Der «Terrorismus», das absolute Böse in unserer heutigen Welt, dieses Übel, welches gleicher-
maßen Europa und die USA bedroht, so dass man meinte, einen globalen Krieg gegen ihn lostreten zu müssen, diente als Begründung für zwei massive Militärinterventionen in Afghanistan und im Irak, denen wahrscheinlich noch andere folgen werden. Doch der «Terrorismus» ist kein Begriff, der je auf internationaler Ebene einheitlich definiert wurde. Dazu kommt, dass der Terrorismus auf verschiedene Art betrachtet und eingeschätzt wird.
Was für die Einen «terroristisch» ist, muss es nicht für die Anderen sein. Der Staat, der die Führung einer internationalen Koalition, die gegen den «Terrorismus» Krieg führt, übernommen hat, wird von Anderen beschuldigt, dass er selbst den Terrorismus unterstützt. Denn es ist allgemein bekannt, dass dieser gleiche Staat diejenigen mit Waffen versorgt hat, die er heute jagt. Auch gewisse Alliierte dieses Staates stehen im Verdacht, unter der Hand die «Terroristen» zu finanzieren, die sie eigentlich an der Seite des großen Bruders bekämpfen sollten.
Angst, Entsetzen, Terror Eigentlich dürfte die Definition des Begriffes kein Problem darstellen, weil seine Etymologie transparent ist: Terrorist ist ganz einfach jemand, der Terror als ein Mittel einsetzt, um an seine Ziele zu gelangen. In diesem Sinne hatte sich dieses neue Wort geformt und wurde in einem klar definierten historischen Kontext zum ersten Mal benützt, nämlich der Terreur während der Französischen Revolution. Der Terror wurde damals als Extremmaßnahme in einer außerordentlichen Periode präsentiert, um das Regime, das aus der Revolution entstanden war, gegen seine äußeren und inneren Feinde zu verteidigen. Auch wenn das Mittel extrem war, so war es doch nicht neu im Staatsarsenal, im Gegenteil. Ein Jahrhundert zuvor, hatte Thomas Hobbes bereits die Theorie aufgestellt, dass die Angst die gewöhnliche Methode darstelle, um den Menschen den Willen des Souveräns aufzuzwingen. Der Souverän war für Hobbes «dieser Leviathan, oder besser gesagt der sterbliche Gott, dem wir – unter dem unsterblichen Gott – Frieden und Schutz zu verdanken haben.» Wie handelt ein Souverän? Hobbes schreibt dazu: «Das Entsetzen, das er einflößt, erlaubt ihm, den Willen aller zu formen, einerseits für den Frieden im Inneren und andererseits für die Geschlossenheit gegen die äußeren Feinde.» Der exklusive Gebrauch von Gewalt und der begleitenden Macht der Einschüchterung stehen allein dem Souverän zu, weil dieser ein höheres Ziel verfolgt, nämlich den Frieden zu sichern, der im Naturzustand nicht zu halten wäre, so Hobbes. Es stimmt zwar, dass Hobbes nicht von «Terror» spricht sondern von «Entsetzen»: Doch Terror ist eigentlich nur die Angst, die um ein Grad höher gepeitscht wird.
Für eine außergewöhnliche Situation, die des revolutionären Krieges, braucht es also die außergewöhnliche Anwendung eines gewöhnlichen Mittels. Dieser Aspekt kommt klar bei Robespierre zum Ausdruck, wenn er den Terror definiert: «Der Terror ist nichts anderes als prompte, strenge und unbeugsame Justiz; er ist eine Ausstrahlung der Tugend. Der Terror ist weniger ein spezielles Prinzip als vielmehr eine Konsequenz des allgemeinen Prinzips der Demokratie, um die dringendsten Bedürfnisse des Vaterlandes zu gewährleisten.» Also die Konsequenz eines allgemeinen Prinzips der Demokratie und nicht ein spezielles Prinzip: Der Terror ist eine Frucht der revolutionären Umstände. Robespierre sagt dazu in derselben Rede mit einigen, berühmt gewordenen Sätzen: «Wenn die Triebfeder der Volksregierung in Friedenszeiten die Tugend ist, so ist sie für die Volksregierung in der Revolution die Tugend und der Terror: Die Tugend, ohne die der Terror verhängnisvoll ist; der Terror, ohne den die Tugend machtlos ist.» In gewöhnlichen Zeiten genügt allein die Angst vor Strafe, um den Zusammenhalt und den Frieden zu sichern. In revolutionären Zeiten, wenn der Staat der Volksregierung von inneren und äußeren Feinden bedroht wird, muss man stärkere Mittel anwenden und von der Angst zum Terror übergehen.
Auf den Vorwurf, dass der Terror die Methode der Tyrannen sei, antwortet Robespierre: «Man hat gesagt, dass der Terror die Triebfeder einer despotischen Regierung sei. Ähnelt die eure 1 also dem Despotismus? Ja, wie das Schwert, das in den Händen der Freiheitshelden glänzt, demjenigen ähnelt, mit welchem die Satelliten der Tyrannei bewaffnet sind.» Man könnte kaum besser ausdrücken, dass die Machtbasis des Staates, ob tyrannisch oder demokratisch, identisch ist. Es sind die Ziele und Zwecke, die sich ändern, aber nicht die Mittel. Die Metapher des «Schwertes» ist bezeichnend. Hobbes definiert die Souveränität mit dem exklusiven Gebrauch des «Schwertes der Justiz» und des «Schwertes des Krieges». Für Robespierre hat das «Schwert», das heißt der Staat, die Hand gewechselt, funktioniert aber nach denselben Prinzipien: Er hat die Macht, um im Namen der «Justiz» oder des Krieges zu töten. Die Revolutionäre von 1791 stürzten zwar den König, aber nicht das Prinzip der Souveränität. Sie wechselten lediglich den einen Souverän durch einen anderen aus. Dieser Souverän ist nicht mehr der König sondern das Volk, versichern sie. Aber dieser Volks-Souverän, dessen Vertreter sich entsprechend eingerichtet haben, bewahrt alle Eigenschaften der Souveränität des Ancien Regime.
Was also für den König als Souverän galt, gilt immer noch für das Volk als Souverän: Legitimität, exklusives Vorrecht, Gewaltmonopol und Gebrauch dieser Gewalt zur Einschüchterung. Robespierre kann noch lange das «allgemeine Prinzip der Demokratie» heraufbeschwören, in Wirklichkeit handelt es sich um das allgemeine Prinzip des Staates als Staat, unter welchem Regime auch immer. Die Angst und die Einschüchterung sind die gewöhnlichen Mittel, welche der Staat für seine Vorherrschaft einsetzt, unabhängig von den ideologischen Zielsetzungen, die er sich offiziell auf die Fahnen geschrieben hat. Der Terror ist das extremste dieser Mittel und wird in den entsprechenden Situationen angewandt. Wenn man also den Kontext berücksichtigt, in dem der Begriff «Terrorismus» geprägt wurde, dann sollte man das Wort ausschließlich
gebrauchen, wenn es um die extreme Ausübung des Vorrechtes des Staates auf Souveränität geht. Diese Vorgabe ist umso logischer, weil die historischen Beispiele der Anwendung des staatlichen Terrors nicht auf die Jahre 1793 und 1794 beschränkt bleiben. So ist es folgerichtig, dass in extremen Momenten wie bei bewaffneten Konflikten auf den Terror zurückgegriffen wird.
Das Schwert des Krieges Hier handelt es sich dann nicht mehr um die innere Souveränität des Staates, um «das Schwert der Justiz», sondern um «das Schwert des Krieges». Der Terror in Kriegszeiten ist nicht nur derjenige, der auf den Schlachtfeldern herrscht, wenn zwei Armeen zusammenstoßen, denn die Kriegsparteien gehen davon aus, dass sie die Konfrontation nicht allein dadurch gewinnen können, wenn sie die jeweils gegnerische Armee in Angst und Schrecken versetzen. Die Waffen sprechen und die Konsequenzen sind Gemetzel, Zerstörung, Panik und eventuell der Rückzug des Gegners.
Die Situation ist eine andere, wenn eine Kriegspartei direkt die Zivilbevölkerung des Feindes terrorisiert mit dem alleinigen strategischen Ziel, durch Brutalität die Moral und die eventuelle Kriegsunterstützung der Bevölkerung für die gegnerische Seite zu zerstören. Eine solche Taktik ist genauso alt wie die Existenz des Krieges. Auch dass dieses Vorgehen seit etwas mehr als einem Jahrhundert zuweilen als «Kriegsverbrechen» bezeichnet wird, ändert nichts daran, dass es angewandt wird.
So wurden die Bombardierungen während des Zweiten Weltkrieges vervielfacht, um die Zivilbevölkerung zu terrorisieren. Angefangen hatten die deutschen Nazis mit den Bomben auf Guernica während des Spanischen Bürgerkriegs. Diese Taktik fand eine rasche Verbreitung: Churchill gestattete 1942 die massiven Bombardierungen der städtischen Gebiete in Deutschland. Die Bombardierung der Stadt Dresden in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 soll nach Schätzungen allein 35.000 Tote gekostet haben. In die gleiche Kategorie – mit noch viel mehr Toten – fallen die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki am 6. und 9. August 1945. Robespierre rechtfertigte in seiner Zeit den Terror im Namen des «Kampfes für die Freiheit», genauso taten es die Alliierten.
Es geht hier nicht darum, die Entscheide von Maximilian Robespierre oder von Winston Churchill aus moralischen Gründen gut zu heißen oder zu verdammen, sondern vielmehr soll das Prinzip aufgezeigt werden, nach dem der Staat sich erlaubt, unter gewissen Umständen, auf den Terror zurückzugreifen, der gegen unbewaffnete Bevölkerungen innerhalb und außerhalb seiner Grenzen eingesetzt wird – und dies, um Ziele zu erreichen, die er für gerecht hält.
Gewöhnlicher Terror Das Mittel des Terrors scheint jedoch vom Staat nicht ausschließlich für außerordentliche Situationen vorbehalten zu sein. Zwar stimmt es, dass es schwierig ist, aus dem Terror – im Unterschied zur einfachen Angst – ein Instrument der gewöhnlichen Herrschaft zu machen, und doch haben besonders blutrünstige Regimes wie diejenige des Nazismus und des Stalinismus massiv davon Gebrauch gemacht. Doch dieses Mittel erschöpft sich, je mehr es angewandt wird. Das fortwährende Sich-Überbieten-Müssen von Terror-Maßnahmen lässt dem Regime bald keine Wahl mehr: Entweder begibt es sich auf eine Flucht nach Vorne bis in den Abgrund, wie dies mit dem Nazismus geschah, oder es ist gezwungen, den Würgegriff früher oder später zu lockern, wie dies in der Sowjetunion nach Stalins Tod der Fall war.
Der Staat kann auch den Terror oder zumindest gewalttätige Einschüchterungen in ganz bestimmten Situationen anwenden, um eine Kategorie der Bevölkerung gezielt gefügig zu machen. Das Beispiel einer solchen Praxis – unter vielen anderen – finden wir im heutigen demokratischen Frankreich. Die Equipes Régionales d’Intervention et de Sécurité (Regionale Gruppen für Intervention und Sicherheit), welche am 20. Februar 2003 gegründet wurden, sind Spezialtruppen, die den Gefängnisverwaltungen unterstehen. Ihr Funktionieren ist einfach: Beim kleinsten Vorfall in einem Gefängnis dringen die ERIS mit schwarzen Uniformen und Masken in die Zellen ein und unterziehen die Gefangenen, die möglicherweise rebellisch werden könnten, einer Spezialbehandlung, die von demütigenden Durchsuchungen bis zu «illegitimen» Gewaltanwendungen reichen kann. Wenn man abstreitet, dass solche Methoden dazu da sind, um die Gefangenen einzuschüchtern oder zu terrorisieren, stellt sich die Frage, was es denn anderes sein soll. Dennoch wird es unmöglich sein, nach den verschiedenen internationalen Definitionen und mehr noch nach der französischen Jurisprudenz, die Praxis der ERIS in den französischen Gefängnissen als Terrorismus zu bezeichnen. In Wirklichkeit ist es aber genau ein Terror, der vom Staat ausgeht. Doch der Begriff wird in diesem Zusammenhang nicht verwendet.
Terrorismus Es ist gebräuchlich, dass der Sinn von Begriffen sich ändert und entwickelt - vor allem, wenn es um Worte der politischen Philosophie geht. Eine solche Entwicklung ist meist nicht unbefangen und diejenige, welche den «Terrorismus» betrifft, ist es am allerwe-nigsten.
Im November 1794, als der Begriff «Terrorismus» entstand, wurde er bereits abschätzig gebraucht. Robespierre verteidigte den Terror, und erst nach dessen Sturz brachten seine politischen Gegner die neue Wortschöpfung «Terrorismus» in Umlauf, um seine Politik im Nachhi-nein zu stigmatisieren. Damit hofften sie, das brutale Ausschalten von Robespierre und seiner Anhänger rechtfertigen zu können.
Als das Wort in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geläufig angewandt wurde, war es wieder in einem abschätzigen Sinne – egal, ob es sich um die Akte irländischer Nationalisten, russischer Revolutionäre oder französischer Anarchisten handelte.
Diejenigen, welche entschieden hatten, den Begriff auszuweiten, nahmen also freiwillig den Staat aus dem Feld des «Terrorismus» heraus, weil sie die Gewalt des Staates als legitim definierten und dessen Rolle als gut. In der heutigen Zeit sind sich fast alle einig, die sich bemühen, dem Begriff «Terrorismus» eine aktuelle Definition zu geben – Politiker, Wissenschaftler, Juristen und Diplomaten: Sie schließen die Gewalt des Staates in der Ausübung seiner Souveränität von der Definition aus, weil sie selbst von den Regierungen oder von deren Institutionen abhängig sind.
*Autor des Buches «Mort à la démocratie», Altiplano, 2007