Südlich von Marrakesch liegt das Atlas-Gebirge mit Gipfeln bis zu 4000 Metern Höhe. Wenn man einen der Pässe überwindet und weiter in den Süden fährt, kommt man in die Ebene von Souss. Sie beginnt bei der Stadt Taruda und reicht bis zum Atlantik beim großen Hafen von Agadir. Diese Hafenstadt ist wegen ihrer schönen Strände vor allem bei den Touristen bekannt. Mit Direktflügen kommt man ins Ferienparadies. Die Ebene von Souss ist jedoch auch das wichtigste agroindustrielle Zentrum von Marokko.
Die Ebene von Souss wird von zwei Flüssen durchzogen: der Oued Souss, nach dem sie benannt ist und der Oued Massa, weiter im Süden, an dem ein Staudamm errichtet wurde. So kann ein Teil der Gegend bewässert werden. Da es sich um eine sehr trockene Region handelt, in der es nur selten regnet, leert sich der Stausee jedoch vor Ende der Saison und reicht nicht für die Intensivkulturen aus.
Die Ebene von Souss funktioniert wie eine Art Proletarisierungsplattform für die ärmsten marokkanischen Bauern. In den Bergen und den Randebenen des Landes können sie nicht mehr leben. Daher kommen sie ins Souss und bieten da den agroindustriellen Unternehmen ihre Arbeitskraft an.
Im vorliegenden Gespräch zwischen Marc Ollivier 1 und Nicholas Bell (EBF) geht es um die marokkanische Landwirtschaft.
Bevor wir über die moderne Agroindustrie sprechen, würde mich interessieren, wie die wirtschaftliche und soziale Situation früher in dieser Gegend war.
Ganz Marokko war landwirtschaftlich strukturiert. Es gab zwar eine bürgerliche intellektuelle Elite in den Städten, die aber sehr klein war im Bezug zu der Gesamtbevölkerung. Im Souss gab es viele Kleinbauern, die dank des hohen Grundwasserspiegels auf dem Boden hier gut wirtschaften konnten. Die Brunnen brauchten nicht tiefer als zehn Meter zu sein. Auf den Höfen wurde sowohl Landwirtschaft als auch Viehzucht betrieben. Die Entwicklung der intensiven Landwirtschaft im Souss ist dabei, die bäuerliche Landwirtschaft gänzlich zugrunde zu richten.
Der Souss ist eines der drei wichtigsten Gebiete der Berber. Die Bewohner haben eine sehr starke regionale Identität. Früher haben sie autonome Gruppierungen gebildet, die immer eine wichtige Rolle spielten. Mit Beginn der Kolonialisierung und des französischen Protektorats siedelten sich französische Kolonialherren in der Ebene an. Sie begannen mit moderner Landwirtschaft, vor allem mit Pflanzungen von Zitronen- und Orangenbäumen. Heute kultiviert hier niemand mehr Zitrusfrüchte, da man mit intensivem Gemüseanbau viel mehr Geld verdienen kann.
Wann genau wurde mit dem quasi industriellen Gemüseanbau begonnen?
Diese Art der Produktion fing in verschiedenen Ländern fast gleichzeitig an. Wir haben im Rahmen des Europäischen Bürgerforums sehr oft in einer ähnlichen Situation in Südspanien, Andalusien, gearbeitet, insbe-sondere in der Region von Almeria. Diese Art von Gemüse- und Obstwirtschaft hat sich in den 1980er Jahren entwickelt. Das gilt auch für den Souss. Damals wurde massiv ausländisches Kapital investiert. Heute erreicht dieser Sektor gigantische Dimensionen. Das Kapital kommt aus mehreren Ländern, in erster Linie aus Frankreich, aber auch aus Spanien und Portugal.
Im Frühjahr 2009 wurde ich auf einen sozialen Konflikt in einem der marokkanischen Betriebe aufmerksam. Die Gewerkschafter vor Ort schätzten die Zahl der Landarbeiter allein in der Ebene von Souss auf 70.000.
Bevor wir über die Arbeiter sprechen, würde ich gerne mehr über die Betriebe wissen. Anscheinend sind sie ja viel größer als z.B. die im Plastikmeer von Almeria, die maximal 4,5 Hektar groß sind.
Das ist einer der Unterschiede. Die Unternehmen im Souss können aus mehreren Betrieben bestehen, die sich, nicht so wie in Almeria, ohne Verbindung einer neben dem anderen befinden.
Hier gibt es ja viel Platz. Die Betriebe sind 300-400 Hektar groß, aufgeteilt in Einheiten von jeweils 20 – 25 Hektar (!) unter einem Plastikdach. Diese Riesengewächshäuser sind ultramodern eingerichtet und hermetisch gegen die Außenatmosphäre abgeschlossen. Sie haben ein extrem hohes technisches Niveau, zweifellos höher als das in Spanien. Man muss sich also eine vollkommen abgedichtete 20 Hektar weite und fünf Meter hohe Plastikkiste vorstellen. Um hinein zu gelangen, muss man mehrere Sicherheitsvorräume passieren, damit nur ja kein Insekt oder andere äußere Einflüsse eindringen können.
Wird hier auch «hors-sol» gewirtschaftet, so wie fast überall in Almeria?
Es gibt sowohl Einheiten, die mit Substrat funktionieren wie in Almeria, als auch andere, wo das Gemüse auf dem Boden wächst. Dieser besteht fast nur aus Sand und ist daher leicht zu bearbeiten. Sie verfügen über einen Wasserspeicher, der aus dem Stausee oder mit Grundwasser gefüllt wird. Dieses Wasser wird in eine Maschine gepumpt, wo ihm eine exakt dosierte Mischung von Zusätzen und Dünger beigesetzt wird, die der Fachmann je nach Jahreszeit, Klima und dem Zustand der Pflanzen für notwendig erachtet und ganz genau ausrechnet. Diese Mischung wird in Schläuchen zum Fuß jeder Tomate geleitet. Der Betrieb, den ich besichtigte, produziert Kirschtomaten. Diese werden im August gesät und die Pflanzen produzieren pausenlos von Oktober bis Mai. Sie sind an Fäden angebunden, die von der Decke herunterhängen, und die Tomaten werden so nach und nach von den Arbeitern geerntet und die Pflanze hinuntergezogen, sodass der Fuß der Tomate sich mehr und mehr dem Boden nähert und die Pflanze weiterwachsen kann. Am Ende der Saison sind Unmengen von Stängeln am Ende des Fadens gewachsen, die wie ein Haufen Nudeln aussehen, aber weiterhin die Pflanze am Leben erhalten und Tomaten produzieren. Sehr eindrucksvoll! Hier wird integrierte Schädlingsbekämpfung praktiziert. Kleine Säckchen mit Larven von Fliegen fressenden Insekten werden installiert. Außerdem werden Insektenfallen aufgestellt für die Schädlinge, die von draußen kommen könnten. Nicht zu vergessen, die Kompostierung und Aufbereitung der organischen Abfälle, die in dem Tunnel, den ich besichtigte, bereits so entwickelt ist, dass fast keine zusätzliche Düngung mehr notwendig ist.
Wird hier vor allem für den Export produziert?
Die Ebene von Souss ist das Herz der Tomatenproduktion Marokkos; das meiste wird nach Westeuropa exportiert. Man kann sagen 60 bis 70 Prozent der gesamten agroindustriellen Produktion. Ein Großteil davon wird in Lastwägen über die Straße von Gibraltar zwischen Tanger und Algeciras transportiert. Es mehren sich aber auch die Transporte auf Booten, die im Hafen von Agadir losfahren. Das sind vor allem Lieferungen nach Großbritannien.
Die 30 bis 35 Prozent der Tomaten, die im Inland billig verkauft werden, sind eine harte Konkurrenz für die Bauern, die immer für diesen Markt produziert haben. Das ist einer der Aspekte der Konfrontation zwischen dem agroindustriellen Sektor und den marokkanischen Bauern. Diese Konfrontation spielt sich in mehreren Bereichen ab. Das Schlimmste ist die Wasserknappheit. Früher konnten die Bauern, wie vorhin erwähnt, in 10 Meter tiefen Brunnen das Wasser für ihre Landwirtschaft schöpfen. Heute, nachdem für die großen Kulturen unter Plastik immer mehr Wasser gepumpt wurde, ist der Grundwasserspiegel enorm gesunken. Die Brunnen müssten 200 Meter tief sein. Das ist natürlich für den Kleinbauern unmöglich. Also können sie ihre Felder nicht mehr bewässern. Dies ist eine der sehr negativen Folgen der industriellen Landwirtschaft, die Konkurrenz auf dem Markt ist eine weitere.
Kommen wir jetzt zu den Arbeitsbedingungen, zum Lohn der Arbeiter. Sehr viele Marokkaner kommen nach Europa, um hier Arbeit zu finden – die gleiche Art von Arbeit wie in Almeria und an anderen Orten, wo die Löhne sehr niedrig sind: zwischen 20 und 35 Euro am Tag. Wie sind die Bedingungen im großen Arbeitsbecken von Souss?
Sie sind natürlich an den allgemeinen Standard in Marokko angeglichen – das heißt, die Löhne sind sehr niedrig. Ein Arbeiter, der in einem Plastiktunnel in Almeria Arbeit findet bekommt zwischen 3 und 5 Euro die Stunde. Im Souss gibt es eine allgemein gültige Bezahlung: 50 Dirham pro Tag, was so wenig wie 5 Euro sind. Die 70.000 Landarbeiter kommen aus allen Regionen Marokkos. Man muss sich vorstellen, dass Marokko ein extrem unausgeglichenes Land ist. Es gibt wirtschaftlich sehr dynamische Regionen, z.B. die ganze Küste um Casablanca, Kenitra, Rabat. Andere wiederum sind liegen gelassene Randregionen, um deren Entwicklung sich der Staat nicht im geringsten kümmert; die Investitionen in Infrastrukturen wie Schulen, Stromversorgung und all das sind völlig unzureichend.
Anscheinend sind jedoch die niedrigen Löhne nicht das wesentlichste Problem für die Menschen, die dort arbeiten. In dem sozialen Konflikt, der mich interessierte, ging es um andere Forderungen. Die erste war, eine Gewerkschaft gründen zu dürfen, die zweite, Lohnstreifen zu erhalten und die dritte im Sozialversicherungssystem eingetragen zu sein, das, wenn auch sehr geringfügig, eine Garantie dafür ist, in diesem Beruf anerkannt zu sein.
Viele Frauen dieses Agrarproletariats arbeiten hauptsächlich in Betrieben mit ultramodernen Bedingungen, aber auch auf einfachen Höfen. Ungefähr 20 Prozent der Frauen werden für die Ernte eingestellt, weil sie vorsichtigere Hände als Männer haben sollen.
Das ganze Problem des Konsums und der Produktion von Obst und Gemüse kann nicht mehr nur in einen nationalen oder lokalen Kontext gestellt werden. Es betrifft ein riesiges Gebiet, das sich von Agadir in den Norden Marokkos erstreckt, wo es auch einen agro-industriellen Sektor gibt, weiter nach Andalusien, Südfrankreich, Italien... es ist wie eine Art Kreis entlang des Mittelmeers, in dem dieses System gedeiht.
Anscheinend arbeiten ausschließlich marokkanische Arbeiter im Souss. Bietet sich hier eine Alternative zur Arbeitssuche in Europa?
Nein, dem ist nicht so. Die Zukunft dieses intensiven landwirtschaftlichen Sektors sieht eher düster aus, weil das Wasser schon heute aus 200 Metern Tiefe gepumpt werden muss. Alle Techniker wissen, dass die Wasservorräte nicht mehr lange ausreichen. Ich traf mit Betriebsführern zusammen, die mir gestanden, dass sie nicht wüssten, wie es weitergehen soll. Sie machten sich auch Sorgen über die Konflikte mit den Arbeitern, aber sie meinten, dass diese guten Willens seien. «Gerne würden wir die Arbeiter besser behandeln, aber wir sind dem Konkurrenzdruck ausgeliefert». Das ist das Leitmotiv, und tatsächlich funktioniert dieser Sektor mit Variablen im Produktionsablauf, die wichtigste ist jedoch der Lohn.
Eine wichtige Rolle spielt auch die Tatsache, dass Europa an der Schaffung einer Freihandelszone mit allen nordafrikanischen Ländern arbeitet. In Marokko tritt diese ab 2012 in Kraft. Alle Beobachter sind sich darin einig, dass dies die Lage der Kleinbauern noch zusätzlich verschlimmern wird, weil Europa den marokkanischen Markt mit billigen, subventionierten Produkten überschwemmen wird.
Einerseits wird also diese Freihandelszone die Bauern noch mehr verarmen lassen und andererseits verschießt der agroindustrielle Sektor seine letzten Patronen, was die Wasservorräte betrifft. Ich denke nicht, dass der Souss eine Alternative zum Auswanderungsstrom nach Europa werden kann.
Hast du während deines Aufenthalts Kommentare über die Krise in Spanien gehört, über die Tatsache, dass es weniger einfach ist, dort Arbeit zu finden?
Nein, überhaupt nicht. Man sollte aber nicht vergessen, dass es sich in Spanien um eine Entwicklung handelt, die erst im Herbst 2008 begann. Der Auswanderungsdruck ist immer noch gewaltig. Die jungen Marokkaner haben nach wie vor den Eindruck, dass es mit dem aktuellen wirtschaftlichen und sozialen System in ihrem Land für sie keine Zukunft gibt. Ihre Hoffnungen richten sich auf die andere Seite des Mittelmeers.
Kann man mit fünf Euro Tageslohn leben? Kann eine Familie mit einem solchen Hungerlohn überleben?
Zum ersten handelt es sich in den meisten Fällen nicht um Familien. Diese LandarbeiterInnen sind – seien es Frauen oder Männer- ledig. Meistens junge Menschen aus anderen ländlichen Regionen, aus Dörfern, in denen ihre Familie lebt. Sie kommen in den Souss als Saisonarbeiter.
Die soziale Situation dieser Arbeitskräfte ist allerdings prekär. Zum einen ist der Souss der wichtigste Infektionsherd von Aids in Marokko. Die riesige Anzahl von ledigen Menschen bewirkt außerfamiliäre Lebensbedingungen, die die Entwicklung von Aids fördern. Zum andern gibt es viele Paare, die sich getrennt haben. Unter diesen Lebens- und Arbeitsbedingungen, weit weg von ihrem Dorf und ihrer Familie, leben sich die Familien oft auseinander.
Die Lebensbedingungen in dieser Ebene sind beklemmend, mit diesen neuen Ballungszentren, 30 oder 40 Kilometer von Agadir entfernt. Hier wohnen diese Landarbeiter. Zum großen Unterschied mit Andalusien gibt es hier natürlich keinen antimarokkanischen Rassismus, aber sie wohnen in äußerst armen Quartieren. Jeden Morgen zwischen fünf und sechs in der Früh spielt sich ein tristes Schauspiel ab: Die Arbeiter werden wie Tiere auf Lastwagen gepfercht, bis zu 120 Menschen, um sie an ihren Arbeitsplatz in den Plastiktunnels zu fahren, am Abend spielt sich das gleiche Spektakel nochmals ab.
Wer das übliche Leben der marokkanischen Bauern in ihren Dörfern, ihren Bergen, mit ihren Tieren und ihrem Umfeld kennt, kann sich vorstellen, wie sehr diese Landwirtschaftsarbeiter entwurzelt sind und in einer kulturellen Misere leben.
Was die Gewerkschafter betrifft, könnte man sich Verknüpfungen vorstellen, zwischen ihnen und jenen in Andalusien oder anderswo, die auch für bessere Lebensbedingungen oder gegen dieses Modell der intensiven Landwirtschaft kämpfen?
Die Gewerkschaften in Marokko haben wenig Bewegungsfreiheit und verfügen über geringe Mittel. Es ist schon positiv, dass es überhaupt gewerkschaftliche Organisationen gibt, die die Arbeiter organisieren und diese in ihren Anliegen unterstützen können. Aber sie gewinnen selten bei Konflikten. Schon eine gewerkschaftliche Sektion in diesen agroindustriellen Betrieben zu gründen, ist schwierig.
Ich bin im vergangenen Monat in die Souss-Ebene gefahren und habe Gewerkschafter getroffen, weil diese die Initiative ergriffen hatten und den Konflikt über Internet bekannt machten. Sie prangerten die Haltung des Unternehmertums an, das die Schaffung von Gewerkschaften in ihren Betrieben verhindern will. Das ist typisch für Marokko: Immer wenn ein Konflikt ausbricht, sei er gewerkschaftlich oder politisch, provozieren die Betroffenen - und nicht die politischen oder gewerkschaftlichen Organisationen - ein internationales Echo, was oft eine internationale Solidarität hervorruft.
- Marc Ollivier, Wirtschaftsfachmann und Forscher beim CNRS (Nationales Zentrum für wissenschaftliche Forschung), hat eine langjährige Beziehung zu Marokko. Seit der wiedererlangten Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1956 arbeitete er dort für eine neue Entwicklungspolitik, insbesondere im ländlichen Gebiet. Er bleibt sechs Jahre lang dort und zieht dann 1963, nach dem Ende des Befreiungskrieges, nach Algerien, wo er sich für die selbstverwaltete Bewirtschaftung ehemaliger Bauernhöfen der Kolonialherren einsetzt. 1972 kommt er zurück nach Frankreich, wo er auf der Universität in Grenoble unterrichtet. Seit 2001 arbeitet er eng mit dem Europäischen Bürgerforum zusammen bei der Recherche und Information über die Ausbeutung von Migrantinnen und Migranten, die als Saisonarbeiter in der industriellen Landwirtschaft arbeiten. Projekte mit zahlreichen Menschen, mit gewerkschaftlichen, universitären und kulturellen Organisationen und Vereinen in Marokko, bringen ihn immer wieder in dieses Land.
Landwirtschafts-kapitalismus
Die Region profitierte aus verschiedenen Gründen von einem großen Kapitalzufluss. Zum einen verfügt sie über Wasserreserven und Staudämme. Die Böden sind für Gemüseproduktion geeignet, und der Landwirtschaftssektor ist steuerfrei. Die Bodenpreise sind außerordentlich niedrig. Viele Kleinbauern konnten mit der Entwicklung der modernen Landwirtschaft, die viel Dünger und Pestizide braucht, nicht mithalten. Sie überließen ihr Land den neuen Betrieben. Die Arbeitskräfte sind in Hülle und Fülle vorhanden, und der Staat fördert diese Entwicklung. Der neue Arbeitskodex von 2003, der 2004 in Kraft gesetzt wurde, passt in den globalen Rahmen der Politik des Staates, der die Flexibilität der Arbeit begünstigt, um Investitionen anzuziehen.
Omar Aziki *
* Stellvertretender Sekretär der Föderation des Landwirtschaftssektors der marokkanischen Union der Arbeit (UMT) in Souss
Arbeits(un)bedingungen
Einige Arbeitgeber entledigten sich der Kulturen, die am meisten Arbeitskräfte brauchen. Vor der Einführung des Arbeitskodex produzierten sie vor allem Gemüse, aber nach den Konflikten von 2006 und 2007 wechselten sie auf Obstbau, der wesentlich weniger Arbeitskräfte benötigt. Billige Arbeiter ohne Rechte sind erwünscht und werden ausgebeutet. Wenn diese aber auf ihren Rechten beharren, soziale und medizinische Versorgung, bessere Arbeitsbedingungen, korrekte Transportmöglichkeiten und akzeptable Wohnungen verlangen, werden sie abgeschoben.
Wir machen alles, was in unseren Möglichkeiten liegt, Sit-Ins, Streiks, Demonstrationen. Wir sprechen bei den Behörden vor. Aber schlussendlich entlässt der Patron alle Gewerkschafter und Leute, die um ihr Recht kämpfen. Nach zwei Monaten Konflikt sind alle Verhandlungen blockiert. Der Arbeitgeber will 40 Menschen kündigen, die sich an Streiks und Demonstrationen beteiligten. Seit dem 2. März organisieren wir täglich Sit-Ins. Das dauert schon seit einem Monat. Es handelt sich um einen Großbetrieb mit fast 5.000 Arbeitern, mit 25 Produktionseinheiten von 6 bis 20 Hektar, der auch über eine große Verpackungs- und Sortierstation verfügt.
Die Arbeiter werden stehend, gepresst wie Sardinen, mit Lastwagen transportiert. Es gibt Unfälle, manchmal auch Tote, weil sie wie Waren, ohne Sitze und Sicherheitsgurt, transportiert werden, egal ob es kalt oder sehr heiß ist.
Hocine Boulberj *
* Generalsekretär, Landwirtschaftssektion des Souss, UMT
Umweltvernichtung
Mit der Trockenheit sanken die Wasservorräte in den Staudämmen auf ein sehr kritisches Niveau. Das Grundwasser der Region ist bedroht. Zusätzlich nimmt die Versalzung der Böden zu, weil die Region nahe am Meer liegt. Oberflächliche Wasservorräte sind durch Dünger und Nitrat verschmutzt. Pessimistische Schätzungen gehen davon aus, dass spätestens in acht Jahren das Wasser ausgeht, weil es sich um fossiles Grundwasser handelt, das sich nicht erneuert. Die Bodenfruchtbarkeit nimmt stark ab. Spanier aus Almeria kultivieren hier, weil bei ihnen die Bodenerosion durch den Einsatz von Pestiziden schon weit fortgeschritten ist.
Alternativen schaffen
Die internationale Solidarität muss unbedingt gefördert werden, um diese Form von Landwirtschaft zu denunzieren. Wir sind alle voneinander abhängig. Diese industrielle Landwirtschaft exportiert vor allem nach Europa. Es ist also der europäische Bürger, der die Nahrungsmittel unseres Landes konsumiert. Sie sollten solidarische Netzwerke schaffen als Alternative zu dieser intensiven Landwirtschaft.
Omar Aziki