«Die Zukunft der italienischen Landwirtschaft kommt nicht am Bio vorbei». Dies war das Motto der meisten Veranstaltungen im Rahmen der landesweit stattfindenden elften «primavera Bio»1. Ist das nur Wunschdenken oder eine gründlich ermittelte Tatsache?
Die Untersuchungsergebnisse des Instituts der Dienstleistungen für den Landwirtschaftsmarkt, kurz ISMEA, lassen eher auf letzteres schließen. Nach ihren Ermittlungen nimmt der Verbrauch von Bio-Produkten zu, wenn auch nicht in allen Bereichen. Insgesamt ist mit einer aktuellen Bilanz von 3 Milliarden Euro seit 2009 eine Zunahme von 16,2 Prozent zu verzeichnen. Das macht Italien zu einem der führenden Länder, was die Produktion von Bio-Produkten betrifft2. Es verfügt über die zweitgrößte Fläche für biologischen Anbau, gleich hinter Spanien, und hat die meisten Biobauern in der europäischen Union. Diese Branche ist mit einem Anteil an der gesamten Landwirtschaftsproduktion von 3 Prozent keine ernst zu nehmende Konkurrenz für die herkömmliche Landwirtschaft, wird von jener jedoch langsam als eine Mögliche betrachtet. Bestimmt auch, weil die Biolandwirtschaft ihr Territorium gegen die Verschmutzung und Sterilisierung der Böden verteidigt, und dies insbesondere in Gegenden, wo kleine Betriebe um ihr Überleben kämpfen müssen.
Die Mehrheit der Bioproduzenten befindet sich übrigens laut ISMEA im Süden und der Mitte des Landes. Allein auf Sizilien und in Apulien befindet sich ein Viertel der biologisch bewirtschafteten Flächen. Die Verarbeitung findet hingegen zu über 60 Prozent im Norden statt. Diese Tatsache ist strukturell bedingt und hängt auch stark mit den Absatz- und Verteilmöglichkeiten für Landwirtschaftsprodukte zusammen.
Dennoch besteht die Gefahr, dass auch die Biolandwirtschaft industrialisiert wird und zum Teil dieselben Praktiken entwickelt wie sie in der herkömmlichen Landwirtschaft bestehen. Solche Großproduktionen beliefern Großhändler und Supermarktketten. Bei immer länger werdenden Wegen zwischen Produktion und Verarbeitung kann durch Exporte großer Gewinn erzielt werden, so dass diese Form von Produktion und Verarbeitung ihre dominante Stellung noch ausbauen kann. Um dieser Entwicklung entgegen zu wirken, bildet sich an vielen Orten und in vielen Bereichen Widerstand.
Im Süden, wo der Grundbesitz vielerorts aus kleinen und mittelgroßen Hofeinheiten besteht, bietet sich die Biolandwirtschaft geradezu an. Sie hat immerhin teilweise schon dazu beigetragen, von seinen ursprünglichen Besitzern verlassenes Land vor der Erosion zu schützen. Leider fehlt eine Interessenvertretung für solche Klein-Biobauern, ähnlich etwa der Confédération Paysanne in Frankreich. Unter dem Dach der AIAB (Assoziazione Italiana di Agricultura Biologica) findet sich alles Mögliche zusammen: Kleingärten, Stadtgärten, Ökodörfer oder landwirtschaftliche Genossenschaften. Die lokalen Stellen des AIAB organisieren allerdings auch kleine, von allzu viel Reglementen befreite Märkte oder Food-Koops, um den Umweg über den Großhandel zu vermeiden. Solche Initiativen sind oft vernetzt mit Gruppen, die sich für die Erhaltung der Biodiversität und der Ernähungssouveränität einsetzen.
Widerstand der Selbstversorger
Heutzutage kultiviert jede_r vierte Italiener_in einen Garten. 40 Prozent dieser 18 Millionen Gärten dienen dem Anbau von Früchten und Gemüse. Ein Drittel davon befindet sich wiederum im Süden und in Mittelitalien. Die meisten dieser Gärten, die an die alten Arbeitergärten erinnern, befinden sich an den Rändern der großen Städte. Umweltorganisationen, die sich für die Grünzonen an den städtischen Peripherien einsetzen, kämpfen hier gegen die Immobilienspekulation. Diese Gärten decken einen beträchtlichen Teil der Selbstversorgung ab und erzielen auf lokalen Märkten oft noch ein kleines Zubrot für die Familien. Solche Arten des Widerstandes sind nicht zu vernachlässigen, sie sind Teil der Wiederaneignung des Bodens und betreffen Tausende von Hektaren Land, das sonst dem städtischen Wildwuchs anheim fallen würde.
Auch Ökodörfer stemmen sich mit einer bemerkenswerten Radikalität gegen die Folgen der Krise im primären Sektor. Dies war zuletzt an einer internationalen Konferenz über die Wachstumsrücknahme3, die im September in Venedig stattfand, zu erleben. Zusammengeschlossen in der Organisation RIVE (Rete Italiana dei Villaggi Ecologici) und unterstützt durch die Revue Terra nuova organisieren sie friedlichen Widerstand gegen die Dampfwalze des Agrarkapitalismus. Zudem sehen sie ihre Funktion als kritische Beobachter_innen sowie als Laboratorien für Innovationen. Bis letzten Oktober sind, z.T. mit Unterstützung einer ethisch orientierten Bank4, 22 neue Projekte entstanden.
All diesen Projekten und Initiativen ist der Kampf für eine Alternative gemeinsam. Deren Themen sind der Kampf um Zugang zu Grund und Boden, Umweltschutz, kleinbäuerliche Landwirtschaft, Erhalt der Biodiversität. Dabei ist die größtmögliche Verbreitung von Informationen das wichtigste Kampfmittel. Das passiert in Form von Kampagnen und didaktischem Vorgehen. Es gibt eine Unzahl von Organisationen und Netzwerken, die in diesem Bereich aktiv sind. Vielen Leser_innen ist sicher die Slowfood-Bewegung bekannt, aber auch Erfahrungen, die Urlauber_innen in agrotouristischen Einrichtungen gemacht haben, bringen Menschen an Themen heran, mit denen sie sich noch nie befasst haben. Es gibt Labels zum ethischen Einkaufen und in vielen größeren Städten so genannte Bio-Sonntage, an denen sich Produzent_innen und Konsu-ment_innen kennen lernen und Gedanken austauschen können.
Eine grosse Vielfalt
All das vermittelt ein Bild von Italien, das bestrebt ist, die Landwirtschaft auf kleinbäuerlichen, kollektiv organisierten Strukturen abzustützen. Manche dieser kollektiven Unternehmen scheinen schon fast mit herkömmlichen, auf Großverteiler und Import-Export orientierten Unternehmen zu konkurrieren. Dieser Wettbewerb hat aber keinen Einfluss auf die Projekte selber, denn ihre Ziele sind das genaue Gegenteil: Sie setzen sich für eine gesunde Landwirtschaft, für Umweltschutz, soziale Beziehungen und Ernährungssouveränität ein. Einige Beispiele sind Valli Unite im Piemont, Agricultura Nuova in der Emilia Romana, Capodarco im Latium, oder Consortio Quarantina in Ligurien, Galline felici auf Sizilien und im Veneto, um nur einige zu nennen. Alle produzieren biologisch, besitzen Vielfalt in Produktion und Verarbeitung, sind lokal vernetzt und selbstverwaltet organisiert. Einige haben sich auf verlassenem Grund und Boden niedergelassen oder konnten sich sonst Land kollektiv aneignen.
Oft sind es ganze Netzwerke von kleinen Höfen, die zusammenarbeiten. La Quarantina ist zum Beispiel ein Zusammenschluss von etwa fünfzig Höfen und mehreren hundert Unterstützer_innen. Valli Unite betreibt neben dem Anbau von Wein, Getreide, Gemüse und der Tierzucht und verarbeitet diese Produkte, empfängt Gäste in einem Restaurationsbetrieb und beherbergt Feriengäste. Galline felici verarbeitet eine riesige Palette von Gemüse- und Obstkonserven, Gewürzen, Fleisch und Fisch. Sie halten die Kreisläufe klein, vorbei am häufig von der Mafia kontrollierten Grosshandel.
Viele zertifizieren sich selbst, durch den direkten Kontakt mit den Verbraucher_innen, vorbei an offiziellen Bio-Labels und Bürokratie. Dies klappt so gut, dass in etlichen Quartieren der Großstädte der Standort und die Uhrzeit der Verkaufswagen lediglich durch Mund-zu-Mund-Propaganda weitergegeben werden muss, und die Kundschaft steht schon da und wartet. Der Staat drückt ein Auge zu, der Rückhalt in der Bevölkerung ist zu groß.
Ein weiterer Bereich des Widerstandes sind Komitees, die sich gegen den Ausverkauf der Naturschutzgebiete wehren. Etwa zehn Nationalparks sind zurzeit durch Straßenbauprojekte, Verstädterung, Ölsuche, Militärstützpunkte und Verkauf durch den Staat bedroht. Diese Komitees machen gemeinsame Sache mit Initiativen, die um Biodiversität, freies Saatgut und gegen die Revision des Gentechnikverbots kämpfen. Oft ist die Vernetzung all dieser Formen des Widerstands erschwert durch die stark regional geprägten Strukturen des Landes. Es gibt jedoch mittlerweile einige Diskussionen, um hier eine breitere Vernetzung zu erlangen, zum Wohle der Umwelt und der Menschen.
- Volksfestartige Messen die in den meisten Regionen jährlich stattfinden
- Auf dem vierten Platz hinter Deutschland, Frankreich und Grossbritannien
- Unter den 785 Delegierten aus 47 Ländern waren auch Delegierte von italienischen Vereinigungen und NGOs.
- Die Banca popolare etica zählt 30.000 GenossenschafterInnen.