Zum Jahresende 2014 hatte die Zapatistische Nationale Befreiungsarmee EZLN das erste weltweite Festival der Widerstände und Rebellionen gegen den Kapitalismus organisiert. Diese Initiative ist ein erneuter Versuch der Zapatist_innen sich für nicht indigene Kreise zu öffnen. Erster Teil. Gleichzeitig betonen sie mit Entschiedenheit das notwendige Zusammenwirken der indigenen Kräfte, die im CNI (Nationalkongress der Indigenen) vertreten sind. Die Modernisierung des Kapitalismus zu einem Extraktionskapitalismus bewirkt, dass auf der ganzen Welt enorme Infrastrukturprojekte gebaut werden, so auch in Mexiko. Auch das Land der Indigenen ist durch diese Projekte bedroht. Wie können die Kräfte vereint werden? Wie sich organisieren? Wie der brutalen und willkürlichen Repression standhalten? Welche Solidaritäten müssen geschaffen werden? Das sind einige der Fragen, die gleich zu Beginn dieses Festivals erörtert wurden, noch bevor die Toten und verschwundenen Studenten von Ayotzinapa Inhalt und Form des Festivals prägten.
Eine vereinigte indigene Front Zum allgemeinen Verständnis muss vor dem Bericht über das Festival die aktuelle Situation der Zapatist_innen, aber auch die von Mexiko zusammengefasst werden. Im Frühjahr 2014 greifen Paramilitärs die Zapatist_innen in der autonomen Gemeinde La Realidad an und Companero Galeano kommt dabei um. Die EZLN «zerstört» daraufhin ihre medienwirksame Ikone, den aufständischen Subcomandante Marcos. Über die Symbolik dieser Zerstörung des offiziellen Wortführers der EZLN hinaus bedeutet das Ersetzen von Marcos, dem stark mediatisierten Mestizen, durch den aufständischen Subcomandante Moises, eine Herauskristallisierung der indigenen Identität innerhalb der zapatistischen Führung. Auch während der Woche der Comparticiòn (Treffen und Austausch) im August 2014, die zwischen den Zapatist_innen und dem Nationalkongress der Indigenen (CNI) stattgefunden haben, war zu sehen, welche zentrale Rolle die indigene Identität einnimmt. Der CNI ist ein mehr oder weniger formeller politischer Raum, den die Zapatist_innen zur Zeit der Verhandlungen mit der Regierung schufen. Das Verhandlungsergebnis waren die Verträge von San Andrès de Larrainzar über die Rechte und die Respektierung der Kulturen von den indigenen Völkern. Die im Jahr 1996 unterzeichneten Verträge wurden bisher von keiner der Regierungen in die Verfassung aufgenommen. Im CNI sind fast alle verschiedenen Ethnien eingebunden, die gegen den Kapitalismus und seine Wegbereiter kämpfen: das heisst gegen politische Parteien oder Drogenkartelle, die oft äusserst eng miteinander verflochten sind. Es ist ein politisch unabhängiger Raum, der sich von allen Parteien abgrenzt und auch von der ELZN. Er versucht, die verschiedenen Kämpfe miteinander zu verbinden und diejenigen Menschen zu verteidigen, die bei den Auseinandersetzungen ins Gefängnis geworfen werden. Die Art, wie gekämpft wird, basiert meistens auf den Sitten und Gebräuchen (usos y costumbres) der indigenen Völker. Ihre Organisationsform in den indigenen Comunidades ist theoretisch durch die mexikanische Verfassung anerkannt, wird aber vom Staat sehr oft missachtet.
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Solidarität Die Zapatist_innen wissen sehr gut, dass eine vereinigte indigene Front, so nötig sie ist, nicht genügt. Aus diesem Grund kam nach den Treffen im August die Einladung zum ersten weltweiten Festival der Widerstände und Rebellionen gegen den Kapitalismus vom 21. Dezember 2014 bis 3. Januar 2015 in Umlauf. Die gemeinsame Einladung der ELZN und des CNI richtete sich an die nationalen und internationalen politischen Weggefährt_innen der «Sechsten Erklärung aus dem Lakadonischen Urwald». Die Sexta, wie sie Eingeweihte nennen, war der x-te Versuch gewesen, den die Zapatist_innen im Jahr 2006 unternahmen, um sich für die nicht-indigene Gesellschaft und für internationale Kreise zu öffnen, die gegen den Kapitalismus «unten und links» kämpfen. Eine Besonderheit der Sexta ist der Wille, die politische Tagesordnung der Mächtigen zu verlassen und dem Parteiensystem und Wahlen als Strategie für eine soziale Veränderung den Rücken zu kehren. Dadurch verlor die zapatistische Bewegung eine Zeit lang die mögliche Unterstützung von der politischen Linken, die immer noch an einen Wandel durch Wahlen glaubte.
Aber das Jahr 2006 ist weit entfernt und die Situation in Mexiko hat sich seit dieser Initiative sehr verändert. Die Absage an die Parteien, die alle auf der einen oder anderen Ebene mit den Drogenkartellen verquickt sind, wird in den Organisationen, Kollektiven und politischen Auseinandersetzungen viel breiter vertreten und ebenso in der ganzen mexikanischen Gesellschaft. Die seit Jahren fast verstummte nationale Sexta ist für die Organisation des Festivals neu aktiv geworden. Zur selben Zeit fand die Mobilisierung für Ayotzinapa statt.
Die verschwundenen Studenten Am 26. September 2014 wurden im Bundesstaat von Guerrero sechs Personen, darunter drei Studenten, getötet und 43 Schüler der Escuela Normal Rural Raùl Isidro Burgos1 in Ayotzinapa entführt. Sie sind bis heute verschwunden. Die ersten offiziellen Stellungsnahmen zu diesen Geschehen geben den Gemeindepolizisten die Hauptverantwortung dafür. Diese hätten die Studenten an das Kartell «Vereinigte Krieger» ausgeliefert. Alle hätten auf Befehl des Bürgermeisters von Iguala gehandelt, welcher der sogenannt «linken» PRD angehört2. Die Abscheulichkeit dieser Taten und die Würde und politische Klarheit der Familien und Freund_innen der Verschwundenen hat die mexikanische Gesellschaft wach gerüttelt. Das Erwachen ist brutal: Jede_r kennt die Bedeutung der Kartelle und des Drogenhandels, aber Ayotzinapa ist der Beweis, dass sich Mexiko in einen Drogenhändlerstaat verwandelt hat und mit ihm alle Institutionen und Parteien. Oft wird davon ausgegangen, dass die Drogenhändler_innen sich auf den Drogenhandel beschränken. Aber diese haben ihre Hände auch beim Handel mit Waffen, Organen, Migrant_innen und Prostituierten im Spiel. Die Kartelle sind mit ihrer Politik des Terrors auch die Stosstruppen für die kapitalistische Modernisierung. Sie zwingen die Menschen zur Flucht und dazu, ihr Land den grossen Infrastrukturprojekten zu überlassen. Anscheinend braucht der Kapitalismus für seine Entwicklung keinen sozialen Frieden mehr. Er schafft das Chaos, um das Terrain besetzen zu können.
Eine Woche vor Beginn des Festivals kündigte die EZLN an, dass die Zapatist_innen nicht als Zapatist_innen am Festival teilnehmen würden. Sie zögen es vor, den Angehörigen und Freund_in-nen der verschwundenen Studenten den Ehrenplatz zu geben.
Das Festival Die Einladung zum Festival bewegte uns sehr. Denn wir spürten, dass uns die Stärke der mexikanischen Bewegungen inspirieren und bereichern könnte. Dabei haben wir nicht vergessen, dass die multinationalen Konzerne mit ihren Infrastrukturprojekten oft aus unserer westeuropäischen Welt kommen. Vor dem Beginn des Festivals mussten sich die Teilnehmer_innen anmelden. Die Anmeldung war mit einigem bürokratischen Aufwand verbunden, der uns jedoch verständlich erschien in Betracht der Grösse und der Ausdehnung des Anlasses. Wir hatten uns per Internet angekündigt: Name?- Vorname?-...-Welche Strecke möchten wir reisen? Vier rutas standen zur Wahl, vier Strecken quer durch den Süden des Landes. Zweimal sollte im Konvoi gereist werden. Wir suchten die zwei längsten Strecken aus, um die meisten Orte zu entdecken und viele Menschen zu treffen.
Bei unserer Ankunft im Hauptstadtdistrikt von Mexiko-Stadt und seinen Vorstädten, wurden wir eingeladen, im Rincòn Zapatista vorbei zu kommen. Dabei handelt es sich um einen Ort für politische und kulturelle Veranstaltungen. Hier werden Produkte verkauft und Dokumentationen verteilt. Der Erlös kommt der EZLN zu Gute. Hier wurden wir von C., der Organisatorin der Festival-Karawane und auch früherer Karawanen, in Gegenwart von Compañeros und Compañeras mit unverdeckten Gesichtern erwartet. Unseren Anmeldungen für die zwei Reisestrecken fügten wir zwei Photokopien unserer Pässe bei. Im Fall einer Kontrolle durch Staatsbeamte oder die Armee sollte dies für eine schnellere Abwicklung sorgen. Denn die ausgewählten Orte für die Etappen unserer Karawane befinden sich in einer direkten Konfrontation mit dem Staat und kämpfen gegen diverse grosse Unternehmen und ihre Handlanger.
- Diese Schulen zur Ausbildung von Lehrer_innen wurden vom Präsident Lazaro Cardenas in den 1930er Jahren eingeführt. Ihr Ziel ist es, die ausschliesslich indigenen Schüler_innen zu Lehrer_innen auszubilden, damit diese ihr Wissen wiederum in die Gemeinschaften einbringen. Meist sind diese Schüler_innen sehr arm, aber höchst politisiert und aktiv. Sie sind treibende Kräfte für die Entwicklung in ihren Gemeinschaften. Die Besonderheit dieser
Schulen ist, theoretisches und praktisches Lernen zu verbinden, vor allem im landwirtschaftlichen Bereich. Es gibt getrennte Schulen für Frauen und Männer. - Diese Version der Geschehnisse wird von den Gruppen und Personen, die sich mit den Verschwundenen solidarisieren, nicht geteilt. Sie geben der Armee und damit dem Staat die Verantwortung für die Untat. In der offiziellen Version der Regierung und der grossen Medien wird jegliche Verantwortung auf den Ebenen von Gemeinde, Staat und Bundesstaat bestritten.