Vor 50 Jahren strömten 100.000 Menschen aus der ganzen Welt in die Hochebene des Larzac, um die Bauern und Bäuerinnen zu unterstützen, die durch die geplante Erweiterung eines Militärgebietes von Enteignung bedroht waren. «Kein Landwirt wird gegen seinen Willen vertrieben!», versprach damals der «Eid der 103» (1). Vor einem Monat trafen sich hier hunderte Widerstandsgruppen aus ganz Frankreich, um dieses Versprechen zu bestätigen.
Nach dem damaligen Sieg der Widerständigen und der Aufgabe des militärischen Projekts im Jahr 1981 wurde der Larzac, eine 1000 km² grosse Kalk-Hochebene im Südwesten Frankreichs, zu einem bahnbrechenden Experimentiergebiet für kollektive bäuerliche Dynamiken und zu einem Pilgerort für die Versammlungen der französischen Umweltbewegungen. Auf dem internationalen Forum von 2003 wurde hier beispielsweise vor 20 Jahren das Kollektiv der freiwilligen GVO-Mäher·innen gegründet.
Anfang August dieses Jahres kehrten 7500 Menschen auf die frisch abgeernteten Felder dieser mythischen Landschaft zurück, um an dem Treffen der «Résistantes» teilzunehmen, die von der «Confédération Paysanne»(2), den «Terres de Luttes»(3), den «Faucheur·euses Volontaires» («freiwillige GVO-Mäher·innen») und über 800 Freiwilligen aus ganz Frankreich mitorganisiert wurden. Mit mehr als 175 angekündigten Redebeiträgen war das Programm von einer überwältigenden Fülle, die im Rahmen eines solchen Artikels unmöglich vollständig wiedergegeben werden kann.(4) Aber dieses «Jubiläumsereignis» hat eine hervorragende Gelegenheit geboten, um den Zustand der radikalen französischen Umweltbewegung für das Jahr 2023 zu skizzieren.
Historische Verschärfung der Repression
In Frankreich wird das Jahr 2023 zweifellos als ein Jahr der beispiellosen Beschleunigung der Repression in das Gedächtnis der Aktivist·innen eingehen. Zunächst ein Jahr der massiven Überwachung, mit der Entdeckung von Kameras vor unseren Aktivitäts- und Lebensorten, von Chips unter unseren Fahrzeugen, von Abhörgeräten und der systematischen Auswertung unserer Daten; ein Jahr, das auch durch eine Intensivierung der Polizeigewalt gekennzeichnet ist, in dem wir durch unzählige Tötungsdelikte und todbringendes Fehlverhalten der Polizei in den Arbeitervierteln in Trauer versetzt wurden. Ein Jahr, in dem die Polizei innerhalb von zwei Stunden mehr als 5000 Granaten auf Demonstrant·innen abfeuert, um ein «Loch» (Riesenwasserrückhaltebecken bei Sainte-Soline, Anm. d. Red.) zu schützen. Ein Jahr, das von aufeinanderfolgenden Verhaftungswellen und Gerichtsverfahren getaktet wird, die in der versuchten Auflösung der «Soulèvements de la Terre» (Aufstände der Erde) gipfelten; und auch das Jahr der veraussichtlichen Gründung einer Anti-ZAD-Brigade, um Geländebesetzungen gegen Megaprojekte zu verhindern.
Von Bure über Notre-Dame-des-Landes bis Sainte-Soline: Die Zeugenaussagen, die während der «Résistantes» geliefert wurden, haben die Vielfalt der repressiven Schemata sichtbar gemacht, die an den verschiedenen Orten eingesetzt werden. Wir tauschten uns auch über die negativen Auswirkungen der Repression auf Kollektive und Individuen aus: Sie schürt Angst, erzeugt Traumata (physisch und psychisch), Erschöpfung und Isolation der Aktivist·innen. Und auch wenn es unerlässlich ist, über Repression zu sprechen, insbesondere damit sich die Aktivist·innen der Risiken in ihrem Engagement bewusst werden, so ist es doch schwierig, darin ein Gleichgewicht zu finden, damit die Angst nicht zu gross wird und unsere Bewegungen nicht geschwächt werden. Wenn wir uns das Glas halb voll vorstellen, stellen wir fest, dass «was uns nicht umbringt, uns stärker macht»: Angesichts der zunehmenden Repressionen organisieren sich unsere Bewegungen immer effizienter, um Aktivist·innen zu schützen und Opfer zu unterstützen. Die wachsende Kompetenz der «Backbones», der «Legal Teams» und der Selbsthilfe-Netzwerke zeigt, dass die Kultur der Fürsorge an Boden gewinnt. Es zeigt sich auch, dass Unterdrückung Zusammenhalt erzeugt: Angesichts von Widrigkeiten (wie zum Beispiel den Windböen, die wir während dem Treffen Tag und Nacht ertragen mussten), schliessen wir die Reihen und stehen zusammen!
Die grosse Bewegung
Jede Bewegung muss in der Lage sein, eine kontinuierliche Arbeit der Selbstkritik zu leisten, aber auch ihre Errungenschaften und Siege kollektiv zu feiern. Zu diesen Errungenschaften gehört die jüngste Beschleunigung der Konvergenzdynamik der verschiedenen Bewegungen der radikalen Ökologie, die insbesondere von der Bewegung «Soulèvements de la terre» vorangetrieben wurde. Diese Konvergenz lässt sich zunächst durch eine verstärkte Solidarität zwischen den Gebieten beobachten: Die Aktionen, die in jeder «Saison» der «Soulèvements de la terre» auf der Tagesordnung stehen, haben von einer erhöhten Sichtbarkeit und einer vervielfachten Mobilisierungsfähigkeit profitiert, wie man bei der Anti-Megabecken-Aktion im März in Sainte Soline feststellen konnte, an der nicht weniger als 30.000 Menschen aus der ganzen Welt teilgenommen haben. Während solchen Treffen wie im Larsac entsteht die Konvergenz auch durch eine Vervielfachung der Koalitionen von «thematischen» Kämpfen: Nach dem Vorbild der «Déroute des Routes»(5) entstehen neue Kollektive wie die «Hydrofurieux» (die Wasserwütenden), um die Kämpfe zur Verteidigung des Wassers zusammenzuführen, wie auch das Netzwerk gegen Fabrikfarmen oder auch gegen «Agrovoltaik»-Projekte. Diese Koalitionen ermöglichen es, die Erfahrungen der Kämpfe zu vergleichen, Argumente zu festigen und gemeinsame Strategien zu entwickeln.
Es herrscht Konsens darüber, dass es sinnvoll ist, verschiedene Kampfstrategien zu artikulieren, auch wenn man sich einig ist, dass der Übergang zur Praxis nicht immer einfach ist. Es werden einige Beispiele für eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen «bürgerlichen» Rentner·innenverbänden und meist jungen Landbesetzer·innen genannt, die einen Moment lang von einer strahlenden Zukunft träumen lassen, in der die auf verschiedene Weise engagierten Menschen nicht mehr aufeinanderprallen, sondern sich gegenseitig erforschen, ergänzen und sogar vermischen. Es ist sicher, dass diese Konvergenzdynamiken es der Bewegung ermöglicht haben, einen ziemlich bedeutenden «Massstabswechsel» zu vollziehen, der sich von Ereignis zu Ereignis bestätigt. Gleichzeitig begleitet die Popularisierung des Konzepts der «Entwaffnung», d.h. des Unbrauchbarmachens gewisser schädlicher Grossprojekte durch die «Soulèvements de la terre» einen Übergang zu offensiveren Handlungsweisen: Im Kontext der aktuellen klimatischen Notlage erscheint die Neutralisierung giftiger und zerstörerischer Infrastrukturen und Maschinen nicht mehr als einfache «Beschädigung/Zerstörung von Eigentum», sondern als eine Form der Selbstverteidigung. Die dreifache Dynamik (Konvergenz, Massifizierung, Radikalisierung) beunruhigt die Behörden offensichtlich. Wie ein Sprecher des Kollektivs «Bassines non merci»(6) schlussfolgert: «Wenn sie so viel Energie darauf verwenden, uns zu bekämpfen, dann ist das ein Zeichen dafür, dass wir genau ins Schwarze treffen.»
Mit Recht und Wissenschaft
Eine weitere Strategie, die während der «Résistantes» zur Sprache kam, ist die, sich die Waffen unserer Gegner·innen anzueignen, um sie besser bekämpfen zu können. In einer sehr schönen Podiumsdiskussion kamen insbesondere «verbündete» Wissenschaftler·innen zu Wort, welche die Seite wechseln, um zur «intellektuellen Abrüstung» des zerstörerischen Kapitalismus beizutragen. Einige wie die «Wissenschaftler·innen in Rebellion» tun dies, indem sie bewusst die Autorität instrumentalisieren, die ihnen der weisse Kittel und die sakrosankte «wissenschaftliche Methode» verleihen; andere wie die «Naturalist·innen der Erde» erfinden mit Denker·innen wie Philippe Descola den wissenschaftlichen Ansatz neu, der so sensibler und partizipativer wird. Wie das Sprichwort sagt: «Wissenschaft ohne Gewissen ist nur der Ruin der Seele».
Eine weitere Berufsgruppe, deren Desertierende ins Rampenlicht gerückt wurden, sind die Jurist·innen – in einem Umfeld, in dem die Demokratie versagt und man sich zu Recht fragen kann, ob uns das Recht noch schützen kann. Manchmal kann durch Verwaltungsbeschwerden einfach wertvolle Zeit gewonnen werden, wie es kürzlich im Kampf gegen das Beckenprojekt in La-Clusaz der Fall war. Der Nachweis, dass die Projektträger·innen selbst gegen die Gesetze verstossen, kann auch den Rückgriff auf offensivere Vorgangsweisen legitimieren, wie es bei der Besetzung des «Bois Lejuc» in Bure der Fall war. Manchmal führt dies sogar zur Aufgabe von Projekten, wie kürzlich bei der geplanten Umgehungstrasse von Golfe-Juan im Departement Alpes-Maritimes.
Bruchlinien, die bestehen bleiben
Ein kleiner Wermutstropfen vielleicht: Der Aufbau unserer politischen Identität ist ein dynamischer Prozess, der sich in Neukonfigurationen von Bündnissen (wie den oben erwähnten) äussert, aber auch in der Definition der Grenzen zwischen denjenigen, die wir als unsere Verbündeten betrachten, und denjenigen, die wir als unsere Gegner·innen betrachten müssen. Trotz einer gemeinsamen Basis und gemeinsamen Werten ähnelt diese Grenze eher einer «Grauzone», deren verschwommene Konturen je nach politischer Sensibilität der einzelnen Personen variieren.
So führte der interne Gegensatz zwischen der der Antispezist·innen-Bewegung und den Bauernbewegungen während der «Résistantes» zu einer eindeutigen und offiziellen Stellungnahme der linken Bauerngewerkschaft «Confédération Paysanne»: Sie lehnt öffentlich jedes Bündnis, selbst ein lokales und punktuelles, mit den Antispezist·innen ab. Die beiden Bewegungen stimmen jedoch in vielen Feststellungen überein und könnten zweifellos von «pragmatischen» Allianzen profitieren, um gemeinsame Gegner·innen wie z. B. die industriellen Landwirtschaftsbetriebe zu bekämpfen. «Wenn du ertrinkst, schaust du nicht auf das Gesicht des Menschen, der dir den Rettungsring zuwirft», sagte Léon Maillé, ein Veteran der Larzac-Bewegung, pragmatisch gegenüber der Zeitung «Reporterre».
Nach meiner Rückkehr von den «Résistantes» vertiefe ich mich erneut in das Buch «La Joie militante» (Die kämpferische Freude), das ein wunderbares Vorwort von Juliette Rousseau hat. Um aus der «starren Kampfhaltung» herauszukommen, laden Carla Bergman und Nick Montgomery uns ein, unsere Neugier zu kultivieren, dogmatische Haltungen und vorgefertigte Phrasen zu verlassen und auch bereit zu sein, uns zu ändern.
Eli
Eid der 103: ein Text, der im März 1972 von 103 Bauern und Bäuerinnen aus dem Larzac unterzeichnet wurde, um sich dem 1971 angekündigten Projekt zur Erweiterung des Militärgebietes zu widersetzen, das schliesslich 1981 von Präsident François Mitterrand aufgegeben wurde.
Französische Bauerngewerkschaft, die sich für eine bäuerliche Landwirtschaft nach menschlichem Massstab und mit Rücksicht auf die Umwelt einsetzt.
«Terres de Luttes» setzen sich gegen die Betonisierung und Vereinnahmung der Erde durch grossindustrielle Projekte ein.
Diese Aufgabe wurde von den Dutzenden von Bürger·innen-Radios, die über die gesamte Veranstaltung berichtet haben, voll und ganz erfüllt.
Im Januar 2022 gegründete Koalition von Widerständen gegen zerstörerische Strassenbauprojekte.
Bürger·innen-Kollektiv, das sich für den Erhalt von Wasser im Allgemeinen und gegen den Bau von Riesenwasserbecken im Besonderen einsetzt.