GAZA / LANDWIRTSCHAFT: Widerstand der Landwirt·innen in Gaza

von Philippe Pernot, Reporterre, 10.10.2024, Veröffentlicht in Archipel 340

Zerstörtes Land, erzwungene Abwanderung – die israelische Offensive hat der Landwirtschaft in Gaza schwer zugesetzt. Trotz der Bomben sind einige Landwirt·innen geblieben und versuchen hartnäckig, ihre Felder zu retten.[1]

Zwischen Schutt und Trümmern wachsen noch immer Pflanzen. Auberginen, Tomaten, Paprika und Gurken leben inmitten von Granatenexplosionen, weissem Phosphor und Drohnen. Es ist ein kleines Wunder, das sich in Gaza abspielt: Landwirte und Landwirtinnen halten der israelischen Offensive stand, die über 40.000 Gaza-Bewohner·innen getötet und zwei Millionen Zivilist·innen zur Flucht gezwungen hat[2].

Samir Khoder Ibrahim Mansi ist immer noch da. Trotz der Bombardierungen und eines völkermörderischen Krieges, der das Gebiet verwüstet, kümmert sich der junge Landwirt immer noch um seine 8.000 m² Land, von denen 6.000 in Deir el-Balah im Zentrum des Gazastreifens liegen. Seine Aussage, die uns von einer Umweltaktivistin aus Gaza per WhatsApp-Sprachnotizen übermittelt wurde, war nicht leicht zu erfassen, da es keine stabile Verbindung und keinen Strom gab. Dann kam sie doch: «Es gibt kein Gebiet, das nicht betroffen ist. Aber Gott sei Dank ist es für uns besser als für andere, denn sie haben nur kleine Dinge zerstört, nur einen Teil der Gewächshäuser getroffen und hundert Olivenbäume von mir bombardiert. Es könnte schlimmer sein.»

«Es bleibt nichts übrig»

Jüngsten Zahlen der Vereinten Nationen (UN) zufolge hat Israel 57 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche im Gazastreifen vernichtet und über 40 Prozent der Gewächshäuser mit Bomben oder Baggern dem Erdboden gleichgemacht. Die Zerstörung war im Norden des Streifens und in Gaza-Stadt weitaus grösser, wo fast 90 Prozent der Gewächshäuser verschwunden sind. 537 Scheunen, 484 Geflügelfarmen und 397 Schaffarmen wurden zerstört, wodurch die Agrar- und Ernährungsinfrastruktur des Gazastreifens fast vollständig vernichtet wurde.

Tausende von Landwirtinnen haben ihr Land und ihre Höfe verloren, die unter den Bomben verschwunden sind. So auch die 55-jährige Ghifra Ahmad Abdelkhesi, Mutter und Bäuerin: «Seit fünfunddreissig Jahren war die Landwirtschaft mein Leben. Zusammen mit meinem Mann und unseren Kindern haben wir auf unserem Land gearbeitet. Alles, was wir aufgebaut haben, ist verschwunden, alles wurde zerstört; unser Haus, unsere Feldfrüchte, die Farm unserer Tiere, alles», bezeugt sie via WhatsApp. Stolz zählt sie das Obst und Gemüse auf, das von ihren Feldern kam: Okraschoten (in Pyramidenform), gelbe und rote Wassermelonen, Tomaten, Mais, Paprika, Rüben, Auberginen, Mloukhiya (Gemüsekorinthen) im Sommer; Gerste, Weizen, Kichererbsen, Spinat im Winter. «Es bleibt nichts übrig. Wir wurden in das al-Aqsa-Krankenhaus in Deir el-Balah verlegt, und die Tiere, die wir retten konnten, sind inzwischen verhungert. Wir haben Unkraut gepflückt, um sie zu füttern, aber das war nicht genug. Wir verhungern selbst.»

Völkermord durch Verhungern

Der Zusammenbruch der Landwirtschaft in Gaza hat noch eine weitere Folge: Hungersnöte. Bereits im Juni litten 95 Prozent der Gaza-Bewohner·innen, d.h. 2,15 Millionen Menschen, an einer hohen Ernährungsunsicherheit. Dutzende Kinder sind bereits an Erschöpfung und Hunger gestorben; 50.000 sind davon bedroht. «Wir glauben, dass diese Zahlen stark unterschätzt werden, da das Ernährungssystem zusammengebrochen ist und 75 Prozent des Agrarsektors zerstört sind», sagt Lisa Shahin, Leiterin für Forschung und Mobilisierung der Arabischen Naturschutzgruppe (APN), einer palästinensisch-jordanischen Umweltorganisation der Zivilgesellschaft.

Sie fügt hinzu: «Schon vor dem Krieg setzte Israel den Hunger als Waffe gegen die Gaza-Bewohner·innen ein, um sie auf einem konstanten Erschöpfungsniveau zu halten, sie zu unterjochen und zu kontrollieren.» Vor dem 7. Oktober litten 65 Prozent der Gaza-Bewohner·innen an Ernährungsunsicherheit, und die Landwirt·innen waren durch die seit 2007 verhängte israelische Blockade eingeschränkt. «Heute erleben wir die logische Erweiterung dieser Taktik: Völkermord durch Verhungern, kollektive Bestrafung.»

Israel blockiert die Einfuhr von landwirtschaftlichen Geräten vollständig. Die Landwirt·innen müssen sich mit dem begnügen, was die Bombenangriffe überlebt hat, und das zu exorbitanten Preisen. «Wir waren es gewohnt, 1000 Paprikapflanzen für 100 Schekel (24 Euro) zu bekommen; für uns war das schon teuer. Heute kosten sie 500 Schekel», erklärte Samir Khoder Ibrahim Mansi. Diese Preise verringern die wirtschaftliche Lebensfähigkeit ihres Berufs. «Eine Ernte ist jetzt sehr teuer. Wenn man vor dem Krieg 1.000 Dollar ausgeben musste, sind es jetzt 4.000 oder 6.000 Dollar».

Pflanzen inmitten von Trümmern

In dieser trostlosen Situation versuchen einige lokale Vereinigungen, den Landwirt·innen zu helfen. Die in Amman ansässige APN (Arab Group for the Protection of Nature) mit Teams in Gaza hat die Kampagne «Reviving Gaza‘s Farmland» («Gazas Landwirtschaft wiederbeleben») ins Leben gerufen. «Wir stehen immer noch mit 500 Landwirt·innen in Kontakt und konnten 162 von ihnen unterstützen. Wir versorgen sie mit Saatgut, vor allem mit Gemüsepflänzchen und -samen, um möglichst viele Menschen schnell ernähren zu können: Gurken, Tomaten, Auberginen, Zucchini, Paprika und Anderes», erklärt Lisa Shahin.

So habe die APN 500.000 Gemüsesprossen, 900 kg Mloukhiya-Samen, 115.000 Auberginen- und Chilipflanzen auf insgesamt 40 Hektar im gesamten Gazastreifen neu angepflanzt.

«Meine Felder wurden zerstört, von den Brunnen bis zu den Feldfrüchten. Die APN hat mich wieder auf die Beine gebracht, indem sie mir half, Auberginen von Grund auf neu zu pflanzen», bezeugt ein Landwirt aus dem östlichen Gazastreifen, der aus Angst vor israelischen Vergeltungsmassnahmen anonym bleiben möchte. «Ich muss zweiundzwanzig Menschen in meiner Familie ernähren. Ich behandle meine Pflanzen wie Kinder und kümmere mich um sie, aber wir sind von Trümmern und Raketenfragmenten umgeben. Wir brauchen Hilfe.»

Für Lisa Shahin ist diese Nothilfe nur ein erster Schritt, um das Schlimmste zu verhindern. «Sobald der Krieg vorbei ist, werden wir zwei weitere Etappen der Kampagne starten: Wir werden Fischern mit Netzen und der Reparatur ihrer Boote helfen, Brunnen wiederherstellen und Obstbäume pflanzen, um die 55.000 Bäume in Gaza-Stadt zu kompensieren, die von der Besatzung entwurzelt wurden. Dann werden wir die Viehzucht rehabilitieren und Bienenstöcke verteilen, wie wir es vor dem Krieg getan haben», sagt sie.

Die landwirtschaftliche Identität von Gaza

Mitten im Krieg bleibt die Arbeit der Organisationen schwierig. «Ich musste zweimal fliehen, und wir mussten unsere Büros wegen der Bombenangriffe verlegen», sagt Mahmoud Alsaqqa, Programmmanager bei Oxfam in Gaza. Die neuen Büros der Organisation, die nach Deir el-Balah und Rafah verlegt wurden, dienen ebenfalls als Zufluchtsort. «Vor dem Krieg habe ich an einem Programm gearbeitet, das die Produktionskette der Landwirtschaftstreibenden aufwertet, ihre Qualität und Produktion vergrössert und ihren Zugang zu externen Märkten verbessern sollte... Jetzt kämpfen wir ums Überleben», sagt er am Telefon.

So verteilt Oxfam Konsumgutscheine und Bargeld an die Bäuerinnen und Bauern, die sie für Dünger, Saatgut oder Nahrungsmittel ausgeben können. «Um ihre Kulturen wiederbeleben zu können, dürfen sie schon einmal nicht verhungern. Unsere Hilfe gibt ihnen wieder Selbstvertrauen und Energie weiterzumachen», erklärt er. «Fast alle landwirtschaftlichen Gebiete im Norden von Gaza sind zerstört. Die Felder von Beit Lahya, die für ihre Erdbeerproduktion weltberühmt waren, sind verschwunden. Das ist ein Angriff auf unsere palästinensische Identität, unsere Tradition als Fellachen, auf unsere Olivenbaumkultur. Von den 200.000 Bauern und Bäuerinnen, die es in Gaza gab, sind viele tot, verletzt oder vertrieben. Weniger als 10 Prozent von ihnen können noch arbeiten.» Trotz des Ausmasses der Zerstörung ist er optimistisch: «Die Palästinenserinnen und Palästinenser sind widerstandsfähig; wir werden durchhalten. Was wir brauchen, ist ein Waffenstillstand und die Aufhebung der Blockade. Und dass die Menschen ihre Selbstversorgung mit Gemüse wiedererlangen. Ich glaube fest daran, dass wir das wieder schaffen werden. Die Fortsetzung der Landwirtschaft ist heute ein Akt des Überlebens, aber auch des Widerstands.» Philippe Pernot*

Dieser Artikel erschien erstmals am 22. August dieses Jahres in «Reporterre», einer unabhängigen und werbefreien, frei zugänglichen französischen Internetzeitung für ökologische Anliegen (www.reporterre.net).

*Philippe Pernot ist freier Photojournalist aus Südfrankreich mit Sitz im Libanon. Er arbeitet derzeit als unabhängiger Korrespondent für verschiedene libanesische und europäische Medien, darunter die Frankfurter Rundschau (D), Süddeutsche Zeitung (D), Reporterre und Politis (F), Middle-East Eye (GB).

  1. Siehe auch «Saat der Hoffnung» von Laila El-Haddad, in Archipel Nr. 337, Juni 2024.

  2. Zahlen zum Zeitpunkt der Niederschrift durch den Autor.