Um den thermo-nuklearen Versuchsreaktor ITER1 ist es schlecht bestellt, schon bevor er aus dem Boden gewachsen ist. Ein wahnwitziges Projekt, das die Atomlobby in keinster Weise beherrscht, geprägt durch eine Anhäufung von Verspätungen, Problemen und Mehrkosten. ITER ist eine nicht mehr tolerierbare Verschwendung von öffentlichen Geldern. Frankreich sah sich schon als den Nabel der Welt und ist der Gelackmeierte. Das Monsterprojekt steuert auf ein kolossales Fiasko zu.
Trotzdem erstellte die Atomsicherheitsbehörde (ASN) am 6. November 2012 ein Gutachten zu Gunsten einer nuklearen Ausstattung des ITER in Cadarache, nahe der Stadt Manosque in der Provence. Und per Dekret gab die neue rot-grüne Regierung Frankreichs definitiv grünes Licht für den Bau dieser nuklearen Einrichtung.
ITER ist ein unsägliches Tummelfeld für Politiker, die an unserer Stelle und mit unserem Geld Entscheidungen getroffen haben. Die öffentliche Debatte von 2006 fand sieben Monate nach der Unterzeichnung des internationalen Abkommens vom 28. Juni 2005 in Moskau statt. Hier wurde bereits beschlossen, dass ITER auf dem Gelände von Cadarache gebaut werden soll. Die öffentliche Debatte war reine Augenauswischerei. Sie drehte sich um die Risikoanalyse, die Herausforderungen des Projektes, aber nie darum, ob der Reaktor in Cadarache gebaut werden soll oder nicht. Diese Entscheidung war längst gefallen.
ITER ist zudem ohne Rücksicht auf die Natur realisiert worden. 90 Hektaren eines schönen Gemeindewaldes sind gerodet worden, um ein Gelände einzuebnen, damit es befahrbar würde. Auf 100 Kilometern wurde Land für eine Strasse planiert, um das Reaktormonstrum, in Einzelteile zerlegt, vom Meer nach Cadarache schaffen zu können. Eine Strassenschneise und gerodeter Wald sind kein schönes Symbol für die Zukunft. Wenn das Experiment bis zu seinem Ende durchgezogen wird, hinterlässt es mindestens 30 000 Tonnen radioaktive Abfälle und ungeheure Umweltschäden. Zur Zeit führen jedoch junge Hostessen die Besucher_innen über das Baugelände und malen alles in den schönsten Farben aus. 50 000 Besucher_innen waren bereits da, davon 3 500 Schüler_innen von der Grundschule bis zur Universität. Lügen verbreiten und die Leute propagandistisch bearbeiten kann die Atomlobby bestens. Doch wie steht es jetzt um das ganze Projekt? Hier eine Bilanz der Jahre 2006 bis 2012.
Budget gerät aus den Fugen
Seit es auf den Weg gebracht wurde, hat das Budget von ITER sämtliche Rahmen gesprengt. Die Kosten für den Bau haben sich bereits von ursprünglich vorgesehenen 4.5 Milliarden Euro auf heute 16 Milliarden verdreifacht und die Kosten werden noch steigen. Der Beitrag der Europäischen Union von ursprünglich 2.28 Milliarden Euro hat derzeit die 6.6 Milliarden überschritten. Frankreich sollte sich eigentlich mit 735 Mio Euro an den Baukosten beteiligen, der Betrag ist bereits auf 1.3 Milliarden angewachsen. Die regionalen Körperschaften im Südosten Frankreichs haben ihrerseits 467 Mio Euro ausgegeben.
Am 12. Dezember 2011 wurden nach etlichen Sitzungen des Beirates von ITER weitere 1.3 Milliarden für Arbeiten in den Jahren 2012 und 2013 bewilligt. Diese Einigung kam zwischen dem Europäischen Parlament und den einzelnen Ländern erst nach monatelanger Blockierung zustande, das zusätzliche Geld wurde auf Kosten anderer Projekte aus verschiedenen Posten zusammengeklaubt. Die Europäische Kommission, das Parlament und andere Mitgliedsländer wünschen, dass ab 2014 ITER von den einzelnen Staaten, unabhängig vom europäischen Budget, finanziert werden soll. Frankreich ist mit dem Entscheid selbstverständlich nicht einverstanden. Das Europäische Parlament hat einen zusätzlichen Beitrag von 650 Mio Euro für das Jahr 2012 bewilligt. Weitere 360 Mio Euro sollten noch für 2013 folgen.
Mängel bei den Bauarbeiten
Es ist nichts Originelles entstanden: Ein Verwaltungsgebäude von grössenwahnsinnigen 20 500 Quadratmetern Fläche und ein Montagegebäude. Die wesentlichen Gebäude sind kaum begonnen, etwa der «Tokamak-Komplex», der das Tokamak-Gebäude, das Tritium-Gebäude und das Diagnosegebäude umfasst. Sie werden auf ein Spezialfundament gesetzt wie auf das eines Reaktors. Das bedeutet 360 000 Tonnen von armiertem Beton auf einer Höhe von 73 Metern, davon 17 Meter unter der Erde. Kaum hatte das Giessen des Betons in der Grube begonnen, traten schon die ersten Schwierigkeiten auf: Es sind Risse im Flächentragewerk der Abstützung der Grube entdeckt worden.
Anlässlich einer Inspektion der Atomsicherheitsbehörde am 24.April 2012 verlangte diese von der «ITER-Organisation» eine Erklärung, um so mehr, als diese Mängel von den Baumeistern nicht als solche definiert worden sind. Es wird von der Aufsichtsbehörde «eine absolute Dichtheit des Fundamentes und der Abstützungen verlangt, um jegliches Aufsteigen von Grundwasser zu vermeiden»; ferner spricht diese Behörde von einer ungenügenden «Sicherheitskultur». Hiermit hat diese Institution bereits zum zweiten Mal ihre Unzufriedenheit über die Zustände geäussert. Am 26.Januar 2012 hat sie bereits bemängelt, dass die Verwaltung der «Unregelmässigkeiten» ungenügend sei. 493 Säulen stehen bis jetzt, um seismische Erschütterungen aufzufangen. Die nächste Etappe wird sein, die obere Hülle des Tokamak zu erstellen. Diese ist enorm wichtig, stellt sie doch die Eingrenzung radioaktiver Substanzen in ihrem Inneren sicher.
Kuhhandel der Politik
Es war der Minister für Umweltschutz, nachhaltige Entwicklung und Energie der rot-grünen Regierung, der am 9. November 2012 per Dekret grünes Licht für ITER in Cadarache gegeben hat. Dieses Ränkespiel erinnert an einen anderen Kuhhandel zwischen Sozialdemokraten und Grünen im Regionalrat des Südostens aus dem Jahr 2006, wo nach dem Motto «1 Euro für ITER – 1 Euro für erneuerbare Energien» ein Koffer voller Geldscheine gegen Stimmen für ITER gehandelt worden sind. Die Grünen hätten also 152 Mio Euro erhalten müssen. Tatsächlich haben sie lediglich 70 Mio Euro für einige kleine Ökoprojekte bekommen. Diese Koalition führt also zur Zeit die grosse nationale Debatte zur Energiewende. Die Anti-Atom-Koordination Süd-Ost entlarvte vor nicht langer Zeit, dass in der rot-grünen Suppe die selbe Atomlobby den makaberen Tanz anführt. Frankreich stellt den Ort zur Verfügung, gräbt die Löcher, stellt die Mauern auf und bezahlt den grössten Teil der Rechnung – immerhin ein Fünftel des europäischen Anteils. Von den Hochtechnologiemärkten hat es aber keinen erobern können.
Was die Schaffung von Arbeitsplätzen betrifft, sind wir noch weit vom grossen Wurf entfernt. Es sollen zwischen 2014 und 2017 maximal 3 000 bis 4 000 Jobs entstehen, vor allem für den Bau und die Montage, was sich allerdings erst noch weisen muss. Jedenfalls stehen die potentiellen Arbeitsplätze in keinem Verhältnis zu den Abermillionen Euro an öffentlichen Geldern, die hineingesteckt worden sind. Zudem werden dies zeitlich begrenzte, schlecht bezahlte Jobs ohne Zukunftsperspektive sein.
Tritium ist ein flüchtiger Stoff
Die Herstellung des ersten Plasmas ist auf ein immer weiter entferntes Datum hinausgeschoben worden: auf 2020, für Versuche mit Tritium auf 2027. Ein Trost in diesem ganzen Schlamassel ist, dass der besorgniserregende Ausstoss von Tritium2, einem gefährlichen radioaktiven Stoff, der die unangenehme Eigenschaft hat, aus allen ihn umschliessenden Behältern entweichen zu können, noch in weiter Zukunft liegt. Ich möchte hier nicht näher auf die Probleme des Fusionsreaktors eingehen, dieser ist das pure Gegenteil einer quasi unbegrenzten, sauberen, sicheren Energiequelle, wie es seine Befürworter_innen immer behaupten. Ich gebe hier lediglich Auszüge aus einem Appell wieder, den zwei japanische Atomforscher am 10. März 2003 verfasst haben: «Der Atomreaktor von Iter ist in Bezug auf Sicherheitsstandards und die Verseuchung der Umgebung äusserst gefährlich. (…) Tritium ist hochgiftig, 1 mg ist eine tödliche Dosis. (…) Die durch ITER freigesetzten Neutronen haben eine zehnmal höhere Energie als solche, die durch Kernspaltung entstehen. Durch sie werden die Mauern des Reaktors und die Baumaterialien radioaktiv, was 40 000 Tonnen Nuklearabfälle entstehen lässt. Die bisherige Erfahrung lässt befürchten, dass der Reaktor und die dazugehörigen Bauten erst nach mehreren hundert Jahren beseitigt werden können, da sie so stark radioaktiv sind, dass man sie einfach so stehen lassen muss. Als Folge daraus wird ein grosser Teil der Grundwasserschicht verseucht werden. Die verseuchte Fläche wird sich mit der Zeit noch ausdehnen, was eine extreme Bedrohung der Umwelt darstellt. Aus diesen Gründen, als Experten auf diesem Gebiet der Physik und auf Grund unseres Gewissens, sind wir vehement gegen einen Standort von ITER in Japan.»
Kommt nach ITER das Projekt DEMO?
Das theoretische Ziel von ITER ist, durch Kernfusion eine Energiemenge von 500 Megawatt zu erzeugen, indem man während gut 6 Minuten 50 Megawatt hineinsteckt. Als Folgeprojekt von ITER haben unsere Technokraten Pläne für ein Demonstrationsobjekt namens DEMO. Versuchen wir uns das Unvorstellbare einmal vorzustellen, um ihrem Drehbuch folgen zu können: Die Erfahrung von ITER wäre ein Erfolg (was ein Wunder wäre), weder die Umwelt noch die Bevölkerung sind durch austretendes Tritium verseucht worden (ein weiters Wunder). Wir befinden uns also nach aktualisierten Prognosen im Jahr 2040. Die nächste Etappe nimmt Form an: Das Projekt DEMO wird vorbereitet, es wird die Finanzierung abgeklärt und internationale Abkommen werden geschlossen. Vielleicht findet eine öffentliche Debatte darüber statt und das Projekt kommt durch. Bleiben wir bei diesem unverantwortlichen Optimismus und wagen uns an einen Zeitplan:
2050-2065 Bau von DEMO
2065-2085 Betrieb
2090-2110 Bau von einem oder zwei Fusionsreaktoren.
Wenn zum Optimismus der Wahnwitz hinzukommt, könnte die Produktion von Elektrizität mittels Kernfusion im 22. Jahrhundert Realität werden. Wenn man auf dem Teppich bleibt, sieht man, dass dies niemals realisiert werden wird. Dazu muss man wissen, dass die Latte für DEMO um Einiges höher hängt als für ITER. Der Reaktor ist um 15% grösser, das Plasma um 30% dichter und DEMO wird laufend zwischen 2 000 und 4 000 Megawatt an Elektrizität produzieren. Erst einmal müssen aber die schon bei ITER ungelösten Fragen geklärt werden, in erster Linie, wie man es schafft, im Inneren des Reaktors Tritium zu produzieren. Ein nicht ganz einfaches Problem. Trotzdem lässt das Unternehmen ITER verlauten, dass «der Betrieb von DEMO Anfang der 2030er Jahre beginnen kann und die kommerzielle Nutzung der aus Kernfusion erzeugten Energie für 2040 vorgesehen ist.»
Sicherlich profitiert das Militär. Es kann ganz konkrete Erkenntnisse über neue widerstandsfähigere Materialien gewinnen, aber auch über die Erhöhung der Schlagkraft. Vor allem das Tritium erhöht die Schlagkraft von Nuklearwaffen auf thermischer Basis (H-Bomben), die zerstörerischsten aller klassischen Nuklearwaffen. Da Tritium eine relativ kurze Halbwertszeit von 12.3 Jahren hat, müssen die Sprengköpfe regelmässig ausgetauscht werden. Frankreich produziert mit viel Aufwand pro Jahr ein Kilo Tritium in den zwei Reaktoren von Marcoule. Dieses wird aussschliesslich einer militärischen Nutzung zugeführt. ITER lässt den Traum von einer Massenroduktion von Tritium entstehen, was für das Militär von Interesse ist.
Eine unverantwortliche Wahl
Die 467 Millionen Euro hätte die Region besser in die dringende Entnuklearisierung von Cadarache gesteckt, wo seit langem eine klassische Atomanlage steht. Hier droht nämlich eine tödliche Gefahr, vor allem im Falle eines Erdbebens. Die Anlage befindet sich auf der aktivsten Verwerfung in Frankreich, und nur drei der 21 nuklearen Einrichtungen von Cadarache entsprechen den Normen der Erdbebensicherheit. Der immer wieder laut verkündete Slogan dass «die Sonne in die Büchse gesteckt wird» zeugt von einer ungeheuren Selbstgefälligkeit dieser ganzen Technokraten. Sie sollten einmal aus ihrem Elfenbeinturm herauskommen und den Blick gen Himmel richten. Dort scheint eine schöne Sonne und sie ist bei uns in der Provence besonders grosszügig. Wir nutzen nur einen winzigen Teil der Energie, die diese uns anbietet. Wenn das ganze Geld, das ITER bisher verschlungen hat, in die Entwicklung dieser sauberen und reichlich vorhandenen Energie gesteckt worden wäre, hätten wir einen bedeutenden Schritt in Richtung Energiegewinnung der Zukunft machen können. Ein wirklich zukunftsgerichtetes Projekt ist eines, das nützlich und erreichbar für alle Menschen in allen Ländern ist und nicht eines, das eine Gefahr für die kommenden Generationen darstellt. Dies war allerdings nie der Anspruch von ITER, trotz seiner marktschreierischen Slogans. Je komplizierter eine Sache ist, desto kleiner ist der Kreis derjenigen, die diese unter Kontrolle haben. Die Atomenergie, ob nun Kernspaltung oder Kernfusion, ist eine Energie der reichen Länder: schmutzig, komplex, zentralisiert. Sie führt zu Wucher, Abhängigkeit, Ungerechtigkeit und Kriegen. Wir wären schon seit langem fähig, dezentrale Energiequellen wie Sonne, Wind, Erdwärme usw. zu nutzen und dadurch z.B. in unseren Häusern energetisch unabhängig zu sein. Man hat sich nie für diesen Weg entschieden. All diese vergeudeten Milliarden an öffentlichen Geldern! Wie beschämend! Gleichzeitig geht man uns auf die Nerven mit der Krise und den Opfern, die alle zu erbringen hätten. Es sind doch gerade diese unsinnigen und destruktiven Entscheidungen, die bewirken, dass unsere Gesellschaft in der Krise steckt.
Die Illusion ITER
Der Mythos ITER will uns glauben machen, dass die Wunderlösung gefunden wird, damit wir weiterhin Energie verschwenden können, ohne unser Verhalten ändern zu müssen. Wenn wir eine Zukunft wollen, müssen die vorhandenen Reaktoren sofort heruntergefahren werden, bevor die nächste Katastrophe passiert, und nicht erst in 10, 20, oder 30 Jahren, wie es manche vorschlagen, die mit der Atomlobby verbandelt sind. Und wir müssen von allen Seiten Druck machen, um dem ruinösen und verlogenen ITER-Experiment ein möglichst schnelles Ende zu bereiten.»Iter» heisst auf lateinisch «Weg» - ein Weg, der nirgendwohin führt.
Quellen: CEA, ASN, ITER organization, ITER France
- ITER = International Thermonuklear Experimental Reactor, (siehe auch Archipel Nr.136, März 2006). Inzwischen das teuerste Experiment der Menschheit. Die Forscher_innen wollen die Bedingungen der Sonne auf Erden nachahmen und so eine unerschöpfliche Energiequelle schaffen. In dem Kernfusionsreaktor sollen die «schweren» Wasserstoff-Isotope Deuterium und Tritium zu Helium verschmelzen. Dabei soll ein Plasma entstehen, und bei extrem hoher Temperatur (über 100 Mio. Grad) soll es zur Kernfusion kommen. Energie und ein Neutron werden freigesetzt.
- Tritium = Wasserstoff-Isotop, wird künstlich in Schwerwasserreaktoren hergestellt (neben Frankreich z.B. in Kanada). Bis 2025 wird die weltweite Produktion von Tritium nur rund 27 Kilogramm betragen. Ein Fusionsreaktor braucht jedoch 200 Kilogramm – pro Jahr (!): ein unlösbares Problem, ausser es gelingt, das Tritium im Fusionsreaktor selbst entstehen zu lassen. Wie dies machbar werden soll, ist indes unklar.