Das Europäische Sozialforum von Florenz war ein Erfolg aufgrund einer starken Beteiligung und einer Stimmung, die dem in der Presse vorherrschenden feindseligen Ton widersprach. Trotz der Bemühungen der bekannten Schriftstellerin Oriana Fallaci, die Globalisierungsgegner als intolerant und faschistoid hinzustellen, weil sie die Carabinieri, die Söhne des Volkes, verachten, konnte man die Teilnehmer des Forums nicht mit den Horden von Dschingis Khan vergleichen.
Berlusconi, der versucht hatte, die Gespenster von Genua über Florenz schweben zu lassen, ließ sich nicht beirren und erklärte, dass die in Florenz herrschende Ruhe der Beweis dafür sei, dass alles gut gehe, „wenn die Opposition auf die Mehrheit hört". Die französische Tageszeitung „Le Figaro" hatte mehr Mühe, ihre Enttäuschung über die Riesendemonstration vom 9. November zu verbergen, als 800.000 Menschen gegen einen Krieg im Irak auf die Strasse gingen. Man konnte lesen, es sei merkwürdig gewesen, verschleierte Frauen neben frechen Europäern hinter der palästinensischen Fahne gehen zu sehen, dass auf einigen Schildern Che Guevara die Züge Bin Ladens getragen habe und dass über der ganzen Demonstration ein intensiver Geruch von Haschisch geschwebt sei.
Um bei Klischees zu bleiben, hätte derselbe Journalist die Ausdünstungen von Chianti beim Empfang der grössten italienischen Gewerkschaft CGIL riechen können. Ihre Beteiligung an solchen Anlässen ist ganz neu: Seit dem Frühjahr wehrt sie sich gegen die Berlusconi-Offensiven auf die Rechte der Lohnarbeiter. Die COBAS, eine kritische Basisgewerkschaft, möchte, dass es weiter geht und zu einer internationalen Koordination kommt, die endlich den Rahmen der Absprachen zwischen Staaten, Arbeitgebern und Gewerkschaften sprengt.
Die Frage der Gewerkschaften ist auch bedeutend für die Obdachlosen, Hausbesetzer, Einwanderer und Arbeitslosen des Netzwerks „No Vox". Sie arbeiten zusammen mit COBAS und spanischen Gewerkschaftern, die sich im Juni dieses Jahres gegen die Reduzierung des Arbeitslosengeldes mobilisiert hatten. „No Vox" strebt eine internationale Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaften und sogenannten „Ausgegrenzten" an, ein ehrgeiziges Unternehmen, wenn man das Gewicht des Korporatismus bedenkt. Ein anderes Projekt, das in Florenz diskutiert wurde, ist ein Marsch der „Ausgegrenzten" entweder nach Brüssel oder durch den alten Kontinent.
Dieses im Entstehen begriffene Netzwerk hat auch weiter entfernte Partner, die sich jedes Jahr in Porto Alegre, Brasilien, treffen, um eine weltweite Koordination der „Armen" aufzubauen - vor allem mit der brasilianischen Obdachlosenorganisation, immerhin eine Million Menschen... Und das ist nur ein Beispiel.
In den ländlichen Kulissen des Forums fand eine Solidaritätsaktion statt, die es verdient, bekannt gemacht zu werden: Etwa 100 Vertreterinnen und Vertreter des Bauernforums, der französischen Confédération Paysanne, der andalusischen Tagelöhnergewerkschaft SOC und andere beteiligten sich an einem Einsatz bei der Kooperative „Eughenia" bei Castiglioncelo Bandini in der Toscana. Die Leute sollen von dem Land vertrieben werden, das sie bearbeiten. Nachdem jeder 50 Olivenbäume gepflanzt hatte, erklärten sie, dass die Region Toscana alles daransetzen müsse, damit „ Ländereien jenen zur Verfügung gestellt werden, die aufs Land zurückkehren wollen, um es zu bearbeiten".
Es war jedoch unmöglich, einen Überblick zu bekommen über die zwanzig Konferenzen, 160 Seminare und 250 Workshops des Forums: 60.000 Teilnehmer, dreimal mehr als erwartet, viele Jugendliche, Organisationen und Bewegungen. Einige Persönlichkeiten fielen auf, ohne jedoch Objekte eines besonderen Kults zu werden: Vittorio Agnoletto, Heidi Giuliani, Sergio Cofferati, Ralph Nader, Vandana Shiva, Dario Fo, Samuel Ruiz, José Bové, Ricardo Petrella, Michel Warschavski, Bernard Cassen und andere. Vielleicht waren einige von ihnen versucht, die Stars dieser „Bewegung der Bewegungen" zu spielen, wenn man zum Beispiel bedenkt, dass 150 Franzosen unbedingt an den Konferenzen reden wollten, aber die Stimmung war dafür ungeeignet. Die Menschen in der Burg da Basso und Umgebung wollten sich vor allem kennenlernen, lernen und als autonome Menschen handeln. Einige Jugendliche zuckten mit den Achseln, wenn einer begann, sich für Jean Jaurès zu halten und flammende Reden zu schwingen. Dies konnte jedoch einen Engländer von der Socialist Workers Party nicht davon abhalten, von Anfang bis Ende des Treffens zu brüllen: „One solution: revolution!"
Die meisten Teilnehmer kamen aus Italien, Frankreich, Griechenland, Spanien, Großbritannien und der Tschechischen Republik. Die Themen der Konferenzen, die oft vor 3 bis 4000 Menschen abgehalten wurden, umfassten drei grosse Bereiche: Globalisierung und Neoliberalismus, Krieg und Frieden, Menschenrechte und Demokratie. Gegen die liberale Politik, gegen den Krieg, gegen Fremdenfeindlichkeit und Verschärfung der Gesetze herrschte der Ton der Kritik vor, die seit Jahren formuliert wird: no global . Global gesehen, wenn man das so sagen kann, hat das Europäische Sozialforum gezeigt, dass es in Europa eine pazifistische Protestbewegung gibt, die grösser ist denn je, die verschiedene Generationen in sich vereinigt und in der Lage ist, Problematiken im sozialen, politischen und geopolitischen Bereich zu verbinden. Sie ist losgelöst von den linken Parteien, die sich nur mehr für Verwaltung interessieren. Die Frage der Grundrechte, der neuen Formen kapitalistischer Akkumulation, der neuen Mächte Informatik und Biotechnologie sowie kulturelle Unterschiede sind Gegenstand gemeinsamer Reflexion geworden. Die „Bewegung der Bewegungen" versucht, sich durch ihre militanten Praktiken als Alternative zu positionieren.
Wenn sie auch annähernd eine Million Menschen für eine Demonstration zusammenbringt, ist sie jedoch sehr heterogen. Die politischen Parteien waren zwar offiziell nicht die Organisatoren, aber man konnte die vielen englischen, französischen, italienischen, griechischen, spanischen und anderen Trotzkisten und Neo-Kommunisten nicht übersehen. Einige von ihnen wollen die kommunistische Ideologie erneuern. Viele Mitglieder der Rifondazione sind sogar dafür, ihre Organisation in der "No Global-Bewegung" aufzulösen. Andere träumen noch von der Machtergreifung auf den Ruinen der Sozialdemokratie. Letztere hat offensichtlich auch noch nicht ihr letztes Wort gesprochen: Der Sekretär der französischen SP, François Hollande, war diskret nach Florenz gereist, um der sozialen Massenbewegung den Puls zu fühlen. Vielleicht eine Verjüngungskur für seine Partei?
An der Konferenz über die Beziehungen zwischen politischen Parteien und Sozialbewegung konnte man deutlich den Misskredit spüren, in den die europäische Sozialdemokratie gefallen ist. Zum ersten Mal fanden sich die Köpfe der Bewegung offiziell linken oder linksextremen Politikern gegenüber. Der ehemalige Sprecher des Genova Social Forum betonte, dass es nur einen Dialog geben könne mit einer Linken, die den Krieg ablehnt und die internationalen Finanzinstitutionen verurteilt.
Die Bewegungen, die am Forum vertreten waren, wie ATTAC, die Menschenrechtsligen, unabhängige Gewerkschaften, Umweltorganisationen, christliche Gruppen und viele andere profitierten vom Forum, um zukünftige Kampagnen zu planen wie den Marsch der „No Vox" und einen Generalstreik gegen den Krieg. Am 15. Februar 2003 sollen auf dem ganzen Kontinent pazifistische Demonstrationen stattfinden, außer wenn es nötig sein sollte, sie schon vorher zu improvisieren. Eine Kampagne für die allgemeine Reisefreiheit ist im Gang, ein Vorschlag wurde gemacht zu einem Referendum über die Ergebnisse der Europäischen Konvention, um eine Sozialcharta im Unionsvertrag durchzusetzen. Ohne die Kampagne für die berühmte Tobin Tax zu vergessen.
Da gibt es übrigens einen attraktiven Gegenvorschlag: Die Robin Tax, die in einer Besteuerung der Kapitalflüsse zu 100 Prozent bestünde, gemacht von einer Gruppe ausserhalb des Forums, Anarchisten, ex-Maoisten, Till Eulenspiegels aller Art, die sich „HUB" nennen (Radnabe auf englisch) und die allergisch sind auf jede Form von strukturierter Organisation. Ihre Selbstverwaltungstalente und ihr know-how kamen vor allem zum Ausdruck in einem provisorischen Fernsehen „Global TV" oder dem Netzwerk freier Radios „GAP". Man findet dort auch die Betreiber von Indymedia Italien, die für die offizielle italienische Nachrichtenagentur zu einer Referenz geworden sind aufgrund ihrer Berichterstattung über Palästina.
Die meisten von ihnen kommen aus den Sozialzentren der Halbinsel, dort wo sich die „Tute Bianche" zusammenfanden, die nach dem Drama von Genua zu den „Disobbedianti" (Ungehorsame) wurden. Die ca. 120 italienischen Sozialzentren, das Sozialforum, das sich nach Genua konstituierte, die „Ungehorsamen", die Gewerkschafter von COBAS, die Christen vom gewaltlosen Netzwerk „Lilliput", die Kommunisten von Rifondazione und andere sind imstande, gemeinsam zu agieren, im Bewusstsein ihrer Divergenzen. Diese Erfahrung, verbunden mit einer gewissen Kultur der Dezentralisierung, haben dieses Forum geprägt.
Wie es Claudio aus Mailand ausdrückt, werden in den zukünftigen Protestaktionen libertäre, individuelle und kreative Dimensionen zu spüren sein, die Delegierung von Machtbefugnissen wird nicht mehr akzeptiert, wir müssen nur noch mehr Kapazitäten entwickeln, um trotz aller Unterschiede gemeinsam zu agieren...