..."es geht um die Neuorganisation Europas." Diesen Satz prägte Jan Krzysztof Ardanowski, Vorstandsmitglied des Hauptverbandes der Landwirtschaftskammern Polens während der Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung zur EU-Osterweiterung am 29. April 2002 in Berlin. Der Prozess der „ursprünglichen Akkumulation des Kapitals" (Karl Marx) im England des 15. und 16. Jahrhunderts kommt einem dabei in den Sinn.
Die Stiftung der SPD hatte Vertreter der Landwirtschaft aus den Beitrittsländern, der Botschaften aller Länder in Berlin, der EU-Kommission und Interessierte zu dieser Tagung eingeladen. Wir veröffentlichen nachfolgend die Mitschriften von zwei Teilnehmern vom Europäischen BürgerInnenforum an dieser Tagung.
Dr. Joachim Heine (stellvertretender Generaldirektor, Generaldirektion Landwirtschaft der Europäischen Kommission, schon seit 1965 bei der EU in Brüssel): In der EU sind noch etwa fünf Prozent der berufstätigen Bevölkerung in der Landwirtschaft beschäftigt, in den Beitrittsländern sind es bis zu 35 Prozent. Die Direktbeihilfen der EU für die Landwirte der Beitrittsländern sind wie folgt vorgesehen: im ersten Jahr 25 Prozent, dann pro Jahr fünf Prozent mehr und erst ab 2013 ebenfalls 100 Prozent der Direktbeihilfen, die die Landwirte der EU-Länder erhalten.
Eine EU-Studie zur Zukunft der Landwirtschaft in den Beitrittsländern weist drei Kategorien von Landwirtschaftsbetrieben aus:
wenige, gutstrukturierte Großbetriebe, die die Chance haben, marktfähig zu produzieren
Semisubsistenzbetriebe (von drei bis 30 ha),
kleine und Kleinstbetriebe (Subsistenzbetriebe).
Die dritte Kategorie sollte vorerst wegen des sozialen Gefüges im Übergang bestehen bleiben. Sofortige Beihilfen in gleicher Höhe wie in der EU würde die Betriebe dazu verführen, auf ihrer Subsistenzwirtschaft bestehen zu bleiben und kein Interesse zu zeigen, für den Markt zu produzieren. Damit wären sie auch nicht interessiert, sich nach anderen Erwerbsmöglichkeiten umzusehen.
Die jetzige Hektarbeihilfe in Polen für 0,3 ha sollte auf 1 ha angehoben werden.Zur Vergabe der Produktionsquoten wird als Referenz die Produktion in der Zeit von 1995 bis 2002 herangezogen. In einigen Beitrittsländern müssen die Anstrengungen verstärkt werden, die versteckte Arbeitslosigkeit zu beseitigen.
Jerzy Plewa (Unterstaatssekretär im Ministerium für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung, Warschau, und Unterhändler der polnischen Seite für die EU-Beitrittsverhandlungen): Bei allen Treffen zu diesen Themen müssen die Vertreter der Beitrittsländer immer wieder falsche Behauptungen gerade biegen. Dazu sieht er sich für sein Land heute ebenfalls in der Pflicht. Z.B. gibt es die Behauptung, dass die Preise in seinem Land für landwirtschaftliche Produkte niedrig seien – sie sind es nur für Milch. Für Getreide und Fleisch sind sie höher. Nach dem Beitritt wird es trotz Beihilfen zu Einkommensrückgängen kommen. Bisher werden in Polen dreimal weniger Düngemittel als in den EU-Ländern eingesetzt, ebenso viel weniger Pflanzenschutzmittel
Die polnische Landwirtschaft ist multifunktional und will es auch bleiben.Polen hat schon jetzt viele EU-Bestimmungen erfüllt. Die EU-Vorschläge für das weitere Vorgehen entsprechen nicht den Realitäten, die Produktionsquoten sind viel zu niedrig. Man lässt dem Land keine Zeit zur allmählichen Anpassung – Polen muss alles sofort erfüllen, die EU staffelt ihre Beihilfen aber bis 2013. Die Milchquoten sind niedriger als in Deutschland und Holland. Bei Zucker ist die Produktionsquote gleich 20 Prozent niedriger als die jetzige Produktion. Die Anstrengungen zur Anpassung sind in Polen so weit gegangen, dass die Produktion schon heute sinkt. Dafür kommen Produkte aus der EU auf den Markt, die eigentlich in Polen produziert werden könnten.Polen will seinen traditionellen Markt in der Ex-Sowjetunion erhalten.Sensible Bereiche bei allen Verhandlungen sind Getreide, Stärke und Zucker, unter dem Druck der WTO hat Polen keine Spielräume bei den Verhandlungen.
Prof. Dr. Gerhard Rambow (Berater für die polnische Regierung in EU-Fragen) :Er war früher im Wirtschaftsministerium der BRD tätig und ist jetzt Berater für mehrere osteuropäische Regierungen. Er findet, dass die EU-Kommission mit den Vorschlägen ein Zwei-Klassen-System schafft, die zweite Klasse bleibt den Beitrittsländern.
Dr. Heine : Zuerst müssen die Betriebs- und Produktionsstrukturen verbessert werden, dann kann man den Bauern Beihilfen zahlen.
Dr. Ingo Ackermann (Institut für Agrartechnik, Potsdam-Bornim): Das gegenwärtige System der Beihilfen muss geändert werden. Schenken Sie doch den Beitrittsländern reinen Wein ein: Die Steuerzahler in den Geberländern wollen nicht mehr für die Landwirtschaft zahlen.
Dr. Heine: Eine Richtung lässt sich ablesen: Die Senkung der Ausfuhrerstattung. Die Marktorganisation verliert an Bedeutung, verändert sich. Die Agrarpolitik verschiebt sich, hin zur Entwicklung des ländlichen Raumes. Das ist unter den WTO-Vorgaben besser umzusetzen als die Beihilfen.
Jerzy Plewa: Wir sind nicht sehr enthusiastisch, was die Strukturveränderungen betrifft. Polen muss jetzt schon alle Forderungen erfüllen, die Beihilfen werden aber nicht in gleicher Höhe wie in den EU-Ländern gezahlt.
Udo Hemmerling (Deutscher Bauernverband, Referent für Wirtschafts- und Regionalpolitik) : Ich bin erschüttert über die Unkenntnisse in den Beitrittsländern und möchte den Funktionären dieser Länder ans Herz legen, ihre Bauern sachlich zu informieren.(Tumult im Saal, Vertreter der osteuropäischen Länder verwahren sich gegen diese Aussagen und fordern Sachlichkeit) Holger Vogt (Geschäftsführer, Ohenaland Agrar-GmbH, Land Brandenburg) :Wenn Polen in EU kommt, wird es ein Problem beim Roggen geben, da Polen der größte Produzent dieser Getreideart ist. Im Moment ist Deutschland der größte Roggenproduzent in der EU.
Jerzy Plewa: In der Vergangenheit war die polnische Roggenproduktion die zweitgrößte in der Welt. Vor zwei, drei Jahren musste es Roggen importieren. Die Einführung der Quoten stellt große Probleme, so müssen z.B. zur Einführung der Milchquote 1000 Leute zusätzlich in der Verwaltung angestellt werden, um zu kontrollieren, dass die Milchproduktion um 30 Prozent gesenkt wird. Dabei sank die Produktion von Milch bisher schon im Vergleich zu 1989 um 45 Prozent.
Jan Krzysztof Ardanowski : In Polen gibt es 18,5 Millionen Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche, wovon 80 Prozent Privateigentum sind, die es auch während der Periode des Sozialismus gab. Die staatlichen Unterstützungen erhielten damals die 20 Prozent Kollektivwirtschaften. In den siebziger Jahren konnten auch in der Landwirtschaft durch Kreditaufnahmen in der EU Investitionen getätigt werden. Heute betrachten westliche Unternehmen Polen vor allem als Absatzmarkt, nicht als Investitionsplatz. Selbst Rohstoffe werden heute aus der EU eingeführt und deshalb die landwirtschaftlichen Rohstoffe des eigenen Landes nicht genutzt. 240.000 landwirtschaftliche Beriebe haben günstige Kredite aufgenommen, bei denen der Staat z.T. die Zinsen übernimmt, vor allem für die Schweine- und Milchproduktion. Von zwei Millionen gezählten polnischen Landwirtschaftsbetrieben produzieren 500.000 bis 600.000 für den Markt, die anderen vorwiegend zur Selbstversorgung. Gegner der EU-Integration gibt es auf dem polnischen Land viele, damit können die Populisten gut spielen. Aber in der EU dominiert ein kurzfristiges Denken für den eigenen Nutzen – daraus erwächst ein scheinheiliger Umgang mit Osteuropa.
Vorhersehbar ist, dass die polnischen Getreideproduzenten bankrott gehen werden.
Bei Kartoffelstärke sieht es folgendermaßen aus:
300.000 t braucht die polnische Volkswirtschaft,
160.000 t werden heute nur noch produziert,
90.000 t heißt die Quotenvorgabe von der EU.
Bei allen Verhandlungen ist immer wieder zu spüren, dass jedes Land auf den eigenen Vorteil bedacht ist und nicht auf den der Gemeinschaft. Für den Prozess, in dem wir uns befinden ist „Osterweiterung" der falsche Begriff – es geht hier um eine Neuorganisation von Europa.
Jan K. Ardanowski : Die um sich greifende Arbeitslosigkeit ist ein riesiges, destruktives Potential. Das Schlimmste aber ist die rasante Entvölkerung der ländlichen Gebiete.
Iztok Jarc (Staatssekretär im Ministerium für Land- und Forstwirtschaft und Ernährung, Slowenien): In Slowenien erwirtschaftet die Landwirtschaft 2,8 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP). Die Arbeitslosenquote liegt im gesamten Land unter fünf Prozent. Etwa 80 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe liegen in ungünstigen Lagen. Noch 70 Prozent der Menschen leben in ländlichen Gebieten. Deshalb ist für die Landwirtschaft das Prinzip der Multifunktionalität wichtig. Dir Vorschläge der EU-Kommission sind finanziell sehr schlecht für Slowenien. Bei den Quoten ergibt sich ein ähnliches Problem wie in Polen. Es ist unverständlich, warum Slowenien nicht vollwertiger Kandidat ist. In den letzten zehn Jahren gingen schon ein Drittel der slowenischen Landwirte bankrott.
Laimonas Ciakas (stellv. Direktor, Leiter des Referats für EU-Agrarpolitik, Abtl. Europäische Integration, Ministerium für Landwirtschaft der Republik Litauen): Litauen wird die Landwirtschaft bis zum 1. Januar 2004 angepasst haben.
Grzegorz Dybowski* (stellv. Direktor des Institutes für Ökonomik der Land- und Nahrungsgüterwirtschaft, Warschau):* Er arbeitet seit 20 Jahren als Marktforscher. In Polen gibt es noch 30.000 verarbeitende Betriebe, die Lebensmittel herstellen. Nur 1.700 Betriebe sind größere, mit mehr als 49 Arbeitskräften.Gibt es eine Vision der EU für die Erweiterung? Die Vorschläge der Kommission sehen eher aus wie die Flucht vor den Problemen. Die polnische Gesellschaft ist viel weniger bereit beizutreten, als die Institutionen und die Regierung.
Prof. Dr. Klaus Frohberg (Geschäftsführender Direktor des Instituts für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa, Halle):
Aus seiner Sicht sind alle Länder gut vorbereitet, der EU beizutreten. Natürlich gibt es strukturelle Probleme in Polen, Rumänien und Slowenien, wegen der Klein- und Kleinstbetriebe. In Polen sind noch 18 Prozent der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft tätig, in Rumänien 34 Prozent. Die Polen beschäftigen 20 Arbeitskräfte pro Hektar, die BRD 5,4 und die EU 4,2 Arbeitskräfte pro Hektar.