Von Worten zum Streik – am 14. Juni 2019 werden die Frauen in der Schweiz streiken! Obwohl die Gleichstellung seit 1981 in der Bundesverfassung verankert ist, bestehen in der Schweiz trotz eines politisch korrekten Gleichstellungsdiskurses weiterhin Sexismus, Lohnungleichheiten und Gewalt gegen Frauen. Auf der ganzen Welt erleben wir eine Erneuerung der feministischen Bewegungen: In den Vereinigten Staaten, Spanien, Island und Polen sind Frauen auf die Strasse gegangen, um ihre Rechte durchzusetzen. In der Schweiz haben bereits 1991, am 14. Juni, zehn Jahre nach Inkrafttreten des Verfassungsartikels zur Gleichstellung, Frauen gestreikt und 500‘000 Menschen mobilisiert. Ausgegangen war die Revolte von einigen Arbeiterinnen einer Uhrenfabrik im «Vallée de Joux» im Schweizer Jura. An diesem Tag verschränkten die Frauen ihre Arme, nicht nur am Arbeitsplatz, sondern auch zu Hause. Sie hörten auf zu putzen, hingen ihre Besen an die Fenster, kochten nicht und kümmerten sich nicht um die Kinder. Durch diesen Streik erzielten Frauen konkrete Ergebnisse wie das Bundesgesetz über die Gleichstellung von Frauen und Männern, Mutterschaftsurlaub, Splitting und Bildungsprämie in der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV), die sogenannte « Abtreibungsfristenlösung» und Massnahmen zur Bekämpfung häuslicher Gewalt. Diskriminierung Trotz dieser Fortschritte gibt es immer noch viele Ungleichheiten – hier einige Beispiele aus dem «Manifest für den feministischen und Frauenstreik»1: • Löhne: Frauen verdienen immer noch durchschnittlich 19 Prozent weniger als Männer. Infolge dieser Ungleichheiten erleiden Frauen häufiger Prekarität, Arbeitslosigkeit und Armut. Die Arbeitsplätze «von Frauen» werden abgewertet. Wir fordern gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit, eine Überprüfung des Gleichstellungsgesetzes, einschliesslich Kontrollen von und Sanktionen gegen Unternehmen, die die Lohngleichheit missachten. • Ruhestand: Die Diskriminierung während des gesamten Arbeitslebens hat verheerende Folgen im Rentenalter. Die Kluft zwischen Männern und Frauen2 beträgt bei den AHV-Renten (1. Säule) 2,7 Prozent, bei den Betriebsrenten (2. Säule) hingegen 63 Prozent. Unter dem Vorwand der Gleichstellung sollten Frauen, während sie 19 Prozent weniger verdienen als Männer, ein weiteres Jahr arbeiten (von derzeit 64 Jahren auf dann 65 Jahre nach dem vom Bundesrat vorgesehenen Projekt der beruflichen Vorsorge 2021). Wir lehnen jede Erhöhung des Rentenalters von Frauen ab und fordern Renten, die es uns ermöglichen, in Würde zu leben. Wir fordern auch, dass die häusliche Arbeitszeit bei der Berechnung unserer Renten berücksichtigt wird. • Haushaltsarbeit: Im Durchschnitt leisten Mütter 53 Stunden Haushalts- und Familienarbeit pro Woche, im Vergleich zu 29 Stunden bei den Vätern. Das Gen für die Hausarbeit ist nicht Teil unserer DNA und doch wird es hauptsächlich uns zugeordnet. Diese Arbeit ist so entwertet, dass sie unsichtbar wird. Sie ist jedoch für das Funktionieren von Wirtschaft und Gesellschaft unerlässlich. Wir fordern, dass die Hausarbeit geteilt und anerkannt wird, insbesondere in der Sozialversicherung. • Körperliche und/oder sexuelle Gewalt: In der Schweiz sterben monatlich zwei Frauen unter den Schlägen ihres (ehemaligen) Partners. Jede fünfte Frau erfährt während ihres Lebens körperliche und/oder psychische Gewalt in einer Beziehung. Wir alle sind auch von Belästigungen am Arbeitsplatz, an Ausbildungsorten, auf der Strasse oder in sozialen Netzwerken betroffen. Wir sind auch homophoben Angriffen ausgesetzt. Wir müssen uns diese Gewalt nicht gefallen lassen. Wir fordern einen nationalen Plan zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt, der unsere Sicherheit und die unserer Kinder gewährleistet. Belästigungen müssen politisch bekämpft und nicht nur moralisch verurteilt werden. • Migrantinnen: Aufgrund einer globalisierten Wirtschaft, die ihre Herkunftsländer verarmt, sowie von Kriegen und Gewalt, unter denen sie leiden, kommen Migrantinnen in die Schweiz und sind auf Haus- und Pflegearbeit beschränkt. Ihre Ausbildungen und Abschlüsse werden nicht anerkannt. Unsichtbar führen sie unerkannte und ungewürdigte Aufgaben aus. Ohne Aufenthaltsstatus für einige. Wir fordern einen echten Zugang zur Justiz, ohne die Gefahr der Abschiebung. Wir verlangen Rechtsvorschriften, welche arbeitende migrantische Frauen vor den vielfältigen Formen von Diskriminierung schützen, denen sie ausgesetzt sind. • Asylbewerberinnen: Das Asylrecht berücksichtigt keine geschlechtsspezifischen Gewalttaten, weder im Herkunftsland, noch während der Flucht oder im Aufnahmeland. Die erlittene Gewalt ist oft unaussprechlich, und wenn sie doch benannt wird, wird weggehört. Das Aufenthaltsrecht hängt von jenem des Ehepartners ab: eine inakzeptable Logik. Wir fordern Asyl, unabhängig von Familienstand, Hautfarbe, Nationalität, sexueller Orientierung, Geschlechtsidentität oder religiöser Zugehörigkeit. • Geschlechterstereotype in der Schule: Die Bildungs- und Berufswege junger Menschen sind von Werten, Normen, Regeln, Unterstützung, pädagogischen Mitteln, Lehrinhalten und Lehrbüchern geprägt. Wir fordern, dass die Schule ein Ort der Emanzipation und Förderung der Gleichberechtigung mit inklusiver Sprache, kritischer pädagogischer Ausbildung sowie vielfältigen Frauen- und Familienmodellen wird. • Arbeitslosigkeit: In der Schweiz gibt es, wie in anderen europäischen Ländern, eine «weibliche Mehrarbeitslosigkeit», bei der Frauen proportional häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen sind, während sie bei den «Regionalen Arbeitsvermittlungszentren» (RAV) seltener registriert sind. Darüber hinaus gibt es immer wieder Diskriminierungen hinsichtlich der Eignung für eine Vermittlung. Frauen sind besonders betroffen, wenn sie Mütter mit kleinen Kindern sind. Zwei Praktiken der RAV sind besonders schockierend: Zuweisungen zu Massnahmen nach einem Mutterschaftsurlaub und bei der Rückkehr aus dem Mutterschaftsurlaub wird ein Nachweis über die Kindesbetreuung benötigt. Wir verlangen ein Ende dieser Ungleichbehandlung. • Nach einem Mutterschaftsurlaub: Die Rückkehr an den Arbeitsplatz nach dem Mutterschaftsurlaub kann ein kritischer Schritt sein. Viele Mütter werden nach ihrer Rückkehr entlassen oder an einen anderen, oft weniger interessanten und schlechter bezahlten Arbeitsplatz versetzt oder es wird ihnen eine Verkürzung ihrer Arbeitszeit verweigert. Diese Situationen zwingen sie, ihren Arbeitsplatz zu verlassen. Damit Frauen weiterhin ihrer Arbeit nachgehen können, ist es unerlässlich, die Kinderbetreuung weiterzuentwickeln – auch für Eltern mit atypischen Arbeitszeiten und durch Zugang zu Personen, die kranke Kinder zu Hause betreuen können. Ist der Streik zulässig? In den Kantonen Waadt und Jura wird der Streik erlaubt sein. Die teilnehmenden Mitarbeiterinnen werden nicht bezahlt, sondern alles wird wie üblich bei einem Streik gehandhabt. In den anderen Kantonen hingegen gehen die Arbeitgeber davon aus, dass es eine grosse Beteiligung am Frauenstreik geben wird. Daher raten sie den Arbeiterinnen, die am Streik teilnehmen möchten, am 14. Juni Urlaub zu nehmen – bezahlt oder unbezahlt. Der Minimalbetrieb muss gewährleistet sein. Es ist zu hoffen, dass Männer an diesem Tag die Arbeit der Frauen übernehmen werden. Ob in Unternehmen, zu Hause, in Kindertagesstätten, etc. Am Streik teilnehmen Der Streik ist den ganzen Tag über geplant mit folgenden Höhepunkten: • um 11.00 Uhr: Alle Frauen unterbrechen die Arbeit und treffen sich an ihrem Arbeitsplatz, in ihrer Nachbarschaft, an verschiedenen Orten und Plätzen in ihrer Stadt oder ihrem Dorf. • um 15.24 Uhr: zweiter Moment des nationalen Streiks: symbolische Zeit, ab der Frauen nicht mehr bezahlt werden (20 Prozent Unterschied bei den Löhnen). • ab 17:00 Uhr: Demonstrationszüge und Redebeiträge in den Städten. Wir sind alle betroffen – Frauen wie Männer. Lasst uns gemeinsam Gleichheit fordern. Und wie isländische Frauen sagen: «Lasst uns die Gesellschaft verändern, nicht die Frauen.»
Guite Theurillat*
P.S.: Der Appell liegt dem Archipel bei!
- ehemalige Gleichstellungsbeauftragte der Universität Lausanne, Mitglied der interjurassischen Vereinigung «Women‘s Strike» im Jura und Berner Jura
- Manifest des Romanischen Kollektivs für den Frauenstreik (Collectifs romands pour la grève des femmes) 13.12.2018.
- Studie im Auftrag des Bundesamtes für Sozialversicherungen: «Das Rentengefälle zwischen Frauen und Männern», von Robert Fluder und Renate Salzgeber (Berner Fachhochschule), erschienen in Soziale Sicherheit (CHSS 4/2016)