Am 25. Januar 2011 nahmen Tausende von Indigenas in der Kathedrale von San Cristobal de las Casas im mexikanischen Chiapas Abschied von ihrem «Tatic», ihrem «Papa» Altbischof Samuel Ruiz, der gerade mit 86 Jahren verstorben war. Samuel Ruiz war mehrere Male für den Friedensnobelpreis* vorgeschlagen worden, weil er als Vermittler zwischen den aufständischen Indigenas der zapatistischen Befreiungsarmee (EZLN) und der mexikanischen Regierung half, einen offenen Krieg in Chiapas zu verhindern.
Als Verteidiger der Rechte der Indigenas hatte er Weltbekanntheit erlangt. Auf nationaler Ebene hingegen lauerten viele Feinde, vor allem Großgrundbesitzer, erzkonservative Kirchenmänner und korrupte Politiker. Einige von ihnen erschienen jetzt an der Totenfeier, um sich nachträglich in ein besseres Licht zu rücken. So schreibt Subcomandante Marcos im Nachruf der EZLN: «Die groteske Parade der lokalen und nationalen politischen Persönlichkeiten vor dem Sarg von Don Samuel findet nicht etwa statt, um ihn zu ehren, sondern um sich mit Erleichterung davon zu überzeugen, dass er wirklich gestorben ist; und die örtlichen Medien heucheln vor zu bedauern, was sie in Wirklichkeit feiern. (…) Don Samuel Ruiz García und die christlichen Männer und Frauen wie er werden immer einen besonderen Platz in den Herzen der indigenen zapatistischen Gemeinden haben.»
Kirche der Armen
Im Jahr 1960 war Don Samuel in San Cristobal als Bischof in die Fussstapfen seines berühmten Vorgängers aus dem 16. Jahrhundert, Bartolomé de las Casas, getreten, der ein Vorkämpfer für die Rechte der Ureinwohner gewesen war. Inspiriert vom Zweiten Vatikanischen Konzil begann Ruiz, eine «iglesia indigena» aufzubauen. Er lernte die Sprachen verschiedener indigener Völker und hielt Messen u.a. auf Tzotzil und Chol ab. Diese «Kirche der Armen» verankerte den katholischen Glauben in der traditionellen Kultur und stärkte gleichzeitig das Selbstbewusstsein der Indigenas als «Subjekte ihrer eigenen Geschichte». Die Diözese bildete in diesem Sinne Tausende von indigenen Katechisten aus.
Diese Bewusstseinsarbeit geriet bald in Konflikt mit den Interessen der Großgrundbesitzer, denen die Indigenas nur im Wege standen. Der Bischof prangerte die ungerechte Landverteilung an und geißelte den Rassismus gegen die indigene Bevölkerung. Wiederholt bekam er Morddrohungen und entging nur knapp einem Attentat. Auch dem Vatikan unter Papst Johannes Paul II schien Samuel Ruiz zu weit zu gehen, so dass dieser versuchte, den Bischof 1993 abzusetzen. Aufgrund internationaler Proteste konnte er jedoch im Amt bleiben.
Ruiz ließ sich nicht den Mund verbieten und kritisierte das damals geplante Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada (NAFTA). Billigimporte von Lebensmitteln aus dem Norden würden den endgültigen Ruin der lokalen Kleinbauern bedeuten und die Schere zwischen Arm und Reich weiter vergrößern. Don Samuel wandte sich auch gegen die Reform des Gesetzes über die «ejidos», über das Gemeindeland, das demnach verkauft und privatisiert werden konnte.
Schwierige Friedensvermittlung
Als der bewaffnete Aufstand der Zapatisten am 1. Januar 1994, dem Tag des Inkrafttretens des Freihandelsabkommens, in Chiapas einen blutigen Konflikt mit der mexikanischen Armee auslöste, ergriff Ruiz die Initiative für eine Vermittlungsmission, um die Feindseligkeiten zu beenden. Dies gelang, und eine Vereinbarung zwischen der mexikanischen Regierung und den Aufständischen sollte die Rechte der Indigenas in der Verfassung verankern. Doch das Abkommen von San Andres blieb eine leere Hülse, und die Regierung begann mit Hilfe paramilitärischer Schwadronen einen schmutzigen Krieg, der ins Massaker von Acteal im Dezember 1997 gipfelte. Aus Protest gegen diese Politik trat Ruiz als Vermittler im Jahr darauf zurück. Anfangs 2000 legte Don Samuel altershalber sein Amt als Bischof nieder, blieb aber weiterhin aktiv für die Respektierung der Menschenrechte. Er ließ sich nie entmutigen.
Sein Engagement für Frieden und Gerechtigkeit hat unauslöschliche Spuren hinterlassen, welche alle Menschen, die für eine bessere Welt kämpfen, auf ihrem Weg begleiten mögen.
* Das EBF unterstützte die Kampagnen für den Friedensnobelpreis und nahm an der «Internationalen Zivilen Kommission zur Beobachtung der Menschenrechte» (CCIODH) im Jahr 1999 teil.