In Barcelona hat ein alternatives politisches Projekt das Bürgermeisteramt erobert. Der folgende Artikel erklärt den historischen Zusammenhang und die Herausforderungen für die sozialen Bewegungen zwischen Institutionalisierung und Aufbegehren. Teil 1.
Im Frühjahr 2015 gewann eine Partei, die noch nicht einmal seit einem Jahr bestanden hatte, «Barcelona en Comun» (BeC), die Kommunalwahlen. Ada Colau, Spitzenkandidatin, selbst ehemalige Hausbesetzerin und bekannte Figur in der Bewegung für Obdachlose, wurde mit ihrem Team, entstanden im Trubel der sozialen Kämpfe der letzten Jahre, zur Bürgermeisterin gewählt. Eine in der bisherigen politischen Landschaft unkonventionnelle Kandidatur. Einerseits reiht sie sich in die Tradition der Linken ein: sie wird von der kommunistischen Partei, den Grünen und von Podemos, der neuen Partei gegen Austeritätspolitik, unterstützt. Aber andererseits ist sie auch von der Praxis des populären Widerstands geprägt. Auch wenn die Welle der basisdemokratischen Kandidaturen die meisten grossen Städte des Landes wie Madrid, Saragossa, Valencia und viele weitere betrifft, so ist doch der Kontext der Kandidatur in Barcelona etwas Spezielles, in ihrem Ausdruck und den Perspektiven, die sich abzeichnen. Wie konnte eine Bewegung, die sich den vorherrschenden Werten des Kapitalismus entschieden entgegenstellt, in einer so wichtigen Metropole Fuss fassen? Und welche Möglichkeiten eröffnen sich in diesem ungewöhnlichen Zusammenhang? Um diese Situation zu erklären, werden wir hier einige Pisten erläutern, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Dieses neuartige politische Projekt ist nicht vom Himmel gefallen; es reiht sich in die reiche und komplexe Geschichte der Kämpfe der Stadt und des Landes ein.
Eine geschichtsträchtige Stadt
Zu allererst gibt es den sehr speziellen nationalen Kontext Kataloniens. In diesem Gebiet ist das «patriotische Gefühl» etwas Eigenes, da für Viele Katalonien eine Nation ohne Staat ist. Ein Gross-teil der Bevölkerung organisiert sich am Rande oder gegen den Zentralstaat Spanien. Das Verbot, Katalanisch zu sprechen während der fast vierzigjährigen Diktatur Francos, und der Widerstand dagegen prägt die soziale und politische Kultur des Landes. Zudem gibt es eine Vielfalt von Strukturen, die sich meistens in Form von Versammlungen abspielen und keineswegs nur im politischen Raum stattfinden, wie das öfter behauptet wird. Sie formen die kollektive Vorstellungswelt und betreffen soziale, kulturelle oder sportliche Aspekte des Landes. Sie sind eine prägende Kraft. Dies kann teilweise erklären, wieso hier ein fruchtbarer Boden für Misstrauen gegen Autoritarismus wie auch für kollektive Basisorganisationen vorhanden ist. Das berühmteste Beispiel ist wohl die bekannte und mächtige anarchogewerkschaftliche CNT, entstanden am Anfang des 20. Jahrhunderts. In Barcelona beteiligten sich die Anarchisten in der Sommerhitze von 1936 am Aufbau des Widerstands gegen den Faschismus und einer neuen Gesellschaft, gegründet auf Selbstverwaltung und Kooperation. Was eine unumgängliche Referenz in der revolutionären Geschichte bleibt, lässt tiefe und widersprüchliche Spuren im Bewusstsein zurück. Sie platziert im Herzen des geschichtlichen Gedächtnisses die Kraft und die Würde eines vereinten Volkes, das sich für den Kampf organisiert. Aber es ist auch für eine ganze Generation die traumatische Erinnerung des kollektiven Dramas der Niederlage der Antifaschisten.
In den 1970er Jahren und bis zu den 1980er Jahren - die franquistische Diktatur ist in Auflösung begriffen - sind die Befreiungsbewegungen der Arbeiter_innen, Feminist_innen, Ökolog_innen, Anhänger_innen der Unabhängigkeitsbewegung, Nachbar_in-nen sehr aktiv. Der politische Prozess der «demokratischen Transition» (oder je nach Gesichtspunkt auch «demokratische Transaktion») bezweckt die Begrenzung der politischen Konflikte. Ein Teil dieser Bewegungen wird in Institutionen kanalisiert und integriert. Die Widerspenstigen werden aufgefordert, sich einzureihen und den sozialen Pakt der liberalen Demokratie ohne jegliche Kritik zu respektieren und so die revolutionären Perspektiven, die sich auf den Ruinen des faschistischen Regimes abzeichneten, zu vergessen.
Aber das rebellische Barcelona existiert immer noch, und in der Mitte der 1990er Jahre entfachen sich soziale Konflikte vor allem um die Häuserbesetzerszene. Die manchmal gewalttätige Agitation um die «befreiten Räume» eröffnen neue Möglichkeiten und prägen weitgehend die antikapitalistischen Vorstellungswelten des Landes. Wenn sich manchmal auch die «Besetzungsbewegung» auf sich selbst zurückgezogen hat, in ein etwas trauriges Leben nur unter Militanten, so hat sie gleichzeitig durch ihre Kreativität, Entschlossenheit und Vielfältigkeit die Samen der Revolte in den Köpfen einer ganzen Generation ausgesät. Und um eines dieser besetzten Häuser, «Miles de Vivienda», werden später mehrere Leute die Kandidatur von «Barcelona en Comun» starten, sich zusammenschliessen und sich gemeinsam politisch organisieren.
Fortsetzung im nächsten Archipel.