Costa Rica im Widerstand

von Roland Spendlingwimmer (Finca Sonador April 2010), 20.06.2010, Veröffentlicht in Archipel 182

„Das Gesetz des Imperiums zu verletzen bedeutet, sich für die Rechte des Volkes einzusetzen.“ 24. April 1971, Federación de los Estudiantes, UCR.

Diese Tafel befindet sich in San José auf dem Gelände der staatlichen Universität von Costa Rica (UCR) und erinnert an eine der größten sozialen Mobilisierungen in der Geschichte dieses Landes: den Streik gegen ALCOA.
Schon Ende der 1950er Jahre begann die Aluminium Company of America (ALCOA), der weltweit größte Industriekonzern für den Abbau von Aluminium mit Sitz in Texas, mit Nachforschungen über die mögliche Ausbeutung der bauxithaltigen Böden im Süden von Costa Rica. Der Bezirk von Perez Zeledón schien besonders gute Vorraussetzungen zu bieten. Eine erste Sondierung ergab, dass eine Fläche von ca. 25.000 Hektar für eine rationelle Ausbeutung in Frage käme. Der Abbau sollte im Tagbau vor sich gehen, ähnlich wie der in den riesigen Schürfgruben von ALCOA in Jamaica.
Ende der 1960er Jahre waren die Forschungen abgeschlossen und die Verträge mit der Regierung von Costa Rica unter Dach und Fach. ALCOA sicherte sich enorme Zugeständnisse wie Steuerfreiheit, privilegierte Tarife für Strom und Wasser und gab ein sehr vages, uneinlösbares Versprechen, die Böden nach dem Abbau des Bauxits wieder im Originalzustand zurückzugeben. Fehlte lediglich die Ratifizierung durch die Parlamentarier.
Am 24. April 1970 fand die historische Abstimmung der Parlamentsabgeordneten statt. Tausende von Studenten, Schülern, Bauern, Lehrern und Arbeitern protestierten an diesem Tag noch spät abends vor dem Parlamentsgebäude, um ihren Widerstand gegen diese antipatriotischen, von korrupten Politikern ausgehandelten Verträge („Verträge der Schande“) kund zu tun.
Als die Nachricht von der Ratifizierung der Verträge über Radio bekannt gegeben wurde, stürmten die Demonstranten das Parlamentsgebäude, errichteten Barrikaden und besetzten die Redaktion der Tageszeitung La Nación, die im Vorfeld für den Konzern ALCOA Partei ergriffen hatte. Gewerkschaften und Universitäten riefen zum Generalstreik auf, das Land war kurzerhand lahm gelegt.
Wenige Wochen nach diesen Ereignissen erklärte ALCOA, dass sie unter diesen Umständen ihr Projekt der Aluminiumgewinnung in Costa Rica fallen lassen würde.
Eine der größten Protestbewegungen in Costa Rica hatte entscheidende Erfolge erzielt!
Heute, 40 Jahre nach diesen Ereignissen wissen wir, wie das Projekt von ALCOA die Realität unserer südlichen Region verändert hätte. Unser Bezirk wäre zur Industriewüste geworden, mit sterilen Böden, riesigen Erdlöchern und verschmutzten Gewässern.

Skurriler Fund

Als 1978 die Europäische Kooperative Longo maï in Costa Rica das Flüchtlingsprojekt Finca Sonador gründete und zu diesem Zweck Land von ca.1000 Hektar an der Grenze zum Bezirk von Pérez Zeledón erwarb, waren auf dem Grundstück noch einige Grenzsteine mit der Aufschrift ALCOA zu finden. Der Industriekonzern hatte offensichtlich vor, auch dieses Gebiet in ihre Abbaupläne einzubeziehen.
Costa Rica ist im Ausland als Touristenparadies, Enklave für Naturschutz und als Land der größten Biodiversität des Planeten bekannt.
Reiseführer sprechen auch gerne von der „Schweiz Mittelamerikas“ und präsentieren die Costarikaner als friedfertiges Volk, unterwürfig, gehorsam und schwach in entscheidenden Momenten, mit einem Wort: domestiziert.
Die Geschichte dieses kleinen Landes lehrt uns etwas ganz anderes!
El Combo
In den Monaten März und April des Jahres 2000 versuchte die christlich soziale Regierung unter dem Präsidenten Miguel Angel Rodriguez, eine einschneidende Umwandlung (Privatisierung) der staatlichen Telefon- und Elektrizitätsgesellschaft (COMBO) in Costa Rica durchzuführen. Bis zum heutigen Tag genießen die staatlichen Betriebe und autonomen Institutionen in diesem Land in der Bevölkerung größtes Ansehen. Für jeden Costarikaner ist klar, dass die Verstaatlichung wichtiger Sektoren wie Telefon, Strom, Banken, Gesundheitswesen, Versicherungen usw. in den 1950er Jahren wesentlich zu einer Verbesserung der sozialen Situation beitrug, den Mittelstand entscheidend stärkte und die Einkommenskluft zwischen arm und reich verminderte.
Das Szenario im COMBO war ähnlich dem von ALCOA. Die Mobilisierung begann im März des Jahres 2000. Hunderttausende gingen da auf die Straße. In 30 Städten, in allen Provinzen des Landes wurden Barrikaden errichtet und der Generalstreik ausgerufen. Als die beiden Haupthäfen, Limon und Puntarenas, keinen Import – Export mehr zuließen, musste die Regierung nachgeben. Das COMBO – Projekt wurde zurückgezogen und eine gemischte Kommission eingesetzt, um den Gesetzesentwurf zu überprüfen. Zum ersten Mal in der Geschichte von Costa Rica waren Vertreter der sozialen Bewegung in dieser Kommission präsent. Im November 2000 legte die Kommission einen negativen Bericht über die Gesetzesvorschläge vor. Daraufhin wurde der Gesetzesentwurf archiviert!

Der Kampf gegen das CAFTA

2006/07 standen die Freihandelsabkommen (CAFTA) zwischen den USA und Costa Rica auf der Tagesordnung der Regierung.
Auf Grund fehlender Transparenz bei den Verhandlungen formierte sich bereits zwei Jahre vorher ein Widerstand der Oppositionsparteien und der Studenten-, Bauern- und Ökologiebewegungen. Auch die Gewerkschaften, Kirchen, lokalen Bürgerinitiativen und Indigenen schlossen sich dem Kampf gegen das TLC (Tratado de Libre Comercio) an.
Am 26. Februar 2007 fand eine der größten Demonstrationen in San José statt. Mehr als 100.000 Menschen gingen am Aktionstag „para la Patria“ auf die Straße. Da wurde für den Erhalt der Biodiversität, gegen die Freigabe der Gentechnik in der Landwirtschaft, gegen den Ruin der Kleinbauern, gegen die Privatisierung der Wasserversorgung und den Ausverkauf der Küstenregion demonstriert.
Diese mächtige Kundgebung konnte von der Regierung nicht mehr ignoriert werden. Der Präsident Oscar Arias erließ darauf per Dekret die Abhaltung eines Plebiszits. Die Abstimmung, für die die Regierung ungleich größere finanzielle Mittel zur Verfügung hatte und die von einer Strategie des „Angstmachens“ von Seiten der Regierung gekennzeichnet war, verlief mit sehr knappem Ergebnis für ein Ja zu den Freihandelsverträgen.
Eine Teilniederlage auf dem langen Weg des Widerstands des costarikanischen Volkes.

Was ging diesen Ereignissen voraus?

Mehr als 20 Jahre Neoliberalismus hatten den Widerstand gegen den Ausverkauf Costa Ricas geschwächt. Seit der Regierung von Luis Alberto Monge (1982-86) hatten die sogenannten Strukturanpassungsprogramme, von Weltbank und Weltwährungsfond auferlegt, zu massiven Entlassungen im öffentlichen Sektor geführt. Gleichzeitig wurde den kleinen- und mittleren Bauern der Kampf angesagt. Exportförderung stand an erster Stelle. Von der profitierten aber vor allem die multinationalen Konzerne, wie Del Monte, Dole und andere. Diese großen Agromultis wickelten 75 Prozent der Agrarexporte ab. Der Ruin der Bauern führte auch dazu, dass der Selbstversorgungsgrad Costa Ricas mit Grundnahrungsmitteln wie Mais, Bohnen und Reis von 100 Prozent auf ca. 30 Prozent sank.
Auch das Budget für Gesundheit und Bildung musste enorme Einbußen hinnehmen.
Die radikalen Maßnahmen brachten das Modell einer solidarischen Gesellschaft, die auf einer kräftigen Mittelschicht, hohem Selbstversorgungsgrad und einem starken Engagement des Staates im sozialen Bereich aufbaute, nach und nach zu Fall.
Das System wurde mehr und mehr zu einer Zweiklassengesellschaft, in der diejenigen, die über Mittel verfügten, die private Gesundheitsversorgung oder private Erziehung in Anspruch nehmen konnten. Der Großteil der Bevölkerung, die Mittelschicht, die in den unteren Bereich absank, konnte dies aber nicht. Stark sichtbar wurde diese Polarisierung im Anwachsen der Tugurios (Elendsviertel). Und das nicht nur in der Hauptstadt San José, sondern auch in den Provinzstädten. Die Armut und die Anzahl der von der Gesellschaft Ausgeschlossenen nahmen ständig zu - und damit auch die Kriminalität.
Die Sicherheit des Bürgers war bei den letzten Wahlen (Februar 2010) Hauptthema der meisten Kandidaten. Populisten und die rechten Parteien forderten den starken Arm und hatten damit bei den Wählern auch Erfolg. Die rechte Partei Movimiento Libertario konnte mit dieser Forderung ihre Wählerschaft fast verdoppeln.
Populistische Forderungen sind in Wahlzeiten sehr nützlich, sie bringen Stimmen. Langfristige Konzepte einer Umkehr auf dem Gebiet der Sicherheit sind eher Sache eines anderen Gesellschaftsmodells, eines langfristigen Konzeptes der Armutsbekämpfung und der Regulierung der enormen Einkommensdifferenzen. Diese Konzepte sind nicht so spektakulär und stimmenbringend, sie brauchen Ausdauer und Mut.
Konsens?
Die neu gewählte Präsidentin von Costa Rica, Laura Chinchilla (von der sozialdemokratischen Partei Liberación Nacional), wird am 8. Mai 2010 ihr Amt antreten.
Die größte Herausforderung für sie ist folgende: Schafft sie es, dieses gespaltene Land wieder auf den Weg des Konsenses zu bringen? Die Kluft wird zusehends größer. Oscar Arias (auch von Liberación Nacional) hat die Wahlen 2006 mit einer hauchdünnen Mehrheit gewonnen. Seine Regierungsperiode war von Autoritarismus gekennzeichnet. Viele Entscheidungen wie die Konzession für Goldabbau im Tagbau in Las Crucitas, die Errichtung des Megastaudammes El Diquis im Süden, die Umwandlung des juristischen Statuts von Naturschutzgebieten in halb private Formen, die Privatisierung des Hafens von Limon, wurden durch Regierungsdekrete gefällt.
Auch die Beeinflussung der Besetzung von staatlichen Stellen in Einrichtungen wie dem Verfassungsgerichtshof, Ombudsmann, usw. schaffte böses Blut bei der Bevölkerung. Laura Chinchillas Erfolg wird davon abhängen, Identität für ein solidarisches Entwicklungsmodell zu schaffen, das soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Eigenständigkeit in den Vordergrund rückt. Dazu wird ein anderer Regierungsstil notwendig sein und auch eine Umkehr in vielen Fragen der wirtschaftlichen und politischen Ausrichtung.