Der Anwalt Eberhard Schultz in «Neues Deutschland» über die Folgen des Anti-Terror-Kampfes.
ND: Was ist für Sie als Menschenrechtsanwalt das besondere neue Merkmal der Freiheitseinschränkungen im Zeitalter des Anti-Terror-Kampfes?
Eberhard Schultz: Guantanamo und Abu Ghoreib sind die Vorboten einer weltweiten Wiederkehr der mittelalterlichen Vogelfreiheit. Die neue Qualität sehe ich in dem Versuch, Teile der Bevölkerung als «Feinde» auszugrenzen und ausdrücklich zu rechtlosen Objekten zu machen, wie es die Lehre vom sogenannten Feindstrafrecht ausdrücklich fordert. Dabei wird an bestimmte Entwicklungen, etwa im Bereich der 129a-Verfahren, angeknüpft.
Sehen Sie in Europa und speziell auch in Deutschland ähnliche Entwicklungen wie in den USA?
Durchaus, wenn wir an die unsäglichen Folterdebatten denken, die regelmäßig bei medienwirksamen Entführungen, Geiselnahmen usw. losgetreten werden. Oder an den flächendeckenden Widerruf des Status von Asylberechtigten aus Afghanistan, Irak und der Türkei, wo angeblich keine Verfolgung mehr stattfindet. Die ersten Kurden, die seinerzeit wegen ihrer Tätigkeit für die kurdische Bewegung als politisch Verfolgte anerkannt wurden, sind soeben an die Türkei ausgeliefert worden. Erinnert sei auch an das vom Bundesverfassungsgericht kassierte Luftverkehrssicherheitsgesetz, das für den Fall einer Kaperung durch mutmaßliche Terroristen den Abschuss des Flugzeuges, also den Tod Hunderter Unschuldiger vorsah.
Solche Stimmen stehen nicht nur für eine andere Republik, sondern auch für ein anderes Europa. Bisher war es aufgrund der Europäischen Menschenrechtskonvention Konsens, dass das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit ebenso notstandsfest ist wie das Folterverbot. Es darf also auch im Fall von Krieg und Ausnahmezustand nicht außer Kraft gesetzt werden.
Welche Auswirkungen haben die viel zitierten schwarzen Listen auf die Situation der Menschenrechte?
Für die Betroffenen bedeutet dies zunächst vor allem die Beschlagnahme ihrer Bankkonten und die Abstempelung als «Terrorist». Auch sah die «EU-Terrorliste» keine Begründung und keine Anfechtungsmöglichkeit vor. Im Fall von Professor Sison, einem in den Niederlanden anerkannten Flüchtling von den Philippinen, haben wir mithilfe eines internationalen Verteidigerteams erreicht, dass der Europäische Gerichtshof in Luxemburg diese Praxis für konventionswidrig erklärte. Das hatte zur Folge, dass Professor Sison von der Liste gestrichen wurde und kurz darauf mit einer floskelhaften und völlig abwegigen Begründung erneut in die Liste aufgenommen wurde! Wir stehen also vor weiteren juristischen Auseinandersetzungen, diesmal mit einer breiteren Unterstützung der kritischen Öffentlichkeit.
Sehen Sie also auch Zeichen für ein größeres Problembewusstsein bei der Justiz?
Ja. Kürzlich sind in Dänemark Vertreiber von T-Shirts mit dem Emblem der kolumbianischen FARC vom Vorwurf der Terrorismusunterstützung freigesprochen worden. Solche Entscheidungen gibt es immer wieder, auch bei uns und beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Selbst in den USA hat der Supreme Court der Bush-Regierung bei dem Versuch, mit Guantanamo einen rechtsfreien Raum zu schaffen, eine deutliche Absage erteilt. Es lohnt sich also, an der juristischen Front zu kämpfen. Mit der weiteren Unterstützung der Öffentlichkeit kann es dann hoffentlich gelingen, die vom Gericht erkämpften Rechte auch bei den zuständigen Polizei- und Verwaltungsbehörden durchzusetzen.
Interview: Peter Nowak
Den Artikel finden Sie unter:
http://www.neues-deutschland.de/artikel/121193.html20.12.2007 / Meinung/Kolumne / Seite 8