fordert Sozialversicherungsbeiträge für die Arbeit von Frauen auf den Betrieben. Das hat gefruchtet: Aktuell wird dies als Teil der Agrarpolitik 22+ im Parlament diskutiert, neu sollen soziale Absicherungen der mitarbeitenden Ehepartnerinnen auf dem landwirtschaftlichen Betrieb eine Voraussetzung für Direktzahlungen werden. Zumindest würde somit die unbezahlte Arbeit von Frauen in den Betrieben mess- und sichtbar.
Während also Frauen unbezahlte Arbeit auf den Landwirtschaftsbetrieben leisten, sind nur knapp 5 Prozent der Landwirtschaftsbetriebe von Frauen geführt, respektive «stehen 54‘903 Betriebsleitern nur 2‘734 Betriebsleiterinnen gegenüber», wobei rund zwei Drittel der Männer und ein Drittel der Frauen einen Haupterwerbsbetrieb leiten4. Wie eine Studie zu landwirtschaftlichen Betriebsleiterinnen in der Schweiz zeigt «wenden die Betriebsleiterinnen viel mehr Zeit für Haushalt und Familie auf» als Betriebsleiter, nämlich «gut die Hälfte ihrer Zeit», und «investieren rund einen Drittel ihrer Zeit in den Betrieb», während Betriebsleiter «mehr als drei Viertel ihrer Arbeitszeit ausschliesslich in den Betrieb» geben5. Auch in den seltenen Fällen, wo Betriebe von Frauen geleitet werden, bleibt die unbezahlte Care-Arbeit im eigenen Haushalt also Aufgabe der Frau, «die Rollenteilung von Frauen und Männern wird also nicht grundsätzlich verändert»6.
Diese Aspekte der unbezahlten Care-Arbeit in den bäuerlichen Haushalten und der Arbeitsverteilung und -organisation in der Landwirtschaft entlang traditioneller Rollen von Mann und Frau sowie heteronormativer Bilder von Familie und Hof wurden im Workshop ausführlich und kritisch diskutiert. Einerseits wurde eingebracht, dass die unbezahlte Arbeit von Frauen – sowohl im Betrieb wie auch die Care-Arbeit auf dem Hof – sichtbar gemacht, gezählt und bezahlt werden sollte. Zum Beispiel könnte alle für erwachsene Personen im Haushalt geleistete Pflegearbeit über Pflege-Verträge formalisiert wird. Es existieren auch bereits Werkzeuge wie das Online-Tool «LabourScope», welche es Betriebs-leiter·inne·n ermöglicht, Betriebs- und Haushaltsarbeiten auf dem Hof zu berechnen und im Arbeitsvoranschlag und der Betriebsplanung zu berücksichtigen. Eine Person aus dem Workshop erklärte, dass solche Erfassungen der Haushaltsarbeit in der Ausbildung für landwirtschaftliche Betriebsleitung momentan nur in der Deutschschweiz gelehrt wird, in anderen Teilen der Schweiz jedoch nicht; dies müsste daher in allen Lehrgängen integraler Bestandteil werden. Andererseits wurde genau diese Sichtbarmachung durch Messung von Care-Arbeit im Workshop auch kontrovers behandelt, da dies einer kapitalistischen Logik verhaftet bleibt in der «Wert» und «Arbeit» erst durch deren Messbarkeit entsteht, mit denen rentabel gewirtschaftet werden sollte und – wollen wir das?
Angelerntes Rollenverhalten
Entsprechend besprachen wir im Workshop vertieft, wie sexistische und heteronormative Rollen zu den bestehenden Ungleichheiten führen hinsichtlich Arbeitsverteilung und Betriebsleitung. Speziell die Ausbildung in der Landwirtschaft, welche sich unterteilt in die Bäuerinnenschule und die Ausbildung zur Betriebsleitung in Landwirtschaft, war ein grosses Thema. Die Bäuerinnenschule, in der die typischen Haushaltsarbeiten erlernt werden, führt einerseits zu einer Zementierung der Arbeitsverteilung entlang konservativer und patriarchaler Geschlechterrollen. Andererseits wird durch diese Ausbildung genau Care-Arbeit im Haushalt erst sichtbar und als eine qualifizierte Arbeit anerkannt, welche spezifischer, erlernbarer Fähigkeiten bedarf. Vielleicht leistet diese Ausbildung somit einen kleinen Beitrag dazu, den gesellschaftlichen Diskurs zu verändern, wonach solche Fähigkeiten ein de facto bereits existierendes, quasi «angeborenes» Können von Frauen ist. Im Gegensatz zur Bäuerinnenschule absolvieren mehr Männer als Frauen die Ausbildung zum/zur landwirtschaftlichen Betriebs-leiter·in, wie Personen aus dem Workshop berichteten. Aufbauend auf direkter Erfahrung von Workshopteilnehmerinnen kam die Gruppe zur Erkenntnis, dass sowohl Form wie Inhalt der Ausbildung «Betriebsleiter·in Landwirtschaft» problematisch sind und Änderungen bedarf. Neben der zu kurzen Ausbildung (3 anstatt wie in anderen Lehren übliche 4 Jahre) mit besonders tiefer Entlöhnung (im dritten Lehrjahr zum Beispiel rund 500 CHF pro Monat nach Abzug von Kost und Logis, respektive ein Bruttolohn von circa 1‘500 CHF pro Monat) wurde kritisiert, dass das Lehrpersonal patriarchale und heteronormative Rollen vermittelt, normalisiert und somit festigt. Im Workshop waren wir uns einig, dass es daher zumindest eine entsprechende Sensibilisierung des Lehrpersonals bräuchte (dasselbe gilt auch für die Bäuerinnenschule), sowie eine inhaltliche Neuausrichtung der Kurse, auch – aber nicht nur – hinsichtlich vermittelter Geschlechterrollen. Insgesamt befanden wir, dass bei den Lehrinhalten allgemein mehr Interdisziplinarität erforderlich wäre, zum Beispiel sollten nicht nur traditionelle Hofbetriebe, sondern auch andere Betriebsorganisationsformen wie Kooperativen und alternative Anbaumethoden (biologisch, kleinflächig, mehrjährig, agrarökologisch, etc.) gelehrt werden. Angesichts der tiefen Frauenquote bräuchte es zudem eine gezielte Förderung von Frauen. Konkrete Alternativen Insgesamt ist für eine Veränderung bestehender Rollenbilder und der Arbeitsteilung in der Landwirtschaft auch wichtig, dass konkrete Alternativen entwickelt und gelebt werden. In unserer Runde thematisierten wir vor allem Frauenkollektive, welche heteronormative Ideen von Familie und Haushalt sowie die kapitalistische Form des Wirtschaftens in Frage stellen und konkrete Alternativen entwickeln und leben. Hierbei kann ein selbstreflektierter und kritischer Austausch mit und Orientierung an bestehenden alternativen Lebens- und Arbeitsformen in der Landwirtschaft, wie zum Beispiel die «Europäische Kooperative Longo maï» und Solawis, hilfreich sein. Gleichzeitig wurde in der Runde klar, dass ein Bedürfnis nach besserer Vernetzung untereinander besteht, sowie dem weiteren Aufbau solcher Kollektive. Der Gruppe war klar, dass für bestehende alternative Projekte der Zugang zu Land und Höfen, zu Direktzahlungen und weiteren Ressourcen allgemein bereits eine Herausforderung darstellt und dies für Frauen speziell schwierig sein kann. Denn überall auf der Welt, auch in der Schweiz, haben Frauen einen schlechteren Zugang zu Land, Kapital, Ausbildung, und sie sind unterrepräsentiert in Interessensvereinen und Entscheidungsgremien. Entsprechend hielt auch unsere Runde fest, dass dies angegangen und verbessert werden muss. Gleichzeitig bleibt die Gleichstellung von Frauen in all diesen Bereichen eine «Pflästerli-Arbeit», ein arbeitsintensives Verbessern der vielen Problemzonen in der Landwirtschaft, wobei Denken und Handeln im bereits Bestehenden verhaftet bleiben. Grundsätzlich, und darauf verweisen auch die bestehenden und gelebten Alternativen, bräuchte es jedoch eine Transformation, ein ganz anderes Gesellschafts- und Wirtschaftssystem, in dem weder Menschen noch Natur ausgebeutet und heruntergewirtschaftet, sondern nachhaltig reproduziert und gestärkt werden. Für die Personen im Workshop war klar, dass dafür ein Paradigmenwechsel notwendig ist und dass es Visionen und Utopien braucht, wie wir in Zukunft leben, arbeiten und uns alle reproduzieren wollen. Um diese gemeinsam entwickeln zu können, bedarf es vermehrt Begegnungsräumen, wie sie in dieser Versammlung und im Workshop geboten wurden, und die Weiterführung unseres Austauschs. Die sich schweizweit im Aufbau befindende Zusammenarbeit von Aktivist·inn·en aus der feministischen Bewegung und aus den Klima-Streik-Bewegungen stimmen auch diesbezüglich zuversichtlich.
- Bericht des Bundesrats 2016, S. 20, Bundesrat (2016). «Frauen in der Landwirtschaft. Bericht des Bundesrats in Erfüllung der Motion der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerats vom 14. November 2012».
- Landwirtschaftliche Betriebszählung – Zusatzerhebung 2013.
- Bundesrat 2016, S. 21.
- Rossier & Reissig 2015, S. 2, Rossier, Ruth und Linda Reissig (2015). «Zwischen Betrieb und Familie: landwirtschaftliche Betriebsleiterinnen in der Schweiz. Eine Zeitbudgeterhebung». Agroscope Transfer, 78 (Juni): 1 – 8.
- Rossier & Reissig 2015, S. 1.
- Rossier & Reissig 2015, S. 1.