Dieser Artikel von Samir Abi erschien in der togolesischen Zeitschrift «Vision solidaires». Wir geben ihn hier in zwei Teilen wieder. Der erste Teil kommentiert die Ziele der EU-Diplomatie in Afrika, die auf dem Gipfel in Valletta definiert wurden.
Anstatt staatlicher Entwicklungshilfe Verhinderung von Migration: So lautet die Lektion der Tournee des niederländischen Aussenministers Bert Koenders Ende April in Westafrika. Der Kundschafter von Federica Mogherini, der aussenpolitischen Kommissarin der EU, hat in jedem Land seiner Reise die Notwendigkeit unterstrichen, die illegale Migration zu bekämpfen und die «papierlosen» Migranten aus Europa zurückzunehmen. Dies sei die Basis der Partnerschaft, die die EU in Zukunft mit Afrika entwickeln will. Es ist nicht wirklich neu. Seit dem Abkommen von Cotonou1 und besonders dem Artikel 13 dieses Abkommens steht das Thema der Migration im Vordergrund der Gespräche zwischen Europa und Afrika. Die Zuspitzung der europäischen Krise angesichts der Ankunft von Migranten an den Mittelmeerküsten hat den institutionellen Druck der EU mittels der Entwicklungshilfe verstärkt.
Das Abkommen von Valletta
Das Gipfeltreffen in Valletta vom 11. und 12. November 2015 zwischen der EU und Afrika wurde als wichtigster Schritt bezeichnet, um die Ankunft subsaharischer Migranten in Europa zu verhindern. Es wurde ein Aktionsplan beschlossen, mit dem die Migration für die nächsten Jahre im Zentrum der Partnerschaft steht. Die Lektüre der fünf Schwerpunkte des Aktionsplans lässt an der Wirksamkeit zweifeln und kann so zusammengefasst werden: «Wir werden euch mit allen Mitteln helfen, eure Bürger in Afrika zu behalten und wir werden euch diejenigen zurückbringen, die versuchen, aus der Falle zu kommen, die wir euch helfen zu schaffen.» Was ironisch klingen mag, ist in Wirklichkeit die Strategie der derzeitigen EU-Entwicklungspolitik. Nachdem die EU 6 Milliarden Euro der Türkei zugesprochen hat, damit diese die unerwünschten Flüchtlinge zurücknimmt, wurde der Rest des 11. Europäischen Entwicklungsfonds, also 1,8 Millionen Euro, in einen treuhänderischen Dringlichkeitsfonds verwandelt für Projekte zur Kontrolle und Verwaltung der Migration auf dem ganzen afrikanischen Kontinent, besonders aber in den Sahelstaaten und dem Horn von Afrika. Dieser Fonds wird als das Ergebnis anstrengender Verhandlungen in Valletta und als die Lösung für die ungeregelte Migration in der Öffentlichkeit präsentiert. Die ersten Projekte, die damit finanziert wurden, bestätigen die Sicherheitsstrategie, die Mobilität der afrikanischen Bevölkerung regional zu beschränken und einzugrenzen.
Die Beträge des Fonds, die den einzelnen Ländern zugeteilt werden, können auf den ersten Blick über diese Absicht hinweg täuschen, aber die Tatsache, dass die EU sich hauptsächlich auf die Länder konzentriert, die auf den Migrationswegen liegen, zeigt die geopolitische Bedeutung des Fonds. Dass die Entwicklungshilfe schon immer geopolitischen Interessen gefolgt ist, ist nicht neu, hingegen ist die Orientierung auf die Migrationswege neu und muss genauer untersucht werden. Die überstürzte Verteilung der Gelder des Dringlichkeitsfonds und der Mangel an klaren Kriterien hinsichtlich der Projekte zur Reduzierung der ungeregelten Migration lässt an seiner Wirksamkeit zweifeln. Danièle Lamarque2 kommentiert richtig: Die Verwaltung der Migrationsfrage durch die EU folge dem Lauf der Dinge in Abhängigkeit momentaner Dringlichkeiten. Ohne Strategie gelinge es ihr, «die Rückführung von Migranten durchzusetzen, mit dem Versprechen einer offeneren Visumspolitik, was wenig Sinn ergibt.» Der Europäische Rechnungshof hat in seinem letzten Bericht die mangelnde Kohärenz und die geringen Erfolge der Projekte zur Eindämmung der Migration beklagt, die auf dem Rücken der europäischen Steuerzahler finanziert werden. Abgesehen von der Rhetorik bleibt die Finanzierung von Massnahmen zur Kontrolle der Migranten mit der Verstärkung von Sicherheitskräften auf dem Weg durch die Sahelzone. Die Begründung ist der Kampf gegen die Schlepper, die organisierte Kriminalität und der Terrorismus. Tatsächlich wird das Geld, welches für den Kampf gegen den Terrorismus und die Finanzierung der Flüchtlinge und Asylbewerber in Europa ausgegeben wird, als Entwicklungshilfe zu Gunsten der Länder des Südens verrechnet. Diejenigen Gelder des Dringlichkeitsfonds, welche für Projekte «zur Schaffung wirtschaftlicher Entwicklung,(...) zur Schaffung von bezahlten Arbeitsplätzen, (...zur) Stärkung der Diaspora» oder zur «sozio-ökonomischen Integration der Frauen» fliessen sollen, sind in den Augen der Zivilgesellschaft in Afrika seit fünfzig Jahren bekannt dafür, dass sie in den meisten Fällen in die Abhängigkeit von internationaler Hilfe führen.
Spalten und herrschen
Ein weiteres Ziel, das aus der Verteilung der Gelder des Fonds deutlich wird, ist die Kontrolle der Reisefreiheit innerhalb der Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten (CEDEAO). Innerhalb der Mitgliedstaaten der CEDEAO herrscht im Prinzip die Reisefreiheit, jedoch spiegelt sich die Diskussion über die Zukunft des Schengenraums in einer Diskussion über die Reisefreiheit zwischen den afrikanischen Ländern wieder. Die Bewegungsfreiheit zwischen den westafrikanischen Staaten existierte uneingeschränkt bis zur europäischen Kolonialisierung und Staatenbildung unter westlicher Herrschaft. Die heutigen Grenzen sind eine Erbschaft der Kolonialisierung, die bereits die traditionelle Bewegungsfreiheit ernsthaft erschwert und unnötige Rivalitäten geschaffen hat. Ein Beispiel dafür ist der Konflikt zwischen Senegal und Gambia. Der Dringlichkeitsfonds der EU finanziert hauptsächlich die Länder der Sahelzone und beschwichtigt die anderen Länder mit der Finanzierung von Mikroprojekten, die von der CEDEAO beschlossen werden. Auf diese Weise wird ein gemeinsames Vorgehen der CEDEAO-Staaten in Fragen der Migration torpediert. Statt einer Diskussion mit allen 15 CEDEAO-Staaten plus Mauretanien ziehen die 27 EU-Länder es vor, die Gespräche mit einzelnen Ländern wie Mali, Ghana und der Elfenbeinküste zu führen, ganz im Sinn der alten Taktik der Teilung, die seit der Kolonialzeit in Afrika erfolgreich war und auch heute noch ist.
- Im Jahr 2000 wurde in Cotonou ein Vertrag unterzeichnet, der das Abkommen von Lome ersetzt bezüglich der Kooperation zwischen der EU und den Ländern der Regionen Afrika-Karibik-Pazifik (AKP).
- Mitglied des Europäischen Rechnungshofes und verantwortlich für die Kontrolle der Europäischen Migrationspolitik.