Eurojust

von Anne Maesschalk, Brüssel, 13.05.2002, Veröffentlicht in Archipel 94

Es war 3 Uhr morgens, als 200 Polizisten der Spezialgarde für Kriminelle und Aufständische den "Vrankrijk" in Amsterdam überfielen. Sie waren hinter dem Sänger der politisch engagierten Rockgruppe KOP aus der Hausbesetzerszene her. Der Mann lebte im bekanntesten besetzten Haus Amsterdams, das die holländische Polizei schon seit Jahren räumen wollte. Die spanische Polizei lieferte ihr jetzt den Vorwand dazu, in Form eines Haftbefehls gegen den engagierten Sänger. Das Zauberwort, das, jeglicher Legalität zum Trotz, alle Türen öffnet, ist "Terrorismus". Juan Ramon Rodrigues Fernandes ist angeklagt, Verbindungen zur Baskenorganisation ETA zu haben und einen Ableger dieser Separatistenorganisation im Vrankrijk aufbauen zu wollen. Lächerlich, sagen seine Freunde: Dieses besetzte Haus ist wahrscheinlich der meist überwachte Ort von ganz Amsterdam. Trotzdem. Die Operation wurde am 17. Januar sehr erfolgreich durchgeführt: Die Polizei beschlagnahmte einige spanische Romane, zwei Handys und zwei Spritzpistolen. Eine Person wurde verletzt und die holländische Gesetzgebung mit Füßen getreten: Das Gelände wurde ohne Hausdurchsuchungsbefehl gestürmt und den Bewohnern verboten, ihre Anwälte anzurufen oder die Wohnungen zu verlassen. Alle Wohnungen des "Vrankrijk" wurden gründlich durchsucht, obwohl genau bekannt war, wo Juanra, wie seine Freunde ihn nennen, wohnte. Diese Operation von hohem demokratischen Risiko gibt uns einen Vorgeschmack auf die (fehlenden) rechtlichen Prinzipien des gemeinsamen europäischen Justizraumes, der uns angeblich mehr "Freiheit, Sicherheit und Gerechtigkeit" garantieren soll.

Denn diese Operation ist kein harmloser Einzelfall. Aus mehreren Quellen, unter anderem dem NRC Handelsblad vom 20. Januar, Indymedia, Satewatch und Stichting Eurowatch erfahren wir, dass die Invasion des "Vrankrijk" im Rahmen der Aktivitäten der provisorischen Einheit "Pro Eurojust" durchgeführt wurde und nur eine von 170 Einsätzen dieser Arbeitsgruppe des Europäischen Rats, seit ihrer Gründung im Dezember 2000, gewesen ist.
Dies stellt Probleme. "Pro Eurojust" hatte keine eigene Rechtsperson, als es diese Aktivitäten koordinierte. Der Entscheid des Rates der EU, Eurojust einzusetzen, "um den Kampf gegen Formen großer Kriminalität zu verstärken", wurde am 28. Februar 2002 getroffen und trat erst am 6. März 2002, als er im offiziellen Journal der EU publiziert wurde (1), in Kraft. Bis dahin war die Einheit "Pro Eurojust", eingesetzt durch einen Entscheid des Europäischen Rates am 14. Dezember 2000 (2), nichts weiter, als eine "Formation, genannt ‚provisorische Einheit für juristische Zusammenarbeit‘, mit Sitz in Brüssel und unter Inanspruchnahme der Infrastrukturen des Europäischen Rates." Ihr Ziel war es, "die Zusammenarbeit zwischen den nationalen Behörden, zuständig für Untersuchungen und Verfolgungen im Bereich der schweren und vor allem der organisierten Kriminalität, zwischen zwei oder mehr Mitgliedstaaten zu verbessern."

Wo ist die Kontrolle? Diese polizeilichen Verfolgungen werden also von einer simplen "Formation" koordiniert, die für "schwere Kriminalität" zuständig ist. Wer kontrolliert das? Wer definiert, was schwere Kriminalität ist? Wo sind die Texte, wer organisiert die Gerichtsverfahren? Keine Antwort, obwohl wir uns im Bereich von Strafrecht und Strafverfahren befinden, der strikt reglementiert ist, unter anderem, um Willkür und illegale Verhaftungen zu verhindern und zu garantieren, dass polizeiliche und gerichtliche Verfolgungen auf der Grundlage eines legalen und präzisen Textes und dessen strikter Interpretation vonstatten gehen.
Nichts von alledem ist hier der Fall: Juanra sitzt im Gefängnis von Vught und wartet seine wahrscheinliche Ausweisung in spanische Gefängnisse ab. Dies dank einer Formation, die sich darin übt, den Europäischen Justizraum zu konstruieren. So hätte die Formation Pro Eurojust nicht weniger als 170 mal gehandelt, mit unklaren gesetzlichen Rahmenbedingungen, wie hier die holländische Polizei, als sie vorgab, die schwere Kriminalität zu verfolgen und dabei einen politisch engagierten Sänger und Hausbesetzer einsperrte. Der Mangel an gesetzlichen Rahmenbedingungen ist - wie beim Aufbau des europäischen Justizraumes üblich - von einem deutlichen Mangel an demokratischer Kontrolle begleitet. Die Methoden zur Entwicklung dieses gemeinsamen Justizraumes bestehen in der Ausarbeitung von Normen durch geheime, aus Polizisten und Funktionären zusammengesetzten Arbeitsgruppen, und der anschließenden Beurteilung dieser so ausgearbeiteten Normen durch private Firmen. Ein kleines Beispiel? Wer, mit Ausnahme von Leuten aus dem Justiz- und Polizeimilieu hat schon von den Kooperationsprogrammen im Bereich der Repression OISIN, GROTIUS, ODYSSEUS oder FALKONE gehört? Nicht viele. Seien Sie beruhigt, Sie sind nicht die einzigen, die belgischen Parlamentarier haben auch noch nichts darüber erfahren. Die in Brüssel ansässige Society "The Franklin Advisory Service", Filiale der wichtigen deutschen Gruppe AHT hingegen wurde damit beauftragt, diese Programme auszuwerten, die unsere Freiheiten und die allgemeine Justiz direkt betreffen. Die Firma arbeitet auch für die Weltbank und evaluiert Projekte im südlichen Balkan, in Zentraleuropa, in Afrika und in Asien.
Seit dem 6. März existiert Eurojust mit einer eigenen Rechtsperson, diese unklare Situation ist also behoben, was uns jedoch nicht ausreichend beruhigt. Einige Beispiele sind überzeugend, doch zuerst eine Information, die deutlich macht, was uns erwartet.
Die Europäischen Minister beschlossen bei ihrem informellen Treffen in Santiago de Compostela am 14. und 15. Februar dieses Jahres eine Vereinbarung zur Zusammenarbeit mit den USA im Bereich der Kriminalitätsbekämpfung, besonders bei Ausweisungen und beim Austausch von Beweismaterial. Mehr geheimgehalten wurden die Diskussionen über den Terrorismus und über eine vollständige Änderung der Asylpolitik. Bemerkenswert ist, dass eine Vereinbarung zwischen Europol und den USA über Terrorismus und große Kriminalität bereits am 6. Dezember 2001 in Brüssel unterzeichnet wurde.
Die USA, das einzige vom internationalen Gerichtshof in Den Haag wegen Terrorismus verurteilte Land (für seine Intervention in Nicaragua) wird also Partner von Europol und Eurojust bei der Aufdeckung und Bekämpfung der großen Kriminalität und des Terrorismus. Wenn man an Hand des Beispiels der Operation in Amsterdam erkennt, wer für die europäischen Spürhunde die "großen Kriminellen" sind, läuft es einem kalt den Rücken hinunter.
Eurojust ist also das Parkett, auf welchem die Untersuchungen und Verfolgungen im Bereich der großen Kriminalität, der Computerkriminalität, der Teilnahme an kriminellen Organisationen etc. durchgeführt werden, alles, was in der Kompetenz von Interpol liegt, und in enger Zusammenarbeit mit dieser. Für Eurojust arbeiten Staatsanwälte, Richter und Polizisten zusammen. Dies bedeutet, dass eine Vermischung der Gewalten stattfinden wird, bzw. dass die Trennung zwischen Richterstuhl und Anwaltschaft aufgehoben wird und die Polizei sich der Aufgaben bemächtigen wird, die normalerweise den Staatsanwälten vorbehalten sind. Zudem wird die neu geschaffene Struktur die Untersuchungen koordinieren und die Verfolgungen gemeinsam durchführen müssen, obwohl das Strafrecht innerhalb der EU Unterschiede aufweist. Einige Länder verbieten beispielsweise Abtreibungen oder die Einnahme bestimmter Drogen, andere nicht. Es stimmt, dass es eine Entwicklung in Richtung einer Vereinheitlichung des Strafrechts gibt; die Bereiche, die bereits europaweit abgestimmt sind, nämlich die Definition eines terroristischen Verbrechens, und der internationale Haftbefehl, zeugen nicht von großer Achtung vor dem Recht.

Datenregistrierung Ein anderes Problem: die Datenregistrierung. Eurojust bricht nicht mit den Traditionen der Kartei TECS von Europol, der Kartei SIS, eine Errungenschaft von Schengen und der Kartei Eurodac, die Fingerabdrücke von Asylbewerbern enthält. Hier wird eine informatisierte Kartei geschaffen, in welcher - kurz zusammengefasst - folgende Daten gesammelt werden: Sozialversicherungsnummer, KFZ-Führerschein, Bankkonten und Informationen, welche auf die Teilnahme an einer kriminellen Organisation hinweisen könnten. Aber - und hier wird es gewaltig - im Paragraph 4 des Artikels 15 des Gründungsvertrags von Eurojust ist zu lesen: "Persönliche Daten, ob sie Objekt einer automatisierten Behandlung sind oder nicht, die rassische oder ethnische Herkunft betreffend, politische Meinungen, religiöse oder philosophische Überzeugungen, die Mitgliedschaft bei einer Gewerkschaft, sowie Informationen, die Gesundheit und das sexuelle Leben betreffen, dürfen von Eurojust nur dann verwendet werden, wenn dies für die entsprechenden nationalen Untersuchungen und die Koordination im Rahmen von Eurojust notwendig ist."
Was wird für die Untersuchungen nicht notwendig sein, und wer entscheidet, was notwendig ist? Wir werden es nicht erfahren. Es ist schlimm, doch Eurojust hat auch diesen Schachzug geplant: Ein Delegierter für den Datenschutz wird diese Sache verwalten. Dieser Delegierte gehört zum Personal von Eurojust, und wird speziell für diese Aufgabe ausgewählt, er kommt direkt aus dem Kollegium, der Gruppe von Richtern, Anwälten und Polizisten, die Eurojust leiten. Eine Selbstkontrolle, in gewisser Weise.
Gut, dies alles ist vielleicht nur halb so schlimm, da Eurojust ein Recht auf Einblick in die Daten von persönlichem Charakter vorgesehen hat. Jedoch, so ein Pech, dieser Einblick kann abgelehnt werden, wenn er "die Aktivitäten von Eurojust behindern kann" oder eine nationale Untersuchung im Rahmen von Eurojust, oder wenn die Rechte oder Freiheiten von Drittpersonen dadurch bedroht werden können. O.K., wir haben verstanden, es gibt keinen Einblick.

Unabhängiges Kontrollorgan? Doch wieso so viel Kritik? Eurojust hat ein gemeinsames und unabhängiges Kontrollorgan vorgesehen. Unabhängig von wem? Von Ihnen und von uns, von den Parlamentariern, das ist klar, doch nicht von unseren Regierungen. Dieses Organ, das die Aktivitäten von Eurojust kontrollieren wird und garantiert, dass unsere persönlichen Daten nicht in alle Richtungen verbreitet werden, wird aus Richtern zusammengesetzt, die von den Mitgliedstaaten bestimmt sind. Um ein praktisches Beispiel zu geben: Wenn man davon ausgeht, dass Italien die Präsidentschaft der EU im Juli 2003 übernehmen wird, und dass vorgesehen ist, dass jeder Mitgliedstaat seinen Richter für die Mitgliedschaft im Kontrollorgan von Eurojust ein Jahr vor seinem Antreten der EU-Präsidentschaft auswählt, kann sich folgendes abspielen: Herr Berlusconi kann ab heute als Richter für das Kontrollorgan designiert werden, der korrupteste Richter Italiens würde auf diese Weise Präsident des Kontrollorgans von Eurojust, sobald Italien die Präsidentschaft der EU übernimmt und dies sogar dann, wenn - wie wir alle hoffen - die Italiener Berlusconi hinter Gitter setzen. Dies zeigt uns auch, in welchem Maße die zukünftige europäische Staatsanwaltschaft, die den Namen Eurojust bekam, keinerlei Beziehungen zur Unabhängigkeit der Justiz hat. (3)
Zum Schluss noch einige Worte zur Zusammenarbeit zwischen Eurojust und seinen Partnern. Wie wir gesehen haben, der wichtigste Partner ist und wird amerikanisch sein. Dieser wird in naher Zukunft offiziell Zugang zu unseren persönlichen und politischen Daten haben. Wer wird hier die Grenzen setzen? Unsere Regierungen, die außerhalb ihrer Länder an der Seite der USA einen Kreuzzug für die Menschenrechte führen und innerhalb Flüchtlinge in geschlossene Zentren einsperren, sie bei der Ausschaffung umbringen, Gefangene foltern? Ich denke hier an die Folterungen im Gefängnis von Bolzanetto nach den Verhaftungen in Genua und an die zahlreichen Fälle von Folterungen, die von den Gefangenen, die im Verdacht standen, Verbindungen zur ETA zu haben, und von ihren Anwälten denunziert wurden.
Wenn unsere Regierungen die Garanten für ein demokratisches Funktionieren von Eurojust und Europol sind, gibt es allen Grund, sich Sorgen zu machen.

Anne Maesschalk (Anwältin, Brüssel)

  1. 2000/799/JAI
    4.Adoptiert vom 7. Kongress der Vereinten Nationen über Kriminalitätsprävention und Behandlung von Delinquenten in Mailand, 26.8.-6.9.1985, bestätigt von der Vollversammlung in den Resolutionen 40/32 vom 29.11.1985 und 40/146vom 13.12.1985.*