Der Zugang zur Bildung für alle Menschen, welcher Herkunft auch immer, muss dringend erleichtert werden. Es geht hier um eine chancengerechte Bildung – dafür kämpfen wir.
In der Schweiz ist es möglich, eine Lehre zu absolvieren, sich dafür begabt zu zeigen und mit Begeisterung dabei zu sein, und sie dennoch, quasi über Nacht, abbrechen zu müssen. Der Ständerat hat eine Motion abgelehnt, die verlangt, dass junge Abgewiesene ihre Lehre beenden können, wenn der negative Asylentscheid erst in den letzten sechs Monaten der Ausbildung ergeht. Der Zugang zur Bildung, selbst unter diesen strengen Bedingungen, wurde von einer rechten Mehrheit, die jenseits jeglicher Realität zu sein scheint, abgelehnt.
In vielen Schweizer Schulen werden die Tests für Neuankömmlinge nicht in deren Muttersprache übersetzt. Ihre Kompetenzen werden dadurch zu tief bewertet, da ein Nichtverstehen der Vorgaben keine korrekte Ausführung der vorgelegten Aufgaben erlaubt.
In der Schweiz werden nicht alle Kinder der Asylsuchenden, die in den Bundesasylzentren leben, in der Standortgemeinde eingeschult. Der Zugang zur Bildung beträgt für sie im Durchschnitt drei Tage pro Woche, viel weniger als das, was für Schweizer Schüler·innen gilt. Ausserhalb der Schule können sie ihre Mitschüler·innen nicht treffen, weil sich ihr Leben im Asylzentrum abzuspielen hat und nicht anderswo.
So verhindert ein ganzes Bündel an Gesetzen, Bestimmungen und Verordnungen, eine absurder und ungerechter als die andere, den Zugang zum Grundrecht der Bildung. Das Gleiche gilt für die Erwachsenen. Sehr oft geht es nur darum, die Ausländer·innen so rasch wie möglich zu integrieren, d.h. sie fit für der Arbeitsmarkt zu machen, und nicht darum, ihnen im Bereich ihrer Wahl, Bildung und Erfüllung zu bieten, die ihren Kompetenzen und Interessen entsprächen. Es ist diese elende Situation, gegen welche die Kampagne „Bildung für alle – jetzt!“ kämpft. Die im Oktober 2020 lancierte Kampagne findet ihren Niederschlag in einer Petition, die sechs eigentlich simple, aber immer noch nicht realisierte Forderungen stellt. Die Petition in Papierformat liegt dieser Ausgabe von Archipel bei, sie kann aber auch hier oder hier www.bildung-jetzt./ch/petition unterzeichnet werden.
Die Petition mit ihren Forderungen wird im September 2021 den Parlamentsdiensten des Bundes übergeben. Parallel dazu wird intensives Lobbying betrieben. Wie immer ist das bürgerliche Lager am Schwierigsten zu überzeugen. Für dessen Parlamentarier·innen gilt: Wer keine Aussicht auf dauernden Aufenthalt hat, der braucht auch keine Ausbildung. Für sie zählt nur der Arbeitsmarkt. Da sind natürlich ungelernte und billige Arbeitskräfte ein wahrer Segen.
Für diese Politiker·innen, die sich doch immer wieder auf die Vernunft und den Realitätssinn berufen, geht die Rechnung aber nicht auf. Die Schweiz ist ein Land mit tiefer und zumeist struktureller Arbeitslosigkeit. Das Problem ist sehr oft die Diskrepanz zwischen Kompetenzen und offenen Stellen. Die Schweiz braucht qualifizierte Arbeitskräfte. Wenn es seine Vorurteile nur kurz weglegen könnte, würde das bürgerliche Lager erkennen, dass der Zugang zur Ausbildung für alle eine mehr als nur pragmatische Lösung ist. Wir wissen auch um die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Kosten der Ungleichheit. Wenn sich jeder nach seinen Bedürfnissen und Wünschen (aus)bilden könnte, würde es der Schweiz insgesamt nur besser gehen!
Aufgrund der Pandemie und der sanitären Einschränkungen war es schwierig, auf der Strasse Unterschriften zu sammeln. Aus diesem Grund bitten wir Sie, unserer Kampagne in den sozialen Netzwerken zu verfolgen und sie dort auch bekannt zu machen. Sie finden auf unserer Internetseite alle Informationen dazu. Wenn Sie ebenfalls der Ansicht sind, dass Bildung ein Grundrecht ist, so freuen wir uns, Sie als Verbündete zu haben!
Stephanie Nagy u. Sophie Guignard, Solidarité sans frontières (Sosf)