Selbst wenn und gerade weil im Moment eine Entwicklung in Richtung Frieden in unerreichbare Ferne gerückt ist, möchten wir auf die Bewegungen in Israel/Palästina aufmerksam machen, die sich seit Jahren mutig und konsequent für ein Miteinander einsetzen. In mehreren Ländern Europas haben sich inzwischen solidarische Parallelinitiativen entwickelt.
Wie so oft sind es auch in Israel und Palästina in erster Linie die Frauen, die sich für den Frieden einsetzen. «Women Wage Peace» ist eine Bewegung, die von israelischen Frauen infolge des Gaza-Krieges 2014 gegründet wurde. Sie wendet sich gegen die Besatzung und fördert das friedliche Zusammenleben aller Gemeinschaften. Die Bewegung ist überparteilich und nicht hierarchisch. Sie hat über 45.000 Mitglieder und ist damit die grösste populäre Friedensbewegung in Israel. Sie ermöglicht Frauen aus verschiedenen Gemeinschaften, sich zusammenzuschliessen und sich gemeinsam für eine Zukunft ohne israelisch-palästinensischen Konflikt einzusetzen.
Auf palästinensischem Gebiet gründeten Palästinenserinnen vor drei Jahren die Organisation «Women of the Sun», die sich ebenfalls für eine gemeinsame, friedliche Zukunft einsetzt. Seither arbeiten die beiden Organisationen zusammen, um ihre jeweiligen Herrschenden aufzufordern, den Konflikt zu beenden. Am 4. Oktober 2023, drei Tage vor dem Hamas-Angriff, hatten sich Tausende von Frauen der beiden Gruppen zu einer grossen Veranstaltung für den Frieden getroffen, bei der sie forderten, den «Aufruf der Mütter» zu unterstützen, der von beiden Bewegungen zusammen formuliert worden war: «Wir, palästinensische und israelische Mütter, sind entschlossen, den Teufelskreis des Blutvergiessens zu stoppen und die Realität des schwierigen Konflikts zwischen beiden Nationen zum Wohle unserer Kinder zu verändern.» Die Veranstaltung begann an der Trennungsmauer am Kontrollpunkt Bethlehem. Von dort zogen die Frauen zur Promenade von Armon Hanatziv in Jerusalem, wo Diplomat·innen und weltbekannte Persönlichkeiten ihre Unterstützung demonstrierten. Der Höhepunkt des Tages fand am Neve-Midbar-Strand am Toten Meer statt. Auf dem Zaun, hinter dem die Hauptkundgebung stattfand, wurde eine Ausstellung von Friedensquilts gezeigt. Der runde Tisch, welcher Teil der künstlerischen Installation von Sigalit Landau1 auf der Biennale 2011 war, stand in der Mitte der Bühne und symbolisierte den Verhandlungstisch. Um den Tisch herum sassen palästinensische und israelische Vertreter·innen sowie Diplomat·innen und andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die eigens für diese Veranstaltung angereist waren. Die Frauen kündigten die Gründung einer gemeinsamen Gruppe an, mit der sie ihrer Sorge um das Schicksal ihrer Kinder Ausdruck verleihen und sich für Versöhnung und eine gewaltfreie Lösung des Konflikts einsetzen werden.
Standig together
Eine weitere Friedensbewegung, die 2015 gegründete Organisation «Standing Together», entwickelt sich seit dem 7. Oktober 2023 besonders stark. Auch hier setzen sich seit 2016 jüdische und palästinensische Menschen in Israel gemeinsam für Gleicheit, Frieden und soziale Gerechtigkeit ein. Für die zivilgesellschaftliche Gruppe «Standing Together» ist klar: Die Sicherheit der Menschen in Israel kann nicht durch Krieg und Gewalt hergestellt werden. Seit dem grauenvollen Angriff der Hamas auf Israel gelten linke Aktivist·innen hier als Verräter·innen und die palästinensische Bevölkerung in Israel ist einer Welle der Repression ausgesetzt. Einige Oppositionspolitiker·innen, die in der Knesset sassen, also Mitglieder des israelischen Parlaments waren, wurden nach dem 7. Oktober abgesetzt, weil sie Netanyahou und seine zweifelhafte Politik kritisierten.
Auch in anderen Ländern haben Mitglieder jüdischer und arabischer Gemeinschaften Initiativen ergriffen. In Wien zum Beispiel, findet, wie wir bereits im Archipel berichteten, eine wöchentliche Mahnwache «Standing Together – Zusammenstehen» für die Opfer des Krieges zwischen Hamas und Israel statt. Als «besorgte österreichische Bürger·innen und Bewohner·innen dieses Staates» formulierten diese Menschen Anfang November einen Appell an den österreichischen Bundeskanzler: «…Wir sind zutiefst bestürzt, sowie enttäuscht darüber, dass Österreich gegen die Resolution der UN-Generalversammlung, die einen sofortigen Waffenstillstand im blockierten Gazastreifen fordert, gestimmt hat. In einer für so viele Menschen tragischen Zeit verurteilen wir unmissverständlich sowohl die brutalen Angriffe der Hamas auf Israel, bei denen 1400 Israelis getötet und über 3000 verletzt wurden, als auch die israelische Blockade und Bombardierung des Gazastreifens, bei der über 9000 (inzwischen sind es über 23.000, Anm. d.Red.) Palästinenser·innen getötet, zehntausende Menschen verletzt und 1,4 Millionen Zivilist·innen in Gaza zur Flucht aus ihren Häusern gezwungen wurden. (Auch hier ist die Anzahl inzwischen massiv angestiegen, Anm. d. Red.).
(…) Wir appellieren dringend an die österreichische Bundesregierung, besonders in ihrer Rolle als Vertretung eines neutralen Staates, sich gegen die Tötung aller Zivilist·innen auszusprechen und einzuschreiten. Jede Intervention muss darauf abzielen, die anhaltende Gewalt zu beenden und den Konflikt zu deeskalieren. Wir würden uns auch wünschen, dass sich Österreich für integrative, langfristige Lösungen in der Region einsetzt, um Frieden, Gerechtigkeit und Sicherheit für alle zu erreichen. Die laufend steigenden Opferzahlen und die Zerstörung im Nahen Osten haben auch auf Europa und den Rest der Welt Auswirkungen. Sich für Menschenrechte einzusetzen, bedeutet, sich vehement und aktiv gegen Rassismus, Antisemitismus, Islamophobie und Fremdenhass zu stellen.
Im Namen der Menschlichkeit und des Friedens fordern wir daher die österreichische Bundesregierung auf, sich für einen sofortigen Waffenstillstand, für Verhandlungen zur Freilassung der über 200 Geiseln und für ein Ende der Belagerung des Gazastreifens einzusetzen, in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft für alle Menschen in der Region.» (Standing Together, Wien, 3. November 2023*)
Heute, Mitte Januar, demonstrieren Tausende Menschen in Tel Aviv und anderen Städten gegen die Regierung von Netanyahu, durch deren unerbittliche, kompromisslose Vernichtungspolitik in Gaza die Freilassung der israelischen Geiseln, die sich jetzt seit 100 Tagen in Gefangenschaft der Hamas befinden, verunmöglicht wird. Wir werden das Geschehen im Nahen Osten und die Arbeit der Friedensinitiativen weiter verfolgen, über sie berichten und die mutigen, friedensorientierten Menschen dort so weit als möglich tatkräftig unterstützen.
Zusammengestellt von Constanze Warta
*Sie können diese Petition im Internet über «Standing Together Petition» unterschreiben.
- Sigalit Landau (geb. am 22. Dezember 1969 in Jerusalem) ist eine israelische Bildhauerin, Videokünstlerin und Installationskünstlerin.
« Women of the Sun »
Reem Hajajri, eine der Gründerinnen von «Women of the Sun»: «Der Weg zum Frieden ist lang und voller Herausforderungen. Wir bleiben stark und entschlossen, denn immer mehr Frauen schliessen sich der Bewegung an, Frauen, die ihre Kinder schützen und verhindern wollen, dass sie die nächsten Opfer werden. Wir begannen als eine Bewegung mit ein paar einzelnen Frauen, und jetzt sind wir Tausende aus dem Westjordanland und dem Gazastreifen. Wir wollen uns nicht länger zurücklehnen und sind entschlossen, beharrlich zu handeln, um den Kreislauf des Blutvergiessens zu beenden sowie Freiheit und ein gerechtes, ehrenvolles Leben für palästinensische und israelische Kinder zu erreichen».
« Women Wage Peace »
Yael Admi, eine der Gründerinnen und Leiterinnen von «Women Wage Peace»: «Dies ist eine historische Partnerschaft zweier Frauenbewegungen, die nicht aufhören werden, ihre Forderungen an die Führungen beider Seiten zu stellen, ein Friedensabkommen zu fördern und eine Zukunft in Frieden, Sicherheit und Freiheit für beide Nationen zu gewährleisten. Seit der Gründung dieser Partnerschaft und der Formulierung des «Aufrufs der Mütter» haben sich uns immer mehr Frauen angeschlossen, die beschlossen haben, nicht länger zu schweigen, und die versuchen, einen neuen Weg einzuschlagen. Es ist an der Zeit, dass mutige Persönlichkeiten die Hoffnung auf eine bessere Zukunft für unsere Kinder wecken.