Mitten im Krieg legen Feinde ihre Waffen nieder und treten gemeinsam für Frieden ein. Nicht nur das macht die «Combatants for Peace» (Kämpfer·innen für den Frieden) weltweit einzigartig. Sie schaffen Raum für Begegnungen zwischen Menschen, die sich eigentlich abgrundtief hassen. Das kann Frieden wieder möglich machen und weiterer Gewalt vorbeugen.
Die «Combatants for Peace» sind eine bi-nationale Friedensbewegung, die 2006 von ehemaligen israelischen Soldatinnen und Soldaten und palästinensischen Widerstandskämpferinnen und -kämpfern ins Leben gerufen wurde. Es ist die einzige Organisation weltweit, in der bewaffnete Kämpfer·innen in einem anhaltenden Konflikt die Waffen niedergelegt haben, um sich gemeinsam für Frieden einzusetzen. Sie ist heute die grösste bi-nationale Organisation in Israel und in den Palästinensischen Gebieten – mit neun regionalen Gruppen, die alle mit israelischen und palästinensischen Menschen besetzt sind. Sie treten konstruktiv für ein Ende der israelischen Besatzung, für Gewaltfreiheit, für Gerechtigkeit und Dialog zwischen israelischer und palästinensischer Bevölkerung ein.
In den Monaten Februar und März 2024 unternahmen mehrere Mitglieder von «Combatants for Peace» Vortragsreisen mit anschliessender Diskussion in Deutschland, der Schweiz und Österreich. In Deutschland waren der ehemalige Intifada-Kämpfer Osama Elewat und der ehemalige israelische Soldat Rotem Levin unterwegs. In der Schweiz waren es Rana Salman, palästinensische Co-Direktorin von «Combatants for Peace» aus Bethlehem, und Yair Bunzel, Israeli und aktives Mitglied der gleichen Organisation aus Haifa. Es ging vor allem darum, die Bewegung vorzustellen, die sich gewaltfrei für Frieden und gleiche Rechte für Israelis und Palästinenser·innen engagiert, und um die Frage, wie dieses Ideal angesichts der aktuellen Gewalt hochgehalten werden kann. Chen Alon, israelischer Theaterregisseur, Mitgründer der «Combatants for Peace» erklärt: «Ich weiss nicht, wie eine friedliche Lösung aussehen wird: ein Staat, zwei Staaten, drei Staaten. Aber ich weiss, dass sie aussehen wird wie wir: Menschen aus Israel und Palästina, die sich gemeinsam und gewaltfrei für Gerechtigkeit einsetzen. Wir wissen, dass wir wahren Frieden nur erreichen können, indem wir die Menschlichkeit des Anderen anerkennen.»
Das Verbindende sehen
Die «Combatants for Peace» bauen auf die persönliche Begegnung. Bei sogenannten «In-House Meetings» treffen sich ehemalige Kämpferinnen und Kämpfer beider Seiten in privaten Wohnungen und erzählen sich ihre Geschichte. Zur alljährlichen «Memorial Day Ceremony» der Organisation kommen inzwischen mehrere tausend Menschen, um gemeinsam der Opfer des Konflikts zu gedenken. Die Erfahrung zeigt: Wer sich darauf einlässt, die andere Seite kennenzulernen, hinterfragt die eigene Sicht auf die Situation. Wer in einen echten Dialog tritt, entdeckt das Verbindende und sucht nach gemeinsamen Lösungen. Mit gemeinsamen Aktionen, darunter Theateraufführungen, Lesungen, Infoabenden und Führungen durch die besetzten Gebiete, bringen die «Combatants for Peace» Menschen in Kontakt, die sonst nur an Militärcheckpoints aufeinandertreffen. Mit Protestmärschen machen sie auf ihre Anliegen aufmerksam. Seit ihrer Gründung sind die «Combatants for Peace» aus tiefer Überzeugung der Gewaltfreiheit verpflichtet und haben viele hundert Aktionen durchgeführt.
Eine Entscheidung
Jedes Mitglied bei «Combatants for Peace» hat eine eigene Geschichte der inneren Wandlung zu erzählen. Jede dieser Geschichten ist Zeugnis dafür, dass die Spirale aus Hass und Gewalt durchbrochen werden kann. Krieg ist kein Schicksal, sondern eine Entscheidung – es gibt einen Ausweg, so festgefahren die Situation auch scheinen mag – das ist die feste Überzeugung der «Combatants for Peace». So ist auch die Zusammenarbeit in gemischten Teams gelebtes Beispiel dafür, dass ein friedliches Zusammenleben möglich ist.
«Ich habe nicht gegen Menschen jüdischen Glaubens oder Israel gekämpft, sondern gegen die Soldat·innen, die meine Familie angriffen,» sagt Osama Illiwat, Vorstandsmitglied der «Combatants for Peace» und Gründer der Organisation «Visit Palestine». Als Jugendlicher habe er deshalb Wut gegen den vermeintlichen Feind verspürt. Sein Zorn sei nicht ideologisch geprägt gewesen, sondern vielmehr eine Reaktion auf die Lebensumstände. Bereits als Kind erlebte er Einschüchterungen und Gewalt: «Jeden Tag standen Soldat·innen vor unserer Tür. Wir hatten Angst vor ihnen.» Der Palästinenser erzählt von Erfahrungen, die ihn geprägt haben. Zum Beispiel als Tränengas in seine Schule geworfen wurde oder als Soldaten seinen Vater schlugen. «Ich widersetzte mich diesen Soldat·innen, die meine Lehrer·innen, meinen Vater und mich kontrollierten. Meine Angst wurde zu Hass.»
Durch zivilen Ungehorsam, wie das Besprühen von Wänden oder das Hissen der palästinensischen Flagge, versuchte er sich ein wenig Freiheit zu erkämpfen. Als er die erste Flagge, die er provisorisch mit seiner Schwester bemalt hatte, im Wind wehen sah, war er stolz. Zum ersten Mal empfand er ein Gemeinschaftsgefühl. Nur wenige Tage später standen zwanzig israelische Soldat·innen vor seinem Haus und verhafteten den noch minderjährigen Osama Illiwat – denn die palästinensische Flagge galt zu dieser Zeit noch als gesetzeswidriges Symbol und das öffentliche Hissen stand unter Strafe. Es folgte ein Urteil ohne Anklage, die sogenannte «Verwaltungsgefangenschaft». Das Resultat: Er musste drei Jahre in ein israelisches Gefängnis. «Als ich aus dem Gefängnis kam, war mein erster Gedanke: Jetzt kämpfe ich erst recht!» Illiwat nahm daraufhin eine Anstellung bei der palästinensischen Polizei im Westjordanland an. Die Arbeit dort empfand er aber eher als Legitimation der Besatzung durch Israel und nicht als Schutz der palästinensischen Bevölkerung.
Unser Gegner ist das System
Während seines Studiums wurde Illiwat 2010 in Bethlehem auf ein Treffen von Friedensaktivist·innen aufmerksam gemacht. Als er dort auf jüdische Menschen traf, war er geschockt. «Ich dachte: Sie haben ihren eigenen Premierminister umgebracht, weil er ein Friedensabkommen aushandelte, wieso sollten sie sich auf einmal für Frieden interessieren?» Doch er irrte sich. Er lernte Menschen jüdischen Glaubens kennen, die heute seine Freunde sind. Menschen, die ihn inspirierten. Darunter war ein Pilot, der sich weigerte, Häuser in Gaza zu bombardieren. Dieser half Illiwat dabei, sein erstes Visum zu bekommen, sodass er ein ehemaliges KZ besuchen konnte. Der Palästinenser erkannte, dass sein Feindbild nicht das Judentum war, sondern etwas anderes: «Unser Gegner ist das System. Es möchte, dass wir gegeneinander kämpfen, um die Besatzung fortzusetzen. Wenn wir das System aufbrechen, können wir uns versöhnen, und wenn wir uns versöhnen, können wir Freunde werden.» Illiwat sieht den Prozess der Versöhnung aber auch als persönliche Herausforderung. Damit ein friedliches Zusammenleben möglich werden könne, müsse man sich in sein Gegenüber hineinversetzen und den Schmerz und die Traumata der anderen Seite verstehen. Seine Antwort auf die Frage, ob die Aktivist·innen auch auf Kritik stossen: «Bei öffentlichen Auftritten in Israel begegnen wir immer wieder Rechtsradikalen, die uns bedrohen oder anspucken.»
Freiheit, Würde und Rechte
Rana Salman ist eine palästinensische Christin, geboren in Jerusalem und aufgewachsen in der Stadt Bethlehem. 2020 trat sie den «Combatants for Peace» bei und ist derzeit palästinensische Ko-Direktorin der Organisation. Rana stammt von einer Flüchtlingsfamilie ab, die 1948 aus ihrem Haus in Haifa vertrieben wurde. Schon als junge Frau nahm Rana an Bildungs- und Dialogprogrammen teil, um mehr über die «Anderen» zu erfahren. Die meisten dieser Programme fanden im Ausland statt. 2014 nahm sie zum ersten Mal, gemeinsam mit palästinensischen und israelischen Frauen, an einer Expedition im Velebit-Gebirge in Kroatien teil. Rana betont, wie wichtig es gerade jetzt ist, die Vision von Freiheit, Würde und gleichen Rechten für Israelis und Palästinenser·innen zu verteidigen und die Kräfte auch unter den dramatischsten Umständen zu bündeln.
Yair Bunzel wurde 1962 in Haifa als Sohn ungarischer Holocaust-Überlebender geboren. Er wuchs in einer sehr zionistischen Familie auf und wollte immer sein Land und sein Volk beschützen. Yair meldete sich im Alter von 18 Jahren freiwillig zur Fallschirmjägerbrigade und wurde Offizier. Er diente vier Jahre in der israelischen Armee und siebzehn weitere als Reserveoffizier. Er kämpfte als Soldat im ersten Libanonkrieg und während der ersten und zweiten Intifada. 2017 nahm Yair an einer Tour für Israelis teil, die palästinensische Frauen und Männer im Westjordanland treffen wollten. Es war das erste Mal, dass er als Zivilist mit Palästinenser·innen interagieren konnte. Dies veranlasste Yair, den «Combatants for Peace» als Anti-Besatzungs-Aktivist beizutreten. Er begann, ein- bis zweimal pro Woche palästinensische Hirtengemeinschaften im Jordantal zu besuchen und zu begleiten, um sie vor den Angriffen der Siedler·innen und der militärischen Gewalt zu schützen. Osama Elewat beendete die Veranstaltung in Deutschland mit einem Gedicht des palästinensischen Poeten Mahmoud Darwish:
Sie fragt: «Wann werden wir uns treffen?» Ich antworte: «Ein Jahr nachdem der Krieg zu Ende ist.» Sie fragt: «Wann ist der Krieg zu Ende?» Ich antworte: «Wenn wir uns treffen.»
Constanze Warta, EBF