«Man kann tatsächlich sehen, wie diese ‚rechtsextreme Internationale‘ Form annimmt.» Grzegorz Piotrowski erörtert in diesem Interview[1] hauptsächlich die Macht der Rechtsextremen und deren internationale Vernetzung, spricht aber auch über Ansätze von Gegenwehr.
Die rechtsextreme Agenda war seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs noch nie so mächtig wie heute. Nachdem sich das politische Zentrum jahrzehntelang immer weiter nach rechts verschoben hat, verbünden sich ultranationalistische und neofaschistische Kräfte nun offen mit populistischen und konservativen Parteien auf der ganzen Welt oder geben innerhalb von diesen den Ton an. Uri Gordon, Chefredaktor der britischen Internet-Zeitung «Freedom», hat mit dem polnischen Soziologen Grzegorz Piotrowski[2] über die internationale extreme Rechte gesprochen. Die Antworten wurden aus Gründen der Kürze und Klarheit bearbeitet.
Uri Gordon, Freedom: Während die politischen und wirtschaftlichen Eliten und insbesondere die rechte Presse in Grossbritannien damit beschäftigt sind, Fremdenfeindlichkeit zu verbreiten und strengere Grenzkontrollen zu fordern, haben dieselben Eliten und ihre Komplizen kein Problem damit, über Grenzen hinweg zu arbeiten. Was hat es mit diesem Internationalismus auf sich?
Grzegorz Piotrowski: Der ist nichts Neues. Schon vor dem Zweiten Weltkrieg waren sie ziemlich international. Aber wenn rechtsextreme Gruppen vor 15 Jahren tief in ihrem lokalen Kontext verwurzelt waren, haben sie jetzt sehr mächtige Verbündete gewonnen, insbesondere Verbündete, die viel Geld haben. Auf der «Conservative Political Action Conference» (CPAC)[3] in Budapest im Mai 2024 konnte man diese «rechtsextreme Internationale» tatsächlich sehen – Tucker Carlson, Viktor Orban… Die Russen können zurzeit nicht mehr so viel reisen, aber es kommen Menschen aus der ganzen Welt an diese Konferenzen, sogar Mitglieder des Europäischen Parlaments. Man kann auch den Geldfluss beobachten und es gibt viele rechtsextreme Gruppen, die von westlichen Millionären oder dem Kreml finanziert werden. In Polen gibt es viele Twitter-Konten, von denen jeder weiss, dass sie von Russland finanziert werden. Sie haben die Rechtsextremen in Österreich und Italien gesponsert, und bei Gruppen, die gegen die reproduktiven Rechte[4] kämpfen, kann man Geldflüsse aus Brasilien nachzeichnen.
Treten also die heraufgeschworenen Schreckgespenster «Gender-Ideologie» und «kultureller Marxismus» an die Stelle von offenem Rassenhass oder handelt es sich nur um ideologische Deckmäntel?
Ich denke, die Basis ist eine Art Trugbild der weissen männlichen christlichen Identität, sodass Islamophobie oder Antisemitismus ein grosser Teil davon sind. Das funktioniert aber nicht in allen Ländern auf die gleiche Weise. Dasselbe gilt für Homophobie. Ich meine, in Polen und Ungarn ist sie ziemlich effizient, in Grossbritannien hingegen nicht wirklich, aber das erlaubt es ihnen dann, die «Kreuzzug und Eroberer»-Karte auszuspielen. Zusätzlich zur Karte des Wohlfahrts-Chauvinismus[5]. Es geht darum, wie man das «Andere» konstruiert, das ethnisch und kulturell nicht zu seinem Heimatland passt, dem «heiligen Heimatland», das die prägenden Werte der Nation erhalten soll.
Kürzlich wurde aufgedeckt, dass amerikanische Neonazis beim Aufbau einer Kette von «braunen Fitnessstudios» mitgewirkt haben, rechtsextremen Trainingsclubs in England, die sich «Active Club» nennen. Gibt es weitere grenzüberschreitende Verbindungen?
Ich weiss, dass es die «English Defence League - Polish Division» (Englische Verteidigungsliga, polnische Division) gab und dann die «Polish Defence League - English Division» (Polnische Verteidigungsliga, englische Division)[6], was für viel Verwirrung gesorgt hat. Die «Football Lads Alliance»[7] versucht, deren Netzwerke zu nutzen, aber es handelt sich da wirklich um Randgruppen. Vor allem konnte sich die extreme Rechte internationalisieren, indem sie sich sozialen Netzwerken zugewandt hat, vor allem jetzt, da Plattformen wie X (früher Twitter) für die sogenannte «Meinungsfreiheit» eintreten. Das war am 6. Januar 2021 mit dem Aufstand vom Capitol Hill sehr deutlich zu sehen – diese Angst, die online erzeugt wurde, hat sich in eine Aktion im wirklichen Leben umgesetzt. Ich weiss also nicht, wie sehr sich die Leute im Trump-Lager bewusst waren, wie das enden könnte. Ich denke, sie hatten die Macht der sozialen Medien in diesem Fall unterschätzt, aber man konnte ein breites Spektrum an Gruppen wie QAnon, die Identitären, die «Proud Boys» usw. sehen, die sich alle wegen der Angst, die Trumps Gefolgsleute online geschaffen hatten, im Capitol Hill versammelten.
Kommen wir auf deren Gegensatz zwischen «Internationalismus» und Rassismus zurück. Sind Führungspersönlichkeiten wie Orban in Ungarn oder Meloni in Italien wirklich vom Hass auf diese «Anderen», den sie schüren, motiviert?
Hass zu schüren, ist tatsächlich ein sehr bequemes Mittel, um die Macht zu ergreifen, denn es spielt mit den wirklich niederen Instinkten dieser Gesellschaft, und in einer globalisierten Welt kommen natürlich immer mehr Menschen ins Land. Das Interessante daran ist jedoch, dass man nicht wirklich Geflüchtete oder Migrant·innen braucht, um Fremdenfeindlichkeit zu schüren; man muss nur das Bild erzeugen. Die Leute lesen, dass es grosse Bewegungen von Menschen aus Bürgerkriegs- oder Armutsgebieten usw. gibt, und man kann daraus leicht eine Angst erzeugen, um die Macht zu ergreifen. Meiner Ansicht nach ist das ein sehr zynisches Spiel. Ich denke, viele der Führenden und ihre engen Gefolgsleute sind nicht wirklich ideologisch, sie verwenden diese Themen nur, weil sie glauben, dass sie funktionieren. Und nach ein paar Jahren sieht man dann, dass sie ihre Macht nicht für irgendwelche ideologischen Zwecke nutzen, sondern dass sie im Grunde Kleptokraten sind.
Man sieht, dass in Ungarn die meisten Unternehmen jetzt im Besitz von Freunden Viktor Orbans sind oder von ihnen geführt werden. In Polen gibt es jeden Tag einen neuen Skandal um den Diebstahl von Geldern aus dem Staatshaushalt. Wenn Bolsonaro länger an der Macht gewesen wäre, wäre das bei ihm wohl auch der Fall, oder in Argentinien. Ich bin mir ziemlich sicher, dass viele Leute aus dem unmittelbaren Umfeld der Anführer nur wegen des Geldes und der Macht da sind. Was die Anführer selbst betrifft, so weiss ich ehrlich gesagt nicht, ob einige von ihnen wirklich in dem Gefühl schwelgen, eine Mission zu haben. Doch oft geht es wohl nur darum, die Macht zu ergreifen und was auch immer damit einhergeht – in der Regel Geld.
Aber das führt immer noch zur Verbreitung von Ideen und Einstellungen, die früher nur mit der extremen Rechten in Verbindung gebracht wurden, und wir sehen, wie gefährlich das sein kann.
Das ist etwas, was mir kürzlich aufgefallen ist, als ich mit Eltern an der Schule meiner Kinder gesprochen habe. Sie machten Witze über die vielen Ingenieure, Ärzte und Ärztinnen, die auf Booten von Nordafrika nach Europa kommen, und das immer mit einem kleinen Augenzwinkern und ähnlichen Gesten. Das ist eigentlich eine «abgemilderte» Version dessen, was die Rechtsextremen sagen, und diese Angst vor Migrant·innen und Geflüchteten wird in der gesamten Gesellschaft verbreitet. Bisher habe ich noch keine Möglichkeit gesehen, um dem entgegenzuwirken. Wie zum Beispiel Dinge hervorheben wie die Tatsache, dass der einzige Anstieg der Kriminalität, der nach der Ankunft von Geflüchteten stattfindet, bei den von der extremen Rechten begangenen Verbrechen gegen die Geflüchteten oder gegen Menschen, die diesen helfen, zu verzeichnen ist?
Ich denke, dass dies eine Herausforderung ist, die in den nächsten Jahren sowohl von der Antifa-Bewegung als auch von den politischen Entscheidungsträgern angegangen werden muss, um die Menschen der Mittelschicht zu erreichen.
Glauben Sie, dass antifaschistische Gruppen international weniger gut vernetzt sind als die extreme Rechte?
Die Frage ist, wie aktiv sich die Menschen für das interessieren, was in anderen Ländern passiert. Denn in manchen Fällen gibt es so viele Dinge, die in ihrem Heimatland vor sich gehen, dass sie nicht einmal Zeit haben, sich umzuschauen, was in den Nachbarländern oder gar auf dem Kontinent passiert. Ich meine, wir hatten das in Polen acht Jahre lang, wo die polnische Regierung ziemlich nervig war, vor allem für Aktivist·innen, und es gab viele Protestkampagnen und viele Menschen auf der Strasse. Es gab so viele Dinge, die vor Ort passierten, dass die Menschen keine Zeit hatten, sich anzusehen, was in Deutschland oder jenseits unserer Ostgrenze passiert, weil sie so sehr mit den eigenen Dingen beschäftigt waren.
Wenn man sich die Versuche zum Beispiel in den USA ansieht, die rechtsextremen Initiativen zu bekämpfen, dann sind sie sehr lokal verankert; es geht darum, dass die Menschen ihre eigenen «Communities» schützen. In den Vereinigten Staaten war antifaschistische Politik viele Jahre lang wirklich selten, nachdem die «Anti-Racist Action»[8] etwas an Fahrt verloren hatte, gab es keinen militanten Antifaschismus mehr. Trump kommt an die Macht und es gibt Leute wie Richard Spencer[9] und andere, und plötzlich erlebt man ein Wiederaufleben der militanten Antifa. Heutzutage basiert ein Grossteil der amerikanischen antifaschistischen Bewegung auf den Communities. Sie spricht die Communities an, indem sie sagt, dass diese Leute eine Bedrohung für sie darstellen, da die Rechtsextremen gerade solche, die vielfältig, migrantisch, LGBT-freundlich, oder was auch immer sind, ins Visier nehmen. Und mir scheint, diese Bewegung ist zurzeit ziemlich stark.
Die extreme Rechte greift wirtschaftliche und soziale Themen auf, die die Linke aufgegeben hat, wie den Schutz von Arbeiterfamilien, ein sichereres Arbeitsumfeld oder die Erhöhung des Mindestlohns. Dies sind linke Forderungen, aber die sozialdemokratischen und liberalen Parteien haben sich leider dem Neoliberalismus verschrieben. Ich denke, dass die Sprache der etablierten Parteien für die jüngere Generation von Aktivist·innen unverständlich ist. Diese hat ihre eigene Agenda, die eine wirklich linke Agenda ist, und sie sehen die Bedrohung von ganz rechts kommen, weshalb sie sich antifaschistisch positionieren.
Das Gespräch führte Uri Gordon für «Freedom» am 10. November 2024
Dieses Interview wurde erstmals in der Winterausgabe 2024/25 von der anarchistischen Internetzeitung «Freedom» in London veröffentlicht.
Forscher an der Universität und am Europäischen Solidaritätszentrum in Danzig.
Die CPAC ist eine jährlich stattfindende Konferenz von konservativen Aktivist·innen und Politiker·innen aus den USA und inzwischen ein weltweiter Treffpunkt der extremen Rechten.
Reproduktive Rechte und Gesundheit beschreiben das Recht eine·r jede·n Einzelnen, selbstbestimmt und frei über den eigenen Körper und die eigene Sexualität zu entscheiden.
Wohlfahrts-Chauvinismus: Der Wohlstand in einem Staat soll nur einem Teil der Bevölkerung zur Verfügung stehen, zum Beispiel nur den Einheimischen anstatt den Eingewanderten.
Die «English Defence League» (EDL) hat 2010 die «European Defence League» ins Leben gerufen, um eine internationale Bewegung gegen die angebliche Islamisierung Europas (den «grossen Austausch») zu bilden.
Die «Football Lads Alliance» (FLA): eine rechtsextreme Gruppe in England von 2017.
Die «Anti-Racist Action» (ARA): dezentralisiertes Netzwerk militanter linksextremer Gruppen in den USA und Kanada.
- Richard Spencer: rechtsextremer US-amerikanischer Aktivist, Neonazi, Antisemit, Befürworter der Sklaverei und weisser Suprematist.