Die Verluste in der Lebensmittelproduktion sind enorm, neueste Zahlen sprechen von 55 Prozent aller landwirtschaftlich produzierten Nahrungsmittel. Nun haben die UNO und andere internationale Organisationen das «Jahr des Kampfes gegen die Vergeudung» ausgerufen. Hier ein Auszug aus einem längeren Artikel zu diesem Thema.
Auf geopolitischer Ebene beschränkt sich die «Empörung» meistens darauf, die finanziellen Verluste zu berechnen. Aber die Konsequenzen für die Produktionsstrukturen beunruhigen zusehends die internationalen Instanzen. Das System, das auf Wachstum und steigendem Profit beruht, erlaubt nicht die geringste Abnahme der kapitalistischen Rentabilität. Trotzdem wurden die Organisationen durch die Kollateralschäden dazu gezwungen, auf die Folgen dieser Vergeudung einzugehen. Die Reaktion der supranationalen Organisationen (UNO, FAO, WHO, UNDP1), auch wenn sie durch pragmatische Überlegungen geprägt ist, erfolgt im Rahmen einer Synergie, die die negativen Folgen der Vergeudung in den verschiedenen Lebensräumen, in der Bearbeitung des Bodens, in der Umwelt, im Klima und in der Gesundheit in Betracht zieht. Die Folgeschäden durch den massiven chemischen Einsatz in der Landwirtschaft wie Dünger und Pestizide, der Energieaufwand, der eine verstärkte Verschmutzung der Biotope mit sich bringt, und der erhöhte Ausstoss von Treibhausgas, zwingt die Staaten ihre Nase in die Abfallkübel unserer Geschichte zu stecken.
Mit dem philanthropischen Alibi, den armen Ländern zu helfen den Skandal des Hungers zu verringern, wurde die feierliche Entscheidung gefällt, das Jahr 2013 zum Jahr des Kampfes gegen die Vergeudung zu erklären. Die Berechnung der Kosten der knauserigen Wohltätigkeit der reichen Länder geht mit ihrer Ethik der «Verhütungsmassnahmen» überein. Die Unterernährung zu reduzieren, ist auch ein erklärtes Ziel der Vertreter_innen einer gentechnischen Landwirtschaft. Was auch ihre wirklichen Motivationen sein mögen, die Mobilisierung in den verschiedenen Ministerien (Landwirtschaft, Ökologie, Transport, Industrie) ist effektiv. (…)
Sensibilisierung
Das WRAP, eine Organisation, die sich um nachhaltige Entwicklung kümmert, leitete grosse Kampagnen in die Wege: Love Food, Hate Waste (liebe die Nahrung, verabscheue die Verschwendung). Die Behörde Government Office for Science legte das Gewicht auf die Spezifizierung der Nahrungsmittelabfälle (kann vermieden werden, könnte vermieden werden, kann nicht verhindert werden). Überall in Europa wird in den Schulen vermehrt über diese Problematik unterrichtet. In Schweden ist das Observatorium SIWI, Experte für nachhaltige Entwicklung, am Ursprung von Kampagnen mit weltweitem Echo: From Field to Fork, Saving Water (Vom Feld zur Gabel, Rettung des Wassers). Länder wie Holland, Belgien oder die Schweiz, die etwas weniger Nahrungsmittel vergeuden, versuchen eine wirksame Präventionspolitik durchzusetzen. Das Forschungs- und Informationszentrum der belgischen Konsument_innen führte eine Vielzahl von Aktionen für Meinungsbildung im Nahrungssektor durch. Unter dem Patronat des schweizerischen Komitees der FAO beschlossen das Bundesamt für Landwirtschaft und das Amt für Entwicklung und Zusammenarbeit Strafmassnahmen gegen die Vergeudung einzusetzen. Ausstellungen wie jene in Bern versuchen die Bevölkerung zu sensibilisieren und zur Verantwortung zu ziehen. Der Welternährungstag 2013 wird in der Schweiz unter das Thema Kampf gegen die Plage der Verschwendung gestellt. Auch Frankreich bemüht sich zu informieren und Verbesserungen vorzuschlagen. Eine Vielzahl von offiziellen Studien, der Bericht des Ministeriums MEDDTL2 über die Nachhaltigkeit der Nahrungsmittel, der Rapport INRA-CIRAD3 über die Auswirkungen der Verschwendung in der Landwirtschaft, das Dossier von France Nature Environnement: Nationales Programm für die Ernährung, sind erschienen.
Zunehmende Vergeudung
Es gibt also eine globale Synergie, die Schwachstellen in allen Gliedern der Nahrungsmittelkette zu finden. Die Faktoren für diese riesige Vergeudung sind allgemein bekannt: intensive Landwirtschaft und Aussortieren der landwirtschaftlichen Produkte an der Quelle, die Standards der Grossverteiler, industrielle Überproduktion der angebotenen Ware, die von der kommerziellen Nachfrage abhängt, schlechte Verwaltung der Lager, Manipulation durch die Werbung, Schnellküche und – auf der Ebene der Haushalte – Nachlässigkeit, provoziert zum Teil durch die schnelle Veränderung der Lebensgewohnheiten. Seit Jahren wurden die hauptsächlichen Ursachen des weltweiten Marasmus aufgelistet und analysiert. Wieso vermochte die Geschäftigkeit um dieses Phänomen die Verschwendung nicht zu bremsen? Die meisten Beobachter_innen bedauern die ständige Zunahme. Diese Ohnmacht hat seine Gründe, die den Kampf gegen die Verschwendung oft auf die Propagandawirkung reduzieren. In Frankreich beziffern sich die durchschnittlichen Kosten der Vergeudung pro Einwohner und pro Jahr auf 410 Euro, der Gesamtverlust betrüge also 15 bis 20 Milliarden Euro. Die Verschwendung der 1 072 Supermärkte umfasst 850 Millionen Euro, das Sechsfache des Budgets der «Restos du coeur». In den USA beziffert sich das letzte Thanksgiving auf Kosten von 282 Millionen Dollar, die Gesamtverschwendung der 312 Millionen Einwohner_innen erreicht astronomische Höhen, ungefähr 100 Milliarden Euro. In England ist die Nahrungsmittelvergeudung (ohne Produktion- und Verteilsektor) 12 Milliarden Pfund (14 Milliarden Euro). In Belgien würden die 15 000 Tonnen weggeworfener Nahrungsmittel für 30 000 Mahlzeiten dreimal pro Tag reichen. In Dänemark landen 15 bis 20% der Esswaren im Abfallkübel. In Holland beträgt der Wert von Obst und Gemüse im Abfall 2.4 Milliarden Euro. Das Bundesamt für Landwirtschaft in der Schweiz (BLW) veröffentlichte eine Studie, die den Wert der weggeworfenen Nahrungsmittel eines Haushalts mit vier Personen auf 2 000 Schweizerfranken schätzt, vor allem Brot, Getreide und daraus verarbeitete Produkte: von 40 kg eingekauften Produkten werden 13 kg nicht konsumiert. Der finanzielle Verlust (557 Fr. pro Person und Jahr) ist höher als beim Fleisch (361 Fr.). Die Verschwendung der reichen Länder entspricht ungefähr der Hälfte der gesamten Nahrungsmittelproduktion des südlichen Afrikas. Die Totalität der weltweiten Vergeudung (1.4 Milliarden Tonnen von zerstörter Lebensmittel) würde genügen, um drei Viertel der armen Länder auf der Welt, die unter endemischer Unterernährung leiden, zu ernähren. (…) Die Prognosen beruhen oft auf Approximationen und Vergleichen. Wenn man den Vorhersagen der FAO oder des SIWI Glauben schenken will, entspricht der Gesamtverlust durch Verschwendung 55% der Landwirtschaftsproduktion der Welt: Die Hälfte des Ackerlandes würde umsonst bearbeitet. (…)
Der Krieg gegen die Verschwendung scheint erklärt zu sein. Wird er gegen einen anderen heimtückischen Krieg, der sich im weltweiten Chaos abspielt, die Oberhand gewinnen, nämlich gegen den Wirtschaftskrieg der reichen Länder gegen die «Verdammten dieser Erde»?
- UNDP = das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen. In Brasilien, einem landwirtschaftlichen Grosproduzenten, umfasst die Verschwendung 64% der Nahrungsmittel (12 Milliarden Dollar), das UNDP unterstützt das Programm «Kein Hunger», das 44 Millionen Menschen betrifft.
- MEDDTL = Ministerium Umwelt, nachhaltige Entwicklung, Transport, Wohnungen.
- INRA = Landwirtschaftliches nationales Forschungsinstitut; CIRAD = Zentrum für internationale Zusammenarbeit und Landwirtschaftsforschung für die Entwicklung.