Effiziente Sicherheitspolitik?

von Nicholas Busch, 27.04.2013, Veröffentlicht in Archipel 96

Sind pro-aktive Überwachung, Ausgrenzung und Kriminalisierung wirksame Mittel zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit in Europa?

Einführung

Die vereinfachenden Kommunikationsbedingungen und die ansteigende Mobilität, die den Globalisierungsprozess kennzeichnen, könnten zur raschen Entwicklung neuer Bedrohungen beitragen. „Internationale kriminelle Vereinigungen“ sind im Auto-, Menschen- und Drogenhandel, Netzen von Pädophilen sowie rechten und extremistischen Gruppen aktiv. Der unablässige Zustrom von „illegalen“ Einwanderern und „falschen“ Flüchtlingen bedrohe die öffentliche Ordnung und Sicherheit und sogar die Sicherheit des Staates sowie die politische Stabilität in der Europäischen Union (EU). So sieht das „Szenario der Bedrohungen“ aus, das als offizielle Rechtfertigung für eine enge Kooperation der EU-Mitgliedsstaaten auf dem Gebiet der Justiz, Polizei, öffentlichen Ordnung, Kampf gegen Kriminalität und vor allem der Asyl- und Einwanderungspolitik dient.
In der EU-Sprache wird die Zusammenarbeit in diesen Bereichen mit dem Ausdruck JIA (Justiz und innere Angelegenheiten) umschrieben. Bis jetzt beschränkte sich die Zusammenarbeit JIA fast ausschließlich auf die Schaffung eines wahren „Sicherheitsarsenals“ an Rechtsnormen, institutionellen/organisatorischen Strukturen sowie technologischen Hilfsmitteln zur präventiven Kontrolle weiter Bevölkerungsgruppen. Diese Wiederaufrüstung des Sicherheitssektors ging logischerweise mit einem fortschreitenden und tückischen Abbau der Rechte und Freiheiten aller Bürger einher. Dennoch wurde dieser Schritt als notwendige Maßnahme zur Aufrechterhaltung der „Sicherheit“ von einem Großteil der Bevölkerung akzeptiert und sogar begrüßt. In Anbetracht, dass „Sicherheit ihren Preis hat“, lehnen sich nur wenige Menschen gegen die immer umfassenderen Kontrollmaßnahmen auf. Zu fast jeder Zeit und an jedem Ort können wir durch Polizei oder Zoll dank des direkten Zugriffs auf das Schengener Informationssystem (SIS) oder andere elektronische Datensysteme seitens der Polizei einer Identitätskontrolle unterzogen werden. Unsere persönlichsten Daten können in Datenbanken der Polizei oder anderer Institutionen eingespeist und bearbeitet werden. Es ist möglich, all diese Angaben an andere Datenbanken, einschließlich ausländische, weiterzugeben, ohne dass wir darüber informiert werden. Wir wissen niemals, ob unsere Gespräche nicht abgehört und unsere Kommunikation nicht überwacht wird, ohne dass wir des kleinsten Delikts verdächtigt sind. Was Asyl und Einwanderung anbetrifft, deutet alles darauf hin, dass die Zahl der Personen in die Tausende geht, die beim Versuch, die EU-Grenzen zu überqueren, ihr Leben verloren haben. Gleichzeitig kämpfen Hunderttausende „papierlose“ Einwanderer im Inneren der „Festung Europa“ ums bloße Überleben – die „Outlaws“ der modernen Zeit.
Die Frage, ob die im Rahmen von JIA praktizierte Sicherheitspolitik vom ethischen und humanitären Standpunkt aus zu rechtfertigen ist, wurde oft diskutiert. Humanitäre Überlegungen scheinen immer weniger Einfluss auf die öffentlichen Meinung zu haben, die von Ohnmacht, Unsicherheit und Zukunftsangst geprägt ist.
Deshalb werde ich heute versuchen, anders an dieses Thema heranzugehen. Beginnend mit einer groben inhaltlichen Vorstellung der Zusammenarbeit von Schengen und JIA, möchte ich von den eigenen Interessen dieses „auserwählten Volkes“, das die Bürger der EU darstellen, ausgehen und eine Reflexion über die folgenden Fragen anfangen: Worin besteht die Effizienz der sogenannten europäischen Sicherheitspolitik im Verhältnis zum offiziell erklärten Ziel – das heißt, der Sicherheit der Bürger? Kann eine Politik, die mehr und mehr auf Sicherheits- und Polizeimaßnahmen setzt, wirklich ein wirksames Mittel zur Kontrolle der Migrationströme und Entwicklung der Kriminalität sein? Und schließlich, welchen Preis für welche „Sicherheit“ sind wir bereit zu zahlen.

Polizeiliche Zusammenarbeit: Von re-aktiv zu pro-aktiv Ein charakteristisches Element der europäischen polizeilichen Zusammenarbeit ist die wachsende Bedeutung der Aktion seitens der polizeilichen Organe, als präventiv oder pro-aktiv bezeichnet. Im Namen einer angeblich besseren Effizienz im Kampf gegen das Verbrechen gehen die Machtbefugnisse der Polizei derart weit, dass die Polizei handeln kann, bevor überhaupt ein Verdachtsmoment besteht. Die Art der Kontrollen haben sich grundlegend geändert. Sie richten sicht nicht mehr gegen ein Individuum auf Grundlage der Gleichheit vor dem Gesetz, sondern gegen ganze Kategorien von Personen, und diese sind nicht per Gesetz, sondern durch die Machtexekutive selbst festgelegt worden. Gemäß der Logik von pro-aktiver Aktion wird das Prinzip der Unschuldsvermutung in Frage gestellt. Bis zum Gegenbeweis kann jede Person als potentieller Straftäter betrachtet werden und muss - präventiv natürlich - kontrolliert, überwacht und registriert werden.
Die pro-aktiven polizeilichen Kontrollmaßnahmen betreffen theoretisch gesehen alle. In der Praxis zielen sie jedoch auf Personen in prekären Situationen ab, auf Leute aus dem sogenannten Dissidenten- und Deviationsmilieu und vor allem auf Menschen, die nicht „europäisch“ aussehen.
Oben beschriebene Tendenzen sind in fast allen Maßnahmen im Rahmen der Kooperation von Schengen und JIA auszumachen.

Einwanderung und organisierte Kriminalität
Was die europäische Sicherheits- und Polizeizusammenarbeit betrifft, ist die Vermischung evident, die zwischen „organisierter internationaler Kriminalität“ und Einwanderung gemacht wird.
Das angebliche Fortschreiten der mit vage umschriebenen „organisierten internationalen Kriminalität“ musste als Hauptargument für eine europäische Sicherheitskooperation herhalten. Das ist umso bemerkenswerter, da es weder ein Vereinbarungspapier auf europäischer Ebene noch eine wissenschaftliche oder gar juristische Definition des anvisierten Phänomens gibt.
Der Kriminologe M. Levi beschreibt, worauf die Staatsgewalt mit dem Begriff „organisierte Kriminalität“ abzielt: „Einen Personenkreis, den die Polizei oder andere staatliche Instanzen als 'wirklich gefährlich' für die grundlegende Integrität des Staates einstufen - oder wollen, dass wir es tun.“5
Typischerweise wird in der momentanen Debatte versucht, das Phänomen der organisierten Kriminalität mit den Milieus am Rande der Gesellschaft in Beziehung zu bringen – eine „Gossenkriminalität“, bestehend aus einem „internationalem Gesindel von Autodieben, Drogenhändlern, fanatischen Terroristen, Menschenhändlern und 'illegalen' Einwanderern“. So kann die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit von der Tatsache abgelenkt werden, dass die Kriminalität („organisiert“ oder nicht) häufig von in der Gesellschaft gut etablierten und der Macht nahestehenden Kreisen ausgeht. Ist das nicht ein charakteristisches Merkmal unserer Zeit, in der es immer schwieriger wird, zwischen „legalen“ Geschäften und Vereinigungen und „illegalen“ zu unterscheiden? Wenn Korruptionsskandale in mehreren Ländern Europas die großen Parteien erschüttern, muss man dann noch erwähnen, dass in Anbetracht eines immer brutaler werdenden „globalisierten“ ökonomischen Wettkampfs selbst große Unternehmen und Banken von internationalem Ruf sehr schnell in Versuchung kommen, aus Macht- und Profitgründen auf Praktiken und kriminellen Umgang auf hohem Organisationsniveau zurückzugreifen?
Ganze europäische Wirtschaftssektoren (z. B. der Immobilienmarkt, die Bauindustrie, die Landwirtschaft, das Gast- und Textilgewerbe) könnte man so beschreiben, wie es der Kriminologe Vincenzo Ruggiero ausdrückt: als „symbiotische Beziehung zwischen der legalen Wirtschaft und Mafiastrukturen, wobei immer weniger klar ist, wer in Wahrheit wem einen Dienst erweist, wer von wem lernt, wer wen korrumpiert“6
Bezeichnende Beispiele sind sowohl der prunkvolle Sitz des Europäischen Parlaments als auch das neue Regierungsviertel in Berlin. Beide wurden von Baugesellschaften errichtet, die regelmäßig auf osteuropäische Bauarbeiter ohne Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis zurückgreifen. Wer korrumpiert da wen?
Diese symbiotische Beziehung ist auch für eine Form der organisierten Kriminalität typisch, die inzwischen als Hauptvorwand für den Ausbau des europäischen Polizei- und Sicherheitsapparats dienen muss – den internationalen Menschenhandel. In der Tat bieten die Schleppernetze in der ureigensten Logik der Marktwirtschaft dort ihre Dienste an, wo die EU mit ihrer „Einwanderungspolitik gen Null“ einen Bedarf und demzufolge auch einen Markt geschaffen hat. Diese Schlepperbanden stellen ihre Dienste nicht nur diesen „unsichtbaren“ Migranten und Flüchtlingen zur Verfügung, die quasi mit der Unmöglichkeit einer legalen Einreise konfrontiert sind und versuchen, illegal ins EU-Territorium einzureisen, sondern und vielleicht vor allem den Wirtschaftssektoren, vollkommen legal und „sichtbar“, die weitgehend vom konstanten Zustrom dieser billigen und fügsamen Arbeitskräfte, die diese illegalen Einwanderer darstellen, abhängen. Die Regierungen der EU-Länder scheinen es nicht sehr eilig zu haben, diese Komplizenkundschaft „unterhalb“ des Menschenhandels anzugreifen. Sie verpassen keine Gelegenheit, um den Nachbardrittstaaten der EU, die als Auswanderungs- oder Transitländer bekannt sind, ihre angeblich fehlende Entschlossenheit im Kampf gegen die „illegale“ Einwanderung sowie die Schleppernetze vorzuhalten und drängen diesen Staaten ein repressives Herangehen an dieses Phänomen auf. Diese „überlegene“ Einmischung ruft eine gewisse Irritation in Ländern wie Polen, Bosnien-Herzegowina, Rumänien und Albanien hervor. So bemerkte der albanische Minister der öffentlichen Ordnung Spartak Poci trocken, dass die „EU billige Arbeitskräfte benötige und kriminelle Gruppen diese liefern. Es ist das Fehlen einer klaren Politik, um mit gewissen demographischen und ökonomischen Tendenzen fertig zu werden, die kriminellen Akteuren erst die Möglichkeit eröffnen.“7 Im Februar 2001 unternahm die schwedische Regierung Anstrengungen, um den Strom von Asylbewerbern nach Schweden via Bosnien-Herzegowina zu verringern und sandte eine Gruppe von Funktionären der Einwanderungsbehörden und Polizei mit der Mission nach Sarajewo, die bosnischen Behörden im Kampf gegen die „illegale“ Einwanderung zu unterstützen. In Bosnien waren die Reaktionen auf diese Initiative nicht gerade euphorisch. Die Presse sprach von einer „interventionistischen Unterstützung“, und der verantwortliche bosnische Minister für Menschenrechte und Flüchtlinge, Fadic Haveril, stellte nicht ohne Bitterkeit fest, dass das Ziel Westeuropas nicht darin bestand, bei der Problemlösung zu helfen, sondern vielmehr die Migrationsströme in Bosnien-Herzegowina zu blockieren und sie so in ein „Reservoir“ von Migranten umzuwandeln, das Europa nicht wollte.8
Die ständig anwachsenden sozialen und ökonomischen Gräben, sowohl im Weltmaßstab als auch im Inneren der EU, können nur zu einem Klima der allgemeinen Konfrontation führen, in welchem die Reichen „versuchen, ihre Privilegien zu verteidigen, während die absolut oder teilweise Benachteiligten, um ihr Stückchen des Kuchens kämpfen“.9 Es erstaunt nicht, dass ein solch brutales Klima von Wettbewerb und Konfrontation eine Brutstätte für neue Arten von Kriminalität ist.
Während Anfang der sechziger Jahre der Einkommensunterschied zwischen den reichen und armen Ländern bei 30:1 lag, betrug er 1997 bereits 74:1. Zu diesen Zahlen meinte der italienische Innenminister Enzo Bianco im Jahr 2000: „Es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen diesen Zahlen und der Globalisierung der organisierten Kriminalität“.10
Ist eine effiziente Sicherheitspolitik möglich?
Angesichts dieser Realität drängt sich die Frage auf, ob eine europäische Kooperation, die fast vollständig auf polizeilich-sicherheitsmäßige Methoden setzt, hinsichtlich ihres formulierten Zieles, der Aufrechterhaltung der öffentlichen europäischen „Sicherheit“, effizient sein kann.
Bezüglich der Einwanderungs- und Asylpolitik und der im Rahmen von Schengen und JIA eingeführten Methoden, „klammert man sich an die Idee, dass eine Erhöhung und Verbesserung der Abschreckungsmaßnahmen den einzigen Weg nach vorn darstellt – auf Zeit werden wir das Unkontrollierbare kontrollieren“.11 Diese Haltung verwundert umso mehr, weil alles darauf hindeutet, dass trotz Unmengen von Kontroll- und Abschreckungsmaßnahmen die widerrechtliche Einwanderung nach Europa unaufhörlich zunimmt. Laut Bericht des italienischen Parlaments strandeten 77.000 Migranten an der italienischen Küste, und 55.000 ausländische papierlose Frauen (ein Drittel unter 18 Jahren) waren allein 1999 und 2000 zur Prostitution gezwungen. Im Jahresbericht 2000 schätzt Interpol die Zahl der chinesischen illegalen Einwanderer allein in der Region Paris auf 80.000. In Großbritannien gestand der damalige Innenminister Jack Straw Ende 2000, dass die britischen Einwanderungsbehörden zu 70.000 Asylbewerbern den Kontakt verloren hätten, von denen man annimmt, das diese in den Untergrund gegangen seien, um so einer Ausweisung zu entgehen.
Nach dem vertraulichen Bericht von Europol haben im Jahr 2000 in den EU-Ländern 290.000 Personen um Asyl angefragt, etwa 500.000 reisten illegal ein (1993 waren es nur 40.000).13 Ist das erstaunlich? Es liegt doch auf der Hand, dass es für jemanden, der nach Europa einreisen will, wenig Sinn macht, ein Visum zu beantragen, wenn er schon im voraus weiß, das Einreise und legaler Aufenthalt abgelehnt werden. Und für einen Flüchtling macht es erst recht keinen Sinn, Asyl zu beantragen, wenn die Erfahrung lehrt, dass man bei Einreichung seines Gesuchs den Behörden Identität und Adresse preisgibt und es den Anschein hat, das deren Hauptbeschäftigung darin liegt, dich in Haft zu stecken, deinen Antrag abzuweisen und dich so schnell wie möglich in dein Heimatland zurückzuschicken.
Warum sich also wundern, wenn wir zur Zeit in allen europäischen Ländern neben der offiziellen Gesellschaft das Auftauchen einer „Schattengesellschaft“ erleben. Diese Schattengesellschaft setzt sich aus der ständig wachsenden Zahl von Personen zusammen, die aus der offiziellen und sichtbaren Gesellschaft ausgeschlossen sind. In erster Linie handelt es sich um Einwanderer, sogenannte Illegale, die für den Staat und seine Organe nicht existieren, da sie keinen legalen Staus haben.
Es muss ganz klar gesagt werden, dass die europäische Einwanderungspolitik, auch im Vergleich zu ihren selbsterklärten Zielen, dramatisch gescheitert ist. Anstatt die Einwanderung zu verhindern, hat sie zu einem Anwachsen der illegalen Einwanderung und somit zum Entstehen der Schattengesellschaft beigetragen; ein Nährboden für Kriminalität, soziale Konflikte und Gewalt.

Sicherheitspolitikals Bedrohung?
Es fällt schwer zu sehen, wie solch eine Entwicklung sich günstig auf die öffentliche Ordnung und Sicherheit auswirken könnte. Während die kontinuierliche Verstärkung des europäischen pro-aktiven Sicherheitsapparates zu Diskriminierung, Ausgrenzung und Kriminalisierung von ganzen Bevölkerungsgruppen führt, sucht man vergeblich nach dem kleinsten Hinweis darauf, dass diese Aufrüstung des Sicherheitsapparates einen positiven Effekt auf die Entwicklung der Kriminalität in Europa hätte.14 Im Gegenteil: Angesichts der Einwanderungs- und Asylpolitik der EU und dem Anwachsen des Menschenhandels besteht der Grund zu glauben, dass diese sogenannte Sicherheitspolitik selbst eine Bedrohung für die „öffentliche Ordnung und Sicherheit“ darstellt, da sie zu einem Klima allgemeinen Misstrauens, Einschränkung der Rechte, Diskriminierung und Willkür beiträgt. Ein solches Klima nährt Frustration, Entfremdung und Wut, die zu Gewalt und Konfrontation führen. Der Vormarsch rechtsextremer Parteien in mehreren europäischen Ländern ist dafür schlagender Beweis.
Wir leben in der Ära der beschleunigten „Globalisierung“. Unter dem Begriff „Globalisierung“ verstehe ich nicht die gegenwärtige Beherrschung der Welt durch ein neoliberales Wirtschaftssystem (das sich bald als von vorübergehender Natur herausstellen könnte), sondern die globale Mobilität von Kapital, Waren, Dienstleistungen, einer Mobilität, die aus dem technischen Fortschritt resultiert, der verschiedene Kommunikationsweisen erleichtert. Heute können Informationen ausgetauscht, Kontrollmaßnahmen ausgeführt, Befehle an einem Ort gegeben und an einem anderen ausgeführt werden, bis auf Tausende Kilometer entfernt – das alles im Prinzip an jedem Ort, zu jeder Stunde und in kürzester Zeit. So können Entscheidungen, Ereignisse und Entwicklungen in entfernten Regionen schnell und grundlegend unsere eigene Situation beeinflussen und umgekehrt.
Während die neoliberalen Anhänger nie eine Gelegenheit verpassen, um die vorgeblichen Mängel von Effizienz und „Gewinn“ aufzuzeigen, wenn es darum geht, den Abbau im öffentlichen Sektor auf dem Gebiet von Transport, im Gesundheits- oder Bildungswesen zu rechtfertigen, sind jene rar, die eine Auswertung von Kosten-Nutzen bezüglich des Polizei-Sicherheitsapparates fordern. Eine solche systematische Auflistung ist dringend nötig. Die Ergebnisse einer solchen Auswertung würden die Notwendigkeit einer ausführlichen europäischen Debatte über den Begriff „Sicherheit“ offensichtlich machen: Was verstehen wir unter „Sicherheit“? Was macht uns Angst? Welches sind die Ursachen für Migration und Flucht?
Es geht darum, bevor es zu spät ist, das Versagen und die Gefahren einer „Sicherheitspolitik“ aufzuzeigen, die versucht, die öffentliche Wahrnehmung einer fehlenden ontologischen Sicherheit einzig und allein auf das Phänomen Einwanderung und Kriminalität zu reduzieren.

Nicholas Busch* (Falun, Schweden)

\Politischer Berater für EU-Justiz und innere Angelegenheiten der Parlamentsfraktion der Schwedischen Linkspartei*

  1. Konvention Europol, Artikel 10
  2. Durchführungsbestimmungen zu den Arbeitsdateien zu Analysezwecken, 3.11.98, OJ 1999/C 26/01-09.
  3. Konvention zur Durchführung Schengen, Artikel 93
  4. Die entsprechenden Zahlen zum SIS sind dem 4. Jahresbericht der Kontrollbehörden entnommen, SCHAC 2533/1/00 rev 1, 18.7.00.
  5. M. Levi: “Perspectives on ,Organised crime,: An Overview”, The Howard Journal, Vol 37, No4, November 1998, Zitat aus dem engl. übersetzt vom Autor
  6. Der Kriminologe Vincenzo Ruggiero, zitiert in San Fransisco Chronicle, 7.1.01
  7. in San Fransisco Chronicle, 7.1.01, Zitat aus dem engl. übersetzt vom Autor
  8. Beta News Agency,15.2.01
  9. Anthony H. Richmond: Global Apartheid – Refugees, Racism, and the New World Order, Oxford University Press, 1994, introduction, p.xii.
  10. Enzo Bianco, zitiert in San Fransisco Chronicle, 7.1.01, Zitat aus dem engl. übersetzt vom Autor
  11. Observations on the Austrian Presidency of the EU’s Strategy, Paper on Immigration and Asylum policy, ECRE secretariat, 4.9.98; aus dem engl. übersetzt vom Autor
  12. Daily Mail, London, 22.11.00.
  13. BBC, 14.3.01.
  14. Eine wissenschaftliche Aufstellung über Effizienz der Schengener Maßnahmen oder Aktivitäten Europols ist schwierig, da die Transparenz der Sicherheits-polizeilichen Zusammenarbeit auf europäischer Ebene vollkommen fehlt.Eurodac
    ist ein Datensystem zu Speicherung, zum Austausch und automatischen Vergleich digitaler Fingerabdrücke von allen Personen ab 14 Jahren, die jemals in einem EU-Land einen Asylantrag gestellt haben, sowie anderer Ausländer, die man in einer regelwidrigen Einreise- oder Aufenthaltssituation angetroffen hat. Mit der Schaffung von Eurodac wurde ein entscheidender Schritt in Richtung pro-aktiver Kontrolle getan, denn eine ganze Kategorie von Personen wird gezwungenermaßen in einer Datei registriert (die zuvor Schwerverbrechern vorbehalten war), was eine Beeinträchtigung der Würde und Integrität der betroffenen Personen darstellt.
    Diese Registrierung erfolgt nicht aus einer Vermutung gegen die beobachtete Person heraus, sondern aus einem kollektiven Verdacht und der Lebenssituation, in der sich die Flüchtlinge und andere Kategorien von Migranten und Einwanderern befinden. Die Botschaft an die Öffentlichkeit ist klar: Die Asylbewerber und Sans Papiers sind a priori als Betrüger, als Schuldige, zu behandeln

Eurodac
...ist ein Datensystem zu Speicherung, zum Austausch und automatischen Vergleich digitaler Fingerabdrücke von allen Personen ab 14 Jahren, die jemals in einem EU-Land einen Asylantrag gestellt haben, sowie anderer Ausländer, die man in einer regelwidrigen Einreise- oder Aufenthaltssituation angetroffen hat. Mit der Schaffung von Eurodac wurde ein entscheidender Schritt in Richtung pro-aktiver Kontrolle getan, denn eine ganze Kategorie von Personen wird gezwungenermaßen in einer Datei registriert (die zuvor Schwerverbrechern vorbehalten war), was eine Beeinträchtigung der Würde und Integrität der betroffenen Personen darstellt.
Diese Registrierung erfolgt nicht aus einer Vermutung gegen die beobachtete Person heraus, sondern aus einem kollektiven Verdacht und der Lebenssituation, in der sich die Flüchtlinge und andere Kategorien von Migranten und Einwanderern befinden. Die Botschaft an die Öffentlichkeit ist klar: Die Asylbewerber und Sans Papiers sind a priori als Betrüger, als Schuldige, zu behandeln.

Schengener Informationssystem (SIS)
Die Aufgabe des SIS geht weit über eine einfache Verbrechensrecherche hinaus. Tatsächlich hat es unter anderem zum Ziel, „öffentliche Ordnung und Sicherheit, einschließlich die des Staates, zu garantieren“3. Folglich handelt es sich bei der großen Mehrheit der im SIS eingespeisten Personen nicht um verdächtige Straffällige oder Verurteilte, sondern um unverdächtige Personen.
Im Mai 2000 waren ungefähr 1,3 Millionen Personen beim SIS registriert.4 11.000 (angeklagte Straffällige oder Verurteilte) wurden zwecks Auslieferung gesucht, etwa 78. 000 waren Angehörige von Drittstaaten (nicht EU), die zwecks Einreiseverbot in den Schengener Raum dem SIS gemeldet wurden. Man kann annehmen, dass ein großer Teil der im SIS registrierten Personen Asylbewerber und Sans Papiers sind, deren einziges Verbrechen darin besteht, in einem Schengenstaat zum Objekt einer Ausschaffungsmaßnahme geworden zu sein.
Demzufolge muss man feststellen, dass das SIS gegenwärtig nicht nur zur Verbrecherjagd, sondern vor allem zur Jagd auf Ausländer mit ungewissem Status eingesetzt wird.

Europol
Das Europäische Polizeiamt ist mit der Bearbeitung von „Informationen bezüglich krimineller Aktivitäten“ beauftragt.
Zwecks “Analysen“ von Aktivitäten und kriminellen Milieus ist Europol bemächtigt, Informationen von nicht verdächtigten Personen sowie zukünftiger möglicher Opfer, potentieller Zeugen, von Personen, die in „Kontakt“ mit den mutmaßlichen Kriminellen stehen usw.1 zu bearbeiten. Die Verarbeitung persönlicher Daten bezüglich politischer Meinung, Gesundheit, Rasse, Sexualleben ist erlaubt, wenn Europol dies für notwendig hält.2
Der Kampf gegen die illegale Einwanderung hat bei Europol oberste Priorität. Zudem wurden zahlreiche analytische Untersuchungen über Verbrechenstypen in Verbindung mit dem Einwanderermilieu durchgeführt. So beschäftigte sich eine Untersuchung mit „auf EU-Gebiet von Bürgern aus Westafrika, speziell aus Nigeria, begangenen Verbrechen“. Eine andere richtete sich gegen einen Personenkreis, der auf die eine oder andere Weise in die Aktivitäten des angeblichen Terroristennetzwerkes Al Quaida von Ossama Bin Laden verwickelt sein könnte. In diesem Zusammenhang wurden in weniger als zwei Monaten in nur einem Mitgliedsland der EU mehr als 18.000 Telefonnummern von Leuten elektronisch erfasst.