Gegen katastrophale Auswirkungen der kapitalistischen Globalisierung wehren sich Menschen mit Nationalismen, ein hilfloser und fast immer hoffnungsloser Versuch. Franz Schandl, Journalist der Streifzüge 1, betrachtet den Inhalt von «International versus National» 2 aus wertkritischer Perspektive. Da Sprache der materielle Ausdruck des Denkens ist, könnte es fruchtbar sein, sich auf seine Argumentation einzulassen und die Inhalte der benutzten Worte neu zu durchdenken.
Wir werden mehr umdenken müssen als wir vor einigen Jahren noch glaubten. Aus dem Reformationsprojekt des Sozialismus ist inzwischen ein Abbruchunternehmen geworden, das sich immer weniger zur Weiterverwendung eignet. Kein Begriff, der heute noch ungeniert verwendet werden könnte. Die Aufgabe ist größer als angenommen und übersteigt bei weitem unsere bisherigen Kräfte. Wer hätte vor zwanzig, ja vor zehn Jahren noch gedacht, dass es irgendwann Zeit wird, den allseits gut beleumundeten Terminus des «Internationalismus» als trojanisches Pferd zu bezeichnen und folgerichtig zu kippen. Doch genau das steht an und wird in Folge auch unternommen.
Der Internationalismus setzt Völker und Nationen als getrennte, abgespaltene und eherne Einheiten voraus. Er möchte Nationen als vernünftige Nachbarn etablieren, Völker verbinden, daher auch das institutionalisierte Gefüge der «United Nations». Im Internationalismus wird die Nation eben nicht in Frage gestellt, sondern positiv codiert. Sie wird nicht aufgegeben, ihr wird gerade inbrünstig angehangen. Nation wird anerkannt, das «inter» vorne kündet nur davon, dass es auch friedvoller ginge, ließe man die Völker nur machen. Völkerfreundschaft nennt sich das dann. Internationalismus bedeutet lediglich Koexistenz.
Der Internationalismus dehnt das Nationale nur international aus, anstatt es hier wie dort konsequent zu negieren. Er will Begrenzungen und Schranken schmackhaft machen, d. h. ontologisieren, eben nicht als vergänglich und überwindenswert auffassen. Das unentwegte Gerede der Völker vergisst die in ihnen eingesperrten Menschen bzw. degradiert sie geradewegs zu unterworfenen Subjekten.
Jede Nation ist Internation Die Überwindung der Nation ist nicht die Internation. Weder Internationale noch Internationalismus. Dass jede Nation sowieso Internation ist, weil jene ohne diese gar nicht zu denken ist, scheint den Internationalisten sogar weniger zu kommen als den Nationalisten. Selbstredend ist die nationale Konkurrenz nichts anderes als ein internationaler Wettbewerb. Der Grundvorwurf an den Internationalismus ist der gleiche wie an den Nationalismus: Sie wollen beide die Nation erhalten, sie ist Fixpunkt ihrer Überlegungen. Diese Fixierung zeugt von einer völligen Befangenheit in den Kategorien Staat und Politik. Gerade «politisch sein» oder «Politik machen» heißt im Sinne der staatlichen Ordnung tätig zu werden, heißt den nationalen Rahmen und die internationale Konstellation als Grundvoraussetzungen zu akzeptieren, so abweichend die Vorstellungen auch sein mögen. Diese Befangenheit wird im Internationalismus überhaupt nicht problematisiert. Wer Politik machen will, will mit Nationen auf internationaler Ebene handeln.
Wer für das Internationale ist, gibt zu verstehen, dass er für das Nationale ist, was meint, die Völker sollen weiterbestehen statt abgeschafft werden. Der Internationalismus ist eine besondere Formel des Nationalismus, und zwar die Schönwetterformel für die Linken aller ihrer Herren Länder. Wobei stets die Nation andere Nationen anerkennen muss, denn sie ist durch das sich staatlich Auszugrenzende definiert. Ich bin, weil es andere gibt. Internationalismus ist Multiplizierung durch gegenseitige Bestätigung und Zulassung. Internationalismus sagt aus, dass jede Nation bei sich bleiben sollte oder (was dann schon schlimmer ist) zu sich kommen dürfte. Er genehmigt die durchgesetzten Nationen als seine Grundlage, schließt aber andere Durchsetzungen nicht aus. Aus diesem Verständnis heraus ist es nur logisch gewesen, die richtig so benannten «nationalen Befreiungsbewegungen» frenetisch zu unterstützen.
Die Nation ist der heilige (aber handfeste) Geist des Staates, der Internationalismus dementsprechend die Anerkennung, dass es neben meinem Geist auch andere gibt. Anstatt der Geisterei ein Ende zu machen, hebt er sie nur auf eine demokratische Basis. Die internationalistische Gesinnung ist nicht das Gegenteil der nationalistischen, sondern deren Fortsetzung. Nicht nur zum eigenen Staat wird sich bekannt, sondern gleich zu den vielen anderen auch. Internationalismus ist pluralistische Prostaatlichkeit.
Auf den Misthaufen der Geschichte Die Frontstellung «Internationalisten gegen Nationalisten« mag in einer gewissen Epoche progressiven Sinn gehabt haben, heute ist sie nur noch reaktionärer Unsinn. Die Internationalisten der Gegenwart sitzen in der EU, der USA, der NATO. Peter Handke hatte schon Recht, als er anlässlich der Zerschlagung des alten Jugoslawiens gegen die «Internationalen» wetterte.
Die «Internationale», jenes berühmte Kampflied der Arbeiterbewegung, ist ein regressiver Schlager. Der ganze Sermon findet sich hier; explizit: Völker, Gefecht, Menschenrecht; implizit: Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit. Und natürlich dezidiert der Müßiggänger, der beiseite geschafft werden soll. Was soll man da noch sagen? - Auf den Misthaufen der Geschichte mit alledem! Es geht auch nicht mehr um den Aufbau irgendeiner revolutionären Internationale.
Mit einem Standpunkt, der die Nation als «eine historisch entstandene stabile Gemeinschaft von Menschen» (Josef Stalin) oder noch deutlicher als «eine durch Schicksalsgemeinschaft erwachsene Charaktergemeinschaft» (Otto Bauer) ausweist, ist unsere Position unvereinbar.
Volk bezeichnet keine unbestimmte Menge, sondern das Fußvolk eines Staates. Und zwar nicht nur die zusammengefasste Masse für einen Staat, sondern auch die sich selbst zusammenfassende. Eine Herde, die sich für sich selbst hält und hütet. Volk bedeutet eine gemeinschaftliche Identitätsfixierung, die aber anders als Fangemeinden niederen Typs durch ihre unerschütterliche Beharrlichkeit besticht. Man wähnt, dass man ist, wozu man sich verpflichtet fühlt. Volk ist das Versetzen von in einem Staat (oder in einen Staat wollenden) zusammengepferchter Exemplare in einen kollektiven Wahn der Gehörigkeit: Angehörigkeit, Zugehörigkeit, Zusammengehörigkeit, auf jeden Fall: Hörigkeit.
Um als Nation oder Volk anerkannt worden zu sein, mussten sich diese erst gewalttätig ins Recht gesetzt haben. Die ursprüngliche Akkumulation des Volkes ist ohne Krieg nicht zu haben. Daher geistern die Sagen und begeistern die Mythen. Sie sind emotionaler Grundstock jedes nationalen Gefühlshaushalts.
Volk – dienst-bereites Personal des Staates Wir glauben nicht an das friedliche Zusammenleben der Völker. Völker als wehrhafte Haufen, staatlich organisierte Banden werden nie friedlich zusammenleben können. Völker sind das jeweils konfrontative und wehrhafte Gegenüber. Dienstbereites Personal ihrer Staaten. Die Dichotomie Volk und Herrschaft ist eine irreführende. Völker schließen Ordnung und Herrschaft ein, vor allem aber Zucht in doppeltem Wortsinn. Volk meint Abgrenzung vom anderen Volk. Vice versa. Diese Abgrenzung, deren praktische Formen bis zum Krieg, ja zur Auslöschung und Vernichtung reichen, ist dem Volk inhärent.
Wenn Volk und Nation als allgemeine Besonderheit und eherne Einheit begriffen werden, dann kann das nur heißen, dass alles, was ihrer «Substanz« fremd oder bedrohlich erscheint, abgewehrt, bekämpft, assimiliert oder eliminiert werden muss. Das hat der Nationalist besser begriffen als der Internationalist, der immer noch vom friedlichen Nebeneinander (Staatengemeinschaft) oder Miteinander (multi-ethnische Gesellschaft) träumt.
Der nationale Ausweis beherbergt keinen selektiven Anspruch, nirgendwo, er verweist lediglich auf die Befangenheit seiner Protagonisten. Wer erst im Volk zu sich findet, verrät sich nur als nationale Charaktermaske seines Standorts, und vor allem, dass eins sich selbst nicht hat, sondern verloren hat.
Man soll Landschaften mögen, Weinsorten bevorzugen und vor allem Menschen lieben! Aber es ist ausgezeichneter Unsinn, eine vorbestimmte Gruppe und einen vorbestimmten Staat via Geworfenheit als das zu Akklamierende anzuerkennen. Die Geworfenheit ist Zufall, sich ihr als Schicksal zu fügen, ja sich positiv zu verfügen, ist ein Grundübel unserer Zeit, das sich Patriidiotismus nennt. Patrioten sind wahrlich die Idioten ihres Staates, Anbeter einer spezifischen Abstraktion, die sie für Natur halten, ihnen zugehörige Natur, leibhaftiges Wesen, nicht konstruiertes, aber gesellschaftlich durchgesetztes Unwesen.
Wer meint ein Österreicher zu sein, ist zu fragen, was das denn sei außer die vorgeschriebene Unterwerfung unter das Gewalt-, Steuer- und Rechtsmonopol des Staates? Was verbindet einen mit Jörg Haider oder Wolfgang Schüssel, das über den gemeinsamen Pass, also die Staatsbürgerschaft, hinausgeht? Irgendeine Nationalmannschaft? Irgendetwas Charakterliches? Irgendetwas Blutiges? Wir wollen doch nicht annehmen, dass einem hier wirklich etwas einfällt. Sollte dies doch der Fall sein, ist der Träger solcher Meinung, die nichts anderes als eine öffentlich-private Kundgebung ist, als Patriot und Nationalist ausgewiesen.
Nationale Identitäten aufheben Den Schicksalsgemeinschaften gilt es zu fliehen, aber nicht zu ihnen, sondern von ihnen. Der Bezug auf den «eigenen Staat» (gemeint ist der, dem man via Staatszugehörigkeit Hörigkeit zu zollen hat) hat ein rein pragmatischer zu sein. Wie nutze ich ihn? Wie erleide ich den geringsten Schaden? Auch die Staatsbürgerschaft ist nicht zur Weltbürgerschaft zu steigern, sondern abzuschaffen. Welchen Sinn sollte sie auch ohne Staat und Bürger machen?
Die Gattung ist kein Zoo der Völker. Gegen die Ethnie irgendwelcher Mehrheiten setzen wir nicht die Identität der Minderheiten, mag man sie auch als Notwehrgemeinschaft tolerieren und unterstützen. Gegen die ethnische Reinheit setzen wir nicht die multiethnische Vielheit. Wir plädieren schlicht die Aufhebung nationaler Identitäten. Die Ethnie ist zu kippen wie der Staat. Damit Menschen Individuen werden können, müssen sie sich von ihren Zwangsvergemeinschaftungen lösen. Diese Entledigung ist freilich ohne Erledigung nicht zu haben. Welche Assoziationen die Individuen sodann etablieren, bleibt ihnen selbst überlassen.
Es gilt sich jenseits des Binnenkonflikts von Globalisierung und Antiglobalisierung zu positionieren. Wer den Unbegriff «Anti-Globalisierungs-Bewegung» erfunden hat, mag ziemlich gerissen gewesen sein, wer ihn allerdings bereitwillig übernimmt, muss schon ziemlich dumm sein. Weder Abschottung oder gar Heimatschutz ist unsere Aufgabe, ebenso wenig sind wir aber der ideologische Flankenschutz der rasenden Liberalisierung.
Unabhängigkeit ist Trug, Nation ihr Fetisch Globalisierung ist nicht etwas von oben, das nun von unten in Angriff genommen werden muss, sondern kommt von innen heraus, ist eine generelle Tendenz, die in allen Poren dieses Systems der Wertvergesellschaftung steckt. Diesseits der Globalisierung gibt es keine Alternativen. Den nationalen Reformern aller Länder sei ins Stammbuch geschrieben: Abhängen kann man nur den Weltmarkt, nicht sich vom Weltmarkt. Unabhängigkeit ist Trug, Nation ihr Fetisch. Fremdherrschaft abzulehnen, bedeutet nicht schon Herrschaft abzulehnen. Herrschaft wird hier am deutlichsten als äußerer Faktor wahrgenommen, nicht als inneres Wesen bürgerlicher Verfasstheit. Wer sich auf Unabhängigkeit kapriziert und diese als nationale versteht, streicht sich selbst durch. Die Nationen haben ebenso wenig unabhängig zu sein wie die Staaten frei zu sein haben. Umgekehrt: Menschen haben sich von Staaten zu befreien und von Nationen zu emanzipieren.
Ohne historische Kämpfe pauschal beurteilen zu wollen, beschließt das auch, dass wir heute, also: jetzt und fortan Befreiungskämpfe unter nationalem Vorzeichen ablehnen. Selbstbestimmung der Menschen darf nicht auf das Niveau oder die Scholle von Volk und Nation, aber auch nicht ihrer falschen Individualisierungen wie Bürger, freier Wille oder die verlogene Mündigkeit heruntergeholt werden.
Was ein transnationaler Befreiungskampf ist und was der (vor allem auch in der so genannten Dritten Welt) bedeuten könnte, ist allerdings noch offen. Wer glaubt im abzeichnenden Nord-Südkonflikt ob der notwendigen Ablehnung der diversen Vorhaben nordischer Heerführer samt Horden gleich Partei für den Süden ergreifen zu müssen, hat die präsentierte und oktroyierte Frontstellung als akzeptable und somit auch als seine akzeptiert anstatt sie zurückgewiesen.
Die Orte der Befreiung jedoch sind überall, es geht um ein subversives Einnisten, nicht ein rigides Partei beziehen. Nicht revolutionäre Subjekte sind zu suchen (am aller wenigsten solche, die sich aus irgendwelchen bürgerlichen Charaktermasken herleiten), sondern Bewusstsein und Erkenntnis wider die Unmenschlichkeit und die Zumutungen ist überall möglich wie unmöglich. Irgends wie nirgends. Gefordert sind Transnationale oder besser noch: Transvolutionäre, d. h. sich in Kenntnis und Bewusstsein setzende Individuen, die etwas anderes denken und wollen.
Transnational ist nicht gleich antinational. Der uns bekannte Antinationalismus, insbesondere das Antideutschtum, stellt lediglich den Nationalismus auf den Kopf und propagiert dessen negative Variante. Inzwischen hat er vielfach begonnen, Nationen nicht nur konjunkturell, sondern systematisch und kategorial in schlechtere und weniger schlechte (also bessere!) einzuteilen. Schluss-endlich landet solcher Antinationalismus selbst wieder im Schoß bestimmter Staaten und Nationen, deren Hilfskompanie er folgerichtig und folgsam abgibt.
Die Völker sollen also nicht ihren eigenen Weg gehen, sie sollen schlicht und einfach weg. Entvolkung statt Zusammenvolkung ist angesagt. Wir sind für das definitive Ende aller Völker und Nationen, das heißt ihre transvolutionäre Transformation. In letzter Konsequenz gehören Völker nicht vermittelt, sondern zersetzt. Die Migration tut das ihre. Wir sollten das unsere tun. Die Alternative zur ethnischen Abgrenzung ist nicht deren Anerkennung, sondern deren Auflösung im Kommunismus. Wobei es im Regelfall die Aufgabe jedes und jeder Transnationalen ist, die «eigene« Nation, das «eigene» Gewaltmonopol, dem er oder sie unterstellt ist, zur vorrangigen Aufgabe der Destruktion zu machen.
Vaterlandslose Gesellen nannten die national gesinnten Bürger einst die Proletarier. Sie waren es nicht, wir sind es schon.
Vaterlandslose Gesellen In der Stunde der Entscheidung lassen wir unser Vaterland nicht im Stich, sagten die Klassenkämpfer. In der Stunde der Entscheidung versetzen wir ihm den Todesstich, sagen wir. Hoch die nationale Leidenschaft? Lasset uns kotzen! Hoch die internationale Solidarität? Auch da sollte einem speiübel werden. - Solidarität reicht! Nicht Zärtlichkeit der Völker fordern wir ein, sondern Zärtlichkeit der Menschen. Homo homini homo.
Nicht Internationalisten sind wir, sondern Transnationale. Die Zukunft liegt in der transnationalen Befreiungsbewegung. Diese muss freilich mit den Fetischen der bürgerlichen Tradition fundamental brechen. Ihr Denken ist gegen diese Welt, weil diese Welt zwar eine menschengemachte, aber eine menschenfeindliche ist. Ihr Re-flektieren ist zwar aus dieser Welt, aber nicht mehr von dieser Welt. Hegelisch gesprochen Repulsion ohne Attraktion. So könnte kurz gesagt der Grundbegriff der Transvolution gefasst werden.
Transvolutionäre wird man daran erkennen, dass sie aufhören, den Kanon der Herrschaft zu singen, die Hits von Kommerz und Kapital: Vom wertschaffenden Arbeiter, von den zu befreienden Völkern, von der zivilen Gesellschaft, von Sachlichkeit und Konstruktivität, vom freien Willen der mündigen Bürger, von Menschenrechten, Wohlfahrtsstaat und Demokratie. That’s over.
- Ungeschliffene Thesen (Vorabfassung) des Autors.
- Die Zeitung Streifzüge wird 3mal jährlich vom Kritischen Kreis, Verein für gesellschaftliche Transformationskunde, in Wien herausgegeben.