Auf der Suche nach einem Mittel gegen Islamophobie und Rassismus: Sonia Dayan-Herzbrun, Jüdin und Spezialistin für Islamophobie, animierte beim Sommertreffen des EBF u.a. die Kommission über die Kritik am «abendländischen Universalismus». Sie setzt sich seit Jahren mit den verschiedenen feministischen Bewegungen auseinander und insbesondere mit den islamischen.
Man kann heute nicht mehr von einer einzigen feministischen Bewegung reden, so wie sie damals, Ende des achtzehnten Jahrhunderts, ihren Anfang nahm, als Schriftstellerinnen wie Mary Wollstonecraft begonnen hatten, für die Rechte der Frauen zu kämpfen. Diese Bewegung war getragen von der Idee der Demokratie und der Herausbildung des «homo aequalis» wie ihn der Anthropologe Louis Dumont benannt hat. Für die Männer waren die Rechte auf Freiheit und Gleichheit klar definiert, aber aufgrund ihrer Wesensart galten diese Rechte für die Frauen sowie auch für Sklaven und Menschen aus den Kolonien nicht.
Der Kampf wurde weitergeführt, besser organisiert und weltweit verbreitet. Die UN-Weltfrauenkonferenz in Peking im Jahr 1995 nimmt eine gemeinsame offizielle Haltung für die Rechte der Frauen ein, unter anderem für das Recht, ihr Leben nach ihren eigenen Bestrebungen gestalten zu dürfen. Es wird auch ein neues Konzept verwendet, genannt «Gender», das ausdrückt, dass die Beziehungen zwischen den Geschlechtern nicht biologischer Natur sind, sondern aus der sozialen Struktur entstehen. Das führt wiederum dazu, dass die Beziehung zwischen Frau und Mann von Grund auf neu bewertet werden muss.
Kolonialistische Einstellungen
Hinter dieser Fassade der Übereinstimmung sind jedoch bei diversen Debatten Fragen aufgetaucht, die sehr schnell politisch wurden. Im Diskurs der internationalen Organisationen war unbestritten, dass alle Frauen gleichermassen dominiert sind und sie somit alle die gleichen gemeinsamen Interessen haben. Es entstanden in den USA, in Afrika, in Indien, im Iran und in Malaysia verschiedene Bewegungen die diese Ansicht in Frage stellten: der Black feminism, der islamische Feminismus oder auch mehr allgemeine Bewegungen zum Beispiel aus der Richtung des Postkolonialismus. Sie haben die Verschiedenheiten und die existierenden Unstimmigkeiten der Frauen offengelegt, und aufgezeigt, dass es notwendig ist, dabei auch die Klasse, die Ethnie, den kulturellen und religiösen Hintergrund und die koloniale Vergangenheit zu beachten. Auch heute beeinflusst das koloniale Erbe die Anschauungsweise, insbesondere diejenige, welche die Frauen betrifft. Die Frauen in den Kolonialstaaten wurden oft als passive Opfer ihrer Männer, ihrer Gesellschaft oder ihrer Religion dargestellt. Die Kolonisatoren haben sich deswegen oft als Retter oder Befreier aufgespielt und dies, obwohl sie Männer und Frauen unter Anwendung extremer Gewalt dazu gezwungen haben, ihre Herrschaft in den von ihnen besetzten Regionen zu akzeptieren. Diese Haltung diente als Rechtfertigung für ihr brutales Vorgehen und als Beweis der scheinbaren kulturellen Überlegenheit der europäischen Länder. Es handelt sich dabei jedoch um eine orientalistische Weltanschauung, die sich vor allem gegen die muslimischen Frauen richtet. Sie ist auch sehr oft bei modernen «Mehrheits»-Feministinnen vertreten, die es noch nicht geschafft haben, die Vielfältigkeit und Unterschiedlichkeit der Frauen zu berücksichtigen.
Diese orientalistische Denkweise des Westens beinhaltet die Auslöschung jeglicher sozialer und historischer Dimension in der Genderfrage. Der Islam und die Muslime werden in eine einzige Schablone gepresst und zu einem radikalen Anderssein verurteilt; sie werden betrachtet, so als ob sie ausserhalb jeglicher Geschichte und jeglicher sozialen sowie gesellschaftlichen Klasse stünden.
Es gibt die allgemeine Meinung, die Frauen seien den Männern unterworfen und man fokussiert vor allem auf den patriarchalen Islam und damit auf die Bekleidungsrichtlinien, siehe Kopftuchdebatte. Diese stereotypische Ansicht wurde sowohl von Historikerinnen als auch aufgrund jüngster Ereignisse widerlegt. Sie haben aufgezeigt, dass Frauen im arabischen Raum seit Anfang des 19. Jahrhunderts an der Gesellschaftsveränderung und der Verbesserung ihrer Lebensbedingungen sehr wohl mitgewirkt haben.
Die islamischen Feministinnen
Während des «arabischen Frühlings» und auch vorher während der «grünen Bewegung» im Iran wurden im Fernsehen Bilder von verschleierten und nicht verschleierten Musliminnen gezeigt, die auf die Strassen gegangen sind und der Polizei sowie der Armee die Stirn geboten haben. Diese Bilder, die die Stereotypen gesprengt haben, waren eine doppelte Provokation: einerseits für den «westlichen», auf sie gerichteten Blick und andererseits für den islamischen Autoritarismus.
Die islamischen Frauenbewegungen entwickeln sich seit Ende 1990 in vielen verschiedenen Ländern, auch im Abendland. Sie beziehen einerseits Stellung mit einem «Zurück zum Islam», indem sie manchmal ein Kopftuch tragen oder religiöse Rituale wieder aufnehmen, andererseits interpretieren sie die heiligen Texte neu und zeigen dadurch die Gleichheit zwischen Frau und Mann auf.
Wie die christlichen oder jüdischen Feministinnen, so versuchen auch islamische Feministinnen einen Weg zu mehr Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau in Harmonie mit ihrer Religion zu finden. Ihre Position ist von Grund auf politisch, da sie das Patriarchat und die radikale Autorität von Männern in Frage stellen. Sie hinterfragen auch alle anderen Formen von Theokratie, die versuchen, diktatorisch den Frauen (und Männern) ihre Gesetze aufzuzwingen und dies anhand der heiligen Texte zu rechtfertigen. In all seiner Komplexität und seinen verschiedenen Richtungen ist die islamische sicher nicht die grösste der feministischen Bewegungen, aber sie wird sichtbarer und gewinnt immer mehr an Bedeutung.
Dies geschieht aufgrund ihrer ganz neuen Art, das Verhältnis zwischen dem Orient und dem Westen aufzuzeigen. Mit neuen Kombinationen schlagen sie Brücken und bilden Passerellen von Asien durch Europa und Afrika bis nach Amerika und zeigen, wie ärmlich die kapitalistische Strategie des Kulturschocks ist. Man findet bei ihnen eine ähnliche Definition vom Universalismus wie die Frantz Fanons, der davon ausging, dass der Universalismus auf der Entscheidung des gegenseitigen Relativismus verschiedener Kulturen beruhe, und zwar nach dem unwiederbringlichen Ausschluss kolonialer Verhältnisse und Haltungen.
* Emeritierte Professorin in politischer Soziologie und feministischen Studien an der Universität Paris Diderot. Erste Publikation dieses Artikels am16.05.2016 in der huffington post.