Berlin ergänzt seine zunehmenden Auslandsinterventionen um ein eigenes Institut zur Interven-
tionsforschung. An einem «Sonderforschungsbereich 700» der Freien Universität Berlin untersuchen Nachwuchswissenschaftler Voraussetzungen und Möglichkeiten politisch-militärischer Eingriffe rund um den Globus.
Die Forschungsarbeit findet in Kooperation mit Regierungsberatern statt und wird mit Millionenbeträgen aus staatlichen Haushalten finanziert. Besonderes Interesse gilt den ressourcenreichen Ländern des Südens, die zu «Räumen begrenzter Staatlichkeit» erklärt und damit westlicher Einmischung preisgegeben werden. Zielgebiete der Berliner Interventionsforscher sind unter anderem rohstoffreiche Provinzen in der Demokratischen Republik Kongo (Nord-Kivu, Katanga), aber auch das von der NATO besetzte Afghanistan sowie Georgien. Bei der Analyse von Interventionstechniken geht der «Sonderforschungsbereich» unter anderem der Frage nach, inwieweit sich Staaten wie etwa Georgien mit Hilfe sogenannter Nicht-Regierungs-Organisationen «verdeckt steuern» ließen und inwieweit unmittelbare «externe Eingriffe» notwendig seien.
U nfähig oder unwillig Aktuelle Projekte des «Sonderforschungsbereichs 700» der FU Berlin sind Konferenzen in der deutschen Hauptstadt (5. September 2008) und in Kapstadt (19. September 2008). Dabei geht es unter anderem um die Frage, inwieweit private Großunternehmen aus der Rohstoffbranche die «Sicherheit» («security») und damit die «Regierbarkeit» («governance») in den ressourcenreichen Ländern Süd- und Zentralafrikas gewährleisten können. Dies sei notwendig, heißt es, weil den dortigen Regierungen entweder die Fähigkeit oder der Wille fehle, die für eine erfolgreiche Geschäftstätigkeit notwendige Infrastruktur bereitzustellen - einschließlich eines funktionierenden Repres-sionsapparates («governments lack the capacity or the will to provide for public goods»). 1 Explizit genannt werden Provinzen der Demokratischen Republik Kongo (Katanga) und Südafrikas (Witwatersrand), die über zahlreiche für die westlichen Indu-strienationen unverzichtbare Bodenschätze verfügen. 2
Mit Interventionen rechnen
Der an der FU Berlin angesiedelte «Sonderforschungsbereich 700 - Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit» (SFB 700) hat 2006 mit etwa 40 Mitarbeitern seine Tätigkeit aufgenommen und wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit insgesamt 6,5 Millionen Euro finanziert. Beteiligt sind die Universität Potsdam, das Wissenschaftszentrum Berlin (WZB), Regierungsberater von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), die Hertie School of Governance und das European University Institute Florenz. Ihren Sitz hat die Forschungseinrichtung im Alfried-Krupp-Haus in Berlin, das von der gleichnamigen Stiftung zur Verfügung gestellt wird 3; es ist nach dem Rüstungsindustriellen und NS-Kriegsverbrecher Alfried Krupp von Bohlen und Halbach 4 benannt. In seiner Eröffnungsrede erklärte Georg Boomgaarden, Staatssekretär im Auswärtigen Amt, die vom SFB 700 untersuchten «Länder des Südens» müssten im Falle der Missachtung «humanitäre(r) Grundregeln» mit der «gewaltsame(n) Intervention der Staatengemeinschaft (...) rechnen». 5
Defizitäre Kolonien
Grundlage der Arbeit des SFB 700 bildet die Einteilung der Länder der so genannten Dritten Welt in drei Gruppen: «zerfallen(d)e Staaten» in «Krisenregionen», bei denen nach Auffassung der Berliner Wissenschaftler weder ein staatliches Gewaltmonopol noch die Fähigkeit des Staates «zur effektiven Durchsetzung politischer Entscheidungen» vorhanden seien (Afghanistan, Kolumbien, Kongo, Nigeria, Tadschikistan); «schwache Staaten», die in beiden Bereichen, wie es heißt, «große Defizite» aufwiesen (Argentinien, Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Indien, Indonesien, Mexiko, Pakistan), sowie «Schwellenländer», bei denen dies für «Teilbereiche ihres Territoriums» gelte (Brasilien, China, Südafrika, Südkorea). Abgeglichen werden die diagnostizierten «Defizite» in historischer Perspektive mit den Schwierigkeiten, mit denen sich deutsche, britische, französische und japanische Kolonialisten konfrontiert sahen - bei der Sicherung ihrer Herrschaft über die von ihnen okkupierten «Räume». 6
Verdeckt steuern
Der SFB 700, der vor allem Nachwuchsakademiker beschäftigt, gliedert sich in mehrere Teilbereiche. In den Forschungsprojekten des Teilbereichs A («Theoretische Grundlagen») geht es unter anderem um die Frage, wie internationale Institutionen und Nicht-
Regierungs-Organisationen (Non-Governmental Organizations/NGOs) den «zerfallenden Staat» Georgien «verdeckt steuern» könnten7 und inwieweit «externe Eingriffe und Aufbauhilfen» notwendig seien. 8 Mit der «Durchsetzung» der «EU-Vorgaben zu Gutem Regieren» befasst sich auch Teilbereich B («Herrschaft»); dies geschieht am Beispiel der von Brüssel geforderten «Korruptionsbekämpfung» in Belarus, Georgien, Armenien und Aserbaidschan. 9
Feldforschung Neben der Analyse von Interventionstechniken widmet sich der SFB 700 auch der Evaluation aktueller Gewaltoperationen. Unter Leitung von Christoph Zürcher und Ulrich Schneckener - beide arbeiten bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) als Regierungsberater - prüfen Forscher des Teilbereichs C («Sicherheit»), ob «externe Stabilisierungsstrategien» zur «Herstellung von Sicherheit» in Afghanistan beigetragen haben. Dabei legen die Wissenschaftler nach eigener Aussage «größten Wert auf Empirie aus erster Hand»: «Die qualitativen Fallstudien basieren auf längeren Feldforschungsaufenthalten, welche es uns ermöglichen, die Realitäten vor Ort zu erfassen.» 10 «Feldforschung» findet auch in der Provinz Nord-Kivu der Demokratischen Republik Kongo statt; 11 deutschen Regierungsstellen wird vorgeworfen, in Kämpfe um die dortigen Ressourcen verwickelt zu sein - zum Nutzen von Bürgerkriegsmilizen. 12
Systematischer Einblick In Arbeit ist nicht zuletzt ein Datenbankprojekt, das Informationen über mögliche Interventionsgebiete («Akteurskonstellationen, Strukturbedingungen und Gewaltdynamiken inner- und substaatlicher Kriege nach 1990») umfassend bündeln und für die weitere Auswertung bereithalten soll. Ziel ist die «präzise Erfassung von gewaltsamen Konflikthandlungen auf Ereignisbasis» sowie die Kartierung «lokaler, regionaler oder transnationaler Kon-fliktformationen». Damit könne man «systematischen Einblick» in «Eskalations- und Deeskalationsdynamiken» gewinnen, heißt es. Neben Angaben über die «militärischen und finanziellen Möglichkeiten der involvierten Akteure» soll die Datenbank die «Häufigkeiten und Charakteristika externer Steuerungsversuche (militärische Intervention)» berücksichtigen. 13 Damit erschließt das Projekt auch vergangene Interventionskriege einer gezielten Evaluation.
Instrumentalisierung
Zurzeit führt der SFB 700, der mehrere Juniorprofessoren beschäftigt, 19 Teilprojekte durch und betreut insgesamt 32 Doktorarbeiten; mehrere Publikationsreihen erscheinen hier. Die Forschungseinrichtung verbindet gezielt akademische Nachwuchsförderung mit der Instrumentalisierung sozialwissenschaftlicher Forschung für die weltweite deutsche Expansion.
Quelle: www.german-foreign-policy.com
Business in Local Governance. Workshop hosted by the Research Project: Fostering Regulation? Corporate Social Responsibility in Countries with Weak Regulatory Capacity at the Freie Universität Berlin. 19. September 2008, Graduate School of Business, University of Cape Town *
Workshop «Governing Security and Making Space». 5. September 2008, Freie Universität Berlin *
Allgemeine Informationen zum SFB 700; www.sfb-governance.de. Harald Neuber: Staat im Rückzug; Telepolis 06.04.2008
Alfried Krupp von Bohlen und Halbach (1907-1967), seit 1931 förderndes Mitglied der SS, 1936 Vorstandsmitglied des Krupp-Konzerns, 1937 Wehrwirtschaftsführer, 1938 Leiter der Rüstungsabteilung des Krupp-Direktoriums, Eintritt in die NSDAP, 1943 Alleininhaber des Konzerns, 1948 vom US-Militärtribunal in Nürnberg wegen der Ausbeutung von Zwangsarbeitern und der Plünderung von Wirtschaftsgütern in den von Deutschland während des Zweiten Weltkriegs besetzten Gebieten zu zwölf Jahren Haft verurteilt, 1951 amnestiert, 1953 wieder Konzernchef; Hermann Weiß