Eigentumsrechte auf Lieder, auf literarische Texte oder auf technische Erfindungen sind Teil des bestehenden Wirtschaftssystems, in dem jede neue kulturelle Schöpfung oder technische Entwicklung für möglichst viel Geld vermarktet wird.
Geistige Eigentumsrechte auf Lebewesen sind fragwürdig, da weder von einem Erfinder eines Lebewesens gesprochen werden kann, noch eine eindeutige technische Beschreibung von Lebewesen möglich ist.
Aber warum sollte man nicht auch die Sterne patentieren, wo doch das Gerät, mit dessen Hilfe sie entdeckt wurden, eine technische Erfindung ist? So absurd das klingt, werden dennoch heute Patente auf Pflanzen und Tiere mit genau diesem Argument erteilt.
Am 24. Juli demonstrierten einige hundert Personen vor dem Europäischen Patentamt (EPA) in München gegen Patente auf Leben. Anlass war der Streit vor der Beschwerdekammer des EPA über die Patente auf die Gemüse Brokkoli und Tomate. Die Streitparteien waren im Fall des Brokkoli die englische Firma Plant Bioscience, die im Jahr 2002 ein Patent auf Brokkoli erhalten hatte und als Kläger die Konzerne Syngenta und Limagrain. Im Fall der Tomate hatte der Lebensmittelkonzern Unilever gegen das Patent des israelischen Landwirtschaftsministeriums auf Tomaten Klage eingereicht.
… zwischen Konzerngiganten?
Das EPA hatte die beiden Verfahren zusammengezogen, weil beide bereits erteilten Patente nicht gentechnisch veränderte Pflanzen betreffen und sich auf einen Absatz der europäischen Bio-Patentrichtlinie berufen, dessen ungenaue Formulierung verschiedene Interpretationen ermöglicht.
1989 wurde von der EU, angeblich auf Druck der USA, die Bio- Patentrichtlinie 98/44 erlassen, die es ermöglichte, gentechnisch veränderte Lebewesen zu patentieren. Seit 1989 wurden bereits mehr als 1000 Patente auf Pflanzen und Saatgut erteilt, wovon die meisten gentechnisch veränderte Pflanzen betreffen. Die umstrittene Formulierung in der Richtlinie verbietet Patente auf Pflanzen und Tiere, die «im Wesentlichen» mit biologischen Verfahren gezüchtet wurden. Dieses eigentliche Verbot wird immer häufiger umgangen, indem die Technik, die bei der Selektion genutzt wird, als «wesentlicher» Teil der Züchtung dargestellt wird. Die Saatgutindustrie nutzt bei der Entwicklung neuer Sorten, im Unterschied zu kleinen Züchtern, immer mehr die Analyse des Erbmaterials (DNA-Analyse) und die Zuordnung von Gen-Abschnitten zu bestimmten Eigenschaften. Der «genetische Fingerabdruck» einer Sorte, oder die «markergestützte Selektion» sind nur zwei Beispiele für den Einsatz von Gentechnologie in der herkömmlichen Züchtung. In den letzten Jahren nahm die Eintragung von Patenten auf gentechnisch veränderte Pflanzen ab, hingegen nimmt sie auf konventionelle Pflanzen zu. In den letzten Jahren wurden über 500 Patente auf konventionelle Pflanzen und Tiere beim EPA angemeldet.
Die Gentechnologie diente also als Türöffner für Patente auf Leben.
Patente auf einzelne Gene
Im Fall von Brokkoli hat die Firma einen Inhaltsstoff mit der chemischen Bezeichnung «Glucosinulate» auf bestimmte Gene bei Brokkoli-Pflanzen zurückgeführt. Dieser Stoff hemmt angeblich die Entwicklung von Krebszellen und die Firma hat alles patentieren lassen, was mit diesem Gen zu tun hat, vom Saatgut bis zu fertigen Endprodukten. Ihre Eigentumsrechte erstrecken sich also nicht auf eine bestimmte Sorte, sondern alle Brokkoli-Pflanzen, in denen dieses Gen nachgewiesen werden kann. Man kann sich zunächst schwer vorstellen, wie die Firma dieses Patent nutzt, obwohl sie kein einziges Produkt auf den Markt gebracht hat, das durch dieses Patent geschützt wird.
Es ist ein rein strategisches Patent, womit die Firma verhindert, dass Andere dieses Gen und diese Eigenschaft von Brokkoli erforschen oder nutzen können, ohne sich mit der Firma über die Höhe von Lizenzgebühren zu einigen.
Inzwischen gibt es Pflanzen und Tiere, von denen schon mehrere Gen-Abschnitte patentiert wurden. Will ein Forscher oder Züchter mit diesen Pflanzen arbeiten, muss er sich zuerst mit allen Patentinhabern über Lizenzverträge einigen.
Abschied von genmanipulierten Pflanzen?
Die Saatgutkonzerne geben inzwischen zu, dass die Ergebnisse der konventionellen Züchtung erfolgreicher sind als gentechnische Manipulationen.
In einer Patentanmeldung von Monsanto z.B. heißt es: «Die Möglichkeiten, eine Pflanze durch gentechnische Veränderungen zu verbessern, sind gering. Dies ist einer Reihe von Ursachen geschuldet. So lassen sich die Effekte eines spezifischen Gens auf das Wachstum der Pflanze, deren Entwicklung und Reaktionen auf die Umwelt, nicht genau vorhersagen. Dazu kommt die geringe Erfolgsrate bei der gentechnischen Manipulation, der Mangel an präziser Kontrolle über das Gen, sobald es in das Genom eingebaut worden ist, und andere ungewollte Effekte (…).» Was Kritiker längst gesagt haben, gibt Monsanto nun zu, nachdem offenbar das Entscheidende erreicht wurde, nämlich Patente auf Pflanzen und Tiere einzutragen.
Die führenden Saatgutkonzerne wie Monsanto und Syngenta sind auch führend im Wettkampf um Patente auf strategisch wichtige Lebensmittelpflanzen, wie Soja, Mais, Weizen und Reis, mit oder ohne Gentechnik.
Selbst der Bund deutscher Pflanzenzüchter (BdP), in dem auch die internationalen Saatgutkonzerne vertreten sind, beklagt diese Jagd auf Patente, wodurch die Forschung und Weiterentwicklung blockiert wird, und fordert, dass die europäische Bio-Patentrichtlinie geändert wird. Auch die deutsche Bundesregierung hat das Problem erkannt und versprach, im Herbst 2011 eine europäische Regierungskonferenz darüber einzuberufen. Die Beschwerdekammer des EPA hatte vermutlich aus diesem Grund seine Entscheidung in dem Streit um Brokkoli und Tomate auf Ende des Jahres vertagt, und wartete offensichtlich auf eine politische Entscheidung.
Inzwischen ist das Jahr zu Ende, die Deutsche Bundesregierung hat außer allgemeiner Erklärungen nichts unternommen und die Beschwerdekammer des EPA hat ein unverbindliches Urteil gesprochen, in welchem sie bestätigt, was jeder wusste, dass Patente auf biologisch gezüchtete Sorten nicht zulässig sind.
So geht die Jagd nach Patenten auf Leben fröhlich weiter, und die Verantwortung wird in die europäischen Instanzen delegiert.
… mit Hilfe der EU
Unter der Bezeichnung Better Regulation wird in der Europäischen Kommission eine europaweit einheitliche Saatgutgesetzgebung vorbereitet. Dieser Prozess wurde 2009 begonnen und soll 2011 zum Abschluss kommen. Auch wenn nur wenige Einblick in diesen Prozess haben, klingt nach außen alles ganz versöhnlich: Alle Betroffenen sollen angehört werden, von Zeit zu Zeit werden Fragebogen verschickt – als Zeichen eines demokratischen Verfahrens. Nach einer ersten Phase hat die EU-Kommission ihre Prioritäten festgelegt: Drei Punkte fallen darin auf:
- Die Zulassung von Sorten soll von der europäischen Saatgut-Behörde erfolgen, wobei die EU möglichst wenig Kosten für die Prüfung, die der Zulassung neuer Sorten vorausgeht, tragen will. Das wird voraussichtlich dazu führen, dass die bisher staatliche Prüfung weitgehend den Konzernen selbst übertragen wird.
- Die europäische Saatgutbehörde bildet zur Überwachung des Saatgutmarktes Funktionäre für die EU-Länder aus. Die EU sieht also ihre Hauptaufgabe nicht in der Prüfung der Sorten, die angemeldet werden, sondern in der Kontrolle des von den Bauern verwendeten Saatgutes.
- Die neuen Saatgutgesetze der EU sollen internationale Maßstäbe setzen.
Für Laien ist die Sprache dieser Dokumente meist ziemlich unverständlich. Den Versuch, trotzdem etwas zu verstehen, haben die «Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL)» und die «Aktionsgemeinschaft Solidarische Welt» im vergangenen Herbst auf der Tagung «Souveräne Bauern – sichere Ernte» in Berlin unternommen. Dr. Freudenstein vom Bundessortenamt, der im Auftrag der Bundesregierung an den Beratungen in Brüssel über die Saatgutgesetze teilnimmt, referierte über die «aktuellen Reformpläne der Europäischen Gesetzgebung». Ein großer Teil seines Berichtes betraf die Vorgehensweise der Kommission in dem Gesetzgebungsverfahren und blieb insofern sehr allgemein, als noch keine Ergebnisse beschlossen wurden.
In zwei Punkten hat Dr. Freudenstein aber eine klare Aussage gemacht: - Die Konzentration auf dem Saatgutmarkt wird weitergehen. Wer die Ursachen dieser Konzentration untersucht hat, weiß, dass die Eintragung von Patenten auf Saatgut ein wesentlicher Faktor für die Bildung von Monopolen auf dem Saatgutmarkt ist. Inzwischen beherrschen 10 Saatgutkonzerne 67 Prozent des weltweiten Saatgutmarktes, allen voran Monsanto und Syngenta, darauf folgen Limagrain und Bayer.
- Wenn die Deutsche Bundesregierung Patente auf Saatgut verbieten will, muss sie den Saatgutkonzernen entsprechende Rechte in der neuen EU-Saatgutgesetzgebung einräumen.
Sortenschutz statt Patente
Das bedeutet, dass die Regierung keinen Handlungsbedarf sieht, die Monopolisierung auf dem Saatgutmarkt aufzuhalten und den Forderungen der entstandenen Monopole eifrig ihre Unterstützung anbietet. Weil «Patente auf Saatgut» bei einer breiten Öffentlichkeit auf Kritik stossen, wird man dem Kind einen anderen Namen geben und die Eigentumsrechte des Patentrechtes als «Sortenschutz» bezeichnen.
Während in den USA bereits 1930 eine Patentgesetzgebung eingeführt wurde, hat sich in Europa der «Sortenschutz» als Instrument für geistige Eigentumsrechte der Saatgutzüchter durchgesetzt. Der Sortenschutz wird dann wirksam, wenn eine Pflanzensorte staatlich geprüft, zugelassen und in dem nationalen Sorten-Katalog eingetragen wurde. Für die Zulassung wurden drei Kriterien definiert: Eine Sorte muss «beständig», «homogen» und «unterscheidbar» von anderen Sorten sein. Damit schließt der Sortenschutz grundsätzlich die bäuerlichen Sorten von der Möglichkeit aus, rechtlich geschützt zu werden. Der Unterschied zwischen den bäuerlichen Sorten und denjenigen der Züchter ist, dass die Bauern immer mit einer breiten Vielfalt unterschiedlicher Pflanzentypen innerhalb einer Sorte gearbeitet haben. Auf diese Weise haben die Bauern über Jahrtausende die Vielfalt der Nutzpflanzen entwickelt und – um nur ein Beispiel zu nennen – den Weizen an die unterschiedlichsten Klimaregionen der Erde angepasst. Für sie war Saatgut keine Ware, und in vielen Ländern ist dieser nicht-kommerzielle Umgang mit Saatgut auch heute noch üblich. Durch die Einführung der drei oben genannten Kriterien für die Zulassung von Sorten auf dem Markt wurden die Bauern in Europa ihrer Jahrtausende alten Arbeit als Züchter entmündigt, ihre Sorten wurden verdrängt.
…und gegen die Bauern
In Europa hat sich der Glaube an die industrielle Züchtung längst durchgesetzt. Die «Hochleistungssorten» mit traumhaften Ernteerträgen haben die Bauern überzeugt. Allerdings sind diese Erträge nur durch den entsprechenden Einsatz von Kunstdüngern und Spritzmitteln zu haben. Dass die Mehrheit der Bauern in Europa sich dennoch dafür entschieden hat, wurde hier und in den USA durch die Agrarsubventionen ermöglicht, und viele Bauern sind zu Verfechtern der Agrochemie geworden. Würden die Subventionen aber gestrichen, kämen sie in große Bedrängnis und die häufig zitierte «Rückständigkeit» der Bauern in den Entwicklungsländern, die ihr Saatgut selbst gewinnen, würde zu einem erstrebenswerten Ziel.
Trotz allem säen viele Bauern in Europa industrielle Sorten aus eigener Ernte aus. Um dieses Recht und gegen die Nachbaugebühren haben sie jahrelang gekämpft. Vor Gericht hielt die Argumentation stand, dass sie nicht verpflichtet werden können, Auskunft über ihre Sorten zu geben, und die Saatgutindustrie konnte sie nicht zur Zahlung der Nachbaugebühren zwingen. Da ihr immerhin rund 40 Prozent des europäischen Saatgutmarktes entgehen, hat die Industrie nach technischen Lösungen gesucht. Inzwischen propagiert sie die Identifizierung der Sorten durch «molekulare Marker», und will diese Technologie an Stelle der bisherigen Sortenbeschreibung einführen. Diese Technologie der«Molekularen Marker» entspricht einer DNA-Analyse und soll eine eindeutige Identifizierung der Sorten auf den Feldern und in der Verarbeitung ermöglichen. Wenn dann die Konzerne ihre Anwälte auf die Felder schicken, um festzustellen, welche Sorten die Bauern angebaut haben, wird der Kampf der Bauern gegen die Nachbaugebühren vor neue Herausforderungen gestellt.
Europa will internationale Maßstäbe im Saatgutrecht setzen, aber alle europäischen Organisationen, die sich mit der Entwicklung in den armen Ländern beschäftigen, wissen, dass dort der Umgang mit Saatgut ein ganz anderer ist. Der Sonderberichterstatter der UNO für Welternährungsfragen, Olivier de Schutter, stellt in einem Bericht zwei Tatsachen eindeutig fest: 60 Prozent des Saatgutes in der Welt wird bis heute von Bauern selbst produziert und gezüchtet. Die industriellen Sorten kontrollieren 40 Prozent des verwendeten Saatgutes. Zweitens: Seit vierzig Jahren betreffen alle internationalen Verhandlungen nur die Stärkung der geistigen Eigentumsrechte der Züchter, wobei natürlich die Bauern als Züchter nicht erwähnt werden. Seine Schlussfolgerung ist, dass es dringend notwenig ist, die bäuerliche Erhaltung und Züchtung in der Welt anzuerkennen und zu fördern. Er weist darauf hin, dass der freie Zugang zu Saatgut untrennbar von dem Recht auf Ernährung ist und damit Teil der Internationalen Menschenrechtskonvention. Auch die zukünftigen EU-Saatgutgesetze müssen dieses Grundrecht einräumen.