FRANKREICH: Gefahr für die Wälder des Morvan

von Nicholas Bell EBF Frankreich, 15.04.2013, Veröffentlicht in Archipel 214

Am 4. Februar 2013 reagierten mehrere Dutzend Menschen auf einen kurzfristigen Aufruf: Es galt schnell zu handeln, um einen ersten Holzschlag im Bergmassiv Morvan im Burgund zu vermeiden, der den Auftakt zum Megaprojekt einer Sägerei und Holzverbrennungsanlage der belgischen Gesellschaft Erscia bilden sollte.

Dieser Holzschlag war überraschend veranlasst und von 70 Polizisten begleitet worden. Dies, obwohl das Verwaltungsgericht in Dijon die Genehmigung des Holzschlags durch den Präfekten aufgehoben hatte. Am Ende des Tages haben die Anwesenden es als unumgänglich eingeschätzt, vor Ort zu bleiben. Inspiriert von dem Kampf gegen das Flughafenprojekt in Notre-Dames-des-Landes, beschlossen sie, den Ort «ZAD (zu verteidigende Zone) des Waldes von Tronçay» zu nennen. Rasch wurden einige Hütten erstellt und seither besetzen die Gegner des Projekts die Zone. Bisher haben sich mehr als 600 Personen beteiligt, damit Tag und Nacht immer etwa 20 Leute vor Ort sein können.1

Die ZAD im Wald von Tronçay

Aber warum beunruhigt diese Menschen das Projekt von Erscia derartig? Schon einmal wollte sich eine Riesensägerei (Fruytier) an diesem Ort ansiedeln, in Sardy-les-Epiry, etwa 6 km von Corbigny (Nievre) entfernt. Der Ort befindet sich am Rand des regionalen Naturparks vom Morvan und in 3 km Entfernung zu einer Zone «Natura 2000». In den Jahren 2007/08 zog sich Fruytier aus dem Projekt zurück, weil die lokale Infrastruktur (Strassen, Bahn, Stromzufuhr) unzureichend war, aber auch weil 110 Hektar Laubwald hätten gefällt werden müssen, in denen geschützte Tierarten leben. Fruytier liess sich 2009 in Roche-en-Bresnil (Côte d’Or) nieder.
2011 nahm Erscia das Projekt wieder auf. Die lokalen politischen Vertreter_innen gaben grünes Licht für das Projekt eines riesigen industriellen Komplexes, bestehend aus einer Plattform für die Sägerei, ein Blockheizkraftwerk für Biomasse und eine Pelletsproduktion, bestimmt für die Stromerzeugung in Belgien. Damals veröffentlichte der Präfekt alle Bewilligungen, die von den Bewohnern des nächstliegenden Dorfes, Marcilly, und von den zwei Umweltorganisationen Loire vivante und Decavipec juristisch angegriffen wurden. Im Frühling 2012 beschafften sich Bewohner_innen des Gemeindeverbundes von Corbigny, welcher das Projekt unterstützt, die offiziellen Unterlagen. Der Inhalt des Dossiers alarmierte sie, besonders die geplante Zerstörung des 110 Hektar grossen Laubwaldes, allein für den Bau der Fabrik und dies, obwohl es in der Umgebung genug industrielle Brachen gibt. Aber andere Aspekte des Projekts sind noch folgenschwerer für die Zukunft des Morvan. Deswegen haben sich die Bewohner zusammengeschlossen und im Juni 2012 den Verein Adret-Morvan (A-M)2 gegründet. Nach dessen Informationen würde die Anlage zunächst eine bedeutende Umweltverschmutzung verursachen. Ausserdem würde sie die Holzwirtschaft im Burgund destabilisieren und die Abholzung beschleunigen und schliesslich würde sie ab 2020 die Arbeitslosigkeit in der Branche verschlimmern.

Gefährliche Verbrennungsanlage

Hinter den Worten «Sägerei» und «Blockheizkraftwerk» verbergen sich ein Verbrennungsofen und eine Fabrik zur Stromproduktion. Die lokalen politischen Vertreter_innen beteuern zwar, es handle sich nicht um eine Kerichtverbrennungsanlage, was nicht falsch ist, aber sie vergessen zu präzisieren, dass der Ofen bedeutend mehr Luftverschmutzung verursachen würde als die Kerichtverbrennungsanlage in Fourchambault bei Nievre. Wieso? Weil er nicht nur Biomasse verbrennen wird, sondern auch verschiedene Klassen von Holzabfällen (bemaltes Holz, Lack, Abbruchholz etc.), die einen Anteil von bis zu 75 Prozent des gigantischen Verbrennungsvolumens ausmachen können. Schauen wir näher hin: Die thermische Leistung der Verbrennungsanlage beträgt 54 Megawatt, bei einem Verbrauch von 20 Tonnen Brennmaterial pro Stunde und dies während 22.5 Stunden pro Tag. So versteht man besser, wieso Erscia den Bau eines 50 Meter hohen Kamins plant (was einem 18-stöckigen Hochhaus entspricht) der pro Jahr 598 000 000m3 verschmutzten Rauchs ausstossen soll. Der gewählte Standort ist völlig ungeeignet für ein Projekt dieser Grössenordnung, wie Schwächen in der Infrastruktur (Strom, Strassen, Wasserversorgung etc.) zeigen. Wie will das Departement mit dem Verkehr von mindestens 170 Lastwagen pro Tag3 -etwa ein Lastwagen alle vier Minuten- umgehen? Schon heute verursacht die Verbrennungsanlage von Fourchambault (die nicht am Maximum ihrer Kapazität läuft) ernsthafte Luftprobleme, in dem sie 20 bis 30 Tonnen Schadstoffe ausstösst. Wenn man weiss, dass Erscia eine Bewilligung für den Ausstoss von maximal 272 Tonnen erhalten hat, kann man die Besorgnis verstehen. Um die Fabrik mit einem solchen Volumen zu versorgen, hat Erscia ausserdem eine Sonderbewilligung erhalten, um Holzabfälle in einem Umkreis von 300 km einzusammeln. Neben der direkten Verschmutzung hat A-M grössere Mängel bei anderen Aspekten entdeckt, wie etwa bei der Finanzierung, der Zufuhr und der Stromproduktion, die «umweltfreundlich» genannt wird. Aber für die Bewohner_innen des Morvan wäre die schlimmste Seite des Projekts die Auswirkungen, die es auf den Wald von Morvan hat, auf die Holzwirtschaft und die Entwicklung der Arbeitslosigkeit.

Wald und Holzbranche gefährdet

Die Ansiedlung von Erscia, vorgesehen zur Verarbeitung von 3 000 m3 pro Tag, brächte die Abholzung von 5 Hektar Wald, sprich 7 Fussballfelder pro Tag mit sich, was 2 100 Fussballfeldern pro Jahr entspricht. Ein Grossteil der Nadelbaumpopulation im Morvan ist nach einer hauptsächlich finanziellen Logik zurzeit «reif» und soll bald genutzt werden. Studien von 2004 und 2007 sehen vor, dass, wenn hauptsächlich Bäume mit einem Alter von 55 bis 65 Jahren gefällt werden, es eine kontinuierliche Steigerung der Produktion gibt mit einem Höhepunkt von 1.2 Millionen m3 (ohne Rinde) im Jahr 2030. Aktuelle Studien sprechen allerdings von einem Höhepunkt bereits 2020 gefolgt von einem kontinuierlichen Rückgang, weil die Forstunternehmen seit einigen Jahren bevorzugt junge Bäume (40 Jahre) fällen.
Die Studien, welche in den Publikationen des Naturparks vom Morvan zusammengefasst werden, zeigen auf, dass die Holzressourcen ab 2020 kleiner sein werden als die Sägekapazität – ohne die Niederlassung von Erscia mitzurechnen. Ihre Ansiedlung ist sowohl de-struktiv für den Wald, als auch ökonomisch irrational. Ab 2020 werden die Sägereien, und nicht nur die Kleinen, anfangen zu verschwinden. Die industrielle Nutzung des Waldes wird zur Verringerung der Ressource Holz, mit einem Produktionsloch in 30 bis 40 Jahren führen. Jeder weiss, dass eine zeitliche Staffelung der Holzschläge die einzige Lösung ist, um den sich anbahnenden ökonomischen, ökologischen und sozialen Schock abzumildern. Je mehr man auf Holzschläge mit erhöhten Sägekapazitäten setzt, desto heftiger wird dieses Phänomen auftreten, vor allem was die Arbeitsplätze betrifft – und dies nicht erst ab 2020.
Was die Beschäftigung angeht, zeigt das Dossier, dass die Schaffung von Arbeitsplätzen geringer sein wird als die vorgelegten Zahlen, und dass ein solches Projekt gleichzeitig Arbeitsplätze in anderen Domänen zerstören wird. Niemand hat daran gedacht, dazu eine seriöse Studie zu machen, aber A-M schätzt, dass etwa 120 geschaffene Arbeitsplätze 300 im Departement verschwundenen gegenüberstehen werden.

Auf welche Zukunft steuern wir zu?

Die Nadelbäume, aktuell 50 Prozent des Baumbestandes, werden auf Kosten der Laubbäume, die als unrentabel angesehen werden zunehmen. Dies, obwohl sie bei einer verantwortungsvollen Bewirtschaftung rentabel sein können, wie der Forstverband Autun Morvan Ecologique4 und einige verantwortungsbewusste Waldbesitzer_innen beweisen.
Die Böden werden durch die Nadelbäume und die zu schnelle Rotation saurer und ausgelaugt, wie die Publikationen des Naturparks aufzeigen. Dieser Vorgang wird durch das Entfernen der Abfälle der Nadelbaumkulturen beschleunigt, welche im Ofen von Erscia landen sollen, anstatt sich vor Ort abzubauen und so den Boden wieder anzureichern. Soll es soweit kommen wie in einigen nordeuropäischen Ländern, dass man gezwungen sein wird, mit Helikoptern Dünger zu streuen, um die Produktion auf einem rentablen Niveau zu halten?

Eine politische Schizophrenie

Einerseits haben die lokalen politischen Vertreter_innen eine Forst-Charta für den Morvan unterschrieben, die sich für ein Gleichgewicht in der Holzbranche einsetzt und für eine gesunde Bewirtschaftung der Ressource Holz. Andererseits unterstützen dieselben Politiker_innen die Ansiedlung von Erscia, die allen Empfehlungen der Charta entgegensteht. Die Charta sorgt sich um die Überkapazität beim Sägen und empfiehlt den Ausbau von Arbeitsplätzen in der Weiterverarbeitung des Holzes und nicht beim Sägen.5
Der Präfekt organisierte im September 2012 eine Sitzung mit Vertreter_innen von A-M, lokalen Politiker_innen, Techniker_innen und Ingenieur_innen von DREAL6 und des Unternehmens Erscia. Dabei ist den Aktivist_innen von A-M klar geworden, dass die Politiker_innen ein Projekt befürworteten, dessen Dossier sie nicht gelesen hatten. Sogar die Verfasser_innen des Dossiers schienen etwas verloren in ihrem Text. Der Koordinator des wissenschaftlichen Komitees von A-M, Frédéric Skoczylas und Vizepräsident Jérome Bognard, brachten den technischen Service von DREAL und die Vertreter_innen von Erscia in Verlegenheit gebracht, indem sie die völlige Inkohärenz des Projekts offenlegten. Dieser Kampf vereint eine akribische Arbeit über die zahlreichen Auswirkungen eines solchen Megaprojekts mit einer konkreten Besetzungsaktion des bedrohten Gebiets. Er verdient, breiter bekannt zu werden, und könnte in Frankreich als Inspiration dienen für die Gegner_innen zahlreicher ähnlicher Projekte in Bure, Tricastin, Gardanne etc., die eine immense Bedrohung für den französischen Wald bedeuten. Man könnte meinen, dass aus dem Fiasko mit den Agrotreibstoffen nichts gelernt worden ist. Wir sehen uns mit einem neuen Hype, wiederum mit ökologischen Argumenten, konfrontiert, diesmal zur industriellen Energiegewinnung aus Holz. Jeden Sonntag organisieren die neuen «ZADist_innen» des Waldes von Troncay eine Informationsveranstaltung für alle interessierten Personen.

Quellen: aus verschiedenen Publikationen von A-M. Für mehr Informationen: Auf der Internetseite www.adretmorvan.org findet sich ein Newsletter über den Kampf.

  1. Sie können die Entwicklung der Besetzung mit vielen Fotos verfolgen auf:
    zad-boisdutroncay.org.
  2. Verein für eine Entwicklung mit Respekt für die Umwelt auf den Gebiet des Morvan.
  3. Diese Zahlen stammen aus dem Dossier und den Berechnungen von Erscia. A-M schätzt die Zahlen als stark untertrieben ein.
  4. Dieser Verein bemüht sich um den Schutz der Laubwälder im Gebiet des Morvan, in dem er sie mit der finanziellen Unterstützung seiner Mitglieder aufkauft. www.autunmorvanecologie.org
  5. Nach dieser Charta würden Aktivitäten in der Weiterverarbeitung von Holz, z.B. Schreinerei, einen Arbeitsplatz pro 40m3 geschlagenen Holzes repräsentieren, gegenüber 1 000m3 pro Arbeitsplatz in einer handwerklichen Sägerei und 3 000m3 in einer industriellen Sägerei.
  6. Regionaldirektion für Umwelt, Raumplanung und Wohnen.