AKTUELL: Polemiken ums Klima 2. Teil

von Bertrand Louart*, 15.09.2010, Veröffentlicht in Archipel 185

Die in der Polemik um die Thesen des IPCC1 ausgetauschten Argumente veranschaulichen, in welchem Maße es Wissenschaftlern und sonstigen Kommentatoren an Scharfsinn mangelt in Bezug auf gesellschaftliche Probleme. Damit sind auch die gemeint, die in der Wissenschaftlergemeinde selbst entstehen. In der Tat gibt diese Polemik vor, sich hauptsächlich auf wissenschaftlichem Gebiet abzuspielen.

Anhänger des IPCC und Klimaskeptiker behaupten gemeinsam, nicht von politischen und gesellschaftlichen Fragen betroffen zu sein. Diese stehen jedoch unausweichlich mit einer Expertise zum Klimawandel im Zusammenhang. In erster Linie ist die Wissenschaftlergemeinde ein gesellschaftlicher Organismus, dessen Zweck die Forschung ist. Hinter den wissenschaftlichen Ergebnissen und Expertenberichten, die der Wissenschaft bei politischen Entscheidungsträgern, der Öffentlichkeit und den Medien zu Glaubwürdigkeit verhelfen, verbirgt sich ein komplexes Ensemble von sozialen Beziehungen. In den dort etablierten hierarchischen Strukturen sind Gerangel um Prestige, Machtkämpfe, Intrigenspiele um Einfluss und Geld an der Tagesordnung. Dies alles läuft, ganz wie in jedem x-beliebigen Verband dieser Art in unserer Gesellschaft, zwischen den Fachleuten und innerhalb der Bürokratie ab, letztere verantwortlich für die Verwaltung dieses Organismus.
In der Wissenschaft jedoch ist das Spiel hinter den Kulissen weit undurchsichtiger als anderswo. Zunächst, weil Wissenschaftler durch ihre eigene Leistung dazu geworden sind und sich also vom Normalsterblichen unterscheiden. Die Ideologie ihres Berufsstandes beschreibt sie als Vernunftwesen, gebunden an Objektivität, frei von Leidenschaft und jeglichem sonstigen Streben, außer dem nach Erkenntnis. Zahlreich und gut bekannt sind die Beispiele einer derartigen Erhebung des Geistes; die um sie herum gesponnenen Legenden haben diese Ideologie begründet und tragen zu deren Konsolidierung bei.
Immerhin zielt ihr Berufsethos auf eine Annäherung an dieses Ideal ab, Wissenschaftler sind jedoch auch nur Menschen: Sie sind eben nicht immer gleich das, was ihnen ihre Einbildung vorgibt. Durch ein zu starkes Herausstreichen des Ideals ihres Berufes wird vergessen, dass es sich um ein Ziel handelt, um einen Anspruch, an dessen Erlangen permanent gearbeitet werden muss und das demzufolge keinesfalls ein für alle mal erreicht ist. Dies vergessend werden Ideal und Wirklichkeit umso freudiger verwechselt, als es dem Selbstwertgefühl der Wissenschaftler schmeichelt. Als Folge davon werden auch die konkreten Hinderungsgründe beim Erreichen des Anspruches nicht gesehen - vor allem die sehr menschlichen Leidenschaften und der ebenso menschliche Ehrgeiz, völlig normal in dieser, wie in jeder anderen gesellschaftlichen Organisation. Deswegen kann die Berufsstandsideologie der Wissenschaftler bestimmte, unerfreuliche Phänomene innerhalb ihrer „Gemeinde“ nicht hinreichend erklären.

Phänomen Bürokratie

Affären um Fälschungen, Plagiate, unberechtigte Aneignung von Ergebnissen und Entdeckungen, um kollektive Fehlinterpretationen etc. wiederholen sich regelmäßig im wissenschaftlichen Milieu. Und das umso mehr, als Forscher einem intensiven Wettbewerbsdruck ausgesetzt sind, so bei der Gewährung von Zuschüssen wie bei der Veröffentlichung ihrer Resultate (bezeichnend ist die Formulierung Publish or Perish!). Den Wissenschaftshistorikern sind die aufsehenerregendsten Affären wohlbekannt2, aber es ist nicht sicher, ob überhaupt jemand von den Wissenschaftlern etwas davon weiß, ganz zu schweigen von den daraus zu ziehenden Lehren und den für die Zukunft zu treffenden Vorkehrungen.
„Die gesellschaftliche Organisation der Forschung begünstigt das Auftauchen einer Elite. Innerhalb dieser resultiert Prestige nicht allein aus der Qualität der vorgelegten Arbeiten, sondern hängt ebenso vom Rang in der wissenschaftlichen Hierarchie ab. Wer dieser Elite zugehört, kontrolliert die Vergabe von Auszeichnungen und hat, indem er die Kontrolle über seinesgleichen ausübt, eine entscheidende Stimme bei der Vergabe von Mitteln für die Forschung.“3 Auch und vor allem durch dieses Geflecht von sozialen Beziehungen und gegenseitiger Einflussnahme entspinnt sich wissenschaftlicher „Konsens“.
Die Initiatoren der Petition gegen Allègre wiederholen also: „Das Funktionieren unserer Gruppe folgt derselben Rigorosität und denselben Kriterien, die auch in anderen Wissenschaftsgebieten üblich sind […]: umfassende Veröffentlichung der Resultate, Überprüfung der Arbeiten durch Wissenschaftlerkollegen, Nachvollzug der Messungen und Berechnungen durch unabhängige Gruppen, Debatten anlässlich internationaler Kolloquien, die allen Wissenschaftlern offen stehen und die dort ihre Zustimmung oder abweichende Meinungen vorbringen können.“4
Leicht könnte einem in den Sinn kommen, dass man da eine etwas naive Vorstellung von dem wirklichen Forschungsbetrieb hat (oder zu propagieren sucht).
In der Tat, das Bestehen auf der Prozedur interner Überprüfung scheint vor allem dem Wunsch zu entspringen, die Polemik möge innerhalb des wissenschaftlichen Milieus verbleiben, die Debatte zwischen Spezialisten und Experten stattfinden. Sie möchten die große Öffentlichkeit draußen halten und das zum Teil auch zu Recht, denn das Thema ist ziemlich komplex. Aber zugleich ergreifen sie nicht die Gelegenheit für einen Versuch der öffentlichen Aufklärung, sie kommen nicht über einen korporativen Reflex hinaus - die Debatte bleibt Privateigentum und es wird ein unkritisches Festhalten an ihrer Berufsstandsideologie und deren antiquierten Konventionen zur Schau gestellt.
Prinzipielle Bedenken führen also weder zu Aufrichtigkeit oder Integrität der Forscher noch sind sie auf die genaue Ausführung und Gültigkeit ihrer Arbeiten gerichtet. Die übertriebenen und undifferenzierten Anschuldigungen seitens Allègre (der sich zudem nicht nehmen lässt, die gleichen Methoden anzuwenden, die er anderen vorwirft) erspart denen wiederum, Gott sei dank, sich mit dem Kern der Sache auseinanderzusetzen: dem Phänomen Bürokratie innerhalb der Wissenschaftlergemeinde und soziologischen Phänomenen, die einen „Konsens“ gebären innerhalb des IPCC und den Auffassungen außerhalb.

Karriereversuchungen

Das IPCC wird als eine Gruppe von Klimaexperten präsentiert, was nicht ganz exakt ist. Die 2500 Wissenschaftler des Instituts werden von den Regierungen verschiedener Staaten benannt; ihre Ernennungen sind also politische Entscheidungen - selbst wenn diese auf der Basis von Empfehlungen aus Wissenschaftlerkreisen des jeweiligen Landes beruhen, bleibt immer noch genügend Raum für Intrigen und das Ausüben von Druck. Selbst betreibt das IPCC keinerlei Klimaforschung, es trägt lediglich die vorhandenen Arbeiten zu dem Thema zusammen. Nur 20% der dort tätigen Wissenschaftler sind direkt mit Klimawissenschaft befasst.

Der Klimatologe Marcel Leroux5 bemerkt dazu: „Noch bis vor kurzem bedeutete ‚Klimatologe‘, dass man entweder Geograph war (eingeordnet als ‚Literat‘, das heißt als ‚Nicht-Physiker‘) oder im meteorologischen Dienst mit der Archivierung von Beobachtungsergebnissen befasst (um selbige Stellung wurde man kaum beneidet: ‚In der Klimatologie enden‘ war eine der schlimmsten Strafen!)“. Mit der Gründung des IPCC unter der Ägide der UNO ergab sich die Chance, dass die Klimatologie und andere mit ihr verbundenen Naturwissenschaften deutlich an Ansehen und Einfluss gewinnen konnten. In der Tat sind zahlreiche Wissenschaftler der ganzen Welt unmittelbar an der Stärkung von Rolle und Einfluss dieser Institution und also am Triumph ihrer Thesen interessiert. Damit einher ging, dass Begehrlichkeiten aller Art geschürt wurden. So zum Beispiel hat der jetzige Präsident des IPCC, Rajendra Kumar Pachauri, außer weiteren Titeln und Funktionen in Unternehmen und Institutionen, einen Sitz inne im External Advisory Board (Externe Beratergruppe) des Chicago Climate Exchange6, dem weltweit ersten Netzwerk für den Emissionshandel von Treibhausgasen, der amerikanischen Börse für den Tausch von CO2-Zertifikaten. Ist da nicht eine Art Interessenkonflikt vorprogrammiert?Andererseits sind die politischen Motive bestimmter Klimaskeptiker ziemlich durchsichtig. Allègre zum Beispiel gibt frank und frei zu: „Eine auf Innovation gegründete Strategie ist zu entwickeln: Auffangen und Einlagern von CO2, Energiesparen, das Elektroauto, die Kernenergie der 4. Generation und genetisch modifizierte, Wasser sparende Organismen sind zu fördern etc. Kurz, aus ökologischen Problemen sollen statt Hindernisse Hebel zur wirtschaftlichen Entwicklung werden. Soll man eine Ökologie der Angst fördern oder eine Ökologie der Vernunft?“7 Anders ausgedrückt, es gibt kein Problem und dessen Lösung findet man immer in Wissenschaft und Technik!
Das soll nicht heißen, dass Klimaskeptiker umso scharfsichtiger wären, ganz im Gegenteil. Eine Anzahl selbiger bezieht sich zum Beispiel auf die das Kyoto-Protokoll von 1997 zurückweisende Petition von Oregon8. Diese wurde von 31.500 amerikanischen Wissenschaftlern unterzeichnet, darunter 9.000 mit Doktortitel. Auf den ersten Blick scheint diese Zahl eindrucksvoll gegenüber den 2500 Experten des IPCC. Geht man aber auf die der Petition offen stehenden Homepage, findet man im Kopf der Empfangsseite die Unterschrift von Edward Teller, Vater der Wasserstoffbombe, verbissener Antikommunist im Kalten Krieg, Belastungszeuge beim McCarthy-“Prozess“ gegen Robert Oppenheimer, Förderer des SDI (Strategic Defense Initiative)- oder „Krieg der Sterne“-Programmes unter Ronald Reagan, glühender Verfechter des Geoengineering9 seit den 1950er Jahren etc. Kurz ein fanatischer Wissenschaftler, an dessen Seite Allègre die Figur eines Herzenskindes abgibt.
In dem sehr kurzen Text dieser Petition findet man den sonderbaren Satz: „Die Emissionsbeschränkungen für Treibhausgase werden die Umwelt schädigen, den Fortschritt von Wissenschaft und Technik behindern sowie Gesundheit und Prosperität der Menschheit gefährden.“ Damit wird deutlich, dass die Unterzeichnenden weniger wegen wissenschaftlicher Argumente als aus ideologischen Gründen der Verteidigung des kapitalistischen way of life Position bezogen haben. Vermutlich war man sich von vornherein einig oder es weist auf einen eklatanten Mangel an Urteilsfähigkeit hin10.

Welche politischen Projekte?

Zahlreiche Kommentatoren bedienen sich unterschiedlichster Argumentationsweisen, mit denen sie die eine oder andere Partei zu diskreditieren suchen. Aber diejenigen sind dünn gesät, die sich dann auch zu ihren ideologischen Motiven bekennen oder zugeben, dass sie Beziehungen zu pflegen haben oder sonstige subjektive Beweggründe ihnen ihre Stellungnahmen diktieren. So wird die ideologische, gesellschaftliche und politische Dimension dieser Polemik systematisch verdrängt und gleichzeitig damit die wesentliche Frage, nämlich: Nach welchem politischen Prozedere wird, von dem Moment an, da die Menschheit tatsächlich in den Anthropozentrismus eingetreten ist, entschieden über die Aufbietung der „geophysikalische Kraft“, die SIE nunmehr darstellt. Hier scheiden sich die Meinungen von einerseits Positivisten und Liberalen, die in Wissenschaft und Technik, verbunden mit Marktwirtschaft und Privatinitiative, die denkbare Lösung aller Probleme sehen und andererseits denjenigen, die die Endlichkeit der Welt und seiner Ressourcen beschwören und nach einer Stärkung der Rolle internationaler Institutionen rufen, nach einer das Knappwerden besser verwaltenden „Weltregierung“. Selbiges geht aber in Wirklichkeit auf die Maßlosigkeit des kapitalistisch-industriellen Systems zurück.
Wie dem auch sei, die Verschleierung der gesellschaftlichen Dimension bei beiden Parteien geht einher mit dem Herausdrängen der eigentlich Betroffenen aus dem Diskurs: der lebenden Völker, derjenigen, die nicht in den Korridoren und Büros der großen Institutionen wohnen, sondern auf diesem Planeten Erde. Wenn, wie der anarchistische Geograph Elisée Reclus vor einem Jahrhundert mit einer schönen Formulierung ausdrückte, „der Mensch die sich selbst bewusst werdende Natur“ ist, drängt sich in der Debatte über die Konsequenzen des Klimawandels die Schlussfolgerung auf, dass man sich die gewaltigen Kräfte vom Leib halten will, die aus dem kollektiven Bewusstsein und der selbst bestimmten Tätigkeit gemeinsam handelnder Menschen entstehen. Das lässt immer neue Raubzüge im Namen der „Rettung des Planeten“ vorausahnen.

*Chefredakteur von Notes & Morceaux Choisis, bulletin critique des sciences, des technologies et de la société industrielle

  1. Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) Gruppe von Experten verschiedener Regierungen, die sich mit der Entwicklung des Klimas befassen http://www.ipcc.ch/
  2. W. Broad und N. Wade, Betrayers of the truth, 1982
  3. Betrayers of the truth, Seite 274
  4. E. Bard und V. Masson-Delmotte, „Pour rétablir un climat de raison – Pédagogie de la complexité plutôt que démagogie de la simplicité“, Le Monde vom 22. Mai 2010
  5. Rechauffement global: une imposture scientifique!, Revue Fusion No95, März/April 2003 (im Internet verfügbar)
  6. http://www.chicagoclimatex.com/
  7. „Pour rétablir un climat de raison – Le droit au doute“, Le Monde vom 22. Mai 2010
    8.Global Warming Petition Project: http://www.petitionproject.org/
  8. Geoengineering bezeichnet technische Eingriffe in geochemische oder biochemische Kreisläufe, etwa um die Klimaerwärmung oder um die Versauerung der Meere zu bremsen.
  9. über die Ursprünge dieser Petition siehe „Climato-sceptiques: Fred Singer, lobbyiste professionnel“ unter der Internetadresse http://contreinfo.info/