Ein Bericht aus Jenin, West Bank, / Palästina
Während die ganze Welt besorgt nach Irak schaut, kaum ein Tag, wo nicht in irgendeiner Stadt willensstark gegen den Krieg manifestiert wird, läuft die Vertreibung und Vernichtung des palästinensischen Volkes ungebremst, fast unbemerkt, weiter.
Auch in Palästina – kein Tag wo es nicht Tote, Zerstörung und Verwüstung gibt. Wenn Bush weiß, wie man das Wort Terrorismus wirksam in die Welt hetzt, so weiß niemand besser als Sharon, wie man ihn anwendet. Knapp ein Jahr nach dem entsetzlichen Überfall der Israelischen Verteidigung Streitkräfte IDF (Israel Defense Force) auf das Quartier Hawashin in Jenin, waren wir eine viel zu kurze Woche Gast in Jenin.
Gast, bei der selben Familie wo die Zahnarztklinik ihres Sohnes vollständig ausgebombt und die gesamte Praxis kurz und klein zu Zahnstochern geschossen wurde, nur weil er und ein Angestellter von ihm, als Ärzte erste Hilfe in den Trümmern leisteten. "You know - for them we are all terrorists." sagt er heute. Leicht sarkastisch aber ohne Verbitterung.
Zur Erinnerung: Am 3. April 2002 überfiel die israelische Armee den seit 1948 von den damals Vertriebenen, aufgebaute und dicht bewohnte Bezirk Hawashin. Eine dicht bebaute Wohnfläche in der Größe etwa: Bellevue/ Pfauen/ Neumarkt/ Limmatquai.
Über 140 Gebäude, die meisten Mehrfamilienhäuser, wurden vollständig zerstört. Mehr als 200 extrem beschädigt. Ziel der IDF war, palästinensische Militante, welche für Selbstmordattentate verantwortlich gemacht wurden, festzunehmen oder zu erschießen. Was aber keineswegs die IDF legitimiert, internationale humanitäre Gesetze zu ignorieren. Auch die israelische Armee ist verpflichtet, alle erdenklichen Maßnahmen zu treffen, damit für die Zivilbevölkerung in keiner Weise Gefahr besteht.
Über 4000 Menschen wurden heimatlos. Über 50 palästinensische Frauen und Männer getötet. Und am Schluss – das Ganze fein säuberlich mit Planierraupen platt gewalzt.1
Heute – fast ein Jahr nach diesem sinnlosen Massaker, liegt immer noch eine seltsame Ruhe über diesem Ort. Aber die, die überlebt haben, nehmen Schaufel und Pickel zur Hand. Reparieren die Stufen zum ersten Stock. Heben Fugen wieder ins in Lot.
Der Markt überquillt von frischem Gemüse aus ihren Gärten. Früchte, Gewürze, Haushaltware, Trödel und die "neuste" CD, dröhnt volle Pulle aus dem Verstärker. Der Muezzetin ruft von der Moschee und um fünf wird zugesperrt. Alles dicht gemacht. Nach Hause geeilt. Aufgezwungene Ausgangssperre. Jenin – eine Geisterstadt. Und dann – beginnt der Psychoterror. In Jenin kommen sie nur nachts und mit schwarz gefärbten Gesichtern. Jung. 18-20 Jahre alt. Sie halten die Panzerluken geschlossen. Und wenn sie abbiegen, biegen sie immer so ab, dass das Kanonenrohr gleich noch beim Eckhaus eine Bresche schlägt. In der Stadt fahren sie prinzipiell immer mit einer Raupe auf dem Trottoir. Dem entsprechend ist die gesamte Infrastruktur kaputt. Straßenbeleuchtungen. Hydranten und parkierte Autos. Alles – platt.
In Jenin sieht man sie nicht. Man hört sie nur. In Jenin kommen sie Nachts und wenn sie "früh" kommen, 22 bis 23Uhr, sind sie meist von Helikoptern begleitet Und davor fürchten sich die Bewohner. Es ist die immer wiederkehrende Angst vor einem zweiten Anschlag. Die Soldaten ballern dann an die Hauswände und über die Dächer. Sonst – kommen sie in der Früh um 4 Uhr bis es hell wird. Sie reißen mit Ihren Tanks den Asphalt auf. Kurven durch das Quartier. In die Gärten. Über die Oliven- Mandeln- und Orangenbäumchen. Dann treten sie dem Nachbarn mit den Stiefeln die Türe ein, reißen, Gewehr im Anschlag, die MS-Kranke Mutter aus dem Bett und verhaften den Sohn. "Terrorist". Dabei ist er erst 17. Keine Arbeit. Keine Zukunftsperspektive. Nicht raus. Nicht rein. Hat nur sich selbst, seine Familie und Palästina. Kein Gewehr. Keine Pistole. Nichtmal mehr Steine.
Die Stadt ist still. Keine Demos. Keine Aggressionen. Nur die Kinder spielen Krieg. Neben dem täglich steten Neubeginn sind die kriegstraumatisierten Kinder, Schüler und Jugendliche die größte Sorge von Jenin. Es sind die Streetworker die sich bemühen, die Eltern von Morgen zu entkriminalisieren.
Liebe Grüße aus Jenin. "bitte – erzähle ihnen draußen von uns. Wir brauchen kein Geld. Wir brauchen keine Hilfsgüter. Erzähle ihnen einfach von uns damit wir nicht vergessen werden! Thank you – thank you so much!" und noch ehe die Türe zum Shuttle-Taxi zuschlägt: " ... you are welcome. All your friends – everybody is heartely welcome.! ... please tell them"
Tscherina von Moos*
* Regisseurin, mit Thomas Bachmann, Radio LoRa, Zürich bei der Internationale Delegation vom 10. – 24. Februar 2003, organisiert von der GSOA-CH
- Ausführlicher Quellennachweis www.hrw.org