Land unter Plastik. Die soziale Wüste Andalusiens

von Monika Kalcsics, 01.09.2010

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In Andalusien herrscht Gemüsehochsaison. Täglich verlassen 1.000 Lastkraftwagen den Süden Spaniens, vollbeladen mit Gurken, Auberginen, Paprika und Tomaten. Ihr Ziel sind Supermarktketten, mehr als 2.500 Kilometer entfernt. Doch die Geschäfte gehen schlecht. Der Grund: Marktübersättigung.

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In Andalusien herrscht Gemüsehochsaison. Täglich verlassen 1.000 Lastkraftwagen den Süden Spaniens, vollbeladen mit Gurken, Auberginen, Paprika und Tomaten. Ihr Ziel sind Supermarktketten, mehr als 2.500 Kilometer entfernt. Doch die Geschäfte gehen schlecht. Der Grund: Marktübersättigung. Die Folgen: Die Unternehmer resignieren und verkaufen bereits teilweise ihr Land, und die Pflückerinnen und Pflücker, die ohnehin unter unmenschlichen Bedingungen ihre Arbeit um einen Hungerlohn verrichten, werden arbeitslos.

Die Provinz Almería - der Welt größter Wintergarten: Keine Grenzen zwischen Plastik, Wasser und Horizont. Nur die Berge der Sierra Nevada stoppen seine Ausdehnung.

Ein Meer aus Kunststoff

Zwischen den Städten El Ejido und der Provinzhauptstadt Almería versteckt sich die Erde. Die Sonnenstrahlen knallen auf ein weißes Plastikmeer. Die Landschaft ist verschwunden. Plastikhallen wohin das Auge reicht.

Wenn man eine dieser Plastikhallen betritt, sieht man Auberginensträucher, die sich in Reih und Glied an Drahtseilen gleichmäßig in die Höhe recken. Exakt verlaufende dünne Wasserschläuche tränken den Boden - eine Decke aus einer künstlichen Humusschicht. Überall stehen hoch technologisierte Heizungsanlagen für die kalten Tage. Dennoch scheint alles still zu stehen, denn Menschen sind keine zu sehen.

Die Kleinunternehmer investierten in modernstes Know-how, um am Markt bestehen zu können. Offensichtlich vergeblich ...

Niemand macht bei uns Geld Der agro-industrielle Kleinunternehmer José Manuel Gutierrez ist verbittert: "Am vergangenen Donnerstag und Freitag habe ich die geernteten Auberginen wegschmeißen müssen. Und da liegt die Paprika, die ich morgen wegwerfen werde", sagt er resignierend. Kein Einzelfall. An nur einem Tag wurden in der Region von Almería 500.000 Kilogramm Gurken vernichtet - von Baggern zum Verrotten auf einen Haufen geworfen. Der Grund: Das Gemüse wird nicht gebraucht, der Markt ist gesättigt.

Die EU hat am 1. November die Einfuhr von 5.600 Tonnen Paprika aus Marokko genehmigt. Dort sind die Arbeitskräfte billiger: "Der Markt richtet sich eben nach Angebot und Nachfrage", stellt der Chef des Großverteilers Agrupaejido, Augustiín Penín dazu fest. Und er meint weiter: "Ich habe Preise aus Deutschland und Österreich von der letzten Woche. Da verkaufen sie das halbe Kilogramm Gurken um 19 Cent. Wenn man von den 19 Cent die Kosten für den Transport, für die Verpackung und für die Arbeitskraft abzieht, erkennt man, dass niemand bei uns Geld macht", klagt er.

Kein Wunder, dass einige bereits das Handtuch geworfen und ihr Land verkauft haben. Das Leid der Unternehmer ist aber vor allem auch das Leid der Pflückerinnen und Pflücker, die unter kaum vorstellbaren Bedingungen ihre Arbeit verrichten und durch die Ausfälle entweder arbeitslos geworden sind oder noch weniger bezahlt bekommen.

Menschen letzter Klasse
Insgesamt 96 Prozent der in der Landwirtschaft Beschäftigten in Almería sind Immigranten. Sie hausen in einem alten Steingehöft, dem so genannten "Cortijo", mitten im Plastiklabyrinth, eingekesselt von Plastikwänden in einer von Pestiziden geschwängerten Luft. Aus der Sicht des Bürgermeisters der Stadt El Ejido, Enciso Ruiz, ist das genau der Ort, wo sie hingehören. Die Arbeiter sollten in der Nähe der Treibhäuser wohnen, da würden sie sich die Transportkosten zum Arbeitsplatz ersparen.

Enciso Ruiz betreibt soziale Ghettoisierung und bekommt dafür auch Beifall von der lokalen Bevölkerung. Legendär ist auch ein TV-Auftritt von ihm. Da verlautete er: "In der Früh brauchen wir die Arbeiter, am Abend sind sie überflüssig". Nach seiner Meinung sollten sie wie eine betriebsbereite Landmaschine in ihren Plastikverschlägen bereitstehen, wenn man sie braucht.

Offene Rassendiskriminierung
El Ejido ist die drittreichste Stadt Spaniens mit 50.000 Einwohnern und 50 Banken. Die Hälfte der Bevölkerung kann weder lesen noch schreiben. Wenn Sonntag ist, kommen die Arbeiterinnen und Arbeiter aus ihren Plastiktunnels. An diesem Tag lässt der Bürgermeister seine Polizisten hoch zu Ross durch die Straßen ziehen. "Zur Sicherheit", sagt er. Und das mit gutem Grund ...

Im Februar 2000 ist die Situation in der Stadt nämlich schon einmal eskaliert. Nach rassistischen Übergriffen seitens der Bevölkerung und anschließendem Polizeieinsatz flohen dabei viele Immigranten aus Panik in die Berge. Es folgte ein Streik, der zwölf Millionen Euro Schaden pro Tag anrichtete. Damals kam es sofort zu Verhandlungen, bei denen viel versprochen, aber nichts gehalten wurde. Auch im Februar dieses Jahres wurde ein marokkanischer Landarbeiter beim Verlassen eines Cafés auf offener Straße von einer Bande erschossen. Niemand regte sich auf. Die Medien sprachen von Kämpfen im Drogenmilieu.

Moderne Sklaverei
"Europa muss wissen, was hier passiert", klagt die Menschenrechtsaktivistin Mercedes Garcia Fornieles an: "Ganz Europa isst Gemüse und Obst, das von Menschen gepflückt wird, die völlig entrechtet arbeiten und gedemütigt werden. Was hier passiert, ist moderne Sklaverei. Die Frauen arbeiten hier in zwei Schichten. Die Letzten hören um Mitternacht auf und gehen mit einem Stundenlohn von vier bis fünf Euro nach Hause".

Viele Unternehmer umgehen auch die Chancen ihrer Arbeiter auf einen legalen Aufenthaltsstatus, indem sie ihnen weniger Tage als tatsächlich gearbeitet in den Vertrag schreiben. Es kommt auch immer wieder vor, dass Arbeitsverträge um bis zu 3.000 Euro zum Verkauf angeboten werden.

Ein Leben unter Plastikfetzen
Am Rande der Treibhäuser beginnt sich ein von Plastikfetzen übersätes Ödland auszubreiten. An diesem Müllplatz steht eine Baracke - ein Plastikverschlag, den man eigentlich übersieht, wenn man nicht genau hinschaut. Windschiefe Holzgestelle stehen unter einigen wenigen Baumästen, die es hier gibt. Darüber geworfen sind Plastikplanen: "Darunter leben Menschen, immigrierte Landarbeiter aus Afrika", sagt der Marokkaner Abdelkader Shasha, der für die SOC, die einzige Landarbeitergewerkschaft, arbeitet:

"Die Leute arbeiten unter Plastik, schlafen im Plastik, sie kommen nie aus dem Plastik heraus. Wer kann das schon überstehen. Das macht jeden kaputt. Ich kenne einige, die geisteskrank geworden sind, nachdem sie hier ein paar Jahre gearbeitet haben - bei Temperaturen über 50 Grad, denn unter Plastik ist es immer doppelt so heiß wie draußen".

Unfassbare Zustände für die Arbeiter auch am Rande der Treibhäuser in ihren Wohnbaracken.

Ein Immigrant erzählt
Brachim, ein marokkanischer Immigrant, der mit seinem Bruder in einer jener Baracken haust, ist studierter Jurist und spricht drei Sprachen. Die Situation in Marokko habe ihn dazu gezwungen, seine Heimat zu verlassen, aber hier möchte er auch nicht bleiben:

"Die Chefs sind Rassisten. Wenn man ihnen sagt, man will einen Vertrag, verneinen sie mit den Worten: 'Ich will einen Illegalen. Der arbeitet viel mehr und ist billiger'. Der Mindestlohn für einen Tag Arbeit beträgt 37 Euro und 20 Cent. Die meisten, die man hier fragt, bekommen zwischen 20 und 30 Euro, manchmal noch weniger. Ich habe alles vergessen, was ich hatte und was ich wusste. Der Regierung sind ohnehin nur ungebildete Menschen recht. Und ich möchte auch alles vergessen. Das Leben ist nichts wert. Das Beste ist: arbeiten, schlafen, auf den Tod warten und aus".

Brachim auf dem Weg zur Arbeit. Seit eineinhalb Jahren wurden er und sein Bruder von ihrem Arbeitgeber nicht bezahlt. Mithilfe der Landarbeitergewerkschaft will er nun klagen, denn allein hätte er keine Chance.

Zwischen Traum, Elend und Tod
Menschen wie Brachim, die versuchen, in einem klapprigen Boot das Meer zu überqueren, gibt es viele. Sie alle kommen mit einem Traum und landen meistens im Elend, wenn sie nicht - wie erst kürzlich - von marokkanischen Grenzpolizisten aufgegriffen und erschossen werden.

Die Meerenge von Gibraltar ist Europas größtes Massengrab. Es gibt eine Liste mit Namen von Menschen, die als Folge der europäischen Grenzpolitik gestorben sind. Seit 1997 sind in den Gewässern zwischen Marokko und Spanien nicht weniger als 4.000 Menschen umgekommen.


Dieser Beitrag befindet sich im Original auf der Website des Ö1 Journal-Panoramas https://oe1.orf.at/highlights/49334.html Mit freundlicher Genehmigung der Autorin.