Am 11. Oktober 2023 hat das Berufungsgericht in Reggio Calabria das erstinstanzliche Urteil mit seinen extrem harten Strafen gegen den ehemaligen Bürgermeister von Riace, Domenico Lucano, und die weiteren Angeklagten völlig umgestossen. Es kam zu einem Urteil, das endlich den Geschmack von Gerechtigkeit in sich trägt: 15 der 17 Angeklagten wurden bedingungslos freigesprochen.
Domenico Lucano wurde schlussendlich zu einem Jahr und sechs Monaten Haft auf Bewährung wegen eines geringfügigen Verwaltungsdelikts verurteilt, eine seiner Mitarbeiterinnen zu einem Jahr. Kein Vergleich zu den Urteilen der ersten Instanz: Am 30. September 2021 hatte das Gericht in Locri (Kalabrien) Domenico Lucano der Beihilfe zur illegalen Migration, des Betrugs, der Veruntreuung, des Amtsmissbrauchs und der Bildung einer kriminellen Vereinigung für schuldig befunden und wie einen Mafiaboss zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt. Zudem hätte er 500.000 Euro an die Regierung in Rom und an die EU zurückzahlen sollen. Ein Teil der Mitangeklagten war damals ebenfalls zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt worden. Jetzt war keine Rede mehr davon. Es stellte sich vielmehr heraus, dass Domenico lediglich ein Mann ist, der von einer gerechteren Welt träumt und diese in seiner Gemeinde Riace mit einem menschlichen Empfangsmodell für Geflüchtete ein Stück weit verwirklichen wollte.
Das Urteil des Berufungsgerichts sprach die Wahrheit aus, die wir bereits kannten. Jetzt aber war sie offiziell und endgültig: In Riace gab es nie eine kriminelle Vereinigung, auch keine Veruntreuung oder eines der anderen angeblichen Delikte! Alle diese Anschuldigungen waren gemäss den Richter·innen des Berufungsgerichts unbegründet.
In Riace waren Geflüchtete aufgenommen worden und das Dorf hatte der Welt gezeigt, dass dies möglich und sogar einfach ist: «Die Utopie der Normalität», wie Domenico diese Tatsache nannte. Im Gegensatz dazu wird Solidarität immer mehr als ein gefährliches Verbrechen von unseren Regierungen gehandelt, die gegen die angebliche Invasion von Migrant·innen kämpfen und Mauern und Gefängnisse errichten, um diese einzudämmen.
Der Verteidiger Giuliano Pisapia sagte: «Heute haben wir ein wichtiges Urteil gehört, ein Signal für wahre Gerechtigkeit nach so viel Ungerechtigkeit und Schmerz, nicht nur für Lucano, sondern für Riace als Ganzes.» Die Freude wird in der Tat durch das Leid getrübt, das die Angeklagten, das Dorf Riace, seine Einwohner·innen und die Geflüchteten während der erbitterten politischen und juristischen Hetze, die insgesamt fünf Jahre dauerte, erdulden mussten. Ein weltweit bekanntes Modell der Gastfreundschaft sollte zerstört werden, was teilweise gelang. Schulden waren die Folge; Geflüchtete mussten weiterziehen. Ganze Leben wurden durch Angst und die in Italien so bezeichnete «Schlamm-Maschine» der Verleumdungen zerrüttet. Einfache und solidarische Menschen wurden von der Dampfwalze der Ungerechtigkeit im Dienste der Ausgrenzungspolitik zermalmt. Wir wünschen jedoch Riace in der Emotion und der Freude des Augenblicks, dass alle nach diesem schrecklichen Albtraum wieder aufstehen können und wieder anfangen mögen zu träumen…
Barbara Vecchio, EBF