Der gewaltsame Tod des Studenten Rémi Fraisse durch einen Polizisten Ende Oktober 2014 bei einer Demonstration gegen das Staudammprojekt von Sivens1 hatte die französische Öffentlichkeit aufgerüttelt. Doch die Regierung hat das Baugelände von den Besetzer_innen räumen lassen – mit Hilfe rechtsextremer Banden.
War das ironisch gemeint? Am 6. März 2015, dem Tag, als die ZAD2 im Wald von Sivens in Südwestfrankreich von der Polizei evakuiert wurde, beunruhigte sich Premierminister Manuel Valls über «das Schweigen der Gesellschaft und der Intellektuellen» gegenüber dem Aufstieg der extremen Rechten in Frankreich. Von unserer Region, dem Tarn, aus gesehen, wirkte die Aussage von Valls wie eine Provokation, weil die Gegner_innen des Staudammprojekts von Sivens während des ganzen Monats Februar faschistisch motivierten Übergriffen ausgesetzt waren. Es hat sich klar herausgestellt, dass sich die französische Regierung auf Strömungen der extremen Rechten abgestützt hat, um den Kampf gegen den Staudamm zu schwächen und die Räumung voranzutreiben. Um diese Feststellung zu untermauern, ist ein kurzer Rückblick über Ereignisse nötig, die von den Medien leider kaum beachtet wurden.
Bedroht und verfolgt
Ab dem Wochenende vom 31. Januar begannen kleine Gruppen von Männern den Zugang zur ZAD zu blockieren, um all diejenigen fern zu halten, die sich auf das Gelände begeben wollten. Diese Gruppen sind gewaltsam vorgegangen, um den Kontakt zwischen den Besetzer_innen und den zahlreichen Unterstützer_in-nen aus der Region zu sabotieren: Den Sympathisant_innen der ZAD wurden die mitgebrachten Lebensmittel entrissen, die Autoreifen aufgeschlitzt oder ihre Autos in den Graben gestossen. Alle Unterstützer_innen wurden ganz offen bedroht und auch teilweise verfolgt. Es kam soweit, dass Patrick Rossignol, Bürgermeister einer kleinen Gemeinde im Süden des Tarn, der zu einer Debatte auf der ZAD erschienen war, vom Ort Sivens bis ins Zentrum der Stadt Gaillac von solchen Blockierern verfolgt wurde. Er parkte seinen Wagen, um an einer Sitzung teilzunehmen, und fand danach eine zerschlagene Windschutzscheibe vor. Bürger_innen aus Gaillac, die ihn daraufhin zur Gendarmerie begleiteten, damit er Anzeige erstatten konnte, wurden ein paar Minuten später vor dem Posten von Befürwortern des Staudamms mit Eisenstangen angegriffen. Die Polizisten kamen erst am Ende der Auseinandersetzung aus dem Haus, obwohl sich die Szene genau unter ihrem Fenster abgespielte.
Schläger und Gendarmen
Während des ganzen Februars wurden die Unterstützer_innen der ZAD häufig bedroht oder misshandelt - und zwar unter den Augen der Polizei. Die Besetzer_in-nen im Wald waren den Übergriffen permanent, Tag und Nacht, ausgesetzt. Dabei präsentierten sich die Polizisten als Friedenstruppe zwischen den Fronten, doch es war zu offensichtlich, dass sie mit den Schlägern unter einer Decke steckten. Am Sonntagabend des 1. März versuchte ein junger Mann mit seinem Kastenwagen auf das Gelände zu fahren, wobei er auf die Absperrungen der Staudammbefürworter stiess. Diese zwangen ihn auszusteigen und setzten daraufhin, ohne zu zögern, dessen Fahrzeug in Brand. Die Polizisten schauten untätig zu. Sie erklärten, sie wären zu wenig zahlreich, um eingreifen zu können. Sie weigerten sich sogar, ein Protokoll aufzunehmen. Schliesslich, am 4. März, umstellten die Polizisten die ZAD, um die Besetzer_innen von jeder Verstärkung und Versorgung abzuschneiden. Gleichzeitig liessen sie die plötzlich zahlreicher erschienenen ZAD-Gegner auf das Gelände strömen. Diese begannen sofort, das Camp der Besetzer_in-nen zu plündern und zu brandschatzen. Wie Zeug_innen berichteten, veranstalteten sie eine regelrechte Menschenjagd.
Wütende Bauern?
Dieser fürchterliche Elan einer selbsternannten «Bürgerwehr» kam zuerst ohne sichtbare politische Etikette daher, ausser dass die Staudammbefürworter Armbinden mit der Aufschrift «anti-pelluts» trugen, die sich verallgemeinernd und stigmatisierend gegen die Besetzer_innen mit sogenannten «ungepflegten Haaren» richtete. In der lokalen Presse wurden die Schläger als «wütende Bauern aus der Umgebung» bezeichnet, wobei unabhängige Zeug_innen diese als Wähler oder Militante des Front National (FN) und weniger als Landwirte identifizieren konnten. Die Internetseiten, auf denen sich die Staudammbefürworter zu den Taten gegen die Besetzer_innen bekennen, vertreten einen strammen rechten Kurs, zum Beispiel gegen Arbeitslose oder Aus-länder_innen, gemischt mit Morddrohungen gegen die ZAD-Leute. Einer der Animatoren des Blogs Testet.sivens.com soll gleichzeitig in der rechtsextremen Postille Boulevard Voltaire schreiben. Verschiedene Allrad-Geländewagen trugen das Abzeichen des Front National.
Indem sich die FNSEA, die Gewerkschaft der Grossbauern von Frankreich, öffentlich für eine Woche der Blockade gegen die Staudammgegner_innen verantwortlich erklärte, stellte sie sich offiziell hinter die «Ultras». Schon seit Monaten hatte die Gewerkschaft diese gewalttätigen Kräfte auf lokalem Niveau gefördert. Die Regierung von Präsident François Hollande und von Premierminister Manuel Valls ist ebenfalls Komplizin, weil sie nichts gegen diese Gewalttäter unternommen hat. Für all diejenigen, welche die letzte Zeit auf der ZAD miterlebt haben, stellen sich die Ereignisse als sehr verwirrend und beunruhigend dar. Welche Rolle spielte die Polizei? Setzte sie die rechtsextreme «Bürgerwehr» bewusst ein, um die Besetzung aufzulösen, die der Regionalverwaltung und der Regierung in Paris schon lange ein Dorn im Auge war? (…)
Die Funktion der Rechts-extremen
Die letztere Hypothese würde bedeuten, dass die Milizionäre des FN und der FNSEA die Interessen der politischen und wirtschaftlichen Elite verteidigen, welche sie vorgeben zu verdammen. Diese Elite stellt sich selber immer als moderat und demokratisch dar, während sie aber offenbar auf diese gewalttätigen Männer zählt, um mit allen Mitteln jegliche Alternative zur industriellen Entwicklung, zum wirtschaftlichen Wachstum und dem damit verbundenen Raubbau an Mensch und Natur zu verhindern. Hiermit befinden wir uns im Kern der historischen Funktion der extremen Rechten, einmal abgesehen von ihrem Chauvinismus, ihrer Fremdenfeindlichkeit und ihrem Protestwählerpotential: Die extreme Rechte verwurzelt sich in der Gesellschaft, wenn ihr die herrschende Klasse eine Rolle zur Aufrechterhaltung der Ordnung anvertraut, das heisst, die Unterdrückung anti-kapitalistischer Bewegungen und die Garantierung der fortlaufenden Geschäfte (business as usual). Diese Rolle wird paradoxerweise von Individuen und Gruppen gespielt, die sich eigentlich auch mit dem herrschenden Wirtschaftssystem anlegen müssten, weil dieses sie früher oder später zermalmen wird. Doch aus so und so vielen Gründen persönlicher und soziologischer Natur schlagen sie sich auf die Seite der Ordnung. «Wir fordern vom Staat die Anwendung des Gesetzes!» war das Leitmotiv der Staudammbefür-worter_innen während der ganzen letzten Wochen. Dabei war es ihnen gleichgültig, dass sie selber die Gesetze brachen, um an ihr Ziel zu gelangen.
Momentan veranstaltet der französische Staat einen gigantischen Rummel über Umweltfragen, der im kommenden Dezember mit der internationalen Konferenz Paris Climat seinen Höhepunkt erreichen wird. In diesem Zusammenhang will die Regierung alle Stimmen ersticken, die sich seit einigen Jahren in Frankreich und anderswo gegen kapitalistische Grossprojekte zu Wort melden. Nur ein Stopp des Raubbaus kann uns die Hoffnung für eine lebenswerte Welt zurückgeben! Ein Umdenken würde natürlich einen immensen politischen Wandel bedeuten, den unsere Eliten um jeden Preis umgehen wollen. So spielen sie mit den Ängsten und den Widersprüchen in unserer Gesellschaft, um weiter ungehindert ihren Geschäften nachgehen zu können.
- siehe Archipel Nr. 232, Dezember 2014
- Zone à défendre: «zu verteidigende Zone»; dieser Begriff wurde erstmals von den Gegner_innen des Flughafenprojektes in Nantes für das Gelände von Notre Dame des Landes verwendet. Heute gibt es zahlreiche «ZADs» in ganz Frankreich, die sich gegen sogenannte «unnütze Grossprojekte» wenden.
- Übersetzerin und Journalistin
- Einer der Autoren der französischen Textsammlung Sivens sans retenue (La Lenteur, 2015)