MIGRATION UND SOLIDARITÄT: Solidarität – ein Delikt?

20.06.2017, Veröffentlicht in Archipel 258

Solidarität darf nicht als staatsfeindliches Delikt kriminalisiert werden! Wir erleben seit einigen Monaten immer häufiger, dass Unterstützer_innen von Flüchtlingen oder Roma eingeschüchtert und gerichtlich verfolgt werden. Solidarität mit Migrant_innen wird wie ein Verbrechen geahndet. Ein Beispiel dafür sind die aktuellen Prozesse gegen Ein-wohner_innen des Roya-Tales, auf der französischen Seite des französisch-italienischen Grenzgebiets in der Nähe von Ventimiglia. Mehreren von ihnen wurden hohe Strafen angedroht, weil sie Geflüchteten geholfen hatten, die aus Italien über die Grenze gekommen waren. Cédric Herrou, ein Bauer im Roya-Tal, wurde z.B. wegen Hilfe zur Einreise, Pflege und Beherbergung von Geflüchteten festgenommen. Die breite Solidaritätsbewegung, die in den letzten Monaten entstanden ist, trägt ihre ersten Früchte: Cédric Herrou wurde nicht eingesperrt, sondern vorläufig „nur“ zu einer Geldstrafe auf Bewährung verurteilt. Doch viele der Prozesse sind noch ausständig und medial weniger begleitet als derjenige von Cédric.

Solidarische Aktivität mit papierlosen Migrant_innen wird kriminalisiert. Um dieser Entwicklung entgegenzutreten, veröffentlichten verschiedene Komitees, Organisationen und Gewerkschaften in Frankreich das folgende Manifest, das bereits von mehr als 200 französischen und einigen europäischen Organisationen unterzeichnet wurde:*
Manifest
Schluss mit der Verfolgung von Solidarität als Delikt!
Natürlich wurde Solidarität als solche nie in irgendeinem Gesetz als Delikt bezeichnet. Dennoch stehen heute immer mehr freiwillige Helfer_innen vor Gericht, weil sie Personen beigestanden haben, die als Opfer von unmenschlichen Entscheidungen in sehr prekären Situationen leben.
Unter dem herrschenden Ausnahmezustand in Frankreich und im Kontext der sogenannten «Migrations-Krise» beobachten wir die Zunahme von Strafverfolgungen gegen diejenigen, die in Solidarität mit Geflüchteten, Roma und «Papierlosen» handeln. Darüber hinaus wird tendenziell jegliche Unterstützung von Ausländer_innen beargwöhnt und Proteste gegen die herrschende Politik werden mit Rebellion und Störung der öffentlichen Ordnung gleichgesetzt.
Es gibt tatsächlich ein Gesetz, nach dem Personen, die Papierlosen zu Hilfe kommen, gerichtlich belangt werden können. (…)
Die Gesetzesreform vom 31. Dezember 2012, die infolge der Proteste gemacht worden war, wurde zwar als Aufhebung des Solidaritätsdelikts bezeichnet, das war sie aber nicht. Weiterhin werden Personen verfolgt, die Solidarität mit Zugewanderten ohne geklärten Aufenthaltsstatus üben. Sie werden von der Polizei oder der Gendarmerie vorgeladen, in Haft genommen, ihre Wohnungen werden durchsucht, ihre Telefongespräche abgehört. Es kommt zu Anklagen vor Gericht und zu Verurteilungen zu Geld- oder Haftstrafen.
Unterstützer_innen werden auch auf Grund von bereits bestehenden Gesetzen und Verordnungen, die keinen Bezug zu Migrationsfragen haben, strafrechtlich verfolgt:

  • Widerstand gegen die Staatsgewalt, Verunglimpfung und Beleidigung von Beamten, Rebellion oder Gewalt gegen Angehörige der Ordnungskräfte werden angeführt, um Behörden und Polizei vor der Kritik an ihren Praktiken zu schützen;
  • Behinderung des Flugverkehrs: Eine Regelung der zivilen Luftfahrt erlaubt es, Passagiere festzunehmen, die gegen gewaltsame Abschiebungen protestieren, wenn sie feststellen, dass gefesselte Personen an Bord sind.
  • Die illegale Beschäftigung einer ausländischen Arbeitskraft ohne Arbeitsbewilligung wird herangezogen, um Personen in Schwierigkeiten zu bringen, die Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus beherbergen und akzeptieren, dass diese ihnen im Haushalt zur Hand gehen.
    Des Weiteren werden Stadt-, Sicherheits- und, Hygieneverordnungen, fehlende Sicherheitsgurten und natürlich der Ausnahmezustand in Frankreich herangezogen um gegen Unterstützer_innen vorzugehen.
    Schluss mit diesen Einschüchterungen! Wir ermutigen alle, Solidarität mit Menschen in Not zu üben, unabhängig davon, ob diese einen geregelten Aufenthalt haben oder nicht. Gerade diejenigen Bevölkerungsgruppen, die durch fremdenfeindliche Politik und behördliche Praktiken ausgegrenzt werden, brauchen unsere Solidarität!
    delinquantssolidaires

* Die vollständige Liste der unterzeichnenden Organisationen findet sich unter

http://www.gisti.org/delits-de-solidarite

Um das Manifest zu unterzeichnen, wenden Sie Sich bitte an: contact(a)delinquantssolidaires.org