Am 29. November 2020 stimmte die Bevölkerung in der Schweiz über die Konzernverantwortungsinitiative (1) ab. Obwohl sich eine knappe Mehrheit der Stimmenden dafür entschied, dass Konzerne mit Sitz in der Schweiz für die von ihnen verursachten Schäden im Ausland zur Rechenschaft gezogen werden sollten, wurde die Initiative aufgrund des Ständemehrs (2) abgelehnt. Am Beispiel der Demokratischen Republik Kongo sehen wir, wie sich die Straflosigkeit der Konzerne auswirkt.
Als einen «geologischen Skandal» bezeichnete dereinst der belgische Geograph Jules Cornet (1865-1929) den damals durch sein Land kolonisierten Kongo – das spätere Zaire, die heutige Demokratische Republik Kongo (DRK) – und speziell dessen südöstliche Region Katanga. Gemeint war damit deren ungewöhnlicher Rohstoffreichtum; Cornet ging es konkret vor allem um Kupfer, doch alsbald verlängerte sich die Liste der Begehrlichkeiten um Kobalt-, Eisenerz-, Uran- und Diamanten-Vorräte.
Skandalös waren in Wirklichkeit natürlich die massive Zwangsarbeit und andere Verbrechen, welche die damalige Kolonialmacht Belgien im Kongo anwandte. Auch nach der Unabhängigkeit des Landes am 1. Juli 1960 blieben seine Rohstoffreserven die Ursache für ein Bündel von Problemen und brachten eher Leid und Unglück denn Wohlstand über breite Bevölkerungskreise.
An prominenter Stelle von sich reden machte dabei das britisch-schweizerische, 1974 von Marc Rich gegründete Rohstoffunternehmen Glencore (seit 2013: Glencore PLC), das seinen Hauptsitz aus steuerlichen Gründen in Baar im Schweizer Kanton Zug ansiedelte. Das Unternehmen, das weltweit rund 155.000 Beschäftigte zählt, ist häufig in Skandale verwickelt, u.a. in Kolumbien. Eine im Juni 2011 durch zwei christliche Entwicklungsorganisationen an die Schweizer Regierung gerichtete und von 30.000 Menschen unterzeichnete Petition sowie dazugehörige Presseaussendungen thematisierten die Rolle des Glencore-Konzerns, der im Jahr davor (2010) einen Umsatz von 145 Milliarden Dollar im Kongo verzeichnet hatte. Seine dortige Tochterfirma habe sich im Kupfer- und Kobalt-Abbau in keinerlei Weise um Arbeitsrechte gekümmert, profitiere von Kinderarbeit sowie weiteren Menschenrechtsverletzungen und verschmutze massiv die Umwelt, hiess es dazu. Glencore wies die Vorwürfe zurück: Man habe dort im Vorjahr 61 Millionen Euro an Steuern bezahlt und die angeprangerten Arbeitsbedingungen seien die von «Kleinschürfern», auf die man keinerlei Einfluss habe, da man keine Verträge mit ihnen unterhalte. Die Aktivitäten von Glencore waren zuletzt wieder Thema in der Schweiz. Am 29. November 2020 stimmte die helvetische Bevölkerung über eine Vorlage ab, die im deutschsprachigen Landesteil den Titel «Volksinitiative für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Menschen und Umwelt» trug. Fünf Wochen vor der Abstimmung berichteten «Brot für die Welt» und «Fastenopfer» in einer Pressemitteilung vom 21. Oktober 2020 über zwei Fälle im Süden der DRK, welche die dortige Tochterfirma von Glencore betreffen. Im einen geht es um die Ermordung des 23jährigen Mutombo Kasuyi. Ihn nahmen im Jahr 2014 Angehörige des Sicherheitspersonals, das direkt durch Glencore in Katanga beschäftigt wird, auf einer Strasse, die über Glencore-Gelände führt, im Umland der Stadt Kolwezi fest. Er verschwand daraufhin spurlos. Kasuyi und die beiden ihn begleitenden Freunde waren offensichtlich als „wilde Schürfer“, die ohne Erlaubnis Metallerze mitnehmen, eingestuft worden. Ein infolgedessen eingeleitetes Gerichtsverfahren wurde seit Jahren verschleppt, die Justizakte wurde Anfang 2020 verloren gemeldet. Beim anderen Fall geht es um den Unfall eines Tanklastzugs, der Schwefelsäure für die Kupfer-Abtrennung transportierte. 21 Menschen kamen dabei im Februar 2019 zu Tode.
Wäre die Abstimmungsvorlage angenommen worden, hätten die Angehörigen von Mutombo Kasuyi vor schweizerischen Zivilgerichten eine Schadensersatzklage erheben können. Hingegen würde der Zugang zur eidgenössischen Justiz den Hinterbliebenen der 21 Unfallopfer sowie sieben Schwerverletzten auch weiterhin versperrt bleiben: Hier waren die Verantwortlichen bei einem Subunternehmen und nicht direkt bei der Glencore-Filiale angestellt. Gemäss der Konzerninitiative hätte den Opfern der Gerichtsweg in der Schweiz jedoch offen gestanden, wäre ein Ausschliesslichkeitsverhältnis im Arbeitszusammenhang zwischen einem in der Schweiz ansässigen Unternehmen und dem Subunternehmen nachgewiesen worden. Dies war hier nicht der Fall.
Gewalt im Namen des Profits
Die DRK stellt derzeit 60 Prozent der Weltproduktion an Kobalt (mit 100.000 Tonnen im Jahr 2019) und 50 Prozent der bekannten weltweiten Reserven des Metalls. Die Nachfrage an ihm ist stark gestiegen, da der Rohstoff neben Lithium und Jod für die Produktion von Batterien für Elektroautos eingesetzt wird. Dadurch stiegen die Kobalt-Ankäufe, vor allem Chinas, rapide. Ein Artikel des französischen Wochenmagazins «Le Point» stellte Anfang Juni 2018 fest, der kongolesische Staat profitiere wenig von diesem strategischen Vorteil und bleibe in einer makroökonomischen Schwächesituation; er vermöge sich kaum gegen die Firmen zu behaupten. Wenn ein Kräftemessen stattfindet, fuhr der Beitrag fort, «dann eher zwischen der EU und den übrigen Industrieländern (…) als zwischen der DRK und den Ankäufern metallischer Rohstoffe».
US-amerikanische ebenso wie chinesische Unternehmen trügen zu Gewalt und Instabilität bei, schlossen die Wirtschaftswissenschaftler Nicolas Berman, Mathieu Couttenier, Dominic Rohner und Mathias Thoenig in einem im Juni 2017 publizierten Artikel in der «American Economic Review», da sie – anders als einheimische Unternehmen – nicht von vornherein Verbindungen zu lokalen Protagonisten verfügten. Ihren «Eintritt» in das lokale Wirtschaftsgeschehen müssten sie sich erkauften und täten dies oft, indem sie bewaffnete Milizen und andere Gewaltakteure direkt oder indirekt ko-finanzierten. Die Autoren teilten den ganzen afrikanischen Kontinent in Zonen von 55 auf 55 Kilometer ein und untersuchten eine Korrelation zwischen Gewalt und internationalen Bergbauunternehmen. Deren Rolle auf die Zunahme von Gewalthandlungen sei deutlich, schlussfolgerten sie. Die Nichtregierungsorganisation «Global Witness» illustrierte dies konkret am Beispiel der Goldproduktion in der kongolesischen Kriegsprovinz Süd-Kivu.
Menschliche Packesel
Umgekehrt sind die Arbeitsbedingungen, etwa auch im Hinblick auf Kinderarbeit, oft bei einheimischen Bergbau- oder Subfirmen, die den internationalen Unternehmen zuarbeiten, (…) oft schlechter. Dies gilt besonders für den Kobalt-Abbau in der DRK, denn dieser erfolgt oft in kleindimensionierten Bergwerken. Insgesamt arbeiten über zwei Millionen Menschen im «informellen» Bergbausektor in der DRK, in denen Kobalt, Zinn, Gold oder Wolfram gefördert wird, schätzt etwa die Hilfsorganisation Ökumenisches Netz Zentralafrika (ÖNZ); man spricht auch von «handwerklichem» oder «artisanalem» Abbau, vom englischen «artisanal mining» hergeleitet. Aufgrund ihrer Körpergrösse und besonderen Abhängigkeit kommen dabei oft Kinder zum Einsatz. Die Arbeit erfolgt meist mit den Händen und ohne Schutzkleidung. Kinder arbeiten oft für umgerechnet 0,75 Dollar pro Tag als eine Art menschliche Packesel, sie tragen kobalthaltige Steinbrocken aus den oft niedrigen Stollen bis zu den Produktionsanlagen, in denen die Abtrennung des Metalls erfolgt. Kommt es zu Unfällen, schieben die Bergbaufirmen als ökonomische Nutzniesser die Schuld auf die «illegalen Schürfer», von denen es dann heisst, diese hätten am Ort ihrer Tätigkeit eigentlich nichts zu suchen gehabt.
Bei Stolleneinbrüchen oder infolge von Regenfällen kommt es dabei oft zu Verschüttungen, die mitunter zahlreiche Tote fordern oder Querschnittsgelähmte zurücklassen. In einem zur Glencore-Tochterfirma „Kamoto Copper Company SARL“ (KCC) (3) gehörenden Bergwerk starben so am 27. Juni 2019 in der Nähe von Kolwezi mindestens 43 Menschen beim Einbruch zweier Tunnel, laut Zahlen des Senders Al-Jazeera. Dies brachte ans Tageslicht, dass rund 2 000 Menschen, die formal von niemandem angestellt, sondern angebliche Unternehmer ihrer eigenen Arbeitskraft sind, täglich in das Bergwerk der KCC strömen, wie etwa die Luzerner Zeitung am Schweizer Stammsitz von Glencore daraufhin berichtete. Bei ähnlichen Grubenunglücken starben mindestens dreissig Menschen am 13. Dezember 2019 in einem Goldbergwerk in der kongolesischen Provinz Haut-Uélé und 31 Menschen starben in der Provinz Bukavu innerhalb derselben Woche (7. bis 14. Dezember 2019) in mehreren Gruben infolge von Regenfällen.
Verantwortung einfordern
Gewerkschaftlich organisieren können sich diese Beschäftigten nicht; formal weisen sie ohnehin zumeist keine Arbeitsverträge auf, sondern sind informell beschäftigt. Die Organisationsmacht der Gewerkschaften der Dachverbände CSC und CDT im Kongo beschränkt sich weitgehend auf den öffentlichen Dienst sowie die katholischen Privatschulen und reicht jedenfalls nicht in den «informellen» Sektor. Allerdings schreibt das kongolesische Bergbaugesetzbuch («Code minier») schon seit 2002 vor, dass Kleinschürfer sich in «Kooperativen» zusammenschliessen müssen. Dies soll theoretisch eine kollektive Interessenvertretung ermöglichen, aber auch eine Besteuerung ihrer Aktivitäten. In der Praxis erlaubt dieser Mechanismus jedoch keineswegs eine Verteidigung ihrer Interessen, weil innerhalb der Kooperativen strikte Hierarchien herrschen und an ihrer Spitze Provinzgouverneure oder Militärs stehen. Um einer Flucht internationaler Auftraggeber aus ihrer Verantwortung vorzubeugen, wurden im November 2010 die Norm «ISO 26000» angenommen, im Mai 2011 die überarbeiteten OECD-Richtlinien für multinationale Unternehmen und im Juni 2011 die (im Folgejahr verstärkten) UN-Grundsätze für Unternehmen und Menschenrechte. Doch 2014 kam „Global Witness“ zum Ergebnis, diese Texte seien bis dahin weitgehend folgenlos geblieben. In der DRK wurden sie nicht in eine spezifische nationale Gesetzgebung umgesetzt, auch wenn Umwelt- und Bergbaugesetzgebung («Code minier») ihnen entsprechend angepasst wurden, wie Camille Ngoma Khuami in einem Artikel im Jahr 2015 in der Zeitschrift «KAS African Law Library» herausarbeitete. 2017 kam die Konfliktmineralien-Verordnung der EU hinzu.
Stärkeren Einfluss schienen Selbstverpflichtungen einzelner Unternehmen – und sei es aus Imagegründen – sowie nationale Gesetzgebungen in den Herkunftsländern der Konzerne zu nehmen. So, ebenfalls im Hinblick auf die Rohstoffgewinnung in der DRK, die Sektion 1502 des im Juli 2010 verabschiedeten US-amerikanischen Verbraucherschutz- und Finanzaufsicht-Bundesgesetzes „Dodd-Frank Act“. Es verpflichtet Unternehmen zur Transparenz über die Herkunft ihrer Ausgangsstoffe. Der US-Konzern Apple verpflichtete sich 2017, die Namen seiner Lieferanten von Kobalt aus der DRK zu publizieren, was durch die Menschenrechtsorganisation „Amnesty international“ umgehend begrüsst wurde. Ende Februar 2019 kündigte Apple, das der «Responsible Minerals Initiative» (RMI) beigetreten war, eine Verstärkung seiner Selbstverpflichtungen auf diesem Gebiet an. Dies verhinderte nicht, dass auch Apple weiterhin von Ausbeutungspraktiken in der DRK profitiert. Am 16. Dezember 2019 berichtete die britische Tageszeitung „The Guardian“, dass die Menschenrechtsorganisation „International Rights Advocates“ in der US-Bundeshauptstadt Washington D.C. im Namen von 14 kongolesischen Familien getöteter oder schwerverletzter Kinder Klage gegen mehrere internationale Konzerne mit Sitz in den USA erhob, weil diese von Kinderarbeit in der DRK profitierten. Zu den Beklagten zählt Apple, neben Dell, Google, Microsoft und Tesla.
Ebenfalls in den USA drohte der damalige Präsident Donald Trump jedoch bereits 2017 damit, die Anwendung der Sektion 1502 des „Dodd-Frank Act“ per Bundesdekret auszusetzen. Dazu kam es formal nicht, doch die Aufsichtsbehörde SEC verwässerte infolge der Ankündigung ihre Kontrolle und sanktionierte seitdem Verstösse nicht länger.
Wir können nur hoffen, dass unter der künftigen US-Administration ein anderer Wind wehen wird! Und auch wenn die Schweizer Volksinitiative für Konzernverantwortung offiziell nicht angenommen wurde, hat die Mehrheit der Bevölkerung dafür gestimmt – darauf können wir bauen und die mörderischen Konzerne weiterhin mit ihrer Verantwortung konfrontieren.
Bernard Schmid, Journalist und Anwalt, Paris
- Siehe Archipel Nr. 296, Oktober 2020
- Die Mehrheit der Kantone
- Das französischsprachige Kürzel SARL entspricht einer deutschen GmbH (Gesellschaft mit beschränkter Haftung).