Über den Erdbeerkrieg und einen «Sklavenaufstand»*
Es gibt ja altmodische Leute, der Autor dieser Zeilen gehört dazu, die essen Erdbeeren seit eh und je erst, wenn ihre Zeit
Über den Erdbeerkrieg und einen «Sklavenaufstand»*
Es gibt ja altmodische Leute, der Autor dieser Zeilen gehört dazu, die essen Erdbeeren seit eh und je erst, wenn ihre Zeit gekommen ist - das heißt, wenn sie im Freien reif werden, also im Rheinland so ab Mitte Juni. Heute werden die roten Früchtchen allerdings ganzjährig angeboten, und dann kommen sie beispielsweise aus dem südlichen Griechenland, aus der Landschaft Elis auf der Peloponnes. Doch unter welchen Umständen werden die Unmengen an Erdbeeren produziert?
25.000 Tonnen jährlich werden allein in dem kleinen Ort Manolada, nicht weit vom antiken Olympia, unter Plastikplanen produziert und zu Spottpreisen auf den europäischen Märkten angeboten. Wie das kommt, das interessiert die Erdbeeresser kaum, selbst in Athen nicht, wo das Kilo Erdbeeren zur Zeit für 1,50 Euro zu haben ist.
Doch seit letzten Sonntag wissen auch die Athener, was bis dahin keiner wissen wollte: unter welchen Bedingungen die Billig-Erdbeeren produziert werden. Die Erdbeerarbeiter hatten nämlich beschlossen zu streiken, worauf von den griechischen Großagrariern angeheuerte Schlägertrupps die Arbeiter zusammenschlugen, mit ihnen auch ein paar kommunistische Gewerkschafter, die sich mit den Streikenden solidarisiert hatten und anschließend ins Krankenhaus mussten. Tagespresse und Fernsehen berichteten ausführlich über den «Sklavenaufstand», wie ihn die Athener Zeitung «Ta Nea» nannte.
Die Erdbeerarbeiter von Manolada, das sind sämtlich Ausländer, unter anderem illegale Immigranten aus Bangladesh und Pakistan, und sie leben unter erbärmlichen Bedingungen. Ein Dach aus Plastikplanen, eine Matratze auf dem blanken Erdboden, das ist oft alles. Tagelohn: 18 bis 23 Euro, bei einer täglichen Arbeitszeit bis zu 12 Stunden. Und davon müssen einige von ihnen noch drei bis sechs Euro für Kost und Logis abliefern, weitere drei Euro Provi-sion für die Vermittler dieser Arbeitsplätze.
Der Regierung ist dieser Dauerskandal seit langem bekannt, sind doch einige der Erdbeerarbeiter - vor allem Bulgaren - legal im Land und mit einer zeitlich begrenzten Arbeitsgenehmigung ausgestattet. Illegal ist dagegen das Treiben der Erdbeerfarmer, die sich nicht an griechische Gesetze halten, die eine Beschäftigung unterhalb vorgeschriebener Mindestlöhne unter Strafe stellen. Doch der Regierung fiel bisher nicht ein, den Sklavenhaltern von Manolada das Handwerk zu legen, solange die breitere Öffentlichkeit nichts von den Lebensumständen der Immigranten erfuhr.
Am Ende blieben die Sklavenarbeiter von Manolada Sieger im Erdbeerkrieg, weil sie sich nicht einschüchtern ließen, und weil ihre Arbeitgeber fürchten mussten, dass die erntereifen Früchte massenhaft verfaulen würden. 25 Euro pro Tag zahlen die Ausbeuter jetzt, was allerdings noch weit unter dem in Griechenland verbindlichen Mindestlohn liegt - der beträgt 30 Euro für den Achtstundentag. Und der wird auch anderswo im Land nur zu oft unterschritten.
Auf rund 1,2 Millionen wird die Zahl der billigen ausländischen Arbeitskräfte in Griechenland geschätzt, rund 700.000 haben inzwischen Papiere als Arbeitsimmigranten auf Zeit, eine halbe Million aber lebt völlig illegal in Hellas. Viele wurden von Schleppern ins Land gelotst, sind auf dem Weg ins erhoffte Ziel in einem anderen europäischen Land hier gestrandet. Einen Asylantrag stellen die wenigsten, als «Wirtschaftsflüchtlinge» hätten sie damit in Griechenland ohnehin keinen Erfolg, bei einer Anerkennungsquote von durchschnittlich 0,6 Prozent in den letzten Jahren. So nehmen die Gestrandeten jede Arbeit an, zu welchen Konditionen auch immer.
Eins aber ist sicher: Das Beispiel der Erdbeerarbeiter von Manolada wird Schule machen. Vor allem die illegalen Immigranten aus Mittelost- und Südostasien arbeiten auch anderswo in Griechenland unter ähnlichen Bedingungen, und nicht alle werden sich das auf Dauer klaglos gefallen lassen. Jetzt, da sie aus dem Fernsehen erfahren haben, dass man sich mit Erfolg wehren und dabei zumindest auf die Solidarität griechischer Gewerkschafter zählen kann.
*Dieser Artikel ist in der Neuen Rheinischen Zeitung erschienen
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