«Öko-Terrorismus» lautete in Frankreich in den ersten Novembertagen das Reizwort der Woche. Es wurde durch Innenminister Gérard Darmanin geprägt und bezog sich auf Vorfälle bei einer Demonstration gegen den Bau von sechzehn Wasserrückhaltebecken in Sainte-Soline.
Die Auseinandersetzungen im westfranzösischen Département Saint-Soline sind nicht beendet, sondern dürften in Wirklichkeit erst begonnen haben. Es geht dort um die Verhinderung eines umweltgefährdenden Grossprojektes in Gestalt von Wasserrückhaltebecken, die aus den Grundwasserreserven gespeist werden sollen; insgesamt sechzehn grössere Reservoirs sind geplant. Deren Inhalt soll der Intensivlandwirtschaft zur Verfügung stehen, insbesondere dem Maisanbau, welcher aufgrund seines besonders hohen Wasserverbrauchs in Zeiten des Klimawandels und damit zusammenhängender Dürreperioden zunehmend umstritten ist. Aktuell hält die im Dezember vergangenen Jahres in Frankreich ausgebrochene Trockenperiode immer noch an, und 85 Prozent des französischen Staatsgebiets unterliegen nach wie vor Restriktionen beim Wasserverbrauch gegenüber mehr als 90 Prozent im Spätsommer.
Agrarexpert·inn·en favorisieren mittlerweile oft eine Umstellung der Landwirtschaft etwa auf den Anbau genügsamer Getreidearten wie Sorgho, einer in Afrika viel genutzten Hirsesorte, um sich den Erfordernissen des Klimawandels anzupassen. Mais gilt jedoch als Gewinn versprechend, ohne hohen Investitionsaufwand, und wird in der Intensivtierhaltung wiederum zu Futterzwecken verwendet.
Nur sechs Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe in dem westfranzösischen Département, also rund 100 von insgesamt 1800, würden Nutzen aus den Rückhaltebecken ziehen, die wiederum die Grundwasservorräte weiter aufzuzehren drohen. Überdies wird das bei Tourist·inn·en beliebte und für die Artenvielfalt wertvolle Feuchtgebiet der «marais poitevins» dadurch gefährdet. Da die Baumassnahmen zugleich überwiegend durch die öffentliche Hand finanziert werden, jedoch privatwirtschaftlichen Zwecken dienen und einem bestimmten, umstrittenen Typ von Landwirtschaft zugutekommen, herrscht auch in unmittelbarer Nachbarschaft Unmut darüber.
Ein Landwirt, der selbst Getreide anbaut und einen wenig wasserintensiven Betrieb führt, stellte den Protestierenden deswegen sein Gelände zur Verfügung. Bis zum 19. Mai kommenden Jahres, wie er gegenüber den Medien immer wieder betont, da ab dem 20. Mai für eine dreimonatige Brutzeit örtliche Vogelschutzmaßnahmen in Kraft treten und das Gebiet dann vor menschlichem Zutritt geschützt wird. So lange werden jedoch Protestcamps auf seinem Acker bleiben können, die vor dem Zugriff der Sicherheitskräfte geschützt sind, da der Landwirt als Eigentümer das Hausrecht innehat.
Der Bauzaun liegt von dort, wo die Masse der Protestierenden campierte und sich zur Auftaktkundgebung sammelte, rund anderthalb Kilometer entfernt. Den Demonstrationszug von rund 8000 Menschen hingegen hatte die Präfektin – die Vertreterin des Zentralstaats in der Kreishauptstadt – vorab verboten, wobei die Verbotsverfügung bekannt wurde, als viele der Teilnehmenden sich bereits auf der Anreise befanden. Vor diesem Hintergrund versuchten starke Kräfte von Polizei und Gendamerie – 1500 bis 1600 Beamte waren zusammengezogen worden – den Übertritt vom privaten Grundstück zum Baugelände zu verhindern und den Bauzaun abzuschirmen. Dieser wurde unter Einsatz von Knüppeln und Tränengas geschützt. In Reaktion darauf kam es zu Würfen von Gegenständen. Insgesamt wurden laut Angaben der Regierung um die sechzig Gendameriebeamte verletzt, hingegen sprachen Protestbeteiligte umgekehrt von sechzig verletzten Demonstrationsteilnehmer·inne·n.
Darmanin prägte vor diesem Hintergrund seinen Ausdruck vom angeblichen «ökologischen Terrorismus», in Anlehnung an eine Debatte in den USA in den 1980er und 1990er Jahren. Dort ging es allerdings damals um Gruppen, die etwa bei «Tierbefreiungsaktionen» tatsächlich auch Waffengewalt einsetzten. In Frankreich wiesen im aktuellen Kontext, in dem es um so genannte Demonstrationsstraftaten, aber in keinem Falle um potenziell tödliche Gewalt oder auch nur um Straftaten gegen unbeteiligte Dritte ging, viele Medien- und Oppositionsvertretende deswegen das Gerede von «Terror» zurück und erklärten, dass dies reale Terrorismusopfer wie diejenigen des Bataclan in Paris verhöhne.
Applaus für das Vorgehen des Innenministeriums kam hingegen von der Rechtsopposition, von der konservativen Partei Les Républicains, aber auch dem rechtsextremen Rassemblement national (RN), welches sich zwar gerne als Protestpartei inszeniert, jedoch eine französische, nationale Intensivlandwirtschaft – Umweltschäden hin oder her – grundsätzlich für eine gute Sache hält. Dessen Abgeordnete Edwige Diaz stellte jedenfalls bei einem Interview klar: «Ich unterstütze weder die Anliegen noch die Methoden der Protestierenden.»
Von der linken Seite hingegen nahmen sowohl die linkspopulistische Wahlplattform LFI (La France insoumise, «Das unbeugesame Frankreich») als auch die grüne Partei EE-LV an der Demonstration in Saint-Soline teil. Die grüne Abgeordnete Lisa Belluco wurde selbst durch Gendameriebeamte bedrängt, geschubst und leicht verletzt, obwohl sie sich zum Zeitpunkt des Geschehens rund einen Kilometer vom Bauzaun entfernt befand.
Die Teilnahme der Mandatsträgerin an einer verbotenen Demonstration gab wiederum zu einer Kampagne in bürgerlichen Leitmedien Anlass, welche die mangelnde Staatsloyalität von Gewählten monierten. Bei den Privatfernsehsendern RMC und BFM TV etwa liefen den gesamten 1. November – Allerheiligen ist in Frankreich ein gesetzlicher Ruhetag – hitzige Talkshowdebatten zu genau dem Thema. Der etablierte Politikjournalist Benjamin Duhamel stellte etwa den vernünftigen deutschen Grünen, die durch Regierungsbeteiligung so viel erreicht hätten, die, in seiner Darstellung, gefährlich am Abgrund wandelnden Mitglieder der französischen Ausgabe der Ökopartei entgegen. (...)
Im Vorfeld des Klimagipfels COP27 nahmen auch in Frankreich Aktionen von Umwelt- und Klimaaktiven zu. So wurde mehrfach die Pariser Ringautobahn blockiert, und die Figur des britischen König Charles III im Pariser Wachsfigurenkabinett Musée Grévin bekam einen Tortenwurf ab. Auch die Klimabewegung traf unterdessen zwar nicht direkt, sondern indirekt der Terrorvorwurf. Das 2021 verabschiedete «Anti-Separatismus-Gesetz», das sich vorgeblich gegen radikalen Islamismus mittels Angriffs auf «Parallelgesellschaften» richtet, wurde seit September dieses Jahres gegen die gewaltlos agierende Klimaschutzbewegung Alternatiba in Stellung gebracht: Der Regionalpräfekt im westfranzösischen Poitiers will der dortigen grünen Ratshausregierung eine kommunale Subvention für Alternatiba verbieten. Dazu bemüht er das «Gesetz gegen Separatismus», weil dieses vorschreibt, NGOs und Vereine hätten auf dem Boden der «Werte der Republik» zu stehen. Aufrufe zu zivilem Ungehorsam sind in seinen Augen damit unvereinbar.
Nichtregierungsorganisationen hatten im Vorjahr vor einer stärkeren staatlichen Allgemeinkontrolle nach Verabschiedung dieses Gesetzes gewarnt. Was die Behörden dagegen in Saint-Soline vor allem befürchten, wäre die dauerhafte Installierung eines Protestcamps von Platzbesetzer·inne·n im Stile der ZAD («Zu verteidigende Zone»), die fünf Jahre lang die Widerstände gegen das Vorhaben eines gigantischen Flughafenausbaus in Notre-Dame-des-Landes in der Nähe von Nantes begleitet haben – das Vorhaben wurde verhindert; die Regierung gab es 2018 auf.
Den letzten Toten bei einer Demonstration gab es in Frankreich mit Rémy Fraisse im Oktober 2014 ebenfalls aus Anlass eines ökologischen Protests gegen eine kritikwürdige Wasserpolitik, dessen Hintergründe mit dem jetzigen zu vergleichen sind.
Bernard Schmid