Wir trafen uns in Skopje, etwas mehr als ein Jahr nach dem Ausbruch des “Mini-Krieges”, wie er von vielen genannt wird. Anlass unserer Zusammenkunft vom 10. bis zum 12. Mai 2002 war ein von AIM (Alternatives Informationsnetzwerk unabhängiger JournalistInnen auf dem Balkan) organisiertes grenzübergreifendes Seminar zu “Interethnischer Berichterstattung in Konfliktsituationen”, das dank finanzieller Unterstützung durch den Europarat ermöglicht wurde. Auch wenn es in Mazedonien keine offenen Feindseligkeiten zwischen der albanischen und der mazedonischen Volksgruppe mehr gibt – die Gräben bleiben gefährlich tief.
Der AIM-Chefredakteur in Skopje, Kim Mehmeti, hat uns jahrelang vor den möglichen katastrophalen Konsequenzen einer Situation gewarnt, in welcher die mazedonisch- und die albanischsprachige Bevölkerungsgruppe in völlig abgeschotteten Parallelgesellschaften leben. Diese Trennung wurde durch die Haltung der offiziellen Medien verstärkt: Die mazedonischsprachigen Medien beschrieben eine völlig andere Realität als die albanischsprachigen, obwohl sie vom selben Staat kontrolliert wurden.
Der offene Ausbruch des Konflikts im März vergangenen Jahres zementierte die Teilung und machte ein Eintreten für Versöhnung und gegenseitiges Verständnis schwieriger denn je. Heutzutage vermeiden die Menschen, das von der „anderen“ Volksgruppe bewohnte Gebiet zu durchqueren. In solchen Situationen ist es besonders wichtig, multi-ethnische Initiativen zu unterstützen.
Für AIM war und ist die Arbeit in solch einem Umfeld nicht einfach. Das Netzwerk brachte als erste Medienstruktur des Landes JournalistInnen und Auszubildende aus den verschiedenen Bevölkerungsgruppen zusammen: AlbanerInnen, MazedonierInnen, Roma, TürkInnen und andere. Noch immer ist AIM eines der seltenen Medien in Mazedonien, die das tun. Und das trotz der wachsenden Schwierigkeit, JournalistInnen beiderseits der ethnischen Trennlinie zu finden, welche die AIM-Kriterien einer sachlichen und objektiven Berichterstattung erfüllen.
Es gibt auch nur wenige Medien in Mazedonien, die bereit sind, solche Artikel zu publizieren. Noch vor einigen Jahren haben viele verschiedene Presseorgane AIM-Artikel übernommen. Mittlerweile drucken nur noch zwei Wochenblätter – Kapital in Mazedonisch und Lobi in Albanisch – in größerem Umfang Beiträge von JournalistInnen der jeweils „anderen“ Seite ab. Die gute Nachricht lautet, dass demnächst eine zweisprachige Tageszeitung, Global, erscheinen soll.
Auch unter Umständen, in denen die Veröffentlichung seiner Artikel nahezu unmöglich ist, bleibt AIM von der Notwendigkeit überzeugt, sich einer mono-ethnischen Haltung zu verweigern. Für das Netzwerk bedeutet das, einen Schimmer von Licht ins Dunkel zu bringen, ein Beispiel für die Zukunft zu geben... Darüber hinaus dürfen wir nicht vergessen, dass mehr und mehr Menschen über einen Internetzugang verfügen, was ihnen den Zugriff auf den mehrsprachigen Service (Albanisch, Bosnisch/Kroatisch/Serbisch, Mazedonisch) von AIM erlaubt.
Während unseres Treffens erklärte einer der AIM-Korrespondenten, Zeljko Bajic, dass es sechs mazedonischsprachige Tageszeitungen gebe und nicht eine von ihnen beschäftige albanische JournalistInnen, die Entwicklungen aus der Sicht ihres Bevölkerungsteils schildern könnten. Jede Seite stellt Spekulationen an, was die „andere“ gerade ausheckt, anstatt deren VertreterInnen für sich selbst sprechen zu lassen. Einer der Teilnehmer, ein junger albanischsprachiger Journalist, der zur Zeit bei AIM-Mazedonien eine Ausbildung absolviert, beschrieb die Sitiuation in der staatlichen Fernsehgesellschaft, bei der er arbeitet: Dort gibt es zwei getrennte Redaktionen für jede der Hauptsprachen, die so gut wie nicht miteinander kommunizieren.
Gewiss hat Mazedonien ein besonderes Sprachproblem, das in den meisten Gegenden des früheren Jugoslawiens so nicht existiert: In Bosnien-Herzegowina beispielsweise sprechen alle die gleiche Sprache mit kleinen Unterschieden. Fast kein Mazedonier jedoch spricht oder schreibt albanisch – die ethnischen AlbanerInnen hingegen sind um einiges öfter mehrsprachig. Für Branka Nanevska, AIM-Wirtschaftskorrespondentin in Skopje, ist das Netzwerk eine entscheidende Informationsquelle zu den Geschehnissen in Mazedonien, eben weil hier Medienschaffende aller Ethnien berichten.
Die anwesenden mazedonischen JournalistInnen sahen übereinstimmend zwei gegenläufige Tendenzen in ihrem Land. Entweder spitzt sich die inter-ethnische Teilung dermaßen zu, dass es kein Zurück mehr gibt, oder aber die zivile multikulturelle Orientierung gewinnt allmählich an Boden. Ein erster Schritt für die Medien wäre, ihre mono-ethnische Haltung aufzugeben. Kim Mehmeti zeigte sich vorsichtig optimistisch angesichts einiger Medien, die mittlerweile auf die übelsten Hetztiraden verzichteten: „Die Leute sehen, dass es so nicht weitergehen kann“. Andere waren da eher pessimistisch...
Fest steht, dass AIM wie bisher versuchen wird, Brücken zu bauen – nicht nur in Mazedonien, sondern in der gesamten Region. Zehn Jahre nach seiner Gründung im Jahr 1992 besteht dafür noch immer der gleiche, wenn nicht noch mehr Bedarf. Denn auch wenn die Spannungen nicht mehr so offen ausbrechen – direkt unter der Oberfläche lauern sie weiterhin.
Leider ist die Zukunft von AIM alles andere als gesichert. In den vergangenen Monaten wurde klar, dass die internationale Gemeinschaft der Geberländer beschlossen hat, ihre finanzielle Unterstützung für den Mediensektor in Südosteuropa zurückzuschrauben. Weltweit haben sich neue Prioritäten ergeben, und viele denken, dass Projekte wie AIM nicht länger notwendig seien, nachdem die schlimmsten nationalistischen Regime gestürzt wurden und in der Region kein offener Krieg mehr wütet.
Wir halten diesen Rückzug für verfrüht. Der Demokratisierungsprozess auf dem Balkan steht noch ganz am Anfang, und die Region ist mit einer schweren Wirtschaftskrise konfrontiert. Gerade jetzt können Projekte wie AIM eine wichtige Funktion erfüllen.
Aus diesem Grunde diskutierten wir in Skopje auch die Zukunft von AIM. Wir haben uns entschieden, eine umfassende Reform der Netzwerkstruktur vorzunehmen. Jede Redaktion wird einen gemeinsen Ziel die Untersützung lokaler unabhängiger Medien durch die Bereitstellung qualitativ hochstehender Hintergrundartikel und die Ausbildung von jungen JournalistInnen ist. Ein in der Region ansässiger Koordinator wird bestimmt, und jede AIM-Vereinigung kümmert sich um die eigene Finanzierung – beispielsweise über Botschaften oder internationale Institutionen, die nun vermehrt Büros vor Ort eingerichtet haben.
Die Übergangsphase, bis zum Funktionieren der neuen Strukturen, wird mehrere Monate dauern. Das Europäische Bürgerforum ist entschlossen, AIM bei der Dürchführung dieser Reformen zu helfen; in der Hoffnung, dem Netzwerk damit zu ermöglichen, noch viele Jahre zu arbeiten. Jede Art von Unterstützung durch die Archipel-LeserInnen ist uns willkommen.
Mehr Informationen über die aktuelle Situation die Umstrukturierung von AIM, kann bei der Redaktion bestellt werden (schicken wir Ihnen bei Interesse gerne zu).