Der Aufstand der Zapatisten in Mexiko im Januar 1994 löste, vor allem in der westlichen Welt, einen Schock aus. Die Zeit nach dem Mauerfall und des Einheitsdenkens war eine Zeit des politischen Stillstands. In der Folge der zapatistischen Aktionen fanden einige Treffen statt, unter anderem die bekannten „interkontinentalen Treffen gegen den Neoliberalismus und für die Menschheit". Während dieser Treffen kam die Idee eines weltweiten Netzwerkes zur Koordination von Aktionen und zum Austausch von Informationen auf. Im Februar 1998 trafen sich mehrere hundert VertreterInnen von Bewegungen der ganzen Welt zur ersten Konferenz der PGA in Genf. Sie unternahmen dort der Versuch, sich auf ein gemeinsames Manifest und gemeinsame Strukturen zu einigen. Am Anfang dieser Dynamik standen 12 Bewegungen aus verschiedenen Regionen des ganzen Planeten, welche die Rolle der Convenors übernahmen. Die Convenors sind die Anlaufstellen für den Informationsaustausch und die Koordination, sie organisieren die regionalen oder internationalen Konferenzen. Heute gibt es viele Convenors , die eine enorme Arbeit zu bewältigen haben.
Dies alles scheint vielleicht etwas abstrakt und trocken, die Auswirkungen waren dennoch sehr konkret. Zum Beispiel traten jedes Jahr neue Gruppen in Erscheinung, die als Blüte der Protestbewegung präsentiert wurden: Reclaim the streets und ihre Straßenfeste in England oder Ya Basta und die Tutti Bianchi aus Mailand. Diese Gruppen wurden von den Medien entdeckt, als sie Convenors der PGA waren.
Die Demonstrationen von Seattle im November 1999, die den Abbruch der interministeriellen Konferenz der WHO zur Folge hatten, wurden von Gruppen durchgeführt, die in der PGA aktiv sind. Seit Seattle wurden anlässlich jeder Gipfelkonferenz Demonstrationen organisiert. Heute existiert ein breites Spektrum an politischen Gruppen, Vereinen oder NGO’s außerhalb der Gruppen, die sich der PGA zugehörig fühlen, die Dynamik der Veranstaltungen gegen die Weltwirtschaftsgipfel ist aber direkt auf die Arbeit der PGA zurückzuführen.
Neben den Massendemonstrationen, die vom offiziellen Kalender der kapitalistischen Institutionen abhängen, hat die PGA verschiedene Aktionen durchgeführt, die viele Menschen angezogen und inspiriert haben. Die Intercontinentale Karawane hat es 400 Mitgliedern der indischen Bauernbewegung und 50 Vertreterinnen und Vertretern von Volksbewegungen des Südens ermöglicht, während eines Monats vor kapitalistischen Institutionen (WHO, NATO, IWF, ...) oder den Sitzen der multinationalen Konzerne Europas zu demonstrieren. Anlässlich dieser Aktionstage fanden Demonstrationen, Straßenfeste, Blockaden, antikapitalistische Karnevale etc. in Hunderten von Städten auf dem ganzen Erdball statt. Der positive Aspekt von Demonstrationen dieses Umfangs darf aber nicht über die Schwierigkeiten hinwegtäuschen, auf die man bei einer solchen Koordination stößt.
Die zweite europäische Konferenz der PGA
An die 500 Menschen aus ganz Europa sind in Leiden zusammengekommen, zuerst einmal, um sich selbst die Existenz einer Bewegung und gemeinsamen Geisteshaltung sichtbar zu machen. Zum zweiten gab es eine Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Kräfteverhältnisse und Kämpfe sowie Diskussionen über die immer wieder auftauchende Frage „Was haben wir vorzuschlagen?". Zwei wesentliche Themen wurden für die Diskussionen formuliert: die Strukturen des Netzwerks und die Strategie für einen sozialen Wandel.
Wir, die Verfasser dieses Artikels, bewegen uns in kleinen Gruppen von Personen, die in das (Nicht)-Netzwerk „sans-titre" (ohne Titel) eingebunden sind. Eine Konferenz der PGA ist nicht unbedingt der Ort, zu der man mit dem TGV oder Flugzeug anreist. Wir haben von dieser Reise profitiert, um uns näher zu kommen, indem wir uns in einen Kleinbus gequetscht haben. Nachdem wir zahlreiche Stunden damit verbracht haben, einen Stoß Mails zu lesen und Informationen auszutauschen, um uns auf die Konferenz vorzubereiten, sind wir in Leiden angekommen. Wir haben diese kleine Stadt und die verschiedenen Ansiedlungen des Kollektivs EuroDusnie entdeckt. Unsere holländischen Gastgeber hatten alles perfekt organisiert. Die Anreise der Teilnehmer aus den osteuropäischen Ländern wurde unterstützt durch eine höhere Unkostenbeteiligung der Teilnehmer aus Westeuropa.
Die Frage nach den Aufnahmekriterien wurde gestellt, da nun einmal der Sinn des Austauschs und des Netzwerkes der PGA darin besteht, die verschiedenen regionalen Gruppen miteinander zu verbinden. Da jedoch vor der Konferenz kein kollektiv beschlossenes System auf die Beine gestellt werden konnte, wurde nur ein Fragebogen über die Motivationen der Teilnehmer dem Einschreibeformular beigelegt. Die Gruppen wurden weiter aufgefordert, Konferenzen auf lokaler Ebene vorzubereiten.
Diskussionen mit 500 Personen
Viele interessante Diskussionen über die vielen vorgeschlagenen Themen fanden im Rahmen von Workshops statt. Hier sind wir wieder beim Kern der Debatte über die Strukturen der PGA. Die Frage der Größe der Diskussionsgruppen und der Vollversammlungen war Gegenstand einer lebhaften (nicht abgeschlossenen) Polemik. Die Art und Weise, die Diskussionen zu führen und die Thematik in Angriff zu nehmen, ist wahrscheinlich ein wesentlicher Teil der Erneuerung politischer Formen. In einer Versammlung von 200 Personen z.B. sind es oft immer die gleichen, die das Wort ergreifen und die Debatte führen, während die anderen in einer passiven Rolle verharren. Das führt zu einer Situation, die das Emporkommen von Führern begünstigt, die Kreativität der Diskussionen beschränkt und sie auf allgemeinen Themen verweilen lässt. Das fundamentale Infragestellen wird auf diese Weise verhindert. In diesen Überlegungen findet man das Erbe der kritischen Denkweise der feministischen Bewegung der 70er Jahre wieder. Dieses kam auf, als den Frauen bewusst wurde, dass sie in der Minderheit waren und systematisch in die Rolle der Sekretärin gezwungen oder mit der Versorgung beauftragt wurden (zubereiten des Kaffees…). In reinen Frauengruppen haben sie sorgfältig ausgearbeitete Analysen über die Macht in den zwischenmenschlichen Beziehungen erstellen können.
Das Gleichgewicht zwischen offizieller und inoffizieller Funktionsweise der PGO als Netzwerk war ein weiterer Diskussionspunkt in der Debatte um die Strukturen. Sehr auf Draht was die menschlichen Beziehungen anbelangt, müssen wir trotzdem zur Kenntnis nehmen, dass es unklar ist, wer sich um was kümmert. Diese Tatsache erschwert die Teilung der Verantwortung und die Endscheidungsfindung. Die Herausforderung besteht darin, die unverkrampfte und ohne autoritäre Strukturen auskommende Funktionsweise eindeutig zu formulieren.
Heraus aus dem Ghetto
Schließlich stellte sich mehrmals die Frage der Offenheit unserer Gruppen und Netzwerke, die zuweilen dem Schema der geschlossenen Gesellschaft nachgeben. Wie aus unserem Aktivistenghetto ausbrechen, ohne zu versuchen, eine Massenbewegung zu werden oder Gefahr zu laufen, unsere radikalen Bestrebungen zu verraten.
Wenn wir jetzt einen analytischen Blick auf die Versammlungen werfen, können wir feststellen, dass sie größtenteils aus Personen im Alter von 20 bis 30 zusammengesetzt sind, selbst wenn wir ab und zu ein paar graue Haare sehen. Männer und Frauen sind gleichermaßen vertreten und die Anwesenheit von Personen aus der weißen Mittel- oder Oberschicht herrscht vor.
Man kann trotzdem die Ankunft einiger Papierloser bemerken, die im No Border Camp diesen Sommer Kontakt aufnahmen. Diese Beobachtungen geben Aufschluss über das Fehlen der Verbindungen zu anderen Menschen, aus denen sich die Gesellschaft zusammensetzt. Diese Tatsache ist ein Widerspruch zum Namen des Netzwerkes, das sich „Weltaktion der Völker" nennt. Um die Dynamik der PGA in weiteren Kreisen und regional voranzutreiben, sollen „Info-Punkte" geschaffen werden, die die Schriften der PGA verteilen und Debatten organisieren. Die Realisierung dieser Info-Punkte wird von einer Reihe lokaler Gruppen übernommen, die in Leiden anwesend waren.
Die strategischen Überlegungen
Das weite Feld der Gegengipfel, das während ungefähr zwei Jahren das gemeinsame Credo bildete, wird künftig den Gewerkschaften und NGO´s überlassen. Als Anhänger der Direkten Aktion und offensive Pazifisten werden wir in anderer Form und auf von den repressiven Kräften weniger überwachten Gebieten, Überraschungen schaffen. Wir versuchen, so weit wie möglich, die Kameras der käuflichen Medien zu meiden, die unsere Formen von Intervention spektakulär und unerreichbar darstellen. Ganz im Gegenteil wollen wir ein breites Mitwirken. Wir bleiben erfinderisch und unberechenbar und rütteln so weiterhin an der Resignation und der Vorliebe zur Entfremdung unserer Zeitgenossen, während der dauerhaften oder anarchistischen Karawanen und der verschiedenen Aktionen die zu Zeiten und an Orten stattfinden, die von uns gewählt werden.
Nicht sehr begeistert von der Idee eines politischen Märtyrertums, sind wir in Anbetracht des sicherheitspolitischen Arsenals mit der Notwendigkeit konfrontiert, unsere körperliche Integrität zu bewahren und nach Möglichkeit zu vermeiden, ins Gefängnis zu kommen. Zu diesen Punkten gab es einen regen Austausch, zum Voranschreiten der repressiven Front sowie auch zu Möglichkeiten, diese zu vermeiden.
Beim Umherschlendern an den Kanälen, die sich durch die Stadt ziehen, konnten wir nach Belieben über die diversen Fragen nachdenken oder debattieren und allgemein über unsere Fähigkeit, die Entwicklung der „sozialen Maschine" zu beeinflussen. Ohne Medienstars, Experten oder Theoretiker, dank kreativer und ungewöhnlicher Beteiligungen schaffen wir einen gemeinsame Rahmen für eine kollektive Aktion, an der sich diejenigen beteiligen, die nicht danach trachten, sich mit einer Linken der Parteien und Gewerkschaften, ihren hierarchischen und puritanischen Organisationen zu identifizieren. Im Gemenge der Agitation rund um Mai '68 könnten wir diesem klaren, feministischen Slogan mehr Aufmerksamkeit widmen: „ArbeiterInnen aller Länder, wer wäscht eure Socken?".
Sophie, Cedric
Außerhalb der Debatten, die wir als zentral bezeichnen können, weil sie direkt in Verbindung mit der Schaffung des Netzwerkes und der zu entwickelnden Strategie stehen, hatten wir anlässlich der Konferenz von Leiden auch Gelegenheit zu Diskussionen und Begegnungen mehr oder weniger informeller Natur. Es gab etwa 100 Arbeitsgruppen, die sich mit vielfältigen Themen auseinandersetzten, wie dem israelisch-palestinänsischen Konflikt, Handel ohne Geldmittel, eine radikale Geschichtsschreibung über die Nahrung etc. Die Diskussion über die Patentierung von Lebewesen war sehr intensiv. Während fünf Stunden diskutierten wir über Forschung und Technik. Ein Biologe, der ehemals für eine multinationale Firma tätig war und Konsequenzen gezogen hat, war in seiner Meinung den radikalsten Kritikern der Forschung sehr nahe. Viele Personen konnten jedoch nicht unbedingt nachvollziehen, dass man den Fortschritt und die Forschung in Frage stellen kann. An dieser Versammlung, die eine Folge von zahlreichen anderen Treffen war, wurde beschlossen ein europäisches Netzwerk über die Thematik Selbstversorgung und Recht auf Boden ins Leben zu rufen. In einigen Monaten ist ein erneutes Treffen geplant um ganz konkret zu besprechen wie man einander helfen, Wissen und anderes austauschen kann.