Mit diesem Textauszug aus der Zeitschrift Timult* Nr. 2 vom März 2010 setzen wir unsere Artikelreihe über Frauen in verschiedenen Bewegungen fort. Hierbei handelt es sich um bewaffnete Frauen, die sich in der Guerilla der PKK1 engagieren.
Zum Thema der Frauen im bewaffneten Kampf der Kurden hat Anja Flach 2007 ein Buch mit dem Titel «Jiyaneke din – ein anderes Leben. Zwei Jahre bei der kurdischen Frauenarmee» veröffentlicht. Es geht um die Motivation, Identität und das Verhältnis der Geschlechter in der . Das Buch basiert auf den Erfahrungen und Recherchen von Anja Flach, die vom Sommer 1995 bis Winter 1997 in dem Kampfgebiet der Armee der PKK gelebt hat. Die kurdische Frauenarmee (YAJK) wurde in dieser Zeit aufgebaut.
Engagement und Abgrenzung
Bezüglich der Begegnungen mit den Kämpferinnen erklärt Anja Flach, dass sie von ihrem Selbstvertrauen und ihrer strahlenden Kraft beeindruckt war. Sie wurde mit ihrem Alltagsleben, ihren Lebenswegen und persönlichen Geschichten konfrontiert. Die meisten Frauen kamen aus kurdischen Dörfern und waren sehr jung, als sie in die Armee eintraten. Für sie war der Eintritt in die Guerilla mit einem Schnitt und einer Entwurzelung von ihrem früheren Leben verbunden. Sie distanzierten sich radikal von ihrer Herkunft, ihren früheren sozialen Beziehungen und den traditionellen Familienstrukturen.
Zunächst führte Anja Flach Interviews und schrieb eine Zeitung darüber, die 2003 veröffentlicht wurde. Sie ist zwischen Herbst 2006 und Frühling 2007 nach Kurdistan zurückgekehrt, um weitere Interviews zu führen. Bei ihrem zweiten Buch handelt es sich um eine Doktorarbeit, die sich mit der Identität der Kämpferinnen der kurdischen Frauenarmee beschäftigt. Sie geht von der Hypothese aus, dass die Frauen, die größtenteils unter den patriarchalischen Gesellschafts- und Familienstrukturen aufgewachsen sind, durch das Bedürfnis nach Selbstbestimmung und Neudefinierung ihrer Rolle und Identität als Frau in den bewaffneten Kampf eingestiegen sind. Somit wählt Anja Flach die Perspektive von innen, die sie durch die Aussagen der Frauen über die Guerilla darstellt. Sie konzentriert sich also weniger auf die Ideologie der Organisation als auf den Alltag und das Erlebte.
Ihre Arbeit stützt sich auf die Methoden und Paradigmen feministischer Ethnologie, die das kulturell und sozial geprägte Geschlechterverhältnis als Ausgangspunkt nimmt, um politische, wirtschaftliche, ideologische und kulturelle Strukturen einer Gesellschaft zu analysieren. Sie schreibt: «Die Frage, bis zu welchem Punkt das Engagement der Frauen in den Befreiungskämpfen in Zusammenhang mit ihrer eigenen Beteiligung steht, wird kontrovers von den Feministinnen diskutiert. Einige glauben, dass ein solcher Prozess in unumgänglicher Weise auch die Lebensbedingungen und die Perspektiven der Frauen verändert. Andere argumentieren, dass die Frauen nach einem ‚erfolgreichen Kampf‘ wieder an ihren traditionellen Platz verwiesen werden. (…) Edith Laudowicz hat die Rolle der Frauen in verschiedenen Befreiungsbewegungen studiert und erklärt, dass die Frauen bessere Bedingungen für ihre Befreiung vorfinden, wenn diese an kommunistische Ideen geknüpft sind. Aber es ist ihr wichtig zu unterstreichen, dass sozialistische Bewegungen nicht an sich eine Befreiung für die Frauen bedeuten, sondern ihre Beteiligung in der Bewegung ausschlaggebend ist.»
Geschichten der Kämpferinnen
Seit 1973 sind Anfänge der kurdischen Bewegung in Form von «ideologischen Gruppen» – nach ihren eigenen Angaben – in verschiedenen Städten in der Türkei aufgetreten. Die PKK wurde 1978 gegründet.
Sara: «Die These, nach der es keine nationale Befreiung ohne Befreiung der Frauen geben kann, gab es bereits und wurde als wichtig eingeschätzt. (…) Aber die tief greifenden Widersprüche innerhalb der Gesellschaft waren noch nicht benannt.»
Ende der 1970er Jahre haben sich die ersten Gruppen in die Berge zurückgezogen, was den Anfang des Guerillakrieges kennzeichnet. In den 80er Jahren lag der prozentuale Anteil der Frauen in der Guerilla bei 10 Prozent. Gleichzeitig gründete sich die PKK als Partei und als organisierte Armee. Bis in die 90er Jahre hinein versuchten die Familien, ihre Töchter davon abzuhalten, in die Guerilla zu gehen. Aber durch einige Volksaufstände (serhildan auf Kurdisch) in den Dörfern und Städten, in denen die Frauen eine zentrale Rolle gespielt hatten, wurden viele motiviert, ebenfalls der Guerilla beizutreten.
Nafye: «Viele Frauen kamen aus den Gegenden, in denen die «serhildan» stattgefunden haben. (…) Sie hatten ein politisches Bewusstsein, aber keine Erfahrung. Sie haben ihre eigenen Ketten zerstört, das war etwas Neues für die Frauen; in anderen Ländern, in anderen Revolutionen gab es das nicht.»
Geschlechtshomogene Gruppen
Anfang der 90er Jahre haben sich geschlechtshomogene Gruppen innerhalb der PKK gebildet. Anja Flach unterstreicht, dass die Frauen am Anfang vielen Problemen gegenüber standen: In der traditionellen Gesellschaft waren sie nicht daran gewöhnt, Verantwortung zu übernehmen, Waffen zu tragen, zu kämpfen und sich frei ausserhalb ihrer Familien zu entwickeln.
Aysel: «Das war sehr schwer, weil es vieles gab, was uns nie beigebracht wurde; die Männer konnten alles.»
Hatice: «Die Frauen in den 'Mangas'2 hatten kein Vertrauen zu sich und zu den anderen Frauen. Sie wussten nicht, bis wohin sie in dem Kampf gehen konnten, sie kannten ihre Stärke nicht. Sie haben sich nicht untereinander unterstützt und über ihre Probleme vor allem mit ihren männlichen Freunden geredet. Am Anfang haben sie nicht die Befehle der Kommandantinnen befolgt. Sie haben es abgelehnt, Befehle einer Frau auszuführen. Aber sobald es einen Mann gab, selbst wenn es ein einfacher Soldat ohne Kompetenz war, akzeptierten sie, was er sagte.»
Im Jahr 1995 wurde die YAJK (Organisation der freien Frauen von Kurdistan) und 2002 die Partei der Freiheit der Frauen Kurdistans (PAJK) sowie die militärische Frauenarmee (YJA Star) gegründet.
Sozdar: «In der Zeit von 1997–1998 konnten wir uns endgültig hinsichtlich des Wissens und der Praxis von der Kontrolle der Männer emanzipieren. Es gab Kommandantinnen und Hauptquartiere, die von Frauen geleitet wurden. Ich würde sagen, dass es heute wirklich nur noch wenige, nein eigentlich gar keine Ungleichheiten mehr gibt.»
Piroz: «Zu dieser Zeit (2001) waren die Frauen davon abgekommen zu glauben, dass sie nicht dazu in der Lage wären, eine Gruppe zu führen. Eine Frau alleine konnte nicht in eine führende Position kommen. Aber es war nicht mehr möglich, die Frauen auseinander zu bringen, weil sie ihr eigenes System errichtet hatten. Die Männer konnten nicht mehr sagen: ‚Diese Frau kann kämpfen, sie kann mit uns mitkommen‘, diese Möglichkeit gab es nicht mehr. Die Frauen haben ihre eigene Ordnung hergestellt. Jetzt haben wir unsere eigene Organisation, die 'JYA Star'. Die Frauen haben sich im politischen und militärischen Bereich – eigentlich in allen Bereichen – entwickelt und organisiert. Das ist der Grund, warum die Männer nicht mehr die Möglichkeit haben, uns auseinander zu bringen und sich der Frauen zu bedienen, um sie gegen andere Frauen auszuspielen.»
Bildung einer feministischen Identität
Anja Flach geht davon aus, dass die Frauen je nach Periode unterschiedliche Gründe hatten, sich an der Guerilla zu beteiligen. Sie hat immer von Frauen gehört, dass sie vor ihren Familien in die Guerilla flüchteten. Sie schließt daraus, dass die Unterdrückung der Frau in der Gesellschaft eine bedeutende Rolle bei deren Wahl gespielt hat.
Sozdar erzählt von ihren Erfahrungen im Jahr 1990: «Sicher war der ideologische Aspekt der unwichtigste, ich glaube, dass 80 Prozent der Frauen aufgrund der Unterdrückung in ihrer Familie kamen, aufgrund von erzwungenen Heiraten, Heiraten von Minderjährigen, weil sie bei sich nicht als menschliche Wesen betrachtet wurden.»
Um die Entstehung einer von Frauen entwickelten Macht innerhalb der Armee zu verstehen, hat Anja Flach versucht, die Entstehung einer feministischen Identität (solidarisch gegenüber anderen Frauen, bedacht auf Interessen von Frauen im Kampf und in internen Prozessen) zu beschreiben.
Sie analysiert verschiedene Aspekte von Einrichtungen, die eine Verstärkung einer Identität «freier Frauen» begünstigt haben. Die PKK – voll von kommunistischen Ideen – versucht gesellschaftliche Tendenzen wie die Individualisierung zu unterdrücken und kollektive Strukturen durch Symbole und Rituale zu verstärken. Wenn eine Person der Guerilla beitritt, entsagt sie ihrem persönlichen Leben. Die Kämpferinnen sind von ihren Familien getrennt, sie schicken keine Briefe und nehmen keinen Kontakt mehr auf. Jede Kämpferin ist mit einer Uniform, einer Kalaschnikow und mit Munition ausgestattet.
Für die Frauen ergibt sich eine Spannung zwischen neuer Identität und Tradition.
Berivan: «Sie [die anderen Kämpfer der Guerilla] wollten, dass ich das Kopftuch trage. Selbst zu Hause habe ich nie eines getragen. Ich habe das abgelehnt. All diese Kämpfer waren wenig gebildet, waren der Guerilla aus emotionellen Gründen beigetreten.»
Interne Funktionsweise
In der Guerilla spielt die Ausbildung, vor allem die politische, eine wichtige Rolle. Anja Flach erzählt, dass sie oft einen Slogan gehört hat, der besagt: «Nur 10 Prozent des Kampfes sind gegen den Feind gerichtet, die restlichen 90 Prozent für den Aufbau einer ‚neuen Persönlichkeit‘!» Die Frage der Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern spielt bei der Ausbildung eine wichtige Rolle. In den Ausbildungszentren der Kommandantinnen führen die Männer alle Haushaltsarbeiten durch. Es gibt eine offizielle Begründung für dieses seltene Phänomen: Dadurch haben die Frauen mehr Zeit, an den Ausbildungseinheiten teil zu nehmen, und was noch wichtiger ist, das Patriarchat hat ihnen 5.000 Jahre Vorsprung eingeräumt, was Haushaltsarbeiten angeht.
Innerhalb der PKK gibt es ein Verbot «traditioneller» Beziehungen zwischen Mann und Frau (sexuelle Beziehungen, Zweierbeziehung und Heirat). Die PAJK verteidigt das Verbot sexueller Beziehungen mit der Begründung, die Rückkehr alter gesellschaftlicher Strukturen verhindern zu wollen.
Sara: «Es gibt keinen befreiten Raum, um freie Beziehungen zu führen. Als die Organisation gewachsen ist, sind auch die Einflüsse der feudalen Gesellschaft größer geworden. Ich würde dennoch nicht von einem Verbot sprechen, sondern von einem Versuch, eine neue Form von Beziehungen zwischen Mann und Frau zu entwickeln.»
Anja Flach kritisiert andere Wissenschaftlerinnen, die bestätigen, dass die PKK reaktionär im Bereich der Geschlechtertrennung ist. Sie unterstreicht, dass die Möglichkeit, nicht zu heiraten, einen Fortschritt für die Emanzipation der kurdischen Frauen bedeutet. Selbst wenn diese Argumentation interessant wirkt, ist es bedauerlich, dass Anja Flach dieses Verbot nicht weiter hinterfragt: Handelt es sich wirklich um eine Emanzipierung oder eher um einen neuen Versuch, den Frauen zu verbieten ihre Sexualität zu entdecken, (während die Männer sich in Bordells amüsieren)?
Eine Guerilla mit politischem Bewusstsein
Anja Flach kommt zu dem Schluss, dass der Kampf nie zu einem militärischen Sieg führen wird. Sie sieht die Vorzüge in der Organisation der Frauen und des politischen Bewusstseins der Bevölkerung. Sie vermutet, dass die Identität der Kämpferinnen es den Frauen ermöglicht hat, auch auf dem Gebiet der zivilen Organisation in wichtige Positionen zu kommen. Sie schreibt: «Aus einem feministischen Blickwinkel erscheint es mir wichtig, sich mit den Frauenbewegungen des Mittleren Orients auszutauschen, um sich gegen die Verstärkung der religiösen und nationalistischen Bewegungen zu organisieren.»
* Timult ist eine von einem Frauenkollektiv gestaltete Zeitschrift
15, rue Jacquet, F-38100 Grenoble, timult(at)riseup.net
Partiya Karkerên Kurdistan, die bekannteste der politischen Parteien, die sich im bewaffneten (und illegalen) Kampf für die kurdische Autonomie einsetzen. Man zählt hier auch die kurdische Bevölkerung, die auf türkischem, iranischem, irakischem und syrischem Gebiet wohnt.
Kleine Gruppen innerhalb der Guerilla