„Die Grenzen zwischen der Schweiz, Deutschland und Frankreich stellen für viele Menschen unüberwindbare Hürden dar. Im politischen und polizeilichen Visier ist die grenzüberschreitende Flucht und Migration. An der Grenzlinie wurde in den letzten Jahren ein mehrstufiges Kontrollsystem eingerichtet. Längs der Grenzen wurden 'Hinterland'-Kontrollen installiert, Videosysteme mit Infrarot – Anlagen aufgebaut, gemeinsame Patrouillen und Datensysteme eingerichtet. ...Wir, Menschen in der Nordschweiz, im Elsass und in Baden, lehnen die Kriminalisierung von Menschen auf der Flucht und Wanderung ab. Wir lehnen die hier stattfindende soziale, politische, kulturelle und wirtschaftliche Ausgrenzung ab, die weitere Ungleichheit schafft. Die Bewegungen der Sans-Papiers in Frankreich, Deutschland und in der Schweiz machen die prekäre Situation von Rechtlosen sichtbar...“
In diesem Zusammenhang finden am 14./15. Juni 02 im Dreiländereck ein Grenzkonzert und Demonstrationen gegen Rassismus und Ausgrenzung statt.
Die Debatte zur Frage der Papierlosen im Dezember 2001 hat im eidgenössischen Parlament zu keinem konkreten Ergebnis geführt. Das Thema wird scheinheilig unter den Deckmantel des Schweigens gehüllt. Bis heute hält der Bundesrat an der Einzelfallbehandlung der Sans-papiers fest und bestätigt mit dieser Haltung eine Vogelstraußpolitik, die von wirtschaftlichen Interessen bestimmt ist. Während alles unternommen wird, um eine schnelle und umfassende Liberalisierung des Kapital- und Warenverkehrs zu erreichen, wird kein Aufwand gescheut, um über Polizeimaßnahmen, administrative Regelungen und elektronische Kontrollsysteme den Personenverkehr laufend einzuschränken.
Die gesamtschweizerische Koordination der Sans-Papiers organisiert die Karawane „Kein Mensch ist illegal“ vom 15. -23. Juni. Der Marsch führt von Basel über Delémont nach Bern und will das Signal der Dreiländereckdemonstration, aber auch die Inhalte und Forderungen der Sans-Papier Bewegung in die Bundeshauptstadt tragen. Während ca. einer Woche zu Fuß oder per Wagen wollen wir die Bevölkerung für die Anliegen der Sans-Papiers sensibilisieren, denn
Kein Mensch ist illegal, Menschen werden illegal gemacht
Wer sind „Sans-Papiers“? „Sans-Papiers“ sind Personen, die ohne juristisch geregelten Aufenthalt und ohne Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz leben.
„Sans-Papiers“ sind ehemalige JahresaufenthalterInnen, Saisonniers, StudentInnen oder geschiedene Eheleute, die ihre Aufenthaltsbewilligung verloren haben,
„Sans-Papiers“ sind Sexarbeiterinnen, Haushaltsangestellte oder abgewiesene AsylbewerberInnen, die nie einen legalen Status erhalten haben.
„Sans-Papiers“ sind Menschen, denen die Aufenthaltsbewilligung verweigert wurde (im Rahmen des Familiennachzugs) oder die diese aus verschiedenen Gründen (wie Scheidung, Arbeitslosigkeit, Misserfolg bei Examen etc.) nicht erneuern konnten.
Asylgesetz und Ausländerrecht führen zu Illegalisierung und Kriminalisierung von migrierenden Menschen
Vom Nutzen einer „Reservearmee“ und von den Eigeninteressen der PolitikerInnen.
„Papierlose“ sind kein Zufall: Die Wirtschaft nutzt die Vorteile dieses flexiblen Reservoirs billiger Arbeitskraft: Keine Minimallöhne, keine Sozialleistungen, keine Rechte, kein Schutz, der dem Profit mindern könnte. Die Behörden spielen mit, wenn der ökonomische und politische Nutzen garantiert ist. Profitiert wird auch im Reproduktionsbereich: Männer nützen die Anwesenheit von „illegalen“ Sexarbeiterinnen, Männer und Frauen die von „papierlosen“ Hausangestellten. Die Spaltung in „Legale“ und „Illegale“ verschärft die Konkurrenz zwischen den Arbeitnehmenden. Die Wirtschaft kann den Preis für die Arbeitskraft drücken...
Ohne Grund- und Menschenrechte Die „Sans-Papiers“ haben keine Möglichkeit, legal zu arbeiten oder eine Ausbildung zu absolvieren.
Die Kinder von „Sans-Papiers“ haben keine Garantie, die Schule besuchen zu können. Sie sind vom „guten Willen“ der Gemeinden und Lehrkräften abhängig.
Das Recht auf sichere und gesunde Arbeitsbedingungen bleibt den „Sans-Papiers“ verwehrt.
„Sans-Papiers“ zahlen Steuern und Beträge an Sozialleistungen, können diese aber nie beziehen.
Das Recht auf Schutz der Gesundheit gilt für „Sans-Papiers“ nur beschränkt, denn jeder Spitalbesuch kann eine Meldung bei der Fremdenpolizei und die Ausschaffung bedeuten.
Die völkerrechtlich garantierten Menschenrechte schützen die „Sans-Papiers“ nicht.
Das „Sans-Papiers“-Kollektiv
Wer als „Sans-Papiers“ an die Öffentlichkeit tritt und die Bevölkerung auf die prekäre Situation und Rechtlosigkeit aufmerksam macht, riskiert Repression. Wer als „Sans-Papiers“ für die Grundrechte kämpft, muss die Ausschaffung befürchten.
Seit Frühling 2001 machen auch in der Schweiz, wie in Frankreich, Spanien und Deutschland, verschiedene Kollektive von „Sans-Papiers“ zusammen mit UnterstützerInnen durch Kirchenbesetzungen und andere Aktionen auf ihre prekäre Situation aufmerksam. Die Kollektive unterstützen die „Sans-Papiers“ und andere MigrantInnen in prekärer Aufenthaltssituation im Kampf gegen die menschenunwürdige AusländerInnen- und Asylpolitik.
Das „Sans-Papiers“-Kollektiv fordert Grundrechte für alle!
Die politischen Forderungen der „Sans-Papiers“-Bewegung
Die „Sans-Papiers“, das „Sans-Papiers“-Kollektiv, die UnterstützerInnen fordern die kollektive Regularisierung und die umfassende Garantie der Menschenrechte für alle sich in der Schweiz aufhaltenden Menschen.
** - Für eine kollektive Regularisierung der „Sans-Papiers“
- Für einen sofortigen Stopp der Ausschaffungen
- Für den Schutz der Menschen- und Grundrechte für alle
- Für einen Mindestlohn von Fr. 3‘000.-
- Für die Aufwertung der lebens- und Arbeitsbedingungen aller!** Weitere Informationen:
Sans-Papiers Kollektiv Bern, Quartiergasse 17, 3013 Bern
Tel.: 078 812 48 96 /E-Mail: sans-papiers@netiquette.ch Treffen in Bern
Sans Papiers
Am 18./19. Mai organisierten das Europäische BürgerInnenforum und die nationale Koordination der Sans-Papiers Unterstützungsgruppen ein internationales Treffen in Bern. Es kamen über Hundert Vertreter und Vertreterinnen aus 11 verschiedenen Ländern. Nebst dem gegenseitigen Kennenlernen war eines der Hauptziele die Ansätze zu kollektiven Regularisierungen, die es in verschiedenen Ländern Europas gab, der schweizerischen Öffentlichkeit vorzustellen. Bisher weigern sich ja Bundesrätin Ruth Metzler und die Mehrheit des Parlaments standhaft auf die Diskussion darüber auch nur einzutreten. Wir werden in den nächsten Nummern von Archipel einige Interventionen des Treffens wiedergeben.