Schon seit einigen Jahren verfolgen wir als Mitglieder der europäischen Kooperativen Longo maï, was in Notre-Dame-des-Landes in der Bretagne, einige Kilometer von Nantes entfernt, passiert. Wir freuen uns über die dortige Widerstandsbewegung – sie gibt uns Hoffnung.
Die 1'650 Hektar Knicklandschaft («Bocage»), die die ZAD ausmachen, bilden ein Gebiet in Europa, wo der Widerstand gegen die techno-industrielle Eskalation und gleichzeitig eine immense Lust am gesellschaftlichen Experimentieren mit grosser Kraft und Klarheit zum Ausdruck kommen.
In dem Text «Die Krise, ein Angriff» hat Longo maï 1973 festgestellt, dass die Zukunft für die Jugend ernüchternd aussieht, und wir schlugen damals vor, entvölkerte ländliche Gebiete wiederzubesiedeln, um dort neue Lebensformen auszuprobieren und die materielle Basis für eine Autonomie zu schaffen. Wir schufen im Laufe der Jahre zehn selbstverwaltete Kooperativen in fünf Ländern Europas; Longo maï ist eine Bewegung, die sich zur aktiven Solidarität und zur Veränderung der Gesellschaft bekennt.
Ein Archipel des Widerstands
In Notre-Dame-des-Landes lebt seit 40 Jahren der Widerstand gegen den Bau eines zweiten Flughafens2 durch das Grossunternehmen Vinci3 und die Welt, die dazugehört: der zügellose Rhythmus der Billig-Flieger, die Ausweitung der Metropole von Nantes auf Kosten fruchtbarer Böden, die Zerstörung einer aussergewöhnlichen Biodiversität. Mit dem Aufruf zur Besetzung im Jahr 2008 begann eine neue Phase des Kampfes, der anfangs von einigen widerspenstigen Bäuerinnen, Bauern und Bewohnenden, unterstützt von einem bedeutenden Teil der lokalen Bevölkerung, geführt wurde. Seither leben und begegnen sich hier Menschen mit sehr unterschiedlichen Analysen und Konzeptionen. Ein paar hundert Bewohnende teilen sich die Häuser und Höfe, die besetzt und so vor der Zerstörung gerettet wurden, und eine Vielzahl von Hütten und verschiedenartigen Konstruktionen, Gemüsegärten, Werkstätten, Getreidefelder, Bäckereien, Käsereien, Nicht-Markt-Strukturen (Märkte mit freier Abgabe oder freiem Preis), Bibliotheken, Konzert- und Versammlungssäle, eine Krankenstation, einen Radiosender und Freiräume für Kinder. Das Gebiet ist «ein Archipel, wo sich verschiedenartige Gruppen vermischen, die sich manchmal gemeinsam organisieren, manchmal parallel, um die Infrastrukturen zu halten, die mit der gesamten Bewegung geteilt werden.4 Obwohl die Drohung, geräumt zu werden, ständig in der Luft schwebt, kommt in den Projekten und Bauten zum Ausdruck, dass die hier Wohnenden vorhaben, dauerhaft zu bleiben. Wir wollen das Leben auf der ZAD nicht verherrlichen und die Konflikte, welche die unterschiedlichen Analysen und Praktiken mit sich bringen, nicht leugnen, aber dennoch: Die Bewegung schafft es, stärker zu werden und offen zu bleiben. Die Vielfalt der Menschen, die am Kampf gegen den Flughafen teilnimmt (Bauern, Bäuerinnen, Besetzende, Bürgerinitiativen, Abgeordnete, Umweltschützende) ist eine grosse Kraft und garantiert Langlebigkeit5.
Repression und Solidarität
Der bestehenden Gesellschaftsordnung eine lange Nase zu drehen, konnte nur die tiefe Missbilligung und die Repression des Staates provozieren. Im Oktober 2012 forderte ein Polizeieinsatz unter dem Namen «Operation Cäsar» zur Räumung des Geländes hunderte Verletzte unter denjenigen, die die Zone verteidigten. Trotzdem oder gerade deswegen war diese Aktion ein aufsehenerregender Misserfolg und trug paradoxerweise dazu bei, eine neue Dynamik zu entfachen: Einen Monat später kamen 40‘000 Menschen zur Wiederbesetzung des Gebietes und die veränderten Voraussetzungen lösten eine riesige Bauwelle der Besetzer_innen aus. Aber noch immer lastet die Drohung einer möglichen Räumung auf der ZAD.
Der Kampf gegen den Flughafen findet in Frankreich viel Unterstützung: In mehr als 200 Solidaritätskomitees arbeiten Leute aus unterschiedlichen Kreisen zusammen, darunter einfache Mitbürgerinnen und -bürger, Gemeinderäte, Gewerkschafts- oder Universitätsangehörige, Journalisten und Journalistinnen. Regelmässig treffen sich hier zahlreiche Menschen, um über Themen wie Land- und Forstwirtschaft und soziale Fragen zu diskutieren und eine gemeinsame Zukunft zu entwerfen.
In Longo maï kennen wir diese Art von fröhlichem Tumult, wir sind solidarisch mit diesem Kampf. Wir stimmen überein bei grundlegenden Entscheidungen, wie etwa bei der Ablehnung der Allgegenwart des Geldes im täglichen Leben, der Einrichtung von Gemeingütern, bei der Lebensmittelautonomie und der Kritik an moralischen und institutionellen Strukturen, die angeblich unsere Welt verwalten. Wir machen uns die gleichen Sorgen und fühlen uns deshalb mit den Bewohnenden der ZAD verbunden. Gemeinsam praktizieren wir aktive Solidarität: gegen schädliche und grössenwahnsinnige Projekte und für die Verteidigung von Land und Wald. Wir sind ebenso solidarisch mit dem Kampf der Indigenen in Mexiko und engagieren uns an der Seite von Geflüchteten und Rechtlosen.
Die ZAD ist bedroht!
Auf der ZAD muss der Aufbau eines gemeinschaftlichen, kreativen Projektes frei von Zwängen unbedingt weitergehen, und zwar im Bruch mit den Dogmen der industriellen Landwirtschaft und den sozialen Beziehungen, die vom Geist des Wettbewerbs «Jeder gegen jeden» geprägt sind. Ein hierarchiefreies, widerspenstiges, umfassendes und grosszügiges Projekt, das sexistische, rassistische und homophobe Verhaltensweisen ausschliesst, ist das Ziel.
Falls das Flughafenprojekt fallengelassen wird, wäre es ungerecht, das Gelände – eine naturbelassene und geschützte Enklave – denjenigen zu übergeben, welche die ganze Region bereits massiv verseucht und sich an der Ausbreitung der industriellen Landwirtschaft beteiligt haben. Es wäre unakzeptabel, dass jene, die den Ort zubetonieren wollten, nur um sich noch ein bisschen mehr zu bereichern, weiterhin ein Kontrollrecht über seine Zukunft hätten.
Die Räumung der ZAD würde die Zukunft zahlreicher anderer Kämpfe aufs Spiel setzen, wie etwa diejenigen gegen ein touristisches Riesenprojekt in Roybon, gegen ein Atommüll-Endlager in Bure oder gegen die neue Trasse für Hochgeschwindigkeitszüge Lyon-Turin im Susatal in Italien.
Als internationale Bewegung will Longo maï den Kampf um die ZAD über Frankreich hinaus bekannt machen. Deshalb rufen wir unsere Freundinnen und Freunde überall in Europa auf, die ZAD zu entdecken und sie im Falle eines neuerlichen Räumungsversuchs zu verteidigen.
Die ZAD braucht Eure Unterstützung:
- Übt mit allen Mitteln Druck auf den französischen Staat und das Unternehmen Vinci aus!
- Zeigt eure Solidarität und macht diesen Kampf um euch herum bekannt, indem ihr die Broschüre «Die ZAD verteidigen» verbreitet (in mehreren Sprachen auf: constellations.boum.org)!
Die Bewegung der europäischen Kooperativen Longo maï,
Limans, April 2017
Kontakt: longomaicall(a)riseup.net
- ZAD , zone à défendre (Zu verteidigendes Gebiet). Eigentlich: «Zone d’aménagement différée» (Bauerwartungsland).
- Es existiert bereits ein internationaler Flughafen, «Nantes Atlantique», der etwa so gross ist wie der von Genf, allerdings mit dreimal weniger Flugaufkommen.
- Vinci ist das weltweit grösste Bauunternehmen im öffentlichen Sektor und der grösste Autobahn-Betreiber Europas.
- Zitat aus der Broschüre «De la ZAD aux communaux», zu finden unter: zad.nadir.org
- Die Entschlossenheit der Bewohnenden, die Zukunft der ZAD gemeinsam zu gestalten, kommt in dem Text von 2015, «Sechs Punkte zur Zukunft der ZAD», deutlich zum Ausdruck. Zu finden unter: constellations.boum.org